Franciscos Mutter war eine kleine graue Frau mit einem Leberfleck auf der Wange und schwarzem Flaum über der Oberlippe. Sie trug Schwarz, und während ich mit ihr sprach, drehte sie unentwegt einen Staubwedel in den Händen. Es war ihr anzusehen, dass sie einmal schön gewesen war und dass mein geliebter Francisco sein Aussehen von ihr geerbt hatte; die gleichen slawischen Augen, die gleiche olivenfarbene Haut, die gleichen filigranen Finger. Franciscos Frau war auch da, doch ich konnte ihren Anblick kaum ertragen; sie hatte seinen Körper auf eine Art genossen, die mir nie vergönnt war. Sie schluchzte in einer Ecke, während ihre Schwiegermutter den Staubwedel umklammerte und mich ausfragte.
»Wann ist er gestorben, Signore? War es ein guter Tag?«
»Er ist an einem schönen Tag gestorben, Signora, als die Sonne schien und die Vögel sangen.«
(Er starb an einem Tag, als der Schnee schmolz und unter diesem Schild tausend verrenkte Leichen, Rucksäcke, verrostete Gewehre, Wasserflaschen und unleserliche, unvollendete, mit Blut getränkte Briefe zum Vorschein kamen. Er starb an dem Tag, als einer unserer Männer merkte, dass ihm seine Genitalien vollständig abgefroren waren, und sich ein Gewehr in den Mund steckte und seinen Hinterkopf wegpustete. Er starb an dem Tag, als wir die Leiche eines Mannes mit heruntergelassenen Hosen fanden, der an einem Baum gehockt hatte und bei der Anstrengung steif gefroren war, gegen die durch die Militärverpflegung hervorgerufene hartnäckige Verstopfung anzukämpfen. Unter dem Toten lagen zwei winzige Kotklümpchen mit Blutspuren. Der Kadaver trug Bandagen anstelle von Stiefeln. Francisco starb an einem Tag, als die Geier von den Bergen herabkamen und den schon seit Langem Toten die Augen aushackten. Die griechischen Granatwerfer husteten über dem Steilhang, und wir wurden unter einem Schlammhagel begraben. Es regnete.)
»Ist er im Kampf gefallen, Signore? Hat es einen Sieg gegeben?«
»Ja, Signora. Wir griffen eine griechische Stellung mit Bajonetten an, und der Feind wurde vertrieben.«
(Die Griechen hatten uns zum vierten Mal mit Sperrfeuer abgewehrt. Sie hatten vier Maschinengewehre über uns postiert, wo wir sie nicht sehen konnten, und wir wurden beim Rückzug in Stücke gerissen. Schließlich erhielten wir einen Befehl, der das Kommando, die Stellung zu erstürmen, widerrief, da sie von keinerlei taktischer Bedeutung war.)
»Ist er glücklich gestorben, Signore?«
»Er ist mit einem Lächeln auf den Lippen gestorben und hat mir gesagt, dass er stolz sei, seine Pflicht getan zu haben. Sie sollten sich freuen, so einen Sohn gehabt zu haben, Signora.«
(Im Graben humpelte Francisco mit wildem Blick zu mir. Seit Wochen sprach er das erste Mal wieder mit mir. »Dreckskerle, Dreckskerle«, brüllte er. Er sagte: »Schau her« und rollte seine Hosenbeine auf. Ich sah die violetten Geschwüre des Weißen Todes. Francisco berührte das faulende Fleisch mit einem verwunderten Leuchten in den Augen. Er streifte das Hosenbein wieder herunter und sagte: »Das reicht, Carlo. Das ist zu viel. Es ist alles aus.« Er schloss mich in die Arme und küsste mich auf beide Wangen. Er fing an zu schluchzen. Ich spürte, wie er in meinen Armen zitterte. Er nahm die Maus Mario aus der Tasche und übergab sie mir. Er ergriff sein Gewehr und kletterte über den Grabenrand. Ich packte seine Ferse, um ihn daran zu hindern, doch er schlug mir mit dem Gewehrkolben auf den Kopf. Langsam rückte er gegen die feindliche Stellung vor, hielt alle paar Schritte an, um zu feuern. Die Griechen erkannten seinen Heldenmut und erwiderten das Feuer nicht. Sie nahmen tapfere Männer lieber gefangen, als sie zu erschießen. Eine Granate schlug neben ihm ein, und er verschwand unter einem Schauer von gelbem Lehm. Es blieb lange still. Dann sah ich eine Bewegung dort, wo Francisco gewesen war.)
»Er ist schnell gestorben, nicht wahr, Signore? Er hat keine Schmerzen verspürt?«
»Er ist sehr rasch gestorben, durch eine Kugel ins Herz. Er kann nichts gespürt haben.«
(Ich legte mein Gewehr hin und kletterte aus dem Schützengraben. Die Griechen schossen nicht auf mich. Ich erreichte Francisco und sah, dass ihm eine Seite des Schädels weggerissen worden war. Die Knochensplitter sahen grau aus und waren mit Bindegewebe und gestocktem Blut überzogen, das teils hellrot, teils purpurrot war. Er war noch am Leben. Ich sah auf ihn herab, und meine Augen wurden blind vor Tränen. Ich kniete mich hin und nahm ihn in die Arme. Er war vom Winter und den Entbehrungen so ausgezehrt, dass er leicht wie ein Spatz war. Ich stand auf und bot mich den Gewehren der Griechen dar. Erst war es still, dann ertönte Jubel aus ihren Reihen. Einer schrie heiser: »Bravissimo.« Ich drehte mich um und trug das schlaffe Bündel zurück zu unserer Linie.
