Als Zeus den Nabel der Welt genau festlegen wollte, ließ er zwei Adler von den beiden äußersten Punkten losfliegen und merkte sich, wo sich der Flug der Vögel kreuzte. Das war in Delphi, und Griechenland wurde die Gegend, wo sich Ost und West, Nord und Süd scheiden, wo nicht miteinander zu vereinbarende Kulturen und die raubgierig umherziehenden Heere der Welt aufeinandertrafen.
Pelagia war stolz auf die Vorstellung gewesen, genau am Mittelpunkt zu leben, aber nun, sofern das überhaupt möglich war, gab sie es auf, Griechin zu sein. Mit eigenen Augen hatte sie gesehen, mit welcher Verachtung Drosoula behandelt wurde, bloß weil das Witwendasein bedeutete, nicht mehr existieren zu dürfen. Ihr gewissenhafter Idealismus bei der Heilung von Kranken trug ihr den Ruf ein, eine Hexe zu sein, und was noch schlimmer war, der grausame Bürgerkrieg hatte ihr für immer den hellenischen Glauben ausgetrieben, den ihr Vater ihr eingepflanzt hatte. Sie konnte nicht länger glauben, dass sie Erbe der größten und erhabensten Kultur der Weltgeschichte war. Das antike Griechenland mochte am selben Ort wie das moderne Griechenland sein, aber es war nicht das gleiche Land und beherbergte nicht das gleiche Volk. Papandreou war nicht Perikles, und der König war schwerlich Konstantin der Große.
Pelagia redete sich ein, Italienerin zu sein, und konnte sich aus der Distanz eher zugehörig fühlen, weil die Entfernung und die Tatsache, dass sie nie dort gewesen war, sie vor der Entdeckung bewahrten, dass Italien auch nicht mehr liberale und humanistische Mandolinenspieler beherbergte als Griechenland. »Schließlich«, sagte sie sich, »sollte ich einen Italiener heiraten, ich kann Italienisch und denke, dass ich dort eine Ärztin hätte werden können.«
Entsprechend brachte sie Antonia Italienisch bei, sodass diese das romaische Griechisch von Drosoula erlernte und nie Katharevussa sprach, und sie kaufte sich ein Radio von jemand, der sich für ein Butterbrot gern davon trennte, weil die Sendereinstellung kaputt war und nur noch Sender aus Italien zu empfangen waren. Sie kaufte es 1949, gerade nachdem die Schlacht von Vitsi den Bürgerkrieg beendet hatte, und konnte es zum Jahrestag der Oktobermassaker einschalten. Sie mochte es sehr, polierte das zerkratzte Furnier, bis es glänzte, und vernachlässigte ihre Pflichten, indem sie stundenlang regungslos davorsaß und nicht nur zuhörte, sondern es sorgfältig beobachtete, als erwartete sie, dass Antonio auf einmal wie Rauch aus dem bronzenen Maschengitter steigen würde.
Sie konnte sich kaum von ihm trennen und hielt Stunde um Stunde den größten Unsinn aus, nur weil sie hoffte, Non Ti Scorda Di Me, Core ’ngrato, Parlami d’Amore oder La Donna è Mobile zu hören. Doch vor allem wollte sie sich mit Torna a Surriento, dem Lieblingslied des Clubs, das sie am häufigsten gesungen hatten, wieder in die Tage von »La Scala« zurückversetzen lassen. Bei dieser Melodie schloss sie die Augen in seligster Melancholie, stellte sich die Männer draußen unter dem Ölbaum vor, die die Melodramatik ihrer Gestik kaum wahrnahmen, wenn sie ihre Herzen und ihre ganze Lust an ihren Stimmen in die ergreifend schönen Triller und Schnörkel der letzten Zeile fließen ließen, wonach sie immer einen Augenblick sehnsüchtig schweigend dasaßen, bevor sie aufseufzten, den Kopf schüttelten und sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen wischten. Über das Radio entdeckte sie erst, dass es auch für Frauen herrliche Lieder gab, und so sang sie O Mio Babbino Caro in den höchsten Tönen, wenn sie auf Händen und Knien den Boden schrubbte, baute noch orientalische Zwischennoten ein und schmückte es mit schnellen Trillerfolgen, womit sie ihr Vorhaben, Italienerin zu werden, schon im bloßen Versuch zuschanden machte.
