Als die Deutschen sich aus Nordafrika zurückzogen, richteten sie ihr regionales Hauptquartier auf dem Peloponnes ein, was bedeutete, dass Mandras und seine kleine Gruppe von Andartes gezwungen waren, sich über den Kanal von Korinth nach Roumeli abzusetzen.
Auf dem Peloponnes hatte Mandras sehr wenig unternommen. Er hatte sich mit einem Mann zusammengetan, dann noch mit zwei anderen, und sie hatten sich weder auf ein Ziel noch auf einen Zweck besonnen. Sie wussten nur, dass etwas aus der innersten Tiefe ihrer Seele sie antrieb, etwas, das ihnen befahl, ihr Land von den Fremden zu befreien oder bei dem Versuch ihr Leben zu lassen. Sie setzten Lastwagen in Brand, und einer von ihnen erdrosselte einen feindlichen Soldaten und saß dann zitternd vor nachträglicher Angst und Abscheu da, während die anderen ihn trösteten und lobten. Sie hausten am Rande eines Waldes in einer Höhle und lebten von Nahrungsmitteln, die ein Priester aus dem benachbarten Dorf brachte; er kam mit Brot, Kartoffeln und Oliven und nahm ihre schmutzige Kleidung mit, um sie von einer Frau aus dem Dorf waschen zu lassen. Eines Tages hackten sie die Stützen einer hölzernen Fußgängerbrücke ab, die auf dem Weg zu einer örtlichen Garnison lag. Als Vergeltungsmaßnahme dafür, dass er sich nun im Bach die Füße nass machen musste, brannte der Feind vier Häuser im Dorf nieder, und der Priester und der Schulmeister baten die Gruppe von Mandras, abzuziehen, bevor noch Schlimmeres passierte. Die vier nun obdachlosen Hausherren schlossen sich ihnen an.
In Roumeli gab es ein kleines britisches Team engagierter Freiwilliger, von denen keiner Griechisch sprach und die einen Tag lang ausgebildet worden waren, bevor sie mit dem Fallschirm absprangen. Sie hatten einen neuen Fallschirmtyp erhalten, bei dem oben in den Seilen Lebensmittel und Funkgeräte angebunden waren, die den Soldaten bei der Landung kräftig auf den Kopf schlugen. Diese Briten hatten schon angefangen, die Guerillagruppen zu koordinieren; sie hatten die Absicht, die Viadukte der eingleisigen Bahnstrecke in die Luft zu jagen, die die Hauptnachschubroute von Piräus nach Kreta und weiter nach Tobruk bildete. Sie nahmen an, dass die autonomen Gruppen selbstverständlich begeistert wären, von britischen Offizieren kommandiert zu werden, und die Griechen waren von dieser zuversichtlichen Annahme so beeindruckt, dass sie sich beinahe augenblicklich darauf einließen.
Es gab jedoch eine Gruppe, ELAS, die der militärische Arm einer Organisation namens EAM war, die wiederum von einem Komitee in Athen kontrolliert wurde, dessen Mitglieder zur KKE gehörten. Aufgeweckte Menschen erkannten auf Anhieb, dass eine Gruppe mit solchen Verflechtungen kommunistisch sein musste und dass der Zweck solch fein gesponnener Kontrollfäden der war, den gewöhnlichen Bürgern zu verschleiern, dass es sich um eine kommunistische Organisation handelte. Ursprünglich stammten ihre Rekruten aus allen Bevölkerungsschichten, dazu gehörten auch venizelistische Republikaner und Royalisten sowie gemäßigte Sozialisten, Liberale und Kommunisten, die sich alle in den Glauben wiegen ließen, dass sie Teil des nationalen Befreiungskampfes und nicht Teil einer ausgeklügelten versteckten Strategie waren, die mehr mit der Machtergreifung nach dem Krieg als mit der Bekämpfung der Achsenmächte zu tun hatte. Die Briten bewaffneten sie, weil niemand den Äußerungen britischer Offiziere vor Ort Glauben schenkte, damit würden sie sich später große Schwierigkeiten einhandeln, und weil sowieso niemand glaubte, dass dunkelhäutige Eingeborene der britischen Armee viel Schwierigkeiten machen konnten. Brigadier Myers und seine Offiziere zuckten die Achseln und taten weiter ihren Dienst, während ELAS ihnen nur half oder gehorchte, wenn es ihr passte. Myers und seine Offiziere hatten eine unmögliche Aufgabe vor sich, aber sie erreichten alles, was sie sich vorgenommen hatten, mit einer Mischung aus Willensstärke, Geduld und Elan. Sie rekrutierten sogar zwei Palästinenser, die im allgemeinen Durcheinander von 1941 irgendwie zurückgelassen worden waren.
