Wie »Pelagias Marsch« entstand

Eines Tages geschah es, dass Hauptmann Corelli nicht zum Dienst antrat, weil in seinem Kopf ein Erdbeben tobte. Er lag in Pelagias Bett und versuchte, nicht die Augen zu öffnen und sich nicht zu bewegen. Der kleinste Lichtfunken bohrte sich in sein Gehirn wie ein spitzer Dolch durchs Auge, und wenn er sich rührte, verspürte er die klare Gewissheit, dass sich sein Kleinhirn losgelöst hatte und in seinem Schädel herumschwappte. Seine Kehle war so trocken und spröde wie Leder; zweifellos hatte jemand daran Rasierklingen geschärft. Von Zeit zu Zeit machte sich Übelkeit in seiner Speiseröhre breit, die sowohl zu seinem Bauch wie zu seinen Lippen vorstieß, und er bemühte sich angeekelt, die bitteren Gallensäfte abzuwürgen, die entschlossen schienen, einen Weg nach draußen zu finden und seine Brust zu dekorieren. »O Gott«, ächzte er. »O Gott, hab Erbarmen.«

Er schlug die Augen auf und hielt sie mit den Fingern offen. Äußerst langsam, um sein Gehirn nicht zu sehr durcheinanderzubringen, sah er sich im Zimmer um und wurde von einer verstörenden Halluzination heimgesucht. Er blinzelte; ja, wahrhaftig, seine Uniform lag auf dem Boden und bewegte sich von selbst. Er vergewisserte sich in seiner Benommenheit, dass ihre Bewegung unabhängig vom Kreisen des Zimmers war, und schloss wieder die Augen. Psipsina tauchte aus dem Stoffbündel auf und sprang auf den Tisch, um sich in seiner Feldmütze einzurollen, die ihr Lieblingsplatz geworden war, seit sie Gefallen an akrobatischen

Pelagia trat mit einem Krug Wasser ein, den sie zusammen mit einem Glas neben dem Bett absetzte. »Sie müssen das ganze Wasser trinken«, sagte sie streng. »Es ist das einzige Mittel gegen Kater.«

»Ich habe keinen Kater«, jammerte der Hauptmann. »Ich bin sehr krank, das ist alles.«

Pelagia füllte das Glas und hielt es ihm an die Lippen. »Trinken«, befahl sie. Er nippte argwöhnisch und war erstaunt über die wohltuende Wirkung auf seinen körperlichen wie seelischen Zustand. Pelagia füllte das Glas gleich wieder. »Ich habe noch nie jemand so betrunken gesehen«, sagte sie vorwurfsvoll, »nicht einmal am Fest des Heiligen.«

»O Gott, was habe ich getan?«

»Wirklich?«

»Ja. Dann sind Sie aufgewacht und haben sich vor mich hingekniet, mit den Armen herumgefuchtelt und aus vollem Hals und völlig falsch Io sono ricco e tu sei bella gesungen und dann den Text vergessen. Dann haben Sie versucht, mir die Füße zu küssen.«

Der Hauptmann war völlig entgeistert. »Falsch gesungen? Ich vergesse niemals einen Text, ich bin Musiker. Was haben Sie gemacht?«

»Ich habe nach Ihnen getreten, dann sind Sie hintübergefallen, haben mir ewige Liebe geschworen und sich übergeben.«

Der Hauptmann schloss in beschämter Verzweiflung die Augen. »Ich war betrunken. Meine Batterie hat das Fußballturnier gewonnen, müssen Sie wissen. Das kommt nicht jeden Tag vor.«

»Leutnant Weber hat heute früh vorbeigeschaut. Er hat gesagt, Ihre Seite hätte geschummelt und mitten im Spiel hätte es eine halbstündige Unterbrechung gegeben, weil zwei kleine Jungen den Ball gestohlen haben, als er über den Zaun geflogen war.«

»Das war Sabotage«, erklärte der Hauptmann.

»Ich mag Leutnant Weber nicht. Er schaut mich an, als wäre ich ein Tier.«

»Er ist ein Nazi; er hält mich auch für ein Tier. Das lässt sich nicht ändern. Ich mag ihn. Er ist nur ein kleiner Junge, das wird sich schon noch geben.«

»Wir schwimmen auch im Meer und singen. Und Sie können die Jungs nicht dafür anklagen, dass sie den Mädchen nachjagen, weil sie das daheim nicht dürfen, und außerdem kommen einige der Mädchen sehr gut dabei weg. Geben Sie mir noch etwas Wasser.«

Pelagia runzelte die Stirn; etwas an den Bemerkungen des Hauptmanns empfand sie als beleidigend und sogar grausam. Außerdem war sie gerade in streitsüchtiger Stimmung. Sie stand auf, goss ihm den Inhalt des Krugs ins Gesicht und sagte aufgebracht: »Sie wissen ganz genau, dass sie dazu gedrängt und aus schierer Notwendigkeit dazu getrieben werden. Und wir schämen uns alle dafür, dass Sie Ihre Huren hier haben. Was glauben Sie denn, wie uns dabei zumute ist?«

Dem Hauptmann hämmerte es zu sehr im Schädel, als dass er sich hätte streiten wollen; es hämmerte sogar schon zu viel, um eine Reaktion darauf zu erlauben, dass er unversehens von einem erbosten Fräulein begossen worden war. Nichtsdestoweniger spürte er mit einem Mal, dass er ganz ungerecht behandelt wurde. Er setzte sich auf und redete sie an: »Sie sagen und tun das alles nur, weil Sie eine Entschuldigung von mir wollen, in jedem Ihrer Blicke sehe ich nichts als Vorwürfe. Das geht schon so, seit ich hergekommen bin. Was glauben Sie, was ich dabei empfinde? Warum fragen Sie sich das nicht? Halten Sie mich für stolz? Glauben Sie, ich stünde unter einem inneren Zwang, Griechen zu unterdrücken? Glauben Sie, ich bin der Duce und hätte mir selbst befohlen, hier zu sein? Es ist Scheiße, es ist alles Scheiße, aber ich kann überhaupt nichts dafür. Na gut, na gut, ich entschuldige mich. Sind Sie zufrieden?« Er sackte wieder ins Kissen.

Pelagia stemmte die Hände in die Hüften und nutzte ihre Überlegenheit aus, die daher rührte, dass sie stand und er lag.

Es kam keine Antwort. Corelli betrachtete ihre sich vor dem hellen Fenster abzeichnende Gestalt, und ihm kam eine Melodie in den Sinn. Er sah seine Finger schon nach einem bestimmten Muster auf dem Hals der Mandoline marschieren, er konnte die geordneten hohen Noten ertönen hören, die Pelagias Ruhm verkündeten, während sie ihren Zorn ebenso wie ihren Widerstand darstellten. Es war ein Marsch, der Marsch einer stolzen Frau, die mit harten Worten und Liebenswürdigkeiten gegen den Krieg zu Felde zog. Er hörte drei einfache Akkorde und eine martialische Melodie, die eine Welt voller Anmut heraufbeschwor. Er hörte die Töne anschwellen und in eine Sturzflut heller Tremoli ausbrechen, die klarer als das Lied der Drossel waren, durchscheinender als der Himmel. Er erkannte mit einiger Bestürzung, dass dazu zwei Instrumente notwendig wären.