Im Graben dauerte es zwei Stunden, bis Francisco starb. Sein dickes Blut tränkte die Ärmel und Seiten meiner Uniform. Ich wiegte seinen zerschmetterten Kopf wie ein kleines Kind in den Armen, und sein Mund formte Worte, die nur er hören konnte. Tränen rannen über seine Wangen; ich sammelte sie mit den Fingern auf und trank sie. Ich beugte mich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: »Francisco, ich habe dich immer geliebt.« Seine Augen sahen zu mir auf. Er blickte mich unverwandt an. Mühsam räusperte er sich und sagte: »Ich weiß.« Ich erwiderte: »Ich habe es dir nie gesagt, erst jetzt.« Er setzte sein zögerndes lakonisches Lächeln auf und meinte: »Das Leben ist eine Sau, Carlo. Bei dir habe ich mich gut gefühlt.« Ich sah, wie das Licht seiner Augen schwächer wurde und er die lange, langsame Reise in den Tod antrat. Es gab kein Morphium. Seine Schmerzen müssen unbeschreiblich gewesen sein. Er hat mich nicht gebeten, ihn zu erschießen; vielleicht hat er ganz zum Schluss sein schwindendes Leben geliebt.)
»Was waren seine letzten Worte, Signore?«
»Er hat Ihnen einen Gruß ausgerichtet, Signora, und ist mit dem Namen der Jungfrau auf den Lippen gestorben.«
(Einmal öffnete er die Augen und sagte: »Vergiss unsere Abmachung nicht, den Schweinehund Rivolta zu töten.« Später packte er mich in einem heftigen Schmerzanfall am Kragen und flehte: »Mario.« Ich nahm das Mäuschen aus meiner Tasche und legte es ihm in die Hände. In der Entrückung seines eigenen Todes ballte er die Faust so fest zusammen, dass das kleine Wesen mit ihm starb. Genauer gesagt, ihm traten die Augen aus dem Kopf.)
»Signore, wo ist er begraben?«
»Er ist an einem Berghang begraben, der im Frühjahr voller Tulpen steht und das erste Sonnenlicht empfängt. Er ist mit allen militärischen Ehren beerdigt worden, und an seinem Grab haben seine Kameraden Salut geschossen.«
(Ich beerdigte ihn selbst. Ich schaufelte in unserem Graben ein tiefes Loch, das sich augenblicklich mit ockerfarbenem Wasser füllte. Ich beschwerte den Leichnam mit Steinen, sodass er nicht wieder zur Bodenoberfläche hochkommen konnte. Ich beerdigte ihn an einem von riesigen Ratten und winzigen Ziegen bewohnten Ort. Ich stand über seinem Grab und schlug mit einer Schaufel die Ratten tot, die herkamen, um seinen Leichnam wieder auszuscharren. Die Maus Mario legte ich ihm in die Brusttasche über dem Herz. Seine persönlichen Habseligkeiten nahm ich an mich. Sie sind in dem Beutel, den ich Ihnen überlassen werde. Er enthält einen Talisman aus Epirus, einen Brief von seiner Frau, die Abzeichen des 9. Regiments der Alpini, drei Verdienstorden und die Flügelfeder eines Adlers, über die er sich gefreut hat, als sie ihm auf dem Weg zum Metsovon-Pass in den Schoß fiel. Er enthält auch ein Foto von mir. Ich wusste gar nicht, dass er es besaß.)
»Signore, solange er nicht umsonst gestorben ist.«
»Signora, wir haben nun die Herrschaft über Griechenland dank unserer deutschen Verbündeten.«
(Wir verloren den Krieg und wurden erst erlöst, als die Deutschen von Bulgarien her einfielen und eine zweite Front eröffneten, für deren Verteidigung die Griechen keine Kräfte mehr hatten. Wir kämpften, erfroren und starben für ein Imperium, das keinen Zweck erfüllt. Als Francisco starb, hielt ich seinen zerschmetterten Schädel und küsste ihn auf den Mund. Ich saß da, und Tränen der Wut fielen auf seine entsetzlichen Wunden. Ich gelobte, von nun an für uns beide zu leben.
Ich beteiligte mich weder an der Zerstückelung Griechenlands noch an dem beschämenden Triumphgeschrei über eine Eroberung, die nur dem Namen nach ein Sieg war. Die tapferen Griechen wurden unter elfhundert deutschen Panzern zermalmt, denen sie nicht einmal zweihundert leichte, hauptsächlich von uns erbeutete Kampffahrzeuge entgegenstellen konnten. Unser glorreicher italienischer Vorstoß bestand lediglich darin, ihnen nachzusetzen, als sie sich in dem vergeblichen Bemühen zurückzogen, der deutschen Umzingelung zu entgehen.
Ich beteiligte mich nicht an dieser schändlichen Farce, weil ich am Tag nach Franciscos Beerdigung eine Pistole nahm, die ich einem verwundeten Griechen abgenommen hatte, und mir in einem Augenblick kaltblütiger Berechnung in den Oberschenkel schoss.)