Ganz besonders achtete sie auf den Klang von Mandolinen und erinnerte sich daran, dass sie eines Tages die des Hauptmanns aus dem Verlies retten musste. Einmal war sie vom Beerenpflücken heimgekommen und hätte schwören können, dass sie die letzten Takte von Pelagias Marsch gehört hatte, sah aber ein, dass das nicht sein konnte, da der Hauptmann ja tot war. Nein, es war nur so, dass diese verschwenderische Welt über andere Spieler verfügte, die seinen Platz einnehmen konnten. Sie fragte sich oft, wo das Schicksal ihn ereilt hatte, am wahrscheinlichsten auf dem Meer, in jenem kleinen Boot, aber vielleicht auch in Italien, in Anzio oder irgendwo an der Gotenlinie. Es vermittelte ihr ein Gefühl übermäßigen Verlusts, wenn sie sich sein Skelett vorstellte, wie es unter dem Erdboden ausbleichte, wie die Muskeln und Sehnen, die so eine Musik hervorgebracht hatten, reglos und nutzlos waren und sich zu verrottenden Riemen zusammenzogen. Die Erde über ihm war vielleicht so still und stumm wie die über den Toten in der Macchia, oder vielleicht war es eine belebtere Stelle wie die über Carlo Guercios Überresten. Sie selbst ging nicht gern über Carlos Grab und zog sich auf mit der lachhaften Sittsamkeit, die sie befürchten ließ, ein Toter könnte durch die Erdschichten linsen und ihr unter die Röcke gucken.
Aber der zweideutige Boden Kephallonias war überhaupt nicht still; er war wie ein Hund, der im Regen geschlafen hat und dann aufsteht, um die Tropfen abzuschütteln.
Es heißt, in der Urzeit wären alle Länder miteinander verbunden gewesen, und anscheinend bekunden die Kontinente selbst eine Sehnsucht nach diesem Zustand, genauso wie es Menschen gibt, die behaupten, sie gehören nicht einer Nation, sondern der ganzen Welt an, und einen internationalen Pass und ein universelles Aufenthaltsrecht verlangen. So drückt Indien nach Norden, pflügt den Himalaya auf und ist entschlossen, keine Insel zu sein, sondern muss seine tropenfeuchte Luft Asien aufdrängen. Die Arabische Halbinsel übt verstohlen Rache an den Osmanen, indem sie sich lässig in der Hoffnung an die Türkei anlehnt, sie damit wieder ins Schwarze Meer zu stürzen. Afrika, das der Weißen überdrüssig ist, die es für moschusduftend, gefährlich, unbekannt und romantisch halten, drückt nach Norden, weil es entschieden hat, dass Europa ihm endlich einmal ins Gesicht schauen und zugeben soll, dass seine Kultur in Ägypten entstanden ist. Nur die Amerikas eilen nach Westen davon, so fest entschlossen, isoliert und überlegen zu sein, dass sie dabei die Kugelgestalt der Erde vergessen haben, weshalb sie eines Tages gezwungenermaßen feststellen werden, dass sie – o Wunder – an China kleben.
Es schien im Nachhinein offensichtlich, dass es geschehen würde, aber das letzte Mal war es nicht auf Kephallonia, sondern weiter nördlich, auf Levkas, passiert, 1948, als Griechenland so tief in Barbarei versunken war, dass niemand etwas merkte, und die Zeichen und Omen an diesem Morgen wurden eher als sonderbar denn als unheilverkündend betrachtet.
Der Koreakrieg war gerade zu Ende, französische Fallschirmtruppen waren eben erst in Indochina gelandet, und es war ein herrlicher 13. August 1953, kurz vor Mariä Himmelfahrt und nach der Weinlese. Es war leicht dunstig, und faserige Wolken waren Rauchfahnen gleich in unbekümmerten Konfigurationen am Himmel aufgezogen, als hätte sie ein expressionistischer Künstler dorthin versetzt, der gegen jede Ordnung allergisch war und ernsthafte ästhetische Einwände gegen Symmetrie und Form hatte. Drosoula war aufgefallen, dass über dem Land ein unerklärlicher Geruch und Glanz lag, und Pelagia hatte entdeckt, dass das Wasser im Brunnen bis oben zum Rand stand, obwohl es nicht geregnet hatte. Doch Minuten später war sie mit ihrem Eimer hingelaufen und hatte überhaupt keinen Tropfen mehr vorgefunden. Dr. Iannis, der die winzigen Schräubchen an seiner Brille festzog, stellte verwundert fest, dass sie mit unerklärlicher magnetischer Kraft an seinem Schraubenzieher klebten. Antonia, nun acht Jahre alt, aber so groß wie eine Zwölfjährige, wollte ein Blatt Papier vom Boden aufheben, aber das schwebte hoch und blieb an ihrer Hand haften. »Ich kann zaubern, ich kann zaubern«, rief sie und hüpfte nach draußen, wo sie auf einen Igel stieß, der mit seinen zwei Jungen über den Hof trippelte, und eine gleichfalls nachtaktive Eule beäugte sie von einem niederen Zweig des Baums, zu beiden Seiten flankiert von Pelagias neuerworbenen Hühnern, die mit den Köpfen zwischen den Flügeln selig schliefen. Hätte Antonia aufgeblickt, hätte sie keinen einzigen Vogel am Himmel fliegen sehen, und wäre sie zum Meer hinuntergegangen, hätte sie Plattfische nahe der Wasseroberfläche schwimmen und die anderen Fische herumhüpfen sehen, als wollten sie Vögel sein und in der Luft schwimmen, während viele andere vorbeugend den Bauch nach oben kehrten und starben.
