Es war erniedrigend und peinlich, von Oberstleutnant Myers heruntergeputzt zu werden, doch das war Hektor und Aris, seinem Kommandanten, schon so oft passiert, dass es fast zu einem Spiel geworden war. Sie mussten nur jedes Mal Unwissen, Empörung oder reumütigen Abscheu heucheln, wenn Übergriffe oder Schandtaten der Andartegruppe an die Briten gemeldet wurden, und dann sagen, dass sie keine Vereinbarungen ohne Erlaubnis des Komitees in Athen unterschreiben könnten, und dafür müssten sie einen Läufer schicken, der wohl erst in zwei Wochen wieder zurück wäre. Sie konnten immer sagen, dass der Bote gefangen genommen oder getötet worden war, von den Italienern oder auch von den Deutschen, oder sie konnten sogar die Briten beschuldigen und sagen, dass sie offensichtlich EDES bevorzugten. Es war auch möglich, den einheimischen Griechen die Schuld zuzuschieben, die von den Deutschen bewaffnet worden waren, damit sie ihre Hühner gegen die gnadenlose Requirierungspolitik der patriotischen ELAS-Guerillas verteidigen konnten. Das hatte den Vorteil, dass es gelegentlich der Wahrheit entsprach und beinahe nie nachzuweisen war.
Hektor rückte seinen roten Fez zurecht und stand wie ein ungezogener Schuljunge vor Oberstleutnant Myers. Er hatte Mandras draußen gelassen, weil er nicht wollte, dass dieser Zeuge seiner Demütigung wurde. Mandras sah dem Kommen und Gehen der britischen Verbindungsoffiziere zu. Ihm fielen wieder ihre hohen Gestalten auf, ihre roten, sich schälenden Nasen und ihre große Freude am Hänseln. Einige von ihnen waren aus Neuseeland, und Mandras nahm an, dass dies ein besonderer Ort irgendwo in Großbritannien war, wo Soldaten speziell dafür ausgebildet wurden, mit dem Fallschirm aus Liberators abzuspringen und Viadukte in die Luft zu jagen. Sie waren zwar ständig erkältet, aber unglaublich zäh und ausdauernd, und sie machten unverständliche Witze, deren Ironie durch die Übersetzung völlig verloren ging. Sie bemühten sich aufrichtig, Neugriechisch zu lernen, sprachen aber gern alles falsch aus. Wenn eine Frau Antigone hieß, nannten sie sie »Auntie Gonie«, und Hektor war bekannt als »Mein Sektor«. Mandras konnte nicht wissen, dass der Grund dafür die Standardantwort seines Mentors war, wenn er wegen seiner Doppelzüngigkeit, seiner Unaufrichtigkeit und seiner Grausamkeit zur Rede gestellt wurde. Die lautete nämlich: »Das ist mein Sektor.«
»Das ist mein Sektor«, sagte Hektor gerade zu Myers, »und ich erhalte meine Befehle aus Athen, nicht von Ihnen. Sind Sie Grieche, dass Sie uns die ganze Zeit befehlen können?«
Myers seufzte ergeben. Er war im diplomatischen Taktieren nicht geübt, war nicht davon unterrichtet worden, dass neunzig Prozent seiner Tätigkeit darin bestehen würden, zu verhüten, dass die Griechen sich dauernd gegenseitig abschlachteten, und sehnte sich nach einem unkomplizierten Leben, in dem er bloß gegen die Deutschen kämpfen müsste. Er war beinahe an Lungenentzündung gestorben und immer noch sehr abgemagert und müde, aber nichtsdestoweniger besaß er die moralische Autorität eines Menschen, der sich weigert, im Namen eines Ideals seine ethischen Grundsätze aufs Spiel zu setzen. Alle ELAS-Führer hassten ihn, weil sie sich bei ihm wie lästiges Ungeziefer vorkamen, aber sie wagten doch nicht, sich ihm zu sehr zu widersetzen, weil er die Quelle aller Waffen und Goldsovereigns war, die sie für die Revolution nach dem Verschwinden der Deutschen horteten. Sie mussten ihn bei Laune halten, indem sie auf einige seiner Pläne eingingen, gelegentlich kleinere Angriffe gegen die Achsenmächte ausführten und die Lektionen über sich ergehen ließen, die er stets mit blitzenden Augen und unwiderleglicher Bestimmtheit vortrug.
