Kapitel 6

Ich musste pro Woche dreitausendfünfhundert Kalorien verbrennen, gekommen war ich auf diese Zahl über einen interaktiven Vergleich alter Weight-Watchers-Daten, meiner täglichen Kalorienzufuhr und wie meine Klamotten im Lauf der Zeit passten. Ich klammerte mich an meine dreitausendfünfhundert wie an einen Gewinner-Lottoschein. Niemand durfte Hand daran legen. Die Zahl war Garant für meine Sicherheit, körperlich und emotional.

Ich war keine Sportlerin. Ich lief nicht, schwamm nicht, fuhr nicht Ski und spielte auch nicht Fußball. Ich hielt mich nicht mit Scheiß auf, den man als »Sport« oder »Spiel« definieren würde. Ich verschrieb mich nur einer Sache: dem grünen Leuchten der steigenden Zahlen – 147 kcal, 215 kcal, 319 kcal –, während ich wie wahnsinnig auf dem Ergometer oder Crosstrainer ins Nirgendwo strampelte.

Ich ging jeden Abend ins Fitnessstudio, sogar donnerstags, wenn ich mir nach der Arbeit die Sportklamotten anzog und danach dann noch mal ein komplett schwarzes Outfit, um mich von den Neoncaps bei This Show Sucks wie Luft behandeln zu lassen. An den meisten Tagen verbrachte ich gute drei Stunden im Studio: eine Existenz, die sich über Kalorien pro Minute definierte, über verstrichene Zeit und Schrittlänge. Mein Fitnessplan machte mir praktischerweise jede echte menschliche Nähe unmöglich. Selbst wenn ich so etwas gewollt hätte, ich hatte schlicht keine Zeit.

Erst nachdem ich meine Zeit im Studio abgeleistet hatte, konnte ich mich ein bisschen entspannen. Wenn ich abends allein zu Hause hockte und die Kalibrierungen und Kalkulationen des Tages erfolgreich abgeschlossen hatte, durfte ich mich mit einer kulinarischen Parade, einer Prozession aus Köstlichkeiten belohnen, die eine nach der anderen in mich hineinströmten.

Zuerst kam ein mit einem Esslöffel Sriracha-Soße gemischtes Tiefkühl-Spaghettigericht, das nur zweihundertvierzig Kalorien hatte. Als Nächstes eine mittelgroße Süßkartoffel, sieben Minuten in der Mikrowelle gegart, in deren Eingeweide ich drei Päckchen Süßstoff kippte. Falls ich je den Eindruck hatte zuzunehmen, war der Hauptverdächtige die Größe der Süßkartoffel – und so musste ich mich für ein paar Wochen auf eine kleinere Kartoffel herunterstufen: eine traurige, aber notwendige Anpassung.

Der Süßkartoffel folgte Dessert eins: eine Portion Muffin-Glasur light, hundert Kalorien, gekrönt von vier Esslöffeln Diät-Sahneersatz. Das alles wurde stehend vor meiner leeren Küchenzeile gegessen, von Papptellern, mit Plastikbesteck. Ich hatte kein Geschirr und Besteck, keine Töpfe und Pfannen. Allerdings besaß ich vier extragroße Weihnachtsgläser – mit einem hübschen Stechpalmen- und Beerenmotiv bedruckt –, die die Vormieterin zurückgelassen hatte.

Direkt vor dem Schlafengehen schloss ich die Orgie mit einem Becher Schoko-Eis light mit hundertfünfzig Kalorien ab, den ich fünfundvierzig Sekunden in die Mikrowelle steckte und dann mit einer halben Tasse Kellogg’s Special K Red Berries vermischte. Diese Köstlichkeit verzehrte ich unter der Decke im Bett und verwandelte meine Laken in eine provisorische Tischdecke.

Jeden Tag mit so einem Höhepunkt zu beenden fühlte sich wie Freiheit an. War es wahre Freiheit? Unwahrscheinlich. Aber dank meiner Rituale blieb ich dünn, und wenn Glück nur eines bedeutete, nämlich Dünnsein, dann könnte man sagen, ich war in gewisser Weise glücklich.