Kapitel 9

Ofer war unzufrieden mit der Firma, die die falschen Instagram-Follower verkaufte, die wir für unsere Kunden besorgten.

»Die achten nicht genug auf Diversität von wegen Ethnie, Gender und Race«, sagte er, als wir im Last Crush zusammensaßen.

»Aber die Follower sind fake«, sagte ich.

»Sie sollen aber echt aussehen. Wenn wir wieder im Büro sind, will ich, dass du andere Firmen recherchierst. Was die verlangen, wie lang es sie schon gibt, wie divers ihre fake Follower sind – was ist das für ein Knistern?«

Das Knistern war ich. Ich versuchte, in meiner Handtasche einen Nikotinkaugummi aus seiner Packung zu pulen. Normalerweise holte ich vor jedem Kundenmittagessen mindestens fünf Kaugummis heraus und verstaute sie ungeschützt in der Handtasche, zusammen mit einem Knäuel Toilettenpapier für die gekauten. So kam ich geräuschlos an sie heran. Aber diesmal hatte ich es vergessen und musste sie jetzt in der Sitzecke rausdrücken, während wir auf Ofers bestes Pferd im Stall – einem Schauspieler namens Jason Blagojevich, der sich »Jace Evans« nannte – und seine beiden Agenten warteten.

Jace hatte eine Hauptrolle als »Liam« in einer angesagten neuen Serie namens Breathers, in der drei sexy junge Menschen eine Zombie-Apokalypse überleben. Die Serie hatte sich zum Renner auf dem Teen-Markt entwickelt und wurde gerade bei den Erwachsenen immer beliebter, die sich ironisch antiintellektuell gaben, aber vielleicht einfach nur dumm waren. Breathers war vor Kurzem um eine Staffel verlängert worden, für Jace lief es richtig gut. Dabei war er noch keine zwei Jahre aus Akron weg.

Ofer hatte Jace schon vertreten, bevor er einen Agenten hatte. Er schaffte es, ihm ohne Agenturvertretung die Rolle zu beschaffen, was selten war. Jace’ Agenten, zwei Opportunisten namens Josh und Josh, waren gerade rechtzeitig »zum Team gestoßen«, um den Vertrag zu machen. Ohne einen Pilotfilm hätten sie Jace sonst nie angefasst, aber jetzt taten sie so, als hätten sie ihn geboren.

»Meine Juuungs!«, schnurrte Ofer und stand auf, um Jace und die Joshs zu begrüßen.

Heimlich hasste er die Joshs, er behauptete, sie hätten keinen moralischen Kompass, aber ich wusste, der wahre Grund für seine Animosität war, dass sie glaubten, er habe es in der Agenturwelt nicht geschafft. Ich war froh, dass die Joshs anwesend waren. Je mehr Leute am Tisch, desto weniger achteten alle darauf, was ich aß.

Ich war dabei, um auf meinem Handy Notizen zu machen. Hauptsächlich googelte ich Kalorientabellen und versuchte, Jace nicht anzustarren. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich ihn attraktiv fand. Seine Frisur war anstrengend, ein rasierter Undercut mit himmelwärts strebendem Fluff oben drauf. Der Fluff gab sich Mühe, aufrecht zu bleiben, während der gesamte Look Mühe mit der Selbstfindung hatte: Punk oder Pomadentolle, Skinhead oder Skulptur, ich wusste nicht, was es war. Jace investierte eindeutig viel Zeit und Geld in seine Haare, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, dass irgendein Friseur die Zombie-Apokalypse überleben würde.

Jace war einer von den Typen, die immer aussahen, als trügen sie einen Fedora – selbst, wenn es gar nicht so war. Er hatte zwei Rosenkränze um den Hals hängen, von Fred Segal, nahm ich an. Seine Motorradjacke wirkte neu, aber auf alt gemacht, und die Unmengen von Leder- und Metallarmbändern an seinen Handgelenken legten nahe, dass er nach dem Mittagessen direkt zu einer Schlacht in einem antiken Krieg wollte. An seiner linken Hand hatte er eine Sommersprosse, so groß wie der Radierer am Ende eines Bleistifts. Ich entschied, dass er hässlich war.

