Prolog
N ach all den Verletzungen, die ihr an den empfindlichsten Stellen ihres mit Blutergüssen übersäten Körpers schon beigebracht wurden; nach den Schlägen ins Gesicht, auf den Rücken, in Nieren und Unterleib, worauf ihr Urin für Tage die Farbe Roter Bete annahm; nach all den Schmerzen, die er ihr mit Gartenschlauch und Bügeleisen zugefügt hatte, hätte sie niemals gedacht, so etwas jemals wieder empfinden zu können.
Der Sex war der Wahnsinn, dachte sie im Halbdunkel auf dem Bett liegend, aus dem der Mann, in den sie sich unsterblich verliebt hatte, bereits aufgestanden war, um ins Bad zu gehen.
Nicht, dass sie viele Vergleichsmöglichkeiten gehabt hätte. Sie hatte vor ihrem Ehemann nur zwei Liebhaber, doch das schien unendlich lange her. Die negativen Erfahrungen der Gegenwart hatten die positiven der Vergangenheit längst verdrängt.
Seit Jahren war alles, was sich im Schlafzimmer abspielte, für sie nur mit Schmerzen und Demütigung verbunden gewesen.
Und jetzt liege ich hier. Atme und rieche den Duft eines neuen Mannes in meinem Leben und wünsche mir, die Liebesnacht würde wieder von vorne beginnen.
Sie war über sich selbst erstaunt, wie schnell sie sich ihm anvertraut und ihm von der Gewalt erzählt hatte, unter der sie in ihrer Ehe litt. Doch sie hatte sich vom ersten Moment an zu ihm hingezogen gefühlt, als sie seine tiefe Stimme gehört und ihm in warme, dunkle Augen gesehen hatte, die sie anblickten, wie ihr Ehemann sie noch nie betrachtet hatte. Offen, ehrlich, liebevoll.
Beinahe hätte sie ihm sogar von dem Video erzählt. Von dem Abend, zu dem ihr Ehemann sie gezwungen hatte.
Mit den Männern.
Vielen Männern, die sie misshandelt und gedemütigt hatten.
Kaum zu glauben, dass ich mich noch einmal in meinem Leben freiwillig einem Vertreter des »starken« Geschlechts hingegeben habe, dachte sie und lauschte auf das Rauschen der Dusche, in die ihr Traummann verschwunden war.
Normalerweise war sie es, die nach ihrer »Benutzung« durch ihren »Gatten« stundenlang versuchte, sich den Ekel vom Leib zu schrubben, doch jetzt genoss sie den herben Geruch einer Affäre auf der Haut und wollte ihn am liebsten für immer konservieren.
Das Wasserrauschen stoppte.
»Magst du noch etwas unternehmen?«, hörte sie ihn gut gelaunt aus dem Bad rufen, nachdem er wohl aus der Dusche getreten war.
»Furchtbar gerne«, antwortete sie, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie sie ihrem Mann erklären sollte, dass sie noch länger ausblieb.
Immerhin war es …
Sie sah auf ihre Armbanduhr, doch es war zu schummrig, um das Ziffernblatt zu erkennen. Abgesehen von dem Strahl, der durch den kleinen Spalt der angelehnten Badezimmertür ins Schlafzimmer fiel, spendete nur ein sanft illuminiertes Kunstwerk etwas Licht. Ein leicht gebogener Samuraidolch mit grünlich schimmerndem Perlmuttgriff hing an der Schlafzimmerwand, von zwei gedimmten LED -Strahlern angeleuchtet, die allerdings auch nur für eine nachtlichtgleiche Atmosphäre sorgten.
Sie griff nach ihrem Handy, dabei fiel ihr Blick auf eine Leiste mit Lichtschaltern, die direkt in den Nachttisch eingelassen waren.
»Einen Cocktail trinken vielleicht?«
Sie drückte den äußersten Knopf der Leiste und musste kichern, denn offensichtlich war seine Funktion eine andere. Da das Laken verrutscht war, konnte sie direkt auf die Matratze sehen, die nun in einem halogenblauen Farbton leuchtete, was die Illusion erzeugte, als liege sie auf einer Luftmatratze in einem Swimmingpool.
Sie setzte sich im Schneidersitz auf die Matratze, deren Wasserfüllung so hell und leuchtend strahlte wie die fluoreszierende Füllung eines Knicklichts. Zudem wechselte sie die Farben. Von Azurblau zu einem Phosphorgelb zu einem blendenden Weiß zu einem  …
»Was ist das?«, fragte sie.
Leise. Mehr zu sich selbst, denn im ersten Moment war sie ehrlich erstaunt. Sie beugte sich nach vorne, um nun durch die Raute zu blicken, die sich zwischen Schenkeln und Schritt bildete.
Oh, Herr im Himmel …
Entsetzt schlug sie sich die Hand vor den Mund und starrte auf die Matratze, auf der sie vor wenigen Minuten noch einen Mann geliebt hatte.
Ich halluziniere. Ich sehe nicht wirklich, wie …
»Du hast es also entdeckt«, sagte eine fremde Stimme links von ihr. Und als hielte der Unbekannte, der nun in der Badezimmertür auftauchte, eine Fernbedienung, mit der er das Grauen steuern konnte, leuchtete das Bett unter ihr blutrot auf. Der Anblick, der sich ihr daraufhin bot, war so entsetzlich, dass sie sich am liebsten die Augen ausgerissen hätte.
Ja, sie hatte es entdeckt, wobei es keinen Sinn ergab. Ihr Verstand wollte das Grauen nicht akzeptieren, einfach weil das, was sich ihr zeigte, jegliche menschliche Vorstellungskraft sprengte.
»Wo ist er? Was hast du mit ihm gemacht?«, schrie sie den Fremden an, lauter als je zuvor, während das Monster in Menschengestalt mit einer Spritze an das Bett trat und süffisant grinsend sagte: »Vergiss jetzt mal bitte deinen Liebhaber. Ich finde, es ist an der Zeit, dass du mich kennenlernst.«