L’Omosessuale V

Die Division Bari übernahm unseren Abschnitt, damit wir ausruhen und uns umgruppieren konnten, doch die Griechen rückten mit einem Feuervorhang an und erwischten sie, bevor sie ihre Artillerie in Stellung bringen konnte. Wir von der Division Julia wurden zurück in die vorderste Linie gerufen, um sie herauszuhauen. Mir war, als hätte sich ein Teil meines Verstandes verabschiedet oder als wäre meine Seele zu einem grauen Lichtpünktchen geschrumpft. Mein Denken war ausgeschaltet. Ich kämpfte verbissen, ich war ein Automat ohne Empfindung oder Hoffnung, und wenn ich überhaupt eine Sorge hatte, dann die, dass Francisco sich immer seltsamer benahm. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass er eines Tages einen Schuss ins Herz bekommen würde, und hatte deshalb die Maus Mario von der Brusttasche in eine Tasche am Hemdsärmel verlegt. Er war besorgt, dass die Maus mit ihm erschossen werden würde, und nahm mir das Versprechen ab, mich nach seinem Tod um sie zu kümmern.

Unsere Einheiten kamen durcheinander. Teile anderer Divisionen wurden uns zugeteilt. Keiner kannte sich mehr in der örtlichen Befehlshierarchie aus. Ein Bataillon mit Frischlingen, nur teilweise ausgebildeten Burschen vom Land, traf am falschen Geländepunkt ein und wurde von den Griechen vernichtet. Am 14. November begannen die Griechen eine Offensive, deren gnadenlose Raserei wir uns im Voraus gar nicht hatten vorstellen können.

Wir mussten uns mit dem Mrava-Massiv im Rücken

Sie schlugen tiefe Kerben in unsere Linien, und wir verloren die Verbindung zu anderen Einheiten. Wir mussten uns zurückziehen. Doch wir konnten nirgends hin. Die Stokes-Brandt-Granatwerfer des Feindes löschten ganze Infanteriezüge auf einmal aus. Wir hatten kein Verbandszeug und kein Feldlazarett. Ein weinender Kaplan entfernte mir auf dem Küchentisch einer dachlosen Hüttenruine ohne Betäubung einen Granatsplitter aus dem Arm. Es war zu kalt, als dass ich gespürt hätte, wie das Messer in mein Fleisch schnitt oder die Nadel meine Haut durchbohrte. Ich dankte Gott, dass ich und nicht Francisco der Verwundete war. Gleich darauf wurde ich wieder ins Schlamassel geschickt, wo ich feststellte, dass die Männer der Mulikarawane ihre Tiere verlassen hatten und mit uns kämpften. Unser Offizier war getötet und durch einen Major aus der Versorgungseinheit ersetzt worden. »Es gibt keinen Nachschub mehr«, erzählte er uns, »und deshalb bin ich hergekommen, um meine Pflicht zu tun. Ich verlasse mich auf eure guten Ratschläge.« Diesem bewundernswerten und ehrenhaften Mann, der es gewohnt war, Handtücher zu stapeln und Inventuren zu machen, wurden seine Därme bei einem Bajonettangriff herausgerissen, den er heldenhaft mit einer leergeschossenen Pistole in der Hand angeführt hatte. Wir wurden vernichtend geschlagen.

Ein kleines Wunder: Die Griechen gewährten uns ein paar Tage Ruhe. Sie dachten sicherlich, wir hätten die Straßen vermint. Dann erfuhren wir, dass wir Pogradec verloren hatten, weil der Feind die Frontlinie unterlaufen hatte, indem er einem Bergbach gefolgt war, während unsere Abwehrstellungen an den Wegen aufgereiht waren. »Was hat das noch für einen Sinn?«, fragte Francisco. »Wir tun unser Bestes, und die anderen vermasseln alles.« Dann wurde durch das Manöver von irgendjemand unsere rechte Flanke exponiert, und wir wurden von der Division Modena abgeschnitten. Unser General Soddu, der Prasca ersetzt hatte, wurde nun durch Cavallero abgelöst. Es sah ganz so aus, als würde unsere