Schlangen und Ratten krochen aus ihren Höhlen, und die Marder in den kephallonischen Bäumen versammelten sich gruppenweise am Boden und saßen erwartungsvoll da wie Opernliebhaber vor Beginn der Ouvertüre. Vor dem Haus des Arztes zerrte ein an der Mauer angebundenes Maultier an seinem Strick und schlug gegen die Steine aus, sodass die dumpfen Huftritte durchs Haus hallten. Die Hunde im Dorf führten ihren unfeinen und entnervenden Chor auf, der normalerweise erst in der Abenddämmerung einsetzte, und Scharen von Grillen strebten zielsicher über Straßen und Höfe, um im Dorngestrüpp zu verschwinden.
Es gab eine merkwürdige Begebenheit nach der anderen. Steingut klapperte, und Besteck rasselte wie im Krieg, wenn britische Bomber vorbeiflogen. Draußen im Hof fiel Pelagias Eimer um und das Wasser lief aus, aber Antonia bestritt, dass sie ihn umgekippt hätte. Drosoula kam schwitzend und zitternd herein und sagte zu Pelagia: »Ich bin krank, ich fühle mich schrecklich, irgendwas ist mit meinem Herzen.« Sie setzte sich schwer hin, griff sich mit der Hand an die Brust und keuchte vor Angst. Noch nie hatte sie sich so schwach auf den Beinen gefühlt, so von Nadelstichen in ihren Füßen gepeinigt. Seit dem letzten Fest des Heiligen war ihr nicht mehr so hundeelend gewesen. Sie atmete schwer, und Pelagia machte ihr zur Stärkung einen Heiltrank.
Draußen im Hof merkte Antonia, dass sie unter Kopfschmerzen litt, leicht benommen und von jenem Schwindelgefühl gepackt war, das jemanden befällt, der in einen Abgrund hinabblickt und Angst bekommt, er könnte in die Tiefe gezogen werden. Pelagia kam heraus und sagte: »Psipsina, komm rein, die andere Psipsina ist übergeschnappt.«
Die Katze legte in der Tat ein rätselhafteres Verhalten an den Tag, als seit der Zeit Kleopatras und der Ptolemäer bei der Gattung Felidae zu sehen gewesen war. Sie kratzte am Boden, als wollte sie entweder etwas verscharren oder ausgraben, kugelte dann auf dem Fleck herum, als wollte sie ihre Freude zeigen oder den Juckreiz ihrer Flohbisse hinwegscheuern. Auf einmal sprang sie zur Seite und dann außerordentlich hoch kerzengerade in die Luft. Sie schaute die Menschen für den Bruchteil einer Sekunde an, schlug einen Purzelbaum mit weit aufgerissenen Augen, die nur Verwunderung ausgedrückt haben konnten, und schoss dann aus der Tür und den Baum hinauf, wo sie die Hühner keines Blickes würdigte. Im nächsten Augenblick war sie schon wieder im Haus und suchte nach Dingen, in die sie hineinschlüpfen konnte. Sie probierte es mit einem Weidenkorb, steckte Kopf und Vorderpfoten in eine Papiertüte, setzte sich für eine Weile in einen Topf, der zu klein für sie war, und krallte sich dann die Wand hoch, um sich mit eulenhaftem Blinzeln oben auf einem Fensterladen niederzulassen, der gefährlich hin und her schwang und unter ihrem Gewicht knarrte. »Verrückte Katze«, sagte Pelagia vorwurfsvoll, woraufhin das Tier von einem Regal zum anderen sprang, wie von Sinnen rundherum durchs Zimmer wirbelte, ohne ein einziges Mal den Boden zu berühren, was Pelagia an seine gleichnamige Vorgängerin erinnerte. Es blieb abrupt stehen, den Schwanz ungeheuer aufgeplustert, die Haare auf dem Katzenbuckel senkrecht aufgestellt, und fauchte grimmig einen unsichtbaren Gegner an, der irgendwo in der Nähe der Tür zu sein schien. Dann kam es leise wieder auf den Boden, schlich, als würde es sich anpirschen, in den Hof hinaus und setzte sich auf die Mauer, wo es tragisch maunzte, als würde es den Verlust von Neugeborenen beklagen oder über eine andere Scheußlichkeit jammern. Antonia, die in die Hände geklatscht und vor Freude gelacht hatte, brach plötzlich in Tränen aus, rief: »Mama, ich muss raus« und rannte vors Haus.
