Sonntag, 2. Juni

Häuser in der Altstadt nur noch über Stege erreichbar

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Das Wasser steigt unaufhörlich. Mein Herz stolpert. Es fühlt sich an, als liefe man über ein Stoppelfeld. Die kurzen Stümpfe der Maispflanzen bringen dich aus dem Takt, stoßen dir die zackigen Spitzen in deine Knöchel. Da kann man noch so aufpassen.

Dabei wollte ich ihr nur gefallen. Habe alles dafür getan, aber nie war sie zufrieden.

Ich sehe Tränen, sie rollen über ein schmutziges Gesicht, waschen weiße Streifen auf den Wangen aus. Wie alt war ich damals? Acht? Sechs? Oder noch jünger? Wie oft bin ich fortgerannt, nur damit sie sich Sorgen um mich macht, damit sie ein einziges Mal nach mir sucht? Tausendmal. Ich. Sie? Gesucht? Nie!

Was soll ich tun? Alles gleitet mir aus den Händen. Es hätte mir egal sein müssen, was ist.

Jetzt bin ich hier. Gefangen. In meiner eigenen Dummheit. Weil ich es doch allen recht machen will. Noch immer. Und ganz besonders ihr.

Wenn nur das Wasser endlich aufhören würde zu steigen. Es ist, als ob du in einer Kiste sitzt und jemand von außen den Boden mit einer hydraulischen Winde Stück für Stück Richtung Decke dreht. Die Luft geht dir aus, ehe sie wirklich verbraucht ist, der Platz schwindet. Sehr langsam, versteht sich, nicht zu schnell, damit die Angst nicht zu jäh endet, damit es nicht gleich vorbei ist. Denn das wäre zu einfach, das wäre viel zu human. Aber so ist das Leben, genau wie das Wasser: rücksichtslos, grausam und kalt.