Ein schuldbewusster Mensch möchte einfach nur verstanden werden, weil verstehen fast schon verzeihen heißt. In seinen eigenen Augen ist er vielleicht schuldlos, aber allein das Wissen, dass andere ihn als schuldig betrachten, weckt bei ihm das Bedürfnis, sich zu erklären. In meinem Fall jedoch weiß nicht einmal jemand, dass ich schuldig bin, aber dennoch möchte ich verstanden werden.
Ich wurde für den Einsatz ausgesucht, weil ich ein hochgewachsener Mann bin, weil ich mir den Ruf erworben hatte, ausdauernd zu sein, weil ich halbwegs intelligent bin (Francisco meinte allerdings immer, dass »intelligent« bei der Armee heißt: »baut gewöhnlich keinen Mist«, und weil ich »soldatisch« war, was heißt, dass ich meine Truppe im Griff hatte, meine Stiefel polierte, wenn sie nicht zu nass waren, und die Bedeutung der meisten Kurzworte kannte, die unsere militärischen Dokumente gewöhnlich in einen unlesbaren Code verwandeln.
Ich erhielt durch einen Kradmelder den Befehl, mich bei Oberst Rivolta zu melden und einen weiteren verlässlichen Mann mitzubringen. Natürlich nahm ich Francisco; ich glaube, ich habe bereits meine Absicht erwähnt, mein Laster als Mittel zu benutzen, um ein guter Soldat zu werden. Mit Francisco an meiner Seite fühlte ich mich zu allem imstande. Da wir nicht im Kriegszustand waren, dachte ich nicht im Geringsten daran, dass ich ihn in Gefahr brachte, indem ich ihn mitnahm, und ich hatte auch keine Ahnung, dass ich bald Gelegenheit haben würde, ihm meine Heldenhaftigkeit zu beweisen.
Einen Befehl zu erhalten ist eine Sache, ihn zu befolgen eine andere. Zu der Zeit verfügten wir bei einer Truppenstärke von zehntausend Mann nur über vierundzwanzig Lastwagen. Oberst Rivolta war fünfzehn Meilen entfernt. Um zu ihm zu kommen, mussten wir fünf Meilen laufen, weitere fünf auf einem Paar Mulis reiten und uns schließlich von einem Panzer auf dem Weg in die Werkstatt mitnehmen lassen, der nur noch rückwärtsfahren konnte. Wir kamen also im Rückwärtsgang an, ein veritables Motto für den bevorstehenden Feldzug.
Rivolta war ein ungeheuer wohlbeleibter Mann, der eindeutig in der Hierarchie aufgestiegen war, weil er die richtigen Leute kannte. Er warf mit Parolen wie »Ein Buch in der einen, ein Gewehr in der anderen Hand« nur so um sich und stellte sein vollendetes Heldentum dadurch zur Schau, dass er sein Hauptquartier fünfzehn Meilen von seiner Truppe entfernt in einer verlassenen Villa ansiedelte, damit er den Rasen für Empfänge benutzen konnte. Wir von den Alpini sind berüchtigt dafür, dass wir uns mit den Schwarzhemden prügeln, und das mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass ich für den Einsatz ausgesucht wurde; es hätte nicht viel ausgemacht, wenn ich umgekommen wäre, da ich nicht automatisch für eine Beförderung anstand. Diejenigen, die sich wundern, warum unsere Soldaten im Vergleich zu unseren Vätern im Krieg von 1914 so kläglich abschnitten, sollten sich ins Gedächtnis rufen, dass diesmal niemand durch Verdienst allein ein höherer Offizier werden konnte; das ging nur durch Arschkriecherei.
Rivolta war klein, dick, gelangweilt und mit etlichen Medaillen aus dem Abessinien-Feldzug dekoriert, obwohl jeder wusste, dass er und seine Männer an einem Ort geblieben waren und überhaupt nichts getan hatten; das hatte ihn nicht daran gehindert, reißerische Berichte von erfolgreichen Operationen in die Heimat zu schicken. Es waren fabelhafte und höchst phantasievolle fiktive Werke, und es hieß allgemein bei den Soldaten, dass er die Medaillen für seine literarischen Meisterleistungen erhalten habe. Er war auch ein Schwätzer und Schleimer.
Als wir in jenen herrschaftlichen hohen Raum marschierten und salutierten, reagierte Rivolta darauf mit dem römischen Gruß. Uns beiden kam der Gedanke, dass er sich vielleicht über den Duce lustig machte, und Francisco kicherte. Rivolta sprang ihm fast ins Gesicht und merkte ihn sich wahrscheinlich für den Latrinendienst vor.
