Mandras, Agapeton,
seit so langer Zeit habe ich nichts mehr von Dir gehört, Du hast seit dem traurigen Tag nicht mehr geschrieben, als ich Dir in Sami Lebewohl gesagt habe. Ich habe Dir jeden Tag geschrieben, und ich vermute schon, dass Du meine Briefe nie erhalten hast oder dass Deine Antworten mich wegen des Krieges nicht erreichen. Gestern habe ich den besten geschrieben, der alles vollkommen ausdrückte, aber ob Du’s glaubst oder nicht, die Ziege hat ihn gefressen. Ich war wütend und habe sie mit dem Schuh auf den Kopf geschlagen. Das war sicher ein komisches Bild, und ich weiß, Du hättest gelacht, wenn Du es gesehen hättest. Die ganze Zeit ist hier was los, und ich wünschte, Du wärst hier, um alles mit eigenen Augen zu sehen. Ich versuche, es für Dich zu sehen und es mir zu merken, und ich phantasiere darüber, dass ich, wenn ich mich fest genug konzentriere, es Dir schicken kann, damit Du es in Deinen Träumen siehst. Wenn es bloß so sein könnte.
Ich habe so große Angst, dass ich deshalb keine Briefe von Dir bekomme, weil Du verwundet oder gefangen genommen worden bist, und habe Albträume, dass Du tot bist. Bitte, bitte schreib mir, sodass ich wieder atmen kann und mein Herz zur Ruhe kommt. Jeden Tag bestürme ich erwartungsvoll die Leute, die mit der Post fürs Dorf aus Argostoli kommen, und jedes Mal ist nichts dabei, und ich fühle mich verzweifelt und hilflos und vergehe fast vor Kummer. Jetzt, wo es Dezember ist, ist es hier sehr kalt geworden, die Sonne scheint nicht, und es regnet fast jeden Tag, was mich auf die Idee bringt, dass der Himmel mit mir weint. Mich schaudert bei dem Gedanken daran, wie kalt es in den Bergen von Epirus sein muss. Hast Du die Socken bekommen, die ich für Dich gestrickt habe, und die Fischerjacke und den Schal? War es schlau von mir, dass ich sie in Kaki eingefärbt habe? Oder war es dumm von mir, dass ich sie nicht weiß gemacht habe? Hoffentlich hast Du den Kaffee und das Glas Honig und das Räucherfleisch bekommen. Mein armer Liebling, wie Du leiden musst in der Kälte, in jener so fernen und wilden Gegend, die schon fast ein fremdes Land ist. Wie Du Dein Boot und Deine Delphine vermissen musst; hast Du gemerkt, dass ich von Deinen Delphinen gewusst habe, die bis zu Deiner Rückkehr keinen Freund haben, der sie mit Fischen füttert?
Alles hier ist noch immer so wie früher, außer dass bestimmte Dinge knapp werden. Gestern konnte ich kein Öl für die Lampen bekommen, und letzte Woche gab es kein Mehl zum Brotbacken. Mein Vater hat Lampen gemacht, indem er einen Docht durch einen Korken zog und ihn in einer Schale mit Olivenöl schwimmen ließ. Er sagt, so haben sie es in der Antike gemacht, aber das Licht ist schwach, es ist sehr rauchig und riecht unangenehm. Wer hätte gedacht, dass wir uns nach Kerosin sehnen würden?
Alle reden darüber, wie still und trostlos es im Ort jetzt geworden ist, wo alle jungen Männer weg sind, und wir fragen uns alle, wie viele zurückkommen werden. Ich habe gehört, dass Dimos gefallen und Marigos Verlobter gefangen genommen worden ist. Immer wenn ich so was höre, danke ich Gott, dass es nicht Dich getroffen hat, obwohl es schrecklich ist, sich zu wünschen, dass das Unglück andere treffen soll. Ich würde es nicht ertragen, wenn Du getötet werden würdest. Ich glaube, ich würde selber sterben. Ich glaube, ich würde Gott das Angebot machen, dass er mich an Deiner Stelle nimmt, bloß damit Du weiterlebst. Wir Frauen schämen uns, dass wir keine mit Euren vergleichbaren Opfer bringen können, aber jede von uns würde ein Gewehr in die Hand nehmen und sich Euch anschließen, wenn es möglich oder erlaubt wäre. Papakis hat mir eine kleine Pistole gegeben, und ich lege sie mir nachts unters Kopfkissen, und tagüber trage ich sie in der Schürzentasche mit mir herum. Wenn es eine Invasion auf dieser Insel gibt, dann werden Frauen und alte Männer bis zum Tod mit Besenstielen und Küchenmessern kämpfen, und wir haben uns schon daran gewöhnt, die Dinge zu erledigen, die sonst die Männer getan haben. Nur sitzen wir nicht in der Kapheneia herum und spielen Backgammon. Wir gehen ziemlich oft in die Kirche, und Pater Arsenios hat uns viele schöne und rührende Predigten gehalten. Er sagt uns, dass eine Ikone von St. Iannis ganz von allein vor einer Höhle erschienen ist, die von Gerasimos benutzt wurde. Selbst Gott scheint uns Botschaften zu schicken und zeigt, dass wir im Recht sind. Jemand hat mich darauf hingewiesen, dass wir das einzige Land außer dem Britischen Empire sind, das noch kämpft. Wenn ich daran denke, fasse ich wieder Mut, weil die Engländer das größte Reich haben, das die Welt je gesehen hat, und wie können wir in dem Fall verlieren? Ich sehe oft britische Kriegsschiffe, und sie sind so groß, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass sie schwimmen. Ich weiß, dass wir gewinnen werden.