Mandras hätte sich der EKKA, EDES oder EOA anschließen können, doch wie es der Zufall wollte, gehörten die ersten Andartes, auf die er in Roumeli traf, zur ELAS, und der Kommandant, der ihn in seine Bande aufnahm, war stolz und unverhohlen Kommunist. Er war scharfsinnig genug, um zu erkennen, dass Mandras eine verlorene Seele war, ohne ersichtlichen Grund verbittert, jung genug, um sich beeindrucken und begeistern zu lassen, wenn hochtrabende Vorhaben wohlklingende Namen verpasst bekamen, sowie einsam und traurig genug, um ihn zum Freund zu gewinnen.
Mandras hasste das Gebirge. Natürlich gab es auch daheim Berge, aber die waren bis zum endlosen Horizont von den schäumenden Wogen der See eingefasst. Es lag nicht nur daran, dass das Gebirge von Roumeli den Horizont verdeckte und Mandras wie die Arme einer riesenhaften, hässlichen und muffig riechenden Tante umschlang, es lag auch daran, dass es ihn an den Krieg an der albanischen Grenze erinnerte, der ihm so viel von seinem Verstand, so viele seiner Kameraden und so viel von seiner Gesundheit geraubt hatte. Es erdrückte und bestrafte ihn, obwohl es für ihn nichts Neues war. Er kannte bereits das Gefühl, Schenkel und Bauch an einem Feuer zu rösten, während Rücken und Hintern bis auf die Knochen froren, sich auszuziehen und im Winter nackt mit der über den Kopf gehaltenen Kleidung durch Wildbäche zu waten, die ihm den Atem raubten und so auf ihn eindonnerten, dass er blaue Flecken bekam. Er wusste ebenso, dass die Italiener mit grob gerechnet der Hälfte ihrer Truppenstärke zu schlagen waren, er konnte auch schon eine Mannlicher laden und abfeuern, wenn die eine Hand blutete und eine weitere Wunde abdichten musste. Er war ebenfalls schon darin bewandert, sich ein Leben zu erschaffen, das aus Träumen von Pelagia und feuchtfröhlichen Umtrünken mit geschätzten Kameraden bestand, die in der Nacht noch sterben konnten.
Mandras schloss sich ELAS zuerst an, weil er keine andere Wahl hatte. Er und seine Mitstreiter lungerten in einem kleinen Schlupfwinkel im Unterholz herum, dessen Laub ihnen als Bettlager diente, als sie von zehn Mann überrascht und umzingelt wurden. Sie waren alle in die Überreste von Uniformen gekleidet, hatten Patronengurte umgehängt und Messer in die Gürtel gesteckt, und alle waren so bärtig, dass sie fast gleich aussahen. Ihr Anführer war nur durch einen roten Fez gekennzeichnet, der eine armselige Tarnung dargestellt hätte, wenn er nicht so verblichen und verdreckt gewesen wäre.
Mandras und seine Freunde blickten in einen Halbkreis aus Mündungen leichter Automatikgewehre, und der Mann mit dem Fez herrschte sie an: »Kommt raus!«
Widerwillig standen die Männer auf und traten mit hinter dem Kopf verschränkten Händen heraus, da sie um ihr Leben fürchteten. Ein oder zwei Andartes drangen in den Unterstand ein und warfen die Waffen heraus, die auf dem Boden mit dem sonderbaren Klang festen Metalls aufeinanderschlugen, das von hölzernen Schäften und Öl gedämpft wird.
»Zu wem gehört ihr?«, wollte der mit dem Fez wissen.
»Zu niemand«, erwiderte Mandras verwirrt.
»Gehört ihr zu EDES?«
»Nein, wir sind allein. Wir haben keinen Namen.«
»Ist auch gleich«, sagte der mit dem Fez. »Geht jetzt in eure Dörfer zurück.«
»Ich hab kein Dorf mehr«, meinte einer der Gefangenen. »Die Italiener haben es niedergebrannt.«
»Die Sache ist die: Entweder geht ihr in eure Dörfer zurück und überlasst uns eure Waffen, oder ihr kämpft es mit uns aus, und wir murksen euch ab, oder ihr schließt euch meinem Kommando an. Das ist unser Gebiet, und da mischt sich niemand ein, schon gar nicht EDES; also was wollt ihr tun?«
»Wir sind zum Kämpfen hergekommen«, erklärte Mandras. »Wer seid ihr?«
»Ich bin Hektor, nicht mein wirklicher Name, den kennt keiner, und dies …« er wies auf seine Truppe »… ist der Ortsverband der ELAS.« Die Männer grinsten ihn äußerst freundlich an, was mit der diktatorischen Miene des Fezträgers gar nicht in Einklang stand. Mandras sah seine Männer der Reihe nach an. »Bleiben wir?«, fragte er, und alle nickten zustimmend. Sie waren zu lange im Gelände gewesen, um aufzugeben, und es war gut, einen Anführer gefunden zu haben, der vielleicht wusste, was zu tun war. Es war demoralisierend gewesen, wie Odysseus von Ort zu Ort zu wandern, fern der Heimat, und einen Widerstand zu improvisieren, der scheinbar nie zu etwas führte.