»Meine Herren«, begann Rivolta dramatisch, »ich hoffe, ich kann mich auf Ihren Mut und Ihre völlige Diskretion verlassen.«
Francisco zog eine Augenbraue hoch und sah mich von der Seite an. Ich erwiderte: »Jawohl, vollkommen, Herr Oberst«, und Francisco gab mir mit der Zunge ein unmissverständliches Zeichen, das glücklicherweise nicht weiter bemerkt wurde.
Rivolta winkte uns zu einer Karte, die auf einem großen und glänzendpolierten antiken Tisch ausgebreitet war, und beugte sich darüber. Er deutete mit einem dicken Finger auf eine Stelle im Tal neben dem, in dem wir biwakierten, und sagte: »Um zwei Uhr morgen Nacht werden Sie beide im Schutz der Dunkelheit zu diesem Punkt hier gehen …«
»Entschuldigen Sie, Herr Oberst«, unterbrach Francisco, »aber das liegt auf griechischem Gebiet.«
»Ich weiß, ich weiß, ich bin ja nicht dumm. Das tut nichts zur Sache. Dort sind keine Griechen, also werden sie es nicht erfahren.«
Francisco zog wieder die Augenbrauen hoch, und der Oberst sagte sarkastisch: »Ich nehme an, Sie haben schon mal was von operativer Notwendigkeit gehört.«
»Sind wir also im Krieg?«, fragte Francisco, worauf der Oberst sich wahrscheinlich vormerkte, die Länge des Latrinendienstes zu verdoppeln. Gerade da nahm die Maus Mario die Gelegenheit wahr, aus Franciscos Brusttasche hervorzuspitzen, und musste wieder hineingestopft werden, bevor Rivolta es merkte. Das beflügelte nur die Respektlosigkeit meines Freundes, und er setzte bei den weiteren Ausführungen des Obersts ein blödes Lächeln auf.
»Dort befindet sich ein hölzerner Wachturm, der von einer Gruppe von Banditen aus der Gegend überfallen worden ist; sie haben die Bewachung ermordet und ihre Uniformen angezogen. Sie sehen wie unsere Soldaten aus, sind aber keine.« Er legte eine Pause ein, um diese Information wirken zu lassen, und fuhr dann fort: »Ihre Aufgabe wird es sein, diesen Turm einzunehmen. Sie werden von unserem Quartiermeister hier bewaffnet und ausgestattet werden. Er hat eine Sonderausrüstung für Sie. Irgendwelche Fragen?«
»Wir haben zwei Kompanien Bersaglieri in diesem Tal, Herr Oberst«, bemerkte ich. »Warum können die das nicht machen?«
Francisco schaltete sich ein: »Wenn das bloß Banditen sind, dann ist das ein Fall für die Carabinieri, oder nicht?«
Der Oberst platzte beinahe vor Entrüstung und donnerte los: »Zweifeln Sie meine Befehle an?« Darauf konterte Francisco blitzschnell: »Sie haben doch um Fragen gebeten, Herr Oberst.«
»Fragen zum Einsatz, keine politischen Fragen. Ihre unverschämte Haltung reicht mir allmählich, und ich darf doch bitten, dass Sie angemessenen Respekt zeigen.«
»Den angemessenen Respekt«, wiederholte Francisco mit heftigem Kopfnicken, womit er sich einen weiteren Tadel einhandelte. Der Oberst schnarrte: »Viel Glück, Burschen; wie gern wäre ich mit dabei.« Sotto voce, aber klar vernehmlich für mich, murmelte Francisco: »Schön wär’s, Scheißkerl.«
Rivolta entließ uns mit dem Versprechen, bei erfolgreichem Abschluss der Aktion würden wir Orden erhalten. Er übergab uns noch einen dicken Packen Befehle mit Karten, einem präzisen Zeitplan und einem Foto von Mussolini, das schräg von unten aufgenommen war, um sein Kinn stärker vorspringen zu lassen. Ich denke, das sollte uns anfeuern und uns moralisch den Rücken stärken.
Vor der Villa setzten wir uns auf eine Mauer und gingen die Papiere durch. »Daran ist was faul«, bemerkte Francisco. »Was meinst du, worum’s wirklich geht?«
Ich blickte in seine wunderschönen dunklen Augen und sagte: »Mir ist es egal, worum’s geht. Es sind einfach Befehle, und wir sollten voraussetzen, dass schon jemand weiß, worum’s geht.«
»Du setzt zu viel voraus«, erwiderte er. »Ich denke, das ist nicht nur eine ganz faule, sondern auch eine ganz krumme Sache.« Er holte seinen kleinen Liebling aus der Tasche und sagte zu ihm: »Mario, da wirst du in was ganz Übles hineingezogen.«
Es war kaum zu fassen, aber die Ausrüstung, die wir vom Quartiermeister erhielten, bestand aus englischen Kampfanzügen und griechischen Waffen. Das schien überhaupt keinen Sinn zu ergeben, außerdem lag keine Gebrauchsanweisung für das Hotchkiss-Schnellfeuergewehr bei. Wir fanden alles auf eigene Faust heraus, aber später kamen wir darauf, dass wir das wahrscheinlich gar nicht hätten herausfinden sollen.