Aufwachen am Morgen, zehn Grad unter null. Die erste Frage: Wer ist erfroren? Wer ist vom Schlaf in den Tod geglitten? Die zweite Frage: Wie viele angeschwollene Furten, wo das eiskalte Wasser uns an die Hoden geht, sodass wir vor Schmerz ächzen und stöhnen, müssen wir heute überqueren? Wie viele Meilen mit hüfthohem Schneematsch auf den »Straßen« heute? Die dritte Frage: Wie können die Griechen uns bei zwanzig Grad minus angreifen, wenn die Sperrvorrichtungen unserer Gewehre festgefroren sind? Die vierte Frage: Warum arbeiten die »befreundeten« Albaner als Führer für die Griechen? Die fünfte Frage: Welche Einheit ist heute so endlos erschöpft, dass sie sich lieber einer unterlegenen Truppe ergibt? Die Julia nicht. Wir nicht. Noch nicht. Francisco hat ganz aufgehört, mit mir zu reden. Er spricht nur noch mit seiner Maus. Ein weiteres Mal werden wir von unseren eigenen Fliegern angegriffen, einer Staffel von SM79ern; zwanzig Tote. Wir erfahren, dass die Offiziere der Division Modena Befehl erhalten haben, alle unter ihnen, die keine ausreichenden Führungsqualitäten zeigen, zu erschießen. Mein Vorgesetzter, Oberst Gaetano Tavoni, ist am Mali Topojanit gefallen, als er uns nach sechzig Tagen ohne Verschnaufpause in den Angriff geführt hat. Gott gebe seiner Seele Ruhe

Wie ich Wickelgamaschen hasse. Dies sind die Tage des Weißen Todes. Der nichtdränierten Gräben. Des Eises, das sich im Stoff ausdehnt und die Blutzufuhr abschneidet. Wir hassen die Griechen nicht, wir kämpfen gegen sie aus unerfindlichen Gründen, die mit Ehre nichts zu tun haben, aber wir hassen den Weißen Tod.

Zugegeben, zuerst ist kein Schmerz zu spüren. Über den Wickelgamaschen schwellen die Beine an, und darunter schlafen die Füße ein. Die Beine färben sich gespenstisch von Lila über Purpurrot bis Ebenholzschwarz. Weil ich ein sehr großer Mann bin, verbringe ich die Tage damit, unsere davon befallenen Jungs hinter die Linien zu tragen. Ich bin erschöpft, von den Schmerzensschreien verstört. Ich habe meine Wickelgamaschen durch Katzenfell ersetzt, das ich innen mit Waffenöl eingerieben habe. Meine Stiefel habe ich mit Kerzenwachs imprägniert. Das Wasser dringt weiterhin ein, und ich habe immer noch Angst vor dem Weißen Tod. Aus den Zelten höre ich die unmenschlichen Schreie bei einer Amputation. Ich sehe mir meine Füße alle paar Stunden an und massiere sie mit Ziegenfett, das ich über einem Streichholz aufgetaut habe. Ich erfahre, dass Graziani in Afrika besiegt worden ist. Wir haben dreizehntausend Opfer des Weißen Todes. Selbst die Griechen sind starr vor Kälte; die Angriffe haben nachgelassen. Francisco ist zweifellos verrückt. Sein

In Klisura fallen die verwegenen und wütenden Griechen über uns her. Wir sind nur noch erschöpft und bekümmert. Francisco spricht zu seiner Maus Mario: »Athen in zwei Wochen, der Maus von Albanien ein Platz in der Geschichte. Die Maus, die einen König vom Thron stürzte. Mario die Maus. Mausi Mausi Mausi.« Wir können nicht länger standhalten, und die Julia mit ihren durchgedrehten und brandigen Soldaten, denen die Körper von den Seelen getrennt werden, ist am Ende. Die Division Lupi di Toscana kommt uns zu Hilfe und wird niedergemacht; aus Wölfen werden Hasen, und wir nennen sie die Lepri di Toscana. Wenn die alten Hasen der Julia nicht siegen können, was haben dann die jungen für eine Chance? Sie sind ohne Proviant an unbekannte Orte geschickt worden, deren Lage nicht mit den Karten übereinstimmte. Sie hatten keinen Offizier. Sie wurden sofort angegriffen. Opfer über Opfer. Ein Kalvarienberg nach dem anderen. Sie sind hergeschickt worden, um uns zu retten, aber wir haben sie gerettet.