»Es war von Anfang an vereinbart, dass alle Andartegruppen unter dem Kommando von Kairo stehen. Bitte zwingen Sie mich nicht dazu, jedes Mal, wenn ich Sie treffe, das Gleiche zu wiederholen. Wenn Ihr derzeitiges schädigendes Verhalten andauert, werde ich, ohne zu zögern, veranlassen, dass Sie keinen weiteren Nachschub mehr erhalten. Haben wir uns verstanden?«
»Sie geben uns ja gar nichts, der ganze Nachschub geht an EDES. Sie gehen nicht fair mit uns um.«
»Derselbe Blödsinn«, erwiderte der Oberstleutnant in scharfem Ton. »Wie oft muss ich Ihnen noch sagen, was Sie schon wissen? Wir haben immer alles proportional verteilt.« Der Oberst richtete sich auf. »Wie oft muss ich Sie noch daran erinnern, dass wir in diesem Krieg einen gemeinsamen Feind haben? Ist Ihnen je in den Sinn gekommen, dass wir gegen die Deutschen kämpfen? Meinen Sie wirklich, es genügt, das Viadukt von Gorgopotamos in die Luft gejagt zu haben? Denn das war die letzte sinnvolle Tat, die ELAS begangen hat, und das war auch das letzte Mal, dass Sie mit EDES kooperiert haben.«
Hektor wurde rot. »Sie müssten mit Aris reden. Ich erhalte meine Befehle von ihm, und er kriegt seine aus Athen. Es nützt nichts, mich anzugehen.«
»Ich habe mit Aris gesprochen. Immer und immer wieder. Und jetzt rede ich mit Ihnen. Aris hat mir gesagt, ich soll mit Ihnen reden, denn er meint, die Verantwortung für diese letzten Ungeheuerlichkeiten liegt bei Ihnen.«
»Ungeheuerlichkeiten? Was für Ungeheuerlichkeiten?«
Der Oberstleutnant wurde von Verachtung übermannt und wollte den doppelzüngigen Andarte schon schlagen, aber er beherrschte sich. Während er redete, zählte er die einzelnen Punkte an den Fingern ab. »Erstens haben wir letzten Freitag etwas für EDES abgeworfen, die – ich möchte Ihnen das noch einmal in Erinnerung rufen – bisher die einzige Gruppe ist, die wirklich gegen den Feind kämpft. Sie und Ihre Männer haben EDES angegriffen, sie verjagt und das ganze Zeug gestohlen.«
»Haben wir nicht«, beharrte Hektor, »und wir hätten es außerdem nicht machen müssen, wenn Sie uns gerecht versorgen würden. Es ist niemand getötet worden.«
»Sie haben fünf Leute von Zervas’ Gruppe umgebracht, einschließlich eines britischen Verbindungsoffiziers. Zweitens haben wir euch mit genügend Geld ausgestattet, aber dennoch bezahlt ihr die Bauern nie für das, was ihr euch nehmt. Sind Sie so dumm, nicht einzusehen, dass Sie sie damit dem Feind in die Arme treiben? Ich habe zahllose Beschwerden erhalten, Bauern sind fünfzig Meilen zu Fuß hergekommen, um Entschädigung zu verlangen. Ihr habt drei Dörfer, deren Einwohner euren Diebereien Widerstand geleistet haben, unter dem Vorwand niedergebrannt, sie wären Kollaborateure. Ihr habt zwölf Männer und fünf Frauen ermordet. Ich habe die Leichen gesehen, Hektor, und ich bin nicht blind. Wozu soll das gut sein, zu kastrieren, Augen herauszureißen und den Mund aufzuschlitzen, damit die Leute lächelnd sterben?«
»Wenn die uns nicht versorgen wollen, sind sie offenbar Kollaborateure, und wenn Sie uns nicht versorgen, was sollen wir denn dann tun? Wenn sie Kollaborateure sind, kann ich meinen Männern nicht dafür die Schuld geben, dass sie über die Stränge schlagen, oder? Und überhaupt, wer sagt denn, dass wir das waren?«