Francisco und ich wurden auf die merkwürdigste Weise vom Wetter gerettet. Wir waren schon von vornherein bestens vorbereitet und krochen um zehn Uhr abends aus unseren Stellungen. Hinter der Grenze zogen wir wie befohlen die englischen Uniformen an und schlugen uns über die Geländeerhebung zum benachbarten Tal durch. Ab da befanden sich Francisco und ich in einem Widerstreit der Gefühle.
Ich glaube nicht, dass ein Mensch, der noch keinen Kampfeinsatz mitgemacht hat, wirklich verstehen kann, welche Stürme in der Stunde der Entscheidung im Kopf eines Soldaten toben, aber ich werde es zu erklären versuchen. In diesem Fall waren wir beide stolz, für so einen ernsten militärischen Einsatz ausgewählt worden zu sein. Dadurch fühlten wir uns besonders wichtig. Aber keiner von uns hatte je etwas Derartiges getan, und so hatten wir gehörige Angst, nicht nur wegen der Gefahr für Leib und Leben, sondern auch wegen der schweren Verantwortung und der Möglichkeit, alles zu vermasseln. Wir rissen dumme Witze, um diese Angst zu vertuschen. Ein Soldat lebt in der ständigen Furcht, dass die Vorgesetzten mehr wissen als er und ihm nicht bekannt ist, was wirklich vorgeht. Er weiß, dass das Oberkommando ihn manchmal übergeordneten Interessen opfert, ohne ihn davon in Kenntnis zu setzen, und das erfüllt ihn mit Verachtung und Argwohn gegenüber den Vorgesetzten. Es verstärkt auch seine Furcht.
Der ungewisse Ausgang macht ihn abergläubisch, und so wird er sich ständig bekreuzigen, seinen Talisman küssen oder sein Zigarettenetui in die Brusttasche stecken, um Kugeln abzulenken. Francisco und ich verfielen auf die abergläubische Vorstellung, dass keiner von uns das Wort certamente in den Mund nehmen sollte. Wir haben es weder auf dieser Mission noch später während des Krieges ausgesprochen. Francisco hatte anscheinend ständig das Bedürfnis, sich seiner Maus anzuvertrauen, und so wiegte er sie in den Händen und redete lauter Unsinn mit ihr, während der Rest von uns eine Zigarette nach der anderen rauchte, auf und ab ging, abgegriffene Fotos seiner Lieben betrachtete oder alle fünf Minuten in die Büsche preschte.
Wir fanden auch heraus, dass sich, wenn die Zeit der gespannten Erwartung vorüber ist, eine wilde Erregung breitmacht, die sich manchmal in eine Art irrsinnigen Sadismus verwandelt, sobald der Einsatz begonnen hat. Soldaten kann nicht immer die Schuld für ihre Gräueltaten gegeben werden, weil ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen kann, dass sie eine natürliche Folge der höllischen Erleichterung sind, die sich daraus ergibt, dass sie nicht mehr denken müssen. Grausamkeiten sind manchmal nichts anderes als die Rache der Gepeinigten. Katharsis ist der Begriff, nach dem ich gesucht habe. Ein griechisches Wort.
Während wir im Gebüsch vor dem in nächtliches Dunkel gehüllten Wachturm lagen, spürte ich Francisco an meiner Seite und wusste, dass Phaidros recht hatte, wenn er die Meinung vertrat, dass ein Liebhaber tapferer sei, wenn er seinen Geliebten neben sich hat. Ich wollte Francisco beschützen und ihm beweisen, dass ich ein Mann war. Ich stellte fest, dass meine Liebe zu ihm bei dem Gedanken stärker wurde, dass einer von uns beiden bald durch eine Kugel umkommen könnte.
Es war kurz vor Mitternacht, die Eulen schrien, und in der Ferne hörte ich das liebliche Bimmeln von Ziegenglocken. Es war äußerst kalt, denn von Norden war ein frostiger Wind aufgekommen. Wir gaben diesem Wind eine Menge Namen, aber »Sackschrumpfer« war wahrscheinlich der passendste Name.
