F rieda schmiegte sich an Magnus’ nackten Rücken und strich mit ihren Fingerspitzen müßig über seinen Bauch. Dabei wunderte sie sich, wie weich sich seine Haut anfühlte. In den letzten Jahren hatte sie mit allen möglichen Männern geschlafen, und nicht jedes Mal war es bloß eine schnelle Nummer gewesen. Doch nur selten war sie einem dieser Männer so nahe gewesen, dass sie sich über die Beschaffenheit seiner Haut Gedanken gemacht hätte, obwohl sie den einen oder anderen öfters getroffen und auch ganze Nächte mit ihnen verbracht hatte, wenn es gerade passte.
Einmal hatte sie eine Affäre mit einem verheirateten Mann gehabt, die fast ein halbes Jahr gedauert hatte; seine Frau war mit den beiden Kindern zu ihrer Mutter an den Arsch der Welt ins Bergische gezogen, da gab es mehr zu essen. Er hatte wegen seiner Arbeit in der Stadt bleiben müssen und nur an den Wochenenden seine Familie besucht. Rückblickend überlegte Frieda immer noch, was er an sich gehabt hatte, dass sie die Sache so lange hatte laufen lassen. Er hatte ganz durchschnittlich ausgesehen und war auch nicht besonders gut bei Kasse gewesen, und die paar Essensvorräte, die er für sie hatte abzwacken können, hätten sie im Normalfall auch nicht vom Hocker gerissen.
Vielleicht hing die Anziehungskraft, die er – zumindest für eine begrenzte Zeit – auf sie ausgeübt hatte, mit dem Ehering an seinem Finger zusammen. Mit diesem Ring gehörte er einer Spezies von Männern an, die auf gewisse Weise unerreichbar blieben. Sie waren immer nur teilweise zu haben, und bei dem verfügbaren Teil ging es in der Regel um das, was sie in der Hose hatten. Natürlich verliebten sich auch verheiratete Männer Hals über Kopf in andere Frauen, das taten sogar die meisten, mit denen Frieda bisher intime Bekanntschaft geschlossen hatte. Aber es musste stets im Schatten der Heimlichkeit geschehen, niemand sonst durfte davon erfahren. Die Katastrophe der Entdeckung lauerte hinter jeder Ecke.
Vielleicht, so überlegte Frieda, machte gerade das den Reiz an diesen verbotenen Affären aus. Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß …
Falls das eine Regel war, gab es allerdings Ausnahmen. Eine davon war Magnus. Er war weder verheiratet noch verlobt und auch sonst nicht liiert, aber trotzdem hatte Frieda das Gefühl, niemals genug von ihm bekommen zu können. Sie war noch nie so verliebt gewesen wie in diesen Mann. Schlimmer noch – manchmal hatte sie den beängstigenden Eindruck, ihm regelrecht verfallen zu sein. Wie ließ es sich sonst erklären, dass ihr Herz jedes Mal aus dem Takt geriet, wenn sie vor seiner Tür stand und darauf wartete, dass er ihr aufmachte? Oder dass sie schon bei dem Gedanken an seine Küsse feucht wurde und beim Liebesakt binnen Sekunden zum Höhepunkt kam, ehe er noch vollständig in sie eingedrungen war? In seinen Armen zu liegen, fühlte sich an wie eine machtvolle Droge, und sobald sie von seinem Bett aufstand und in ihre Sachen schlüpfte, spürte sie schon die trostlose Kälte des nahenden Entzugs.
Sie hatte keine Ahnung, womit er sie am meisten betörte. Es mochte die Tatsache sein, dass er fabelhaft aussah und dass sie sexuell bei ihm jedes Mal auf ihre Kosten kam. Aber bestimmt spielte es auch eine Rolle, dass er mit seinen erst sechsundzwanzig Jahren eine teuer eingerichtete eigene Wohnung besaß und in seinem ganzen Leben offenbar noch nie mit Geldsorgen oder Hunger in Berührung gekommen war.