Drosoula und Pelagia tauschten einen Blick aus, der zu besagen schien: »Sie ist aber früh in die Pubertät gekommen«, da brach aus der Erde ein betäubendes Tosen so weit unter der Hörschwelle, dass es eher körperlich zu spüren als zu hören war. Die beiden Frauen fühlten, wie ihr Brustkorb sich gegen die Einengung durch Sehnen und Knorpel dehnte und spannte, auch die Rippen schien es auseinanderzureißen, und ein Gott schien ungestüm auf eine Basstrommel in ihren Lungen zu hämmern. »Ein Herzanfall«, dachte Pelagia verzweifelt. »O Gott, ich hab ja noch gar nicht gelebt.« Und sie sah Drosoula mit den Händen am Magen und hervorquellenden Augen auf sie zuwanken, als wäre sie von einem Axthieb getroffen worden.
Es schien, als würde die Zeit stillstehen und das unsägliche Grummeln der Erde nie mehr aufhören. Dr. Iannis stürzte aus Pelagias ehemaligem Zimmer und sprach zum ersten Mal seit acht Jahren: »Geht raus! Geht raus!«, rief er. »Das ist ein Erdbeben! Rettet euch!« Seine Stimme klang blechern und unendlich fern im Gegensatz zum aus tiefster Kehle kommenden Ausbruch des immer weiter anschwellenden Getöses, und er wurde heftig zur Seite geschleudert.
Vom furchtbaren Toben und Beben der Welt entsetzt und geblendet, taumelten die beiden Frauen zur Tür, wurden umgeworfen und versuchten zu kriechen. Zum infernalischen und ohrenbetäubenden Dröhnen der Erde gesellten sich die Kakophonie herabstürzender Teller und Pfannen, die bedrohliche, unbeherrschte Trippeltarantella von Stühlen und Tischen, das gewehrschussartige Knallen reißender Balken und Wände, das unregelmäßige Läuten der Kirchenglocke und eine erstickende, nach Schwefel riechende Staubwolke, die Hals und Augen reizte. Sie konnten nicht auf Händen und Knien kriechen, da sie immer wieder zur Seite und nach oben geworfen wurden, und so breiteten sie Arme und Beine aus und wanden sich wie Schlangen zur Tür, die sie gerade erreichten, als das Dach in sich zusammensackte.
Sie gelangten in den sich aufbäumenden Hof, wo das Licht vom Himmel gelöscht war, der grässliche Lärm in Kopf und Brust detonierte und Staub gemächlich vom Erdboden aufstieg, als würde er vom Mond angezogen. Vor ihren Augen verbeugte sich der uralte Olivenbaum und wurde mitten durch den Stamm gespalten, bevor er wieder hochschnellte und seine Äste schüttelte wie ein betagter Nazarener. Mitten auf der Straße schoss sprudelnd eine dreckige Wasserfontäne zwölf Meter empor und verschwand dann wieder, als wäre sie nie dagewesen, hinterließ nur eine Lache, die sich rasch mit Staub füllte und ebenso verschwand. Weiter oben am Berg, wegen der aufsteigenden Vorhänge aus bleichem und erstickendem Staub allerdings nicht sichtbar, löste sich eine Felsplatte vom Hang und schlitterte hinab, kam auf den südlichen Abschnitt der Straße, riss die Ölbäume mit sich und räumte das Feld ab, aus dem die Grillen ausgewandert waren. Noch einmal hieb der aufgestörte Riese in den Eingeweiden der Erde mit gewaltiger Faust senkrecht nach oben, sodass Häuser aus ihren Fundamenten hüpften und feste Steinwände sich wie Papier im Wind knüllten, und plötzlich schwieg alles wie tot. Eine unheimliche Grabesstille senkte sich über das Land, als würde es verspätet so eine Katastrophe bedauern, und Pelagia, staubbedeckt, nach Luft ringend und von einem unermesslichen Gefühl der Machtlosigkeit und Winzigkeit erfasst, versuchte sich auf Knien aufzurichten, aber sie war immer noch völlig außer Atem vom letzten titanischen Hieb, der sie ins Zwerchfell getroffen und ihre Lungen gelähmt hatte. Sie stand auf und wankte auf ihren Füßen, da wurde die unnatürliche Stille plötzlich von den heftigen und unbeherrschten Schreien des Priesters zerrissen, der aus der Kirche geeilt war und sich nun drehte und wand, während er die Arme zum Himmel erhob und seine Augen durch den Schmutz im Gesicht blitzten. Er flehte seinen Gott nicht an, aufzuhören, wie Pelagia erst annahm, sondern zürnte ihm. »Du Bastard!