Myers war nahe daran, zu explodieren. Er sagte beinahe: »Die Dorfbewohner«, erkannte aber gerade noch, dass dies weitere kommunistische Vergeltungsmaßnahmen nach sich ziehen würde. Stattdessen sagte er: »Einer unserer Offiziere hat’s gesehen.«
Hektor zuckte die Achseln: »Lügen.«
Myers wurde ganz kühl. »Britische Offiziere lügen nicht.« Er bedauerte schweren Herzens die notwendige Unaufrichtigkeit. Er starrte den Andarteführer mit snobistischer Verachtung an; das Schlimme an diesen roten Faschisten war, dass sie keine Gentlemen waren. Sie hatten überhaupt kein persönliches Ehrgefühl. »Drittens«, fuhr er fort, »habt ihr Dorfbewohner von weit oben im Gebirge daran gehindert, in EDES-Gebiete zu gehen, um Weizen zu kaufen, ohne den sie verhungern würden. Ist das patriotisch? Ihr lasst sie erst durch, wenn sie sich ELAS anschließen, und dann verhängt ihr großzügig die Todesstrafe für ›Deserteure‹, obwohl ihr nicht die Befugnis dazu habt. Viertens habt ihr Vergeltungsmaßnahmen gegen ein Dorf verursacht, indem ihr euch bereits von den Italienern requirierte Kartoffeln angeeignet habt. Fünftens haben Sie persönlich einen unserer Verbindungsoffiziere auf den falschen Weg geschickt, als er Aris aufsuchen wollte, um sich über Ihre Schandtaten zu beschweren. Sechstens besteht eure Taktik darin, andere Andartegruppen zu entwaffnen und ihre Offiziere umzubringen.«
Hektor war geschult in Ablenkungsmanövern und ging zum Gegenangriff über: »Wir kennen die britische Politik. Halten Sie uns für blöd? Sie werden, ohne das Volk zu fragen, den König wieder herholen.«
Myers schlug mit der Faust so heftig auf die Tischplatte, dass ein Glas zu Boden fiel. »Siebtens«, brüllte er, »habt ihr einen Gendarmeriechef entführt und umgebracht, der einen Massenübertritt seiner eigenen Leute zu EDES in die Wege leitete, und ihr habt sie unter Androhung des Todes zu euch überlaufen lassen. Achtens habt ihr verkündet, dass jeder, der sich nicht ELAS anschließt, ein Verräter Griechenlands sei und erschossen werde. Neuntens bringt ihr die Geldmittel, die wir euch geben, der EAM, die sie wiederum an die KKE in Athen weiterleitet, und statt zu zahlen, stellt ihr den Bauern leere Schuldscheine aus. Zehntens haben einige Ihrer Leute schäbigerweise eine EDES-Einheit von der Seite angegriffen, als sie in einem erbitterten Gefecht mit einer SS-Einheit stand. Das ist ein Schandfleck auf dem guten Namen Griechenlands, eine Niederträchtigkeit, die sich keinesfalls wiederholen darf. Ist das klar?« Der Oberstleutnant verstummte und nahm ein Blatt Papier vom Schreibtisch. »Ich habe hier eine Vereinbarung, die von EDES, EKKA und EDA unterzeichnet worden ist, die sich alle verpflichtet haben, sie als bindende Vorschrift anzunehmen. Ich werde Aris dazu bringen, sie auch zu unterzeichnen, und ich möchte, dass Sie sie lesen und mir Ihr Ehrenwort als Gentleman geben, dass Sie sich daran halten werden. Wenn nicht, werden wir uns überlegen müssen, Ihre Versorgung einzustellen.«
Hektor blickte trotzig zurück. Der Oberstleutnant hatte diese Taktik schon hundertmal probiert. »Das kann ich nicht, und Aris wird erst was unterschreiben, wenn wir entsprechende Anweisungen vom Komitee in Athen haben. Wir werden einen Läufer schicken müssen. Wer weiß, wie lange das dauern wird.«
»Das sind die Bedingungen«, sagte Myers und gab ihm das Blatt. Hektor nahm es entgegen, salutierte mit respektloser Nachlässigkeit und ging.