Sie hätte längst heimgehen müssen, doch es tat so gut, hier mit Magnus im Bett zu liegen und diese Nähe auszukosten. Sie rang mit sich. Nur noch eine halbe Stunde, was konnte es schon schaden! Inzwischen war Anne bestimmt längst von ihrem Kinoabend mit Carl zurück, und falls nicht, wäre es auch nicht schlimm, denn Lotti war ja da. Sie war ein pflichtbewusstes Mädchen und hatte schon häufig allein auf Emil aufgepasst, auch über Nacht, beispielsweise immer dann, wenn Anne gerade Nachtdienst hatte und Frieda mehrere Tage hintereinander auf Hamsterfahrt war.
Von irgendwoher schien ein kalter Luftzug zu kommen. Frieda fröstelte unwillkürlich und nahm ihre Hand von Magnus’ Bauch. An seinen regelmäßigen Atemzügen hörte sie, dass er eingeschlafen war.
Sie selbst war ebenfalls hundemüde, es würde keine fünf Minuten dauern, und sie wäre weggedämmert. Mit einem fast schmerzhaften Gefühl des Bedauerns setzte sie sich auf und schwang die Beine aus dem Bett.
Magnus wurde wach und wandte verschlafen den Kopf in ihre Richtung. »Leg dich wieder hin, Prinzessin.«
»Geht nicht. Ich muss los.« Sie knipste die Nachttischleuchte auf ihrer Bettseite an und suchte ihre Sachen zusammen. Wie immer hatten sie es beim Ausziehen eilig gehabt, ihm konnte es gar nicht schnell genug gehen, sie aus den Kleidern zu kriegen.
Mit geübten Handgriffen rollte sie die Strümpfe über ihre Beine, nagelneue Nylons, die Magnus ihr geschenkt hatte. Sie knisterten seidig unter ihren Fingerspitzen, und für einen Moment hielt sie inne, um dieses Gefühl von verschwenderischem Luxus zu genießen. Während sie die Strümpfe an ihrem Hüfthalter befestigte, musterte Magnus sie unter gesenkten Lidern. »Gott, bist du schön!«
Ja, das war sie, der Spiegel, der in der Tür seines Schranks eingelassen war, sagte es ihr ohne jeden Zweifel. Ihr Haar rieselte wie flüssiges Gold auf ihre Schultern, und ihre Brüste wölbten sich über ihrer schlanken Mitte in makellos straffer Fülle. Die fast madonnenhaften Züge ihres Gesichts bildeten einen irritierenden Gegensatz zu den sinnlichen Kurven ihres Körpers, abgesehen von den herzförmig geschwungenen Lippen, die auch ungeschminkt aussahen, als wäre sie jederzeit bereit zu einem Kuss.
»Musst du wirklich schon gehen?«, wollte er wissen. Er setzte sich ebenfalls auf. Ein schmollender Ausdruck stand auf seinem hübschen Gesicht. »Wieso hast du es so eilig?«
»Ich will nicht immer weg sein, wenn Emil morgens aufwacht.«
Er verzog das Gesicht. »Deine Schwestern können sich doch um ihn kümmern.«
»Das machen sie sowieso schon andauernd.« Sie zog ihren Büstenhalter an, streifte sich ihr Kleid über den Kopf und strich sich vor dem Spiegel energisch mit dem Kamm die Haare glatt. Anschließend drehte sie sich zu ihm um. Höchste Zeit, mit ihm über das zu sprechen, was ihr schon die ganze Zeit auf der Seele brannte. »Du musst mir eine Pistole besorgen.«
»Eine Pistole?«, echote er verblüfft. »Wozu brauchst du die denn?«
»Kannst du mir eine besorgen oder nicht?«
»Ich kann alles besorgen«, erklärte er selbstsicher.
»Dann tu’s einfach. So schnell wie möglich. Ich bezahle das auch. Egal was es kostet – ich kratze es zusammen.«
»Du weißt doch, dass du bei mir alles gratis bekommst, Prinzessin. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Wofür brauchst du eine Knarre? Willst du jemanden umlegen?« Er hatte es halb im Scherz gesagt, und als sie nickte, klappte ihm die Kinnlade herunter. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie sich nähere Erklärungen geschenkt, aber Magnus wollte es genauer wissen und machte keinen Hehl daraus.