«, brüllte er. »Du dreckiger Hund! Du Sohn einer lausigen Hündin! Du Hurensauerei!« Die verbotenen Wörter sprudelten aus ihm heraus, die Gemütsruhe seiner frommen Seele hatte sich augenblicklich völlig in Verachtung verwandelt, und er fiel auf die Knie, hämmerte mit den Fäusten auf die Erde ein, und da der Körper seinen Zorn nicht fassen konnte, sprang er wieder auf die Füße und stieß die Faust in den Himmel. Tränen stiegen ihm in die Augen, und er fragte: »Haben wir dich nicht geliebt? Undankbarer Scheißkerl! Auswurf des Teufels!«
Genau da setzte wie eine Antwort wieder das tiefe Grollen ein und schwoll an. Noch einmal schoss die plutonische Faust aus den tiefsten Tiefen nach oben, und noch einmal wackelte und tanzte die Felskruste Kephallonias, und die Berggipfel wankten wie Bootsmasten. Pelagia, die wieder zu Boden geworfen wurde, krallte sich in die pulsierende, dröhnende Erde, und Hilflosigkeit und Entsetzen vernichteten und vertrieben sogar ihren verzweifelten Überlebenswillen. Die ganze Welt war zu einem dunklen Feuerball zusammengeschrumpft, der in ihrem Magen aufzulodern und seine verschlingenden Flammen in die Fasern ihres Gehirns zu speien schien, und in diesem einsamen Inferno wand sie sich würgend, ungläubig, erstaunt, schon jenseits aller Überraschung und Bestürzung, nur noch ein Spielball der unverschämten und gefühllosen Erde.
Im Süden, auf der Insel Zanthe, strahlte die Hauptstadt in einem Regen aus weißglühender Asche, die sich so peinigend in die Haut einbrannte, dass Menschen und Hunde verrückt wurden. Ein Bergungsarbeiter, der Nagasaki miterlebt hatte, sagte später, dies hier wäre schlimmer gewesen. Überall auf den Ionischen Inseln hatten die Menschen mit einem Schlag nichts weiter als die idiotischen Dinge, die sie zu retten versucht hatten, als sie aus ihren Häusern rannten; einen Nachttopf, einen Brief, ein Kissen, einen Basilikumtopf oder einen Ring. In Paliki auf Kephallonia wurde der Felsen von Kounopetra, der jahrhundertelang gewackelt hatte und den selbst britische Schiffe nicht aus dem Takt hatten bringen können, reglos und kam inmitten der Zerstörung des Landes zur Ruhe. Er wurde zu nichts weiter als einem weiteren Felsen am Meer, als die Insel sich umgestaltete, sich in eine Ödnis auflöste und Harmageddon probte.
In den Pausen, in denen der apoplektische Titan unter ihnen seine Kräfte sammelte und sich neue und zwingendere Gründe für seine Boshaftigkeit ausdachte, standen Pelagia, Drosoula und Antonia, sich Halt suchend aneinanderklammernd, da und schauten auf ihr Haus. Während die Steinplatten und Felskanten mit dem Lärm von Artillerie und Panzern zerbarsten, während die Straßen sich aufbäumten und wellten und die Säulen der venezianischen Balkone sich verdrehten und verbogen, taumelten und torkelten die drei Frauen in Unglauben und Kummer umher. Psipsina tauchte aus dem Nichts auf und schloss sich ihnen an. Ihr Fell war mit weißem Staub durchsetzt, und ihre Schnurrhaare waren mit Spinnweben verziert. Antonia nahm sie auf den Arm.
Vom alten Haus blieb wenig stehen; die Wände waren nur noch halb so hoch, und was übrig blieb, umgab nur noch Schutt und die Reste des Dachs. Darunter waren auch die desillusionierte Seele und der müde alte Körper des Arztes, der sich seine letzten Worte seit Jahren zurechtgelegt hatte, die nun aber alle unausgesprochen blieben.