Um Mitternacht blickte Francisco auf seine Uhr und meinte: »Ich halt das nicht viel länger aus. Mir fallen schon die Finger ab, meine Füße sind aus Eis, und ich schwöre, es wird regnen. Lass uns das um Himmels willen hinter uns bringen.«
»Das können wir nicht. Laut Befehl dürfen wir nicht vor zwei Uhr angreifen.«
»Ach komm, Carlo, das tut doch nichts zur Sache. Machen wir’s jetzt, und dann ab nach Hause. Mario hat die Schnauze voll und ich genauso.«
»Dein Zuhause ist Genua. Da kannst du nicht hin. Schau, es geht um die Disziplin.«
Ich zog bei dieser Auseinandersetzung den Kürzeren, weil ich im Grunde Francisco zustimmte und an diesem gottverlassenen Fleck nicht an Unterkühlung sterben wollte, bloß weil wir vor lauter Tüchtigkeit und Einsatzfreude zu früh eingetroffen waren.
Der Befehl hatte gelautet, mit dem MG gegen die Banditen vorzugehen, aber nachts in dieser tödlichen Kälte hier draußen schien es keine so tolle Idee mehr zu sein. Der Abzug war so kalt, dass die Finger schmerzten, und außerdem waren wir nicht sicher, ob wir im Dunkeln damit umgehen konnten. Wir entschieden stattdessen, näher am Wachturm auf Lauschposten zu gehen.
Oben hatten sie eine Lampe, und zu unserem Erstaunen entdeckten wir, dass sie mindestens zu zehnt waren. Wir hatten höchstens drei erwartet. Wir sahen auch, dass am Geländer vier MGs postiert waren. Francisco flüsterte: »Warum haben sie nur uns beide hingeschickt? Wenn wir auf sie feuern, sind wir tot. Ich sag dir doch, da ist was faul. Seit wann haben Banditen MGs?«
Vom Turm ertönte Gesang, und es schien, dass die Besatzung etwas angetrunken war. Das gab mir die Zuversicht, weiter nach vorn zu kriechen und eine Naherkundung vorzunehmen, wobei ich die Tannenzapfen, die mir die Hände zerkratzten, und die kleinen scharfen Steine, die mir bis in die Knochen zu schneiden schienen, zu ignorieren versuchte. Ich entdeckte, dass unter dem Turm ein großer Haufen Holzspäne und eine Tonne mit Kerosin lagen, weil sie dort vor dem Regen geschützt waren. Alle Wachtürme hatten Holzbrennöfen und Öllampen, und natürlich wurden die Vorräte darunter aufbewahrt.
Deswegen starteten Francisco und ich den Angriff zwei Stunden früher, indem wir die Tonne umwarfen und sie in Brand setzten. Der Turm brannte im Nu lichterloh, und wir durchsiebten ihn praktisch von direkt unterhalb mit Kugeln, bis wir einen ganzen Gurt verbraucht hatten. Falls jemand schrie, konnten wir ihn gar nicht hören. Wir spürten nichts als das zuckende Gewehr, unsere zusammengebissenen Zähne und den entsetzlichen Irrsinn einer wahnwitzigen Aktion.
Als der Gurt leer war, trat eine fürchterliche Stille ein. Wir sahen einander an und lächelten. Franciscos Lächeln war schwach und bekümmert, und ich nehme an, meines war genauso. Es war unsere erste Gräueltat. Wir spürten kein Triumphgefühl, nur Erschöpfung und Verworfenheit.
Es war Francisco, der über die Leiche von Hauptmann Roatta von den Bersaglieri fiel, der über das Geländer des Wachturms gestürzt war und sich das Genick gebrochen hatte. Der Körper lag so verdreht und gespreizt da, als wäre nie Leben in ihm gewesen. Es war auch Francisco, der Befehle fand, die den Hauptmann anwiesen, neun Leute mit in den Turm zu nehmen, weil laut geheimdienstlicher Informationen um zwei Uhr ein Angriff der griechischen Armee zu erwarten war.
Francisco setzte sich neben der Leiche zu mir und schaute in die Sterne. »Das sind überhaupt keine englischen Uniformen«, sagte er schließlich. »Die Griechen tragen die gleiche Uniform wie die Briten, nicht wahr?«
Ich blickte auch in die Sterne. »Wir sind diejenigen, die umkommen sollten. Deswegen haben sie uns gesagt, wir sollen unsere Erkennungsmarken nicht mitnehmen. Wir sind Griechen, die die italienische Armee angreifen, und wir sollten jetzt tot sein. Deswegen haben sie nur uns beide geschickt, um sicherzugehen, dass wir nicht gewinnen konnten.«
Francisco stand langsam auf. Er hob leicht verzweifelt die Arme und ließ sie dann wieder fallen. Voll Bitterkeit sagte er: »Es sieht so aus, als möchte irgendein blöder Schweinehund einen kleinen Krieg mit Griechenland vom Zaun brechen.«