Lebensbeichten und Gefühlsduseleien
Erschrocken starre ich auf meine Finger, leicht verwirrt darüber, dass mich Mailo direkt auf das kleine Schmuckstück angesprochen hat. Was soll ich ihm denn jetzt auf diese Frage antworten? Egal, was ich sage, es wird ihn unter Garantie vergraulen. Daher überlege ich krampfhaft, in welche Worte ich die Wahrheit am besten verpacke, ohne, dass er gleich darauf die Biege macht. Denn das will ich partout nicht, nein, ich möchte eher das Gegenteil, da ich mich in seiner Gesellschaft sehr wohl fühle. Erneut räuspere ich mich mehrfach, bevor ich mit gut durchdachten Worten zu reden anfange.
„Das, mein lieber Mailo, ist ein Ring. Und ja, er steckt an meinem Finger und symbolisiert eine Ehe. Mit einer Frau! Miriam heißt sie und wir haben vor knapp einem Jahr geheiratet. Bist du nun enttäuscht oder so was? Ich hoffe nicht.“
Ich kann schon etwas Traurigkeit in Mailos Blick erkennen. Möglicherweise ist es sogar ein wenig Frustration, weil er sich von unserem Treffen mehr versprochen hat, eventuell ist er davon ausgegangen, dass ich, genau wie er, schwul bin, und vor allem ungebunden.
„Nein!“, entgegnet er leise. „Von Enttäuschung zu sprechen wäre das falsche Signal. Ich bin froh, dass du mir die Wahrheit sagst, mir nicht verheimlichst, dass du mit einer Frau verheiratet bist, und mir damit durch die Blume mitteilst, dass wir eben nur gute Freunde werden können. Aber gut, geben wir dem Ganzen eine freundschaftliche Komponente. Ja, der schwule Student, der sich einem heterosexuellen Marktleiter anvertraut, ihm ganz nebenbei signalisiert, dass er eventuell eben diesen Mann etwas sympathischer findet und in ihm gern mehr sehen würde als nur einen guten Freund — genau der ist in ein Fettnäpfchen getreten. Tut mir leid, ich bin eben ein Schussel.“
Oh, fuck! Jetzt habe ich ihn wohl doch irgendwie gekränkt. Eventuell hätte ich ihm schon viel eher sagen sollen, dass es eine Frau in meinem Leben gibt. Aber wann, bitte schön, wäre denn die Zeit dafür reif gewesen? Hätte ich mich wirklich mit „Hallo, ich bin
Elias, hetero und verheiratet“
vorstellen sollen? Wohl eher nicht.
„Tut mir leid!“, hauche ich ihm entgegen und sehe Mailo mit ernstem Blick ins Gesicht. „Vielleicht hätte ich es dir vor unserem Treffen schreiben sollen, aber …“
„Quatsch!“, unterbricht Mailo mich und lächelt mich an. „Den Ring habe ich schon am Montag gesehen. Ich achte eben auf Hände, vor allem, wenn sie Männern gehören, die mir gefallen. Ich dachte halt nur, es gäbe eventuell eine klitzekleine Chance, dass dieses Teil da an deinem Finger nur eine Symbolik außerhalb einer Partnerschaft verkörpert oder schlicht und ergreifend gar nichts weiter zu bedeuten hat. Aber egal, ich muss mich wirklich entschuldigen, ich bin nicht der Typ, der Heteros angräbt, von daher halte ich mich in Zukunft zurück.“
Ich trinke meinen Cappuccino aus und signalisiere der Bedienung, dass wir noch gern zwei Tassen davon hätten.
„Sei einfach so, wie du bist, Mailo. Denn so gefällst du mir gut. Du bist mir sympathisch und das ist genau das, was ich momentan brauche. Einen Menschen, der mir gute Laune bereitet. Und das tust du, ganz ehrlich. Wie du ja weißt, habe ich letzte Nacht bei meinem besten Freund logiert. Das lag daran, dass Miriam und ich derzeit eine kleine Krise zu bewältigen haben.“
Mailo atmet tief ein und zischt dabei durch seine Zähne.