»Ich mache mir Sorgen, dass Liams Dreiecksbeziehung in der nächsten Staffel weitergeht«, sagte Jace und strich sich mit seiner Sommersprossenhand übers Kinn. »Ich hoffe, die Autoren machen es nicht zum Hauptkonflikt der Serie.«

Ich tippte das Wort Hauptkonflikt in meine Notizen. Es überraschte mich, dass er wusste, was das war.

»Stimmt, in der Serie geht es ums Überleben, nicht um Liebe«, sagte Josh.

Ich tippte: Überleben nicht Liebe.

»Ofer, wir sollten uns überlegen, wie wir Jace’ Sorge beim Sender konstruktiv zum Ausdruck bringen können«, sagte der andere Josh.

»Bin dran«, sagte Ofer. »Wobei ich finde, die Veränderung im Ton ist schmeichelhaft. Als Jace gecastet wurde, hatte keiner eine Ahnung, was für ein Star er werden würde. Bis auf mich natürlich.«

Ich hätte Jace keinen Star genannt. Ein Klebesternchen vielleicht.

»Wir müssen nur dafür sorgen, dass die Welt der Serie authentisch bleibt«, sagte Jace.

Ich tippte: authentisch. Es war eine Serie über Zombies. Wie authentisch konnte diese Welt schon sein?

Ich wusste nie genau, ob die Leute ihren eigenen Bullshit glaubten oder nicht. Es verwirrte mich – vor allem bei Arbeitsessen, aber immer wieder auch im Nicht-Arbeitsessen-Leben. In solchen Momenten hätte ich furchtbar gern die vierte Wand durchbrochen und geflüstert: Hey, mal unter uns: Ist das eine Performance oder glaubst du das echt?

Ich entschied, dass Jace objektiv attraktiv war. Ich wollte nicht unbedingt, dass sich unsere Genitalien berührten, aber es gab eine bestimmte Stelle in meinem Kopf oder vielleicht in meinem Solarplexus, wo ich ihn mochte. Ich fühlte mich darauf programmiert, seine Bestätigung zu suchen, wie ein Drogenhund.

Am meisten wollte ich, dass diese anerkannt heiße Person mich heiß fand und so ein für alle Mal bestätigte, dass ich heiß war. Es war nicht so, dass mich Zivilisten nicht attraktiv gefunden hätten. Aber wenn mir das eine anerkannt heiße Person bestätigte? Das war der echte Shit.

»Vielleicht müssen wir den Sender daran erinnern, dass Jace woanders auch Fans hat«, sagte Josh.

Ich tippte: Fans.

»Er hat Fans bei Netflix, Fans bei Universal«, sagte der andere Josh. »Große Fans bei Universal, auch kinomäßig.«

Ich tippte: fans fans. große fans.

Jace wandte sich an mich.

»Danke fürs Mitschreiben«, sagte er.

Er tat so, als täte ich das freiwillig. Trotzdem schien er nett zu sein. Aber er konnte es sich auch leisten, nett zu sein. Die ganze Aufmerksamkeit lag auf ihm. Wäre er in meiner Lage, also nicht derjenige, der gefeiert wurde, wäre er dann auch so nett?

»Kein Ding«, sagte ich und schaute das Wort BEEF an der hinteren Wand über seinem Kopf an.

Das Last Crush hatte ein »Vom Erzeuger direkt in die Hölle«-Ambiente, ich musste dabei immer an den Tod durch Erhängen denken: Holzbalken, Glühbirnen, die von der Decke baumelten wie Schlingen. Hier gab es genug Upcycling-Glühbirnen, dass man ein Stadion damit hätte beleuchten können. Niemand brauchte so viel Licht.

»Brot?«, fragte Jace und hielt einen Korb Kohlenhydrate bedrohlich dicht an meinen Kopf.

Ich stellte mir vor, ein Rudel Zombies würde das Restaurant stürmen, Blut und Eiter auf dem Steinboden verschmieren, an den falschen rustikalen Wänden, das Brot damit tränken. Wessen Hirn würden sie als Erstes fressen? Wahrscheinlich das von Jace, weil er die meisten Fans hatte.

»Nein, danke«, sagte ich.