»Worum ging’s denn?«, fragte Mandras, als sie den steilen und rutschigen Ziegenpfad hinabstiegen, der sich von der Höhle, die Myers als sein lokales Hauptquartier benutzte, ins Tal wand.
»Einen Haufen Scheiße«, antwortete Hektor. »Was du von den Briten wissen musst, ist, dass sie Faschisten sind, und sie wollen Griechenland bloß für ihr Empire, und Leute wie Zervas und seine Lakaien bei EDES helfen ihnen dabei. Deshalb hat er den ganzen Nachschub, und wir haben nichts.«
»Wir haben tonnenweise Zeug«, meinte Mandras. »Es reicht, um jeden Nazi in Griechenland in die Luft zu jagen.«
Hektor ging nicht darauf ein; Mandras war jung und würde es schon noch lernen. Er sagte: »Diese Dorfbewohner haben uns an Myers verraten. Ich meine, wir sollten hingehen und ihnen ein paar Lektionen erteilen, Kollaborateursschweine.«
»Dort hat es einige hübsche Frauen gegeben«, warf Mandras lächelnd ein.
»Denen wir auch das eine oder andere beibringen«, erwiderte Hektor, und die beiden Männer lachten in verschwörerischer Freude. Diese Dorfbewohner waren alle kleinbürgerliche Sympathisanten, Royalisten, Republikaner, die nur so taten, als wären sie gegen den König, den alle verächtlich »Glücksburg« nannten. Das waren alles faschistische Mitläufer, und sie alle pfiffen auf den wissenschaftlichen Sozialismus. Es tat gut, wenn diese Verräterweiber sich kreischend unter einem wanden, und keiner brauchte ein schlechtes Gewissen dabei zu haben, weil es das Mindeste war, was sie verdienten; die Genossen waren dabei, ein neues und besseres Griechenland aufzubauen, und konnten mit minderwertigen Bausteinen, die sowieso weggeworfen werden würden, machen, was sie wollten. Wer ein Omelett macht, wirft ja auch die Eierschalen weg.
Oben in seiner Höhle dachte Myers wieder daran, um seine Abberufung zu bitten. Kairo ließ alles, was er von ELAS berichtete, unbeachtet und schien nicht zu begreifen, dass die Kommunisten eher früher als später einen Bürgerkrieg anzetteln würden. Er vergeudete bloß seine Zeit. Mit dem Taschentuch wischte er sich die Stirn ab und fuhr mit den Fingern durch den immer noch ungewohnten, juckenden Bart. Tom Barnes kam herein. Er war fünf Tage lang gewandert, nachdem er mithilfe von Zervas’ Leuten eine Brücke zerstört hatte. Er ließ sich auf den alten Holzstuhl plumpsen, zog seine Stiefel aus und untersuchte die offenen Blasen an den Fußsohlen und Zehen. Myers zog eine Augenbraue hoch und befragte ihn, und Barnes blickte lächelnd auf: »Einwandfreie Explosion«, berichtete er in seinem neuseeländischen Zungenschlag, »absolut kolossal. Ausleger in alle Himmelsrichtungen verstreut. Da haben die Spaghettis und die Jerrys wochenlang dran zu knabbern.«
»Ausgezeichnet«, bemerkte Myers. »Eine Tasse Tee? Dieser Hektor war gerade bei mir. Er ist fast so widerlich wie Aris, ein komplettes Arschloch durch und durch.«
»Das ist das Schlimme an schlechten Hüten«, meinte Barnes. »Sie enden garantiert immer auf dem Kopf.«