„Oh, wie blöd. Das gönnt man niemandem. Dann hoffe ich inständig, dass ich dich auf andere Gedanken bringen kann, damit du nicht so ein schlechtes Gefühl in dir trägst und nicht dauernd an sie denkst.“
„Tu ich nicht! Wirklich nicht. Ich kann mir zwar nicht erklären, warum, aber ich bin komischerweise nicht traurig, dass es so ist. Nein, sie ist gestern Abend über das Ziel hinausgeschossen und hat mir heute die Koffer vor die Tür gestellt, zusammen mit der Nachricht, dass ich mal ein paar Tage fernbleiben und sie nicht kontaktieren soll. Krass, oder?“
Mailo nickt und legt erneut diesen bestimmten Blick auf, der mich auf eine ganz besondere Art und Weise dahinschmelzen lässt.
„Das ist wirklich der Hammer“, antwortet er leise und mit leicht bedrücktem Unterton. „Und quartierst du dich jetzt für länger bei deinem Kumpel ein oder nimmst du dir ein Hotelzimmer? Was machst du?“
„Florian, also mein bester Freund, hat mir gestern schon seinen Zweitschlüssel gegeben und mir angeboten, dass ich so lange bleiben kann, wie ich will, er hat glücklicherweise ein Gästezimmer und Platz genug. Deshalb habe ich kein Problem.“
„Und zur Not könntest du auch bei mir auf dem Sofa schlafen. Also wenn du dich traust, bei einem schwulen Mann zu übernachten.“
Mailos letzter Satz lässt mich grinsen. Wieso sollte ich mich nicht trauen? Er würde sicherlich nicht sofort über mich herfallen wollen.
„Natürlich traue ich mich! Komme ich gern darauf zurück, falls ich Florian auf den Geist gehen sollte.“
„Na ja, ich würde dich dann aber heimlich begrabbeln, wenn du schläfst“, lässt sich Mailo mit einem breiten Lächeln und ironischem Unterton vernehmen. Ich stutze kurz, lache dann aber mit und bedanke mich im nächsten Moment bei der Bedienung, die uns die zuletzt bestellten Heißgetränke serviert.
„Wenn ich schlafe, merke ich eh nichts. Also, bedien dich“, antworte ich ebenso albern, woraufhin Mailo fast den ersten Schluck seines Cappuccinos wieder prustend freigibt.
„Das war also ein Angebot. Okay, jetzt wird es doch interessant. Nein, Ironie off. Schließlich bist du vergeben und somit tabu. Nix da, Mailo! Fingerchen weg.“
Während dieses Satzes klopft sich Mailo mit der linken Hand auf seine rechte, fast so, als würde er sich selbst erziehen wollen.
„Ich glaube, dass wir uns schon verstehen werden“, führe ich die Unterhaltung fort. „Wir können immerhin Humor von ernsten Dingen unterscheiden. Und deine kleinen Gefühlsduseleien mag ich an dir, ebenso wie deine Augen.“
Mailo horcht auf und stellt seine Tasse ab.