»Wenn du mit einer Waffe, die ich dir beschaffe, jemanden abknallst, kann das auf mich zurückfallen, das ist dir doch wohl klar, oder? Ich könnte wegen Beihilfe dran sein.«
»Ich würd’s keinem erzählen, dass ich sie von dir habe.«
»Na ja, inzwischen hat sich rumgesprochen, dass du die Königin meines Herzens bist und alles von mir kriegen kannst«, gab er zurück. Mit einer lässigen Bewegung verschränkte er die Arme hinter dem Kopf. »Sag mir, wofür du die Pistole brauchst, und ich überlege, ob ich dir eine beschaffe.«
»Ich brauche sie zum Schutz. Mein Ex ist wieder in Essen aufgetaucht. Er läuft frei in der Gegend herum und könnte jederzeit wahr machen, was er mir schon damals angedroht hat.«
»Oh, verflucht!« Magnus richtete sich ruckartig auf und starrte sie ungläubig an. »Seit wann weißt du das?«
»Seit heute.« Sie sah auf ihre Armbanduhr. »Gestern«, verbesserte sie sich. Es war schon halb fünf morgens. Bald würde es hell werden.
»Sollten denn die Bullen nicht auch davon erfahren?«, fragte Magnus. Er wirkte immer noch erschrocken.
»Bis die in die Hufe kommen, kann sonst was passiert sein. Und wie lahmarschig die sind, kann man ja schon daran sehen, dass sie ihn seit über drei Jahren nicht schnappen konnten, obwohl er wegen Massenmords gesucht wird.«
Magnus fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, bis sie in alle Richtungen abstanden. »Mir gefällt das alles nicht.«
»Mir auch nicht. Deshalb will ich ja die Pistole.«
»Ich brauche aber ein, zwei Tage, bis ich eine habe. Was machst du bis dahin?«
»Aufpassen und improvisieren«, erwiderte sie nüchtern. Sie bückte sich und holte das Springmesser aus ihrer Handtasche. Es klickte metallisch, als sie es aufschnappen ließ. Der Widerschein der Nachttischlampe funkelte auf der rasiermesserscharfen Schneide.
Magnus pfiff durch die Zähne. »Wo hast du das denn her?«
»Woher wohl?«, fragte sie ironisch zurück.
Er verzog das Gesicht, denn er hätte leicht selbst auf die Antwort kommen können, schließlich war er in Essen so was wie der König des Schwarzmarkts.
Frieda ließ das Messer wieder in ihrer Handtasche verschwinden und ging zur Tür. »Bis die Tage.«
»Kein Abschiedskuss?«, fragte Magnus. In seinen Augen glitzerte es lüstern.
Frieda grinste nur und warf ihm einen Handkuss zu.
Auf dem Heimweg sah sie überall in der Innenstadt die Vorboten der neuen Zeit. Teils verstohlen, teils mit unverhohlener Betriebsamkeit hatten sich die Ladenbesitzer schon im Morgengrauen an die Arbeit gemacht. Im Schaufenster einer Metzgerei wurden gerade reihenweise Wurstketten aufgehängt, aus einer Bäckerei roch es betäubend nach frisch gebackenem Brot. In einem Miederwarensalon machte eine Dekorateurin sich an der neuen Auslage zu schaffen, und als sie einen Schritt zur Seite tat, konnte Frieda die aufreizenden, hochmodischen Dessous in Augenschein nehmen, die sie in dieser Qualität seit Jahren nicht zu Gesicht bekommen hatte.
Im Schaufenster eines Lebensmittelladens hing eine Tafel mit Preisen für Butter, Schmalz und frische Eier – lauter Dinge, von denen man tags zuvor nur hatte träumen können. Frieda entwich ein wütendes Schnauben. Siebzehn Pfennige für ein einziges Ei! Da verging doch sofort jedem der Appetit! Außer vielleicht Leuten wie Magnus, die sich aus irgendwelchen dunklen Kanälen Geld ohne Ende beschaffen konnten. Oder die korrupten, vollgefressenen Drecksäcke aus den Wirtschaftsämtern, die sich schon seit Jahren die Taschen vollmachten.