»Gut«, sagte Hektor, »kommt mit uns, dann sehen wir schon, woraus ihr gemacht seid.«
Der kleine entwaffnete Trupp wurde drei Kilometer weit zu einem winzigen Dorf geführt, das bloß aus dürren Hunden, ein paar brüchigen Häusern, deren Steine den Mörtel schon verloren hatten und nur durch Schwerkraft und Gewohnheit zusammengehalten wurden, sowie einem Weg zu bestehen schien, der sich kurzfristig und verheißungsvoll zu einer staubigen Straße verbreitert hatte. Ein Haus wurde von einem Andarte bewacht, und diesen Mann wies Hektor an: »Bring ihn raus.«
Der Partisan ging hinein und beförderte unter Fußtritten und Faustschlägen einen ausgemergelten alten Mann ans Sonnenlicht. Der bis zur Hüfte nackte Mann stand zitternd und blinzelnd vor dem Trupp. Hektor händigte Mandras einen zusammengeknoteten Strick aus und sagte, auf den alten Mann deutend: »Schlag ihn.«
Mandras blickte Hektor ungläubig an, und dieser starrte grimmig zurück. »Wenn du zu uns gehören willst, musst du lernen, Gerechtigkeit auszuüben. Dieser Mann«, er zeigte auf ihn, »ist für schuldig befunden worden. Jetzt schlag ihn.«
Es war widerwärtig, aber nicht ganz unmöglich, einen Kollaborateur zu züchtigen. Er schlug den Mann aus Ehrfurcht vor dem Alter einmal leicht mit dem Strick, doch Hektor rief ungeduldig: »Fester, fester! Was bist du denn? Ein Weib?« Und so schlug Mandras noch einmal fester zu. »Weiter!«, befahl Hektor.
Mit jedem Schlag wurde es leichter. Eigentlich verschaffte es sogar eine gewisse Befriedigung. Es war so, als ob alle Wut aus der frühesten Kindheit in ihm aufwallte, ihn läuterte und wie neu geschaffen und rein machte. Der alte Mann, der bei jedem Streich aufgeschrien und zur Seite gesprungen war, bis er torkelte und taumelte, warf sich schließlich zu Boden und wimmerte erbärmlich. Da wusste Mandras auf einmal, dass er ein Gott sein konnte.
Eine junge Frau, vielleicht nicht älter als neunzehn Jahre, rannte herbei, entwischte dem Zugriff eines der Andartes und warf sich Hektor zu Füßen. Sie keuchte vor Angst und Verzweiflung. »Mein Vater, mein Vater!«, schrie sie. »Habt Erbarmen, habt Erbarmen mit ihm, er ist ein alter Mann, oh, mein armer Vater.«
Hektor setzte den Stiefelabsatz auf ihre Schulter und warf sie um. »Halt den Mund, Genossin, hör auf zu winseln, oder ich kann für nichts mehr garantieren. Schafft sie weg.«
Sie wurde flehend und weinend weggezerrt, und Hektor nahm Mandras den Strick ab. »Das geht so«, sagt er, als würde er einen wissenschaftlichen Sachverhalt erläutern. »Du fängst oben an«, er hieb einen breiten Striemen quer über die Schultern des Mannes, »dann machst du das Gleiche unten«, er zog einen weiteren blutigen Streifen übers Kreuz, »und dann füllst du das mit parallelen Strichen aus, bis die Haut weg ist. Das habe ich gemeint, als ich gesagt habe: ›Schlag ihn‹.«
Mandras bemerkte gar nicht, dass der Mann sich nicht mehr rührte und auch nicht mehr schrie und winselte. Mit entschlossen zusammengekniffenen Lippen füllte er den Freiraum zwischen den Striemen aus, schlug dort ein zweites Mal hin, wo eventuell noch ein Rest rosiger Haut geblieben war. Seine eigenen Schultermuskeln schmerzten zum Schreien, und schließlich hörte er auf und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Eine Fliege setzte sich auf die blutige Masse am Rücken, und er zermanschte sie mit noch einem Hieb. Hektor trat vor, nahm ihm den Strick weg und drückte ihm eine Pistole in die Hand. »Und jetzt töte ihn.« Er legte sich den Zeigefinger an die Schläfe und ließ den Daumen wie einen Hahn zuschnappen.