„Du magst meine Augen?“
„Aber hallo! Die sind mir sofort aufgefallen, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Diese Farbe und dein Blick, also diese Kombination aus beidem, das ist schlicht und ergreifend genial und sehr selten. Du kannst echt stolz darauf sein.“
„Danke, das ist ein sehr nettes Kompliment. Wow! Und das noch dazu von einer Hete! Ich bin sprachlos! Das muss ich erst mal verdauen.“
„Ist aber die Wahrheit. Und wenn wir schon bei Lebensbeichten und Gefühlen sind, dann sollte das auch gesagt werden dürfen, oder?“
„Öhm, ja! Das ist toll, dass du es mir nicht verschwiegen hast. Nun kann ich felsenfest behaupten, dass sogar eine verheiratete Hete diese grünen Dinger links und rechts neben meiner Nase schön findet. Puh, jetzt schwitze ich! Ist aber auch warm heute, oder? Sag mal, hast du nicht Lust, mit mir nachmittags noch zum See zu fahren? Oder hast du schon was anderes vor?“
In meinem Inneren brodelt es plötzlich und durch mein Gehirn schießt der Gedanke, dass ich auf gar keinen Fall zusagen sollte, doch bereits im nächsten Moment höre ich meine eigene Stimme, die freudig ein „Super Idee, klar können wir das machen!“ heraussprudelt. Mist, was zum Teufel denkst du dir denn bloß dabei, Elias Becker?
„Ehrlich? Hab eher mit einer Abfuhr gerechnet“, erwidert Mailo auf meinen Ausruf hin und schaut mich prüfend an. „Was hältst du denn vom Präriesee? Da fährt der Bus hin und …?“
„Oh, ich liebe diesen See“, unterbreche ich mein Gegenüber rasch und setze hinzu: „Aber den Bus brauchen wir nicht, ich habe doch ein Auto. Wieso bist du davon ausgegangen, dass ich ablehnen könnte?“
„Na ja, vielleicht ist es dir zu viel, mit einem schwulen Mann, den du kaum kennst, schwimmen zu fahren. Vor allem wegen der vielen nackten Haut, dazu das schwülwarme Wetter und so weiter.“
„Blödsinn“, stoße ich schnell hervor, „was für ein Quatsch. Ich fürchte bloß, in dem Fall sollten wir schnell eine Badehose für mich kaufen gehen, denn ich vermute mal, dass Miriam nicht gerade an so etwas Ausgefallenes gedacht hat. Ich habe zwar den einen Koffer bisher nicht ausgepackt, weil das zu viel für den Schrank gewesen wäre, ich kann mich allerdings nicht erinnern, meine Badeshorts beim flüchtigen Durchsehen entdeckt zu haben.“
„Na, das sollte sich doch machen lassen, ich stehe gern in beratender Weise zur Verfügung. Wenn wir ausgetrunken haben, okay?“
„Sehr gern“, stimme ich zu und nicke, um meine Bestätigung damit zu untermalen. „Mal sehen, ob ich da drüben was finde.“ Mit dem Kopf weise ich in die Richtung, in der sich ein paar Geschäfte befinden. „Ist immerhin Sommer, da räumen die Läden ja eher die Wintersachen in die Regale, zumindest kommt es einem so vor. Letzten Winter wollte ich eine dicke Jacke haben, bloß das war gar nicht so einfach, da hätte ich eher im Oktober nachfragen müssen, aber nicht erst im Januar.“
„Na komm, bei euch ist es doch auch immer ein bisschen schräg. Wenn ich allein daran denke, wann man Osterhasen oder Weihnachtssachen kaufen kann, das ist schon ziemlich grenzwertig, oder?“
„Da gebe ich dir absolut recht, doch du glaubst gar nicht, wie viele Kunden spätestens im August das erste Mal nach Lebkuchen fragen. Ich persönlich rühre diese Sachen ja nicht vor November an, das kenne ich noch so aus meiner Kindheit und genauso bleibt das auch.“
„Und wieder etwas, das uns verbindet“, wirft Mailo ein und lächelt mich dabei an, sodass mein Herz einen einzigen Schlag lang komplett aussetzt, bevor es in den alten Takt zurückkehrt. „Mir schmeckt das vorher überhaupt nicht und es ist mir völlig egal, ob alle sagen, dass es zu Weihnachten dann nicht mehr frisch ist. Und falls ich im Advent nichts mehr bekomme, trage ich es eben mit Fassung, ganz erwachsen.“
Das Lächeln auf Mailos Gesicht macht einem breiten Grinsen Platz und zudem zwinkert er mir zu. Sein Humor ist herrlich und meine Laune mittlerweile glänzend, wobei ich mich, trotz meines leicht verwirrten Zustands, auf den Nachmittag freue. Ein paar Stunden vollkommen unbeschwert sein, lachen und sich wohlfühlen. Ohne Stress und vor allem ohne meine zickige Ehefrau.
