Kapitel 69

Am nächsten Morgen berief ich eine Notfall-Teepause mit Ana in der Küche ein. Ich wollte meine Neuigkeiten dringend jemandem erzählen. Ich wollte eine Zeugin, die dabei half, den trostlosen Sex mit Jace zu einer berauschenden Geschichte zu erheben. Ich wollte ihre Kameradschaft, und mehr noch wollte ich ihre Bestätigung.

Jemand hatte einen halben Blechkuchen, weiß mit weißem Guss, einfach so auf dem Tresen stehen lassen, dazu ein Schild, auf dem stand: ISS MICH! Ich beäugte den Kuchen, während ich Ana alles erzählte, was in der Nacht zuvor passiert war. Ich ließ nichts aus, bis auf den Teil, wo ich ihn eingeladen hatte, mit zu mir zu kommen. Ich wollte es aussehen lassen, als hätte er es initiiert, was er ja mit der Wangenberührung auch irgendwie getan hatte – aber nicht ganz. Ich wollte begehrt wirken, sie zum Staunen bringen und auch nicht einen Hauch von Verzweiflung ausstrahlen. Es war bestätigt: Ich war das Objekt von Jace’ Zuneigung. Das war’s. Sicherheitshalber erzählte ich ihr sogar, dass er mich angebettelt hatte, ihm den Finger in den Arsch zu stecken. So sehr hatte er mich in sich gewollt.

»Also ist er schwul«, sagte sie, als ich meine Geschichte beendet hatte.

»Nein!«, sagte ich. »Ein Finger im Arsch hat nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun.«

Ich fand es nicht gut, dass sie mit ihrer eigenen Interpretation dieses Details der Geschichte daherkam, des Teils, in dem ich so geglänzt hatte. Musste er schwul sein, um sich auf Sex mit mir einzulassen – als wäre ich zweitrangig, eine kleine Episode, vielleicht sogar eine Alibi-Freundin? Warum konnte sie mich nicht als eine Person sehen, die er ehrlich mochte?

»Abgesehen davon«, sagte ich, »wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert in Los Angeles. Wenn er schwul wäre, wäre er einfach schwul.«

»Nicht unbedingt«, sagte sie. »Ich meine, er ist ein Fernsehstar. Vergiss nicht, er muss den heterosexuellen Reiz aufrechterhalten.«

»Wenn er auf der Suche nach einer Alibi-Freundin wäre, hätte er jemand viel Öffentlicheren ausgesucht, eine von seinen Co-Stars oder so. Es gibt Tausende von Frauen, die ihn nur zu gern daten würden. Nein, er steht nur einfach auf mich.«

Ich hasste mich dafür, dass ich das Bedürfnis hatte, mich aufzublasen. Und ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich so viele Sexdetails über Jace erzählt hatte – vor allem die Spielchen mit dem Arsch und seine Vorliebe dafür, sich seine Geburtsurkunde vorsprechen zu lassen. So sollten Frauengespräche nicht ablaufen. Ich wollte Gekicher, Zuspruch, Unterstützung – keine Skepsis. Ich wollte konspirative Kameradschaft, einen wandelnden Tagebucheintrag. Stattdessen wirkte Ana beinahe wütend.

»Du kannst ihn auf keinen Fall daten«, sagte sie nachdrücklich.

»Natürlich. Das weiß ich«, erwiderte ich.

Ich verstand nicht, was sie so sauer machte. Ich überlegte, ob es Schmerz aus ihrer Vergangenheit war oder Eifersucht. Unter ihrem linken Auge zuckte die Haut. Sie trommelte mit dem Zeigefinger an ihre Teetasse. Ich konnte praktisch fühlen, wie ihre Nerven vibrierten.

»Hätte ich es dir nicht erzählen sollen?«, fragte ich.

»Doch«, sagte Ana, ohne zu lächeln. »Ich bin sehr froh, dass du es getan hast.«

Als sie einen Schluck von ihrem Tee nahm, wurde mir bewusst, dass wir uns nicht mehr so ähnlich sahen. Wo wir einander früher mit unseren langen, wolligen Haaren glichen, hatten wir jetzt weniger gemeinsam. Falls sie versuchte, Jace durch mich zu erleben, wäre das nicht so einfach. Erst meine Gewichtszunahme und jetzt die Frisur, das vertrug sich nicht mit ihrer Vorstellung davon, wie eine Frau zu sein hatte – vor allem eine Frau, die die Aufmerksamkeit eines gut aussehenden Mannes mit einer beschissenen Fernsehserie bekam.

Ich hatte neunundvierzig Tage nicht mit meiner Mutter gesprochen, aber sie stand immer noch direkt vor mir.