Alle Nachrichten von der Front sind so gut, dass unser Sieg schon festzustehen scheint. Jeden Tag hören wir, dass noch mehr italienische Truppen zurückgedrängt oder geschlagen worden sind, und wir jubeln wie David, als Goliath tot zu seinen Füßen lag. Wer hätte das noch vor zwei Monaten geglaubt? Es schien unmöglich zu sein. Wir haben Euch weggeschickt, um ihnen ehrenhaft Widerstand zu leisten, aber ohne große Siegeshoffnungen, und nun warten wir darauf, Euch als siegreiche Helden daheim empfangen zu können. Ganz Griechenland platzt vor Stolz und Dankbarkeit auf seine Männer, die größer sind als Achilles und Agamemnon zusammen. Es wird davon gesprochen, dass Ihr das ganze Land zurückerobert habt, das früher umstritten gewesen ist, und dass die Italiener praktisch aus Albanien vertrieben worden sind. Wie großartig Ihr seid, Eure Namen werden auf ewig in den Herzen der Griechen leben, und die Welt wird sich immer daran erinnern, was passiert, wenn jemand es wagt, uns etwas anzutun. Wir sind so stolz, mein Mandras, so stolz. Wir stolzieren erhobenen Hauptes herum und denken an die glorreiche Vergangenheit, die uns von den Römern und Türken entrissen wurde und die Du und Deine Kameraden uns endlich wieder zurückgegeben habt. Der Tag wird kommen, an dem wir und das Britische Empire uns hinstellen und der Welt verkünden werden: »Wir haben euch befreit.« Die Amerikaner, die Russen und die anderen Pontius Pilatusse werden die Köpfe hängen lassen und sich schämen, dass wir allen Ruhm eingeheimst haben.
Alle hier sind vom Kriegsgeist beflügelt. Papas, der Metaxas so sehr gehasst hat, und Kokolios, der Kommunist ist, und Stamatis, der Monarchist ist, sie alle spenden Metaxas als dem größten Griechen seit Perikles oder Alexander Beifall, und alle zusammen preisen den militärischen Erfolg von Papagos. Sie arbeiten zusammen, um Päckchen für die Truppen zu sammeln, und mein Vater hat sich sogar angeboten, als Arzt an die Front zu gehen. Sie haben ihn nicht genommen, als sie erfuhren, dass er alles auf Schiffen gelernt hat und keine Zeugnisse besitzt. Du hättest seinen Zorn sehen sollen. Er ist durchs Haus gepoltert, und ich habe ihn noch nie so oft und mit so viel Gehässigkeit »Heston« sagen hören. Ich freue mich, dass er nicht hinkann, doch es ist ungerecht, denn sogar die reichen Leute kommen zu ihm statt zu den studierten Ärzten. Er hat die Gabe der Heilkraft ganz wie der Heilige, er braucht eine Wunde bloß zu berühren, dann heilt sie schon.
Mandras, Du wärst belustigt, wie sehr seit Kriegsbeginn das Wahrsagen ausgebrochen ist. Alle lesen im Kaffeesatz, um zu erfahren, ob und wann ihre Cousins, Brüder und Söhne zurückkommen werden, es ist ein richtiges Geschäft geworden. Die Frau von Kokolios hat für mich im Kaffeesatz gelesen und mir gesagt, jemand würde von weit her kommen und mein Leben auf ewig verändern, und sie hat das so ernst gesagt, als ob sie nicht wüsste, dass ich weiß, dass sie weiß, dass ich auf Deine Rückkehr von weit her warte.
