L’Omosessuale I

Ich, Carlo Piero Guercio, schreibe diese Zeilen nieder, damit sie nach meinem Tod aufgefunden werden, wenn mir keine Verachtung und kein Ehrverlust mehr etwas anhaben und eine Schande für mich sein können. Meine Lebensumstände machen es unmöglich, dass dieses Zeugnis meiner Veranlagung ins Licht der Öffentlichkeit gelangt, bevor ich meinen letzten Atemzug getan habe, und bis zu der Zeit werde ich dazu verdammt sein, die vom Schicksal über mich verhängte Maske zu tragen.

Ich bin zu ewigem und endlosem Schweigen gezwungen; nicht einmal vor dem Kaplan habe ich eine Beichte abgelegt. Ich weiß schon im Voraus, was ich zu hören bekäme; dass es eine Perversion sei, ein Gräuel in den Augen Gottes, dass ich auf der rechten Bahn wandeln müsse, dass ich heiraten und das Leben eines normalen Mannes führen müsse, dass ich die Wahl hätte.

Ich habe mich keinem Arzt anvertraut. Ich weiß schon im Voraus, dass er mir sagen wird, ich sei ein Invertierter, auf absonderliche Weise in mich selbst verliebt, ich sei krank und könne geheilt werden, meine Mutter sei dafür verantwortlich, dass ich verweiblicht sei, obwohl ich stark wie ein Ochse bin und mein eigenes Gewicht über den Kopf zu heben vermag, ich müsse heiraten und das Leben eines normalen Mannes führen, ich hätte die Wahl.

Was könnte ich solchen Priestern und Ärzten sagen? Ich würde dem Priester sagen, dass Gott mich so geschaffen hat,

Darauf würde der Priester sagen: »Das ist des Teufels und nicht Gottes«, worauf ich antworten würde: »Hat Gott nicht auch den Teufel erschaffen? Ist Er nicht allwissend? Wie kann ich für etwas verurteilt werden, wovon Er vom Urbeginn der Zeiten an wusste, dass es eintreten würde?« Und der Priester würde mir von der Zerstörung von Sodom und Gomorrha erzählen und mir sagen, dass Gottes Geheimnisse von uns nicht zu verstehen sind. Er würde mir einreden, dass uns aufgetragen ist, fruchtbar zu sein und uns zu mehren.

Dem Arzt würde ich sagen: »Ich bin schon immer so gewesen, die Natur hat mich so geschaffen, wie soll ich mich da ändern? Ich kann doch nicht einfach beschließen, Frauen zu begehren, genauso wenig wie ich auf einmal beschließen kann, gern Anchovis zu essen, was ich schon immer verabscheut habe. Ich bin in der Casa Rosetta gewesen, dort habe ich mich geekelt und mich nachher übergeben. Ich fühlte mich entwürdigt. Ich kam mir wie ein Verräter vor. Ich musste es nur tun, um normal zu erscheinen.«

Und der Arzt würde sagen: »Wie kann dies natürlich sein? Die Natur erfüllt ihren Zweck, indem sie uns zur Fortpflanzung drängt. Du wendest dich gegen die Natur. Die Natur will, dass wir fruchtbar sind und uns vermehren.«

Dies ist eine Verschwörung von Ärzten und Priestern, die in verschiedenen Worten alle das Gleiche ausdrücken. Es ist medizinische Theologie und theologische Medizin. Ich bin wie ein Spion, der sich zu ewigem Schweigen verpflichtet hat, ich bin wie jemand, der als einziger Mensch auf der Welt