Wenig später stehen Mailo und ich in einem Kaufhaus in der Abteilung für Bademoden und sehen die diversen Modelle durch.
„Was hältst du von der hier?“, fragt Mailo und wirft mir ein Exemplar zu, das bestenfalls als Minislip, eher noch als Stringtanga durchgeht, aber garantiert nicht als Badeshorts.
„Ach du meine Güte, das Ding geht gar nicht, das ist ja viel zu winzig. Mensch, ich bin doch keine achtzehn mehr.“
„Neunzehn?“, kommt es fragend von Mailo, dazu klimpert er mit den Wimpern und sieht mich von unten herauf an, als könnte ihn kein Wässerchen trüben.
„Blödmann“, entwischt es mir spontan, wobei ich mir das Lachen nicht verbeißen kann und halblaut lospruste. „Sorry, aber du bist vielleicht ne Marke. Solche Dinger sind nicht ganz mein Stil, waren sie auch nie. Ich hätte gern eine richtige Shorts und keinen Sackhalter mit Bändchen dran.“
„Schade“, murmelt Mailo und wühlt weiter, während ich an einem anderen Tisch die etwas lockereren Exemplare sichte, zielsicher ein blaues Teil herausfische und hochhalte.
„Das Ding hier nehme ich. Ist meine Größe, das passt schon, ich probier so was nie an. Komm, eine reicht.“
An der Kasse bezahle ich meinen Einkauf und einige Minuten danach stehen wir an der Bushaltestelle, von wo aus wir beide, allerdings in unterschiedliche Richtungen, zu unseren jeweiligen Behausungen fahren werden, um ein paar Sachen für den Badenachmittag zu packen.
„Wo soll ich dich eigentlich einsammeln?“
Ein klitzekleines bisschen neugierig sehe ich Mailo an.
„Ich wohne in der Nähe der Uni, ist ganz praktisch. Aus welcher Ecke kommst du denn derzeit?“
„Aus der Weststadt. Normal ja aus Richtung Klinikum, aber … also wo treffen wir uns nachher?“
„Weststadt? Da bin ich aufs Gymnasium gegangen, wie wäre es direkt vor dem Hauptgebäude? Das finde ich. Sagen wir gegen vier? Das sollten wir schaffen, auf diese Weise haben wir noch ein bisschen was von der Sonne, aber es ist nicht mehr ganz so voll.“
„Okay, das passt mir gut, bis nachher also. Ich warte da auf dich. Mein Auto ist übrigens knallrot, nicht zu übersehen.“
„Bis später dann, ich freu mich“, erwidert Mailo, bevor er mit großen Schritten auf die Haltestelle zugeht, an der sein Bus wenig später abfährt.
Ich sehe ihm noch einen Moment lang hinterher, muss mich jedoch gleich darauf beeilen, denn auch mein Bus rollt an die Haltestelle, sodass ich etwas außer Atem auf meinen Platz sinke. Mein Herz wummert, was allerdings nicht nur der kurzen Anstrengung des Laufens zuzuschreiben ist, sondern zu einem nicht unerheblichen Teil den Gedanken an den kommenden Nachmittag. Allein mit Mailo. Leichtbekleidet, eventuell trägt er sogar nur solch eine knappe Badehose, wie er sie vorhin für mich ausgesucht hatte. Figurbetont. Dazu von der Sonne aufgeheizte Haut und Schweiß, der langsam über seinen Körper perlt. Wassertropfen, die aus seinen Haaren über sein Gesicht rinnen. Fuck! Ich bekomme einen Ständer!