Während des restlichen Weges schaute Frieda sich immer wieder aufmerksam nach allen Seiten um, jederzeit bereit, ihr Springmesser aus der Tasche zu ziehen. Sie glaubte mit allen Sinnen zu spüren, dass Arnold sich in nicht allzu weiter Entfernung herumtrieb und darauf lauerte, finstere Absichten in die Tat umzusetzen.
Im Haus in der Klarastraße begegnete Frieda der alten Frau König, die mal wieder barfuß und im Nachthemd im Treppenhaus herumirrte.
Sie strahlte, als sie Frieda sah. »Bis du dat Christkind? Hasse für mich auch wat mitgebracht?«
»Kommen Sie, Frau König.« Frieda nahm die alte Frau mit und klingelte Brunhilde König raus, die ihre Schwiegermutter halb erbittert, halb ergeben in Empfang nahm.
Aus dem zweiten Stock schallten Babygebrüll und Männerfluchen durchs Haus. Irgendwer schlug mit Getöse die Tür vom Lokus zu. Da oben lagen bei Tag und bei Nacht die Nerven blank, kein Wunder, wenn so viele Leute dermaßen eng aufeinanderhockten. Frieda war froh, dass sie in ihrer Wohnung ein eigenes Wasserklosett hatten; Adelheid hatte es sich – ebenso wie die Wanne und den Badeofen – extra irgendwann einbauen lassen. Die übrigen Mieter mussten sich das Plumpsklo auf halber Treppe teilen. Nur Borjan und Aleksandr hatten ein stilles Örtchen für sich, es gehörte zur einstigen Kneipe.
Das rief Frieda wieder den Plan in Erinnerung, die Grüne Linde neu zu eröffnen. An Einrichtung war dort alles vorhanden, sie brauchten nur noch eine Schankerlaubnis. Außerdem natürlich Fassbier und andere Getränke. Und was zum Essen. Nichts Besonderes, nur das Nötigste für einen schnellen Imbiss, wie er in Kneipen üblich war. Soleier, Frikadellen, saure Gurken, Brötchen, Senf – das reichte fürs Erste schon.
Nach allem, was sie vorhin schon an Ware in den Schaufenstern gesehen hatte, sollte die Beschaffung kein Problem mehr sein. Es schien, als hätte die ganze Not der letzten drei Jahre auf einen Schlag ein Ende gefunden. Bald würden auch die Brauereien wieder Geschäfte machen wollen, ebenso wie die übrigen Getränkelieferanten. Die würden dann neue Abnehmer brauchen.
Frieda hatte für die Kneipe auch schon einen neuen Namen parat, der ihr so passend vorkam wie kein zweiter: Zum krausen Bäumchen . Er stand für einen Ort, an dem man sein Ziel erreicht hatte und endlich frei war. Ein Ort, nach dem sie sich mit aller Kraft sehnte.
Für Carl war die restliche Nacht über nicht an Schlaf zu denken. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Anne ihre Wohnungstür sorgfältig hinter sich zugeschlossen hatte, eilte er stehenden Fußes zum Präsidium und sorgte dafür, dass sich eine Streife vor der Grünen Linde postierte. Er schrieb eine Meldung für Döring an und klingelte anschließend den Polizeizeichner aus dem Bett, damit ein aktuelles Fahndungsbild von Hoffmann angefertigt werden konnte. Zu guter Letzt verfasste er eine dringende Nachricht an Lieutenant Thomson, die er sofort von einem Wachtmeister zum Verwaltungsgebäude der Besatzungsbehörde bringen ließ. Er wollte sich nicht wieder vorwerfen lassen, dass er irgendwas schleifen ließ.
Mit Anne hatte er ausgemacht, dass sie an diesem Tag gemeinsam mit ihrer Familie zu Hause blieb, abgesehen von ihrem Vorstellungsgespräch im Polizeikrankenhaus, zu welchem er sie persönlich begleitete. Sie bekam die Stelle auf Anhieb und sollte schon am folgenden Tag im Spätdienst anfangen.
Ihre Schicht ging von zwei Uhr mittags bis zehn Uhr abends, und Carl kündigte an, sie persönlich hinzubringen und abzuholen. Er nahm ihr das Versprechen ab, auf dem Hin- und Rückweg keinen Schritt allein zu tun.
Abends fiel er wie ein Stein ins Bett und schlief sofort ein.