Als der Film endete, ließ sie meine Hand los. Während der Abspann lief, blieben wir schweigend in der Dunkelheit sitzen, bis wir die Einzigen waren, die noch saßen. Ich war froh, dass sie nichts sagte, nicht aufstand, und ich hatte nicht vor, diejenige zu sein, die das Schweigen brach. Ich wollte das dunkle Kino nicht verlassen.
Schließlich drehte sie sich zu mir und zog die Augenbraue hoch.
»Wow«, sagte sie. »Der Film war besser, als ich ihn in Erinnerung hatte.«
Dann stand sie auf, und ich folgte ihr, und wir gingen hintereinander hinaus in das brutale Licht des Vorraums, in den Geruch nach Popcorn, wo man die Leute nicht mehr nur im Profil sah: Drei Teenies mit dicken Lidstrichen standen lachend in einer Ecke, ein Mann schob eine ältere Frau mit öligen Haaren in einem Rollstuhl vor sich her. Ich sagte Miriam, ich müsse aufs Klo, bevor wir gingen. Sie sagte, sie müsse nicht und werde auf mich warten.
Ich pinkelte, und als ich mich abwischte, war ich erschrocken, wie glitschig meine Vagina war.
»Lebwohl, du Neige der Bitterkeit«, flüsterte ich, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was das heißen sollte.
Ich fühlte mich fiebrig, wie im Delirium. Mein Gesicht im Spiegel war rosa, meine Augen blutunterlaufen. Ein leichter Ausschlag kroch an meinem Hals hinauf. Wir waren nur zwei Mädchen, die im Kino Händchen hielten und Süßigkeiten aßen, das war alles. Aber meine Lust: Sie machte mich krank. Wonnig krank. Gut krank. Mit zitternden Händen drehte ich den Wasserhahn auf, spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Einen Moment lang verschaffte es mir Linderung. Dann, immer noch tropfnass, stieg meine Temperatur wieder an.
Im Vorraum sagte Miriam nichts über das Händchenhalten. Wir verließen das Kino und gingen schweigend zusammen die Straße entlang. Als wir zu dem Möbelgeschäft kamen, vor dem ich ihr bei unserem letzten Treffen den Lippenstift aufgetragen hatte, blieb sie mit mir unter der Markise stehen, damit sie sich eine Nelkenzigarette anzünden konnte.
»Weißt du was? Ich glaube, ich weiß jetzt, was Bette Davis fehlt«, sagte sie.
Ich wollte nichts mehr von Bette Davis hören.
»Was?«
»Es ist die Art, wie sie sich bewegt. Sie hat nichts Wiedererkennbares. Wenn du Audreys Schatten sehen würdest – wenn du einfach nur eine Silhouette sehen könntest, die sich bewegt –, dann wüsstest du sofort, dass sie es ist. Aber bei Bette ist das nicht so. Bette Davis und ihre Art, sich zu bewegen, das ist genauso wie bei allen anderen Frauen.«
Sie atmete scharf aus und reichte mir die Zigarette. Ihr Ausatmen bildete keine magischen Formen, zumindest nicht, soweit ich sehen konnte. Jetzt war es einfach nur ein Ausatmen.
»Was ist mit Küssen?«, platzte ich heraus.
»Die Art, wie sie küssen?«
»Nein«, sagte ich und nahm einen Zug von der Zigarette. »Ich meine, dürfen orthodoxe Mädchen andere Mädchen küssen? Ist das erlaubt?«
»O ja«, sagte sie. »Ich küsse meine Freundinnen manchmal auf die Wange. Und Ayala und meine Mutter. Also ja, das ist okay.«
»Nein, ich meine auf den Mund«, sagte ich. »Was ist mit Mädchen, die einander auf den Mund küssen? Ist das okay?«
Ein Schatten ging über ihr Gesicht. Sie sah ängstlich aus.
»Ich weiß nicht«, sagte sie.
»Interessant«, sagte ich und nahm noch einen letzten Zug von der Zigarette. »Interessant.«
Ich schnippte die Zigarette auf den Boden und trat sie aus. Dann legte ich ohne einen weiteren Laut meine Hände auf ihre Schultern und zog sie an mich. Sie atmete tief und riss die Augen auf, aber sie wich nicht zurück.
Ich legte ihr die Hand an den Hinterkopf und zog ihr Gesicht an meines. Ich küsste sie sanft: erst auf die Oberlippe, dann auf die untere. Ich drängte ihr nicht die Feuchtigkeit meines Mundes auf, sondern blieb an der weichen Oberfläche. Ich fühlte so viel, wenn ich ihre Lippen berührte, ich wollte sie ewig spüren, ihren Amorbogen nachzeichnen, ihre Fülle.
Sie wich zurück. Ich öffnete die Augen, aber ihre waren noch geschlossen. Dann küsste sie mich, und ich erschrak, dass es von ihr ausging. Ich schob meine Zunge in ihren Mund und spürte, wie ihr ganzer Körper bebte. Jetzt war es klar. Wir saugten hungrig aneinander, die Münder nass und fest aneinandergepresst. Das konnte man nicht mehr für einen versehentlichen Kuss zwischen guten Freundinnen halten.
Ich wollte sie auf der Stelle vögeln, unsere Zungen im Mund der anderen. Ich wollte sie bis zum letzten Atemzug reiten, und als hätte sie gespürt, was ich wollte, löste sie sich wieder von mir. Diesmal kam sie nicht zurück.
»Nein«, sagte sie. »Wir dürfen keine anderen Mädchen küssen. Zumindest nicht so.«
Sie machte einen Schritt nach hinten, dann zog sie noch eine Zigarette heraus und zündete sie an. Wir schwiegen beide.
»Es tut mir leid«, sagte ich.
Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie sagen: Nein, nein, nein, es ist meine Schuld, und wedelte mit der Hand, als wollte sie mich entlassen, die Zigarette machte Rauchkringel um sich selbst.
Ich wollte sagen: Aber hat es dir gefallen?
So, wie ihr Körper bebte, konnte ich davon ausgehen.
Ich wollte sagen: Wenn du nicht orthodox wärst, würdest du mich dann gern weiter küssen? O Miriam, vielleicht war das genug, einfach, dass du es wolltest. Ich wollte wissen, ob du mich willst, und du wolltest!
Aber ich sagte kein Wort mehr. Ich hatte schon zu viel gesagt und getan. Ich hatte eine Grenze überschritten – mehrere Grenzen. Jetzt sah sie aufgebracht aus.
»Ich sollte nach Hause gehen«, sagte sie. »Es ist spät.«
»Okay«, sagte ich. »Wo parkst du? Soll ich dich zu deinem Auto begleiten?«
»Nein«, sagte sie plötzlich und laut. »Ist schon okay. Du solltest einfach auch nach Hause gehen. Tschüss, Rachel.«
»Tschüss«, sagte ich und blieb noch stehen, als sie sich umdrehte und ging.