Den italienischen Familien auf der Insel ist es schlimm ergangen, und die Behörden mussten einschreiten, um das Anzünden von Häusern und andere dumme Gewaltakte zu verhindern. Einige Hitzköpfe in Lixouri haben sogar einen alten Mann zusammengeschlagen, der hier seit vierzig Jahren lebt und unsere Flagge aus dem Fenster gehängt hat. Warum sind die Menschen solche Tiere?
Du wirst Dich freuen zu hören, dass Psipsina und die Ziege beide wohlauf sind. Ich jedenfalls freue mich darüber, und da wir beide bald vereint sein werden, heißt das, dass Du Dich auch freuen wirst. Hoffentlich freut es Dich auch, wenn Du hörst, dass ich beschlossen habe, meine eigene Mitgift anzufertigen. Mein Vater hat, glaube ich, kein Schamgefühl, und manchmal bin ich sehr böse auf ihn, weil er das, was für jedes andere Mädchen völlig normal ist, nicht zulässt. Er ist nicht gerecht, weil er zu rational ist. Er hält sich für einen Sokrates, der das Brauchtum verachten kann, aber mir ist es jedes Mal peinlich, wenn ich jemandem aus Deiner Familie begegne, und ich kann nicht zulassen, dass sie denken, Du seist nicht erwünscht, selbst wenn das gar nicht stimmt. Ich habe angefangen, eine große Decke für unser Ehebett zu häkeln, musste sie aber wieder auftrennen, weil sie nichts geworden ist und wie ein totes Tier ausgesehen hat. In Frauendingen bin ich nicht gut, weil meine Mutter gestorben ist, als ich noch ganz klein war, und nun muss ich versuchen, all das nachzulernen, womit ich hätte aufwachsen sollen. Ich fange mit Sachen fürs Bett an, weil dort unser Leben beginnen wird, doch danach werde ich andere Sachen fürs Haus machen, die wir an Festtagen gebrauchen können oder wenn Besuch kommt. Das Häkeln ist ziemlich langweilig, doch ich tröste mich damit, dass Du bei Deiner Rückkehr alle Beweise meiner Liebe für Dich vorfinden wirst. Ich denke daran, dass es recht nett wäre, wenn ich für Dich eine mit Goldfaden und mit Blumen in Feston und Fil-tiré bestickte Jacke machen würde, damit Du beim Tanzen im Sonnenlicht glitzerst.
Am Weihnachtstag haben die Italiener Korfu bombardiert, und sogar mein Vater war von ihrer Gottlosigkeit schockiert. Im Radio hören wir, dass die Engländer viele ihrer Schiffe versenkt haben. Hoffentlich stimmt das, aber ich höre solche Nachrichten trotzdem ungern, weil ich den Verlust von Menschenleben nicht ertragen kann und weil mir das Herz schwer wird, wenn ich an all die Alten denken muss, deren Kinder vor ihnen ins Grab sinken. Ich habe auf der Agora Deine Mutter getroffen, und sie sagt mir, dass sie auch keine Nachricht von Dir hat. Sie ist so besorgt, dass sie noch mehr Falten im Gesicht hat als früher. Bitte schreib ihr, auch wenn Du mir nicht schreibst. Ich glaube, sie leidet noch mehr als ich, wenn das überhaupt möglich ist.
Mandras, wir haben seit Deiner Abreise keinen Fisch mehr gehabt, das fehlt mir sehr. Wir essen nichts anderes als Bohnen, wie die Armen. Mein Vater sagt, dass sie guttun, aber sie blähen den Bauch auf. Zu Weihnachten mussten wir ohne Kourabiedes, Christopsomo und Loukomades auskommen, und es war ein ödes Fest, auch wenn wir unser Bestes getan haben. Pater Arsenios hat uns alle überrascht, als er sich nicht betrank.
Denk daran, dass es hier welche gibt, die Dich lieben und für Dich beten, und dass ganz Griechenland mit Dir marschiert, wo Du auch sein magst. Komm nach dem Sieg zu uns zurück, damit es wieder so wird, wie es war. Deine Delphine, Dein Boot und Deine Insel warten auf Dich, und ich warte auch auf Dich, weil ich Dich so sehr liebe und vermisse, als wärst Du ein Glied meines Körpers, das abgeschnitten worden ist. Mein Liebling, ohne Dich ist nichts vollkommen, und selbst wenn ich glücklich bin, schmerzt mich mein Glück.
Deine Dich liebende Verlobte Pelagia, die Dich mit diesen
Worten küsst.