Ein Gegenangriff. Er schlägt fehl. Wir verlieren Klisura. Ein verzweifelter Aufruf von Cavallero: »Macht diese letzte Anstrengung, ich flehe euch an im Namen Italiens. Ich sollte mit euch dem Tode entgegengehen.« Scheiß auf den Namen Italiens. Scheiß auf die Generäle, die nie mit dir dem Tode entgegengehen. Scheiß auf euer Vertrauen und eure

Wir leben in einer ständigen Benommenheit. Der Schnee hat alles unkenntlich gemacht, sodass wir nie wissen, wo wir sind. Ist das der Steilhang, den wir einnehmen sollten? Ist da in diesem Talgrund etwa zwei Meter unter der schimmernd weißen Decke ein Bach? Welcher Berg ist das? Reiß doch einer mal die Wolken auf, Herrgott noch mal, damit wir es herausfinden. Ist das eine Straße, auf der wir dahinwanken, oder ein Fluss? Keine Bange, wir werden es erfahren, wenn wir an der Quelle sind. Keine Bange, wenn wir an den falschen Ort kommen, werden wir mit etwas Glück vielleicht gefangen genommen. Funk ans Hauptquartier, dass wir das Objekt eingenommen haben; ich weiß zwar nicht, wo die Stelle ist, aber eine ist so gut wie die andere. Was macht es schon noch? »Das Hauptquartier ist in der Leitung. Sie wollen die Kote.« »Sagen Sie ihnen, sie sollen uns eine Karte liefern, die mit irgendwas am Boden übereinstimmt, dann werde ich ihnen die Kote geben. Nein, tun Sie so, als wäre der Funkverkehr gestört.« »Zu Befehl.« »Was tun Sie jetzt, Unteroffizier?« »Ich pinkle auf meinen Helm, damit er nicht mehr glänzt. Es ist zur Tarnung. Sie müssen draufpinkeln und ihn mit Schlamm einreiben.«

Die Griechen marschieren auf Tepeleni zu, und wir von der

Francisco schreibt einen Brief, den ich im Fall seines Todes seiner Mutter überbringen soll, weil er glaubt, dass er nicht durch die Zensur käme, wenn er ihn mit der Feldpost schicken würde.

Geliebte Mutter,

diesen Brief erhältst Du aus den Händen von Carlo Guercio, einem guten Freund und alten Kameraden von mir, der mit mir durch das Tor zur Hölle gegangen ist. Erschrick nicht vor seiner großen Gestalt, denn er ist ein guter und gütiger Mann. Seine Witze haben mich in harten Zeiten immer zum Lachen gebracht, seine Hand hat mir Halt gegeben, wenn ich Angst hatte, und seine Arme haben mich

Liebe Mutter, ich bin unschuldig in diesen Krieg gezogen, und ich verabschiede mich von ihm so voller Überdruss, dass mir der Tod willkommen ist. Hiernach kann es kein erwähnenswertes Leben mehr geben. Ich habe mit der Zeit begriffen, dass Gott aus dieser Welt keinen Garten gemacht hat, dass sie nicht in der Obhut von Engeln ist und dass das Fleisch sich verleugnen lässt. Mir ist, als wäre ich schon seit Monaten tot, nur meine Seele braucht noch eine Weile für ihren Abgang. Ich küsse Dich und alle meine lieben Schwestern, und ich liebe Dich über alles. Sag meiner Frau, dass ich immer an sie denke und sie wie eine ständige Flamme in meinem Herzen bewahre. Sei nicht traurig.

Francisco

Oh, was ich Franciscos Mutter an jenem trüben Apriltag alles nicht erzähle, als ich den Brief überbringe.