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Klara
Einige Monate zuvor
Z
ieh dir etwas Geschäftsmäßiges an«, hatte Martin zu Klara gesagt. »Dein dunkelblaues Business-Kostüm mit dem Bleistiftrock und der weißen Bluse unter dem Blazer. Die Prada-Pumps, keine Peeptoes, keine High Heels. Es muss aussehen, als kämst du gerade aus einem Kanzleimeeting.«
Sie wusste, es war ihm peinlich, dass seine Frau »nur« eine medizinisch-technische Assistentin in einer psychiatrischen Praxis war und keine Unternehmensberaterin oder Anwältin.
»Also dezenter Schmuck, die Chopard-Uhr, die ich dir in Istanbul gekauft habe, eine Perlenkette, dazu die passenden Ohrstecker.«
Sie hatte Martin gehorcht, wie immer. In den sieben Jahren ihrer Beziehung, von denen immerhin drei mit Trauschein legitimiert waren, hatte sie gelernt, nicht zu viele Fragen zu stellen. Und sich »geschäftsmäßig« anzuziehen war im Vergleich zu vielen seiner sonstigen Wünsche harmlos; im Grunde sogar angenehm. Das letzte