Mandras kniete sich hin und drückte dem alten Mann den Lauf an den Kopf. Er zögerte, weil er irgendwo in seinem Hirn über sich selbst entsetzt war. Er konnte es nicht tun. Um den Anschein der Beflissenheit zu erwecken, ließ er den Hahn zurückschnappen und legte den Finger an den Abzug. Er konnte es nicht tun. Er schloss fest die Augen. Er konnte aber nicht sein Gesicht verlieren. Es galt, sich vor den anderen Männern als Mann zu erweisen, es war eine Frage der Ehre. Jedenfalls hatte Hektor die Exekution befohlen, er selbst war nur der Handlanger. Der Mann war zum Tode verurteilt worden und würde sowieso sterben. Mit seinem schütteren grauen Haar und dem deutlich ausgeprägten Hinterkopf sah er Dr. Iannis ein wenig ähnlich. Dr. Iannis, der ihn keiner Mitgift für wert erachtete. Wen kümmerte schon so ein nutzloser Alter? Mandras spannte seine Gesichtsmuskeln an und drückte ab.
Danach blickte er nicht auf die blutige Masse aus Knochen und Hirn, sondern ungläubig auf die rauchende Mündung des Pistolenlaufs. Hektor nahm die Waffe wieder an sich und gab ihm seinen Karabiner zurück. Er klopfte Mandras auf den Rücken und meinte: »Das wird schon.« Mandras versuchte sich aufzurichten, war aber zu schwach, und Hektor griff ihm unter die Achseln, um ihm aufzuhelfen. »Revolutionäre Gerechtigkeit«, sagte er und fügte noch hinzu: »Historische Notwendigkeit.«
Als sie auf der staubigen und unebenen Straße, die wieder zu einem Pfad geschrumpft war, das Dorf verließen, stellte Mandras fest, dass er niemand ins Gesicht sehen konnte, und so starrte er leeren Blicks in den Dreck. »Was hat er getan?«, fragte er schließlich.
»Er war ein lumpiger alter Dieb.«
»Was hat er gestohlen?«
»Nun ja, gestohlen hat er eigentlich nicht«, räumte Hektor ein, nahm seinen Fez ab und kratzte sich am Kopf, »aber die Briten werfen für uns und EDES Nachschub ab. Wir haben den Leuten hier strikte Anweisungen gegeben, dass jeder Abwurf uns gemeldet werden muss, sodass wir als Erste drankommen können. Unter den Umständen nur vernünftig. Dieser Mann hat den Abwurf an EDES gemeldet, und danach hat er einen der Behälter aufgemacht und eine Flasche Whisky rausgenommen. Wir haben ihn noch unter der Fallschirmseide aufgegriffen, sternhagelvoll. Das war Diebstahl und Ungehorsam.« Er setzte sich den Fez wieder auf. »Mit diesen Leuten musst du unnachgiebig sein, sonst machen sie, was sie wollen. In ihren Köpfen steckt noch viel falsches Bewusstsein, und das müssen wir einfach aus ihnen rauskriegen, schon in ihrem eigenen Interesse. Du wirst es nicht glauben, aber die Hälfte dieser Bauern sind Royalisten. Stell dir mal vor! Sich mit den Unterdrückern zu identifizieren!«
Mandras war es nie eingefallen, etwas anderes als ein Royalist zu sein, doch er nickte zustimmend und fragte dann: »War es für EDES abgeworfen worden?«
»Ja.«
Hinter ihnen im Dorf erhob sich in der Stille ein Klageschrei, der einem das Blut gefrieren ließ. Er wallte auf und ab wie eine Sirene, wurde vom Steilhang über ihnen quer durchs Tal an die gegenüberstehenden Felsen geworfen, kehrte zurück und mischte sich mit späteren Phasen dieser Klage. Mandras schloss in seinem Gemüt das gestochen scharfe Bild dessen aus, was sich abspielte – das weinende, wehklagende Mädchen, schwarzhaarig und jung wie Pelagia, das stöhnend über den entstellten und im Staub liegengelassenen Überresten ihres Vaters kauerte – und konzentrierte sich auf die Lautfolge. Wenn er nicht daran dachte, worum es ging, klang sie sonderbar schön.