Dante zufolge ist meinesgleichen in den dritten Graben des siebten Kreises der unteren Hölle verbannt, in die unmögliche Gesellschaft von Wucherern. Er beschert mir eine von Feuerflocken versengte Wüste mit nackten Geistern, lässt mich auf immer vergeblich im Kreis herumlaufen, um nach denen zu suchen, deren Körper ich besudelt habe. Sie sehen, wie es um mich steht; es war mir ein dringendes Bedürfnis, überall zu suchen, bloß um meinesgleichen erwähnt zu finden. Jemand wie ich wird beinahe nirgendwo erwähnt, doch wo ich meinesgleichen finde, finde ich mich verdammt. Es ist überaus bemerkenswert, ihr Ärzte und Priester, dass Dante uns bemitleidete, während Gott es nicht tat. Dante sagt: »Es schmerzt mich im Herzen, nur an sie zu denken.« Und Dante hatte recht, ich bin immer vergeblich im Kreis gelaufen, habe nach der Wärme von Körpern gesucht, von Gott, meinem Schöpfer, verachtet, und mein ganzes Leben ist eine Wüste und ein Regen von Feuerflocken gewesen.

Ja, ich habe alles gelesen, habe nach Beweisen gesucht, dass ich existiere, dass ich möglich bin. Und wissen Sie, wo ich mich gefunden habe? Wissen Sie, wo ich herausgefunden habe, dass meinesgleichen in einer anderen, verschwundenen Welt schön und wahr gewesen ist? In den Schriften eines Griechen.

Ich ging, wie ich gestehen muss, zur Armee, weil dort die Männer jung und schön sind, aber auch, weil Platon mir die Idee eingab. Ich bin womöglich der einzige Soldat der Geschichte, der wegen eines Philosophen in den Kriegsdienst eingetreten ist. Sie sehen, ich hatte nach einer Berufung gesucht, wo meine tragische Veranlagung von Nutzen sein konnte, hatte aber nichts gewusst von der Liebe zwischen Achilles und Patroklos und anderen uralten griechischen Eigenarten. Kurz gesagt, ich las das Symposion und stieß auf Aristophanes, der erklärte, dass es drei Geschlechter gebe: die Männer und Frauen, die einander liebten, die Männer, die Männer liebten, und die Frauen, die Frauen liebten. Der Gedanke, dass ich zu einem anderen Geschlecht gehörte, war eine Offenbarung, war eine Vorstellung, die einen Sinn ergab. Und ich stieß auf Phaidros, der erklärte: »Könnte man also irgend bewirken, dass ein Staat oder ein Heer aus Liebhabern und Lieblingen bestände: so wäre es ja unmöglich, beides besser zu verwalten, als indem alle sich alles Schändlichen enthalten und sich gegenseitig um einander beeifern. Und miteinander fechtend würden auch nur wenige solcher, um es geradeheraus zu sagen, alle Menschen besiegen. Denn weniger möchte wohl von seinem Liebling ein Liebender, dass er seine Reihe verließe oder die Waffen wegwürfe, gesehen werden wollen als von allen Übrigen, und dafür würde er lieber oftmals sterben wollen. Gar aber den Liebling zu verlassen oder ihm nicht beizustehen in der Gefahr: so feige ist wohl keiner, den da nicht Eros selbst zur Tapferkeit begeistern sollte, sodass er dem gleichkäme, der die beste Anlage dazu hat von Natur. Ja gewiss, was Homeros sagt, dass einige der Helden ein Gott mit Mut beseelte,

Ich wusste, dass ich in der Armee diejenigen treffen würde, die ich zwar lieben, aber nicht berühren konnte. Ich würde jemand zum Lieben finden und durch diese Liebe geadelt werden. Ich würde ihn in der Schlacht nicht verlassen, er würde mich zum tapferen Helden machen. Ich würde jemand haben, den ich beeindrucken könnte, jemand, dessen Bewunderung mir das geben würde, was ich mir selbst nicht geben kann: Wertschätzung und Ehre. Ich würde getrost für ihn sterben und dabei wissen, dass ich Schlacke war, die sich durch unerforschliche Alchimie in Gold verwandelt hatte.

Es war eine verwegene Vorstellung, romantisch und unwahrscheinlich, doch sie ließ sich sonderbarerweise verwirklichen, trug mir schließlich aber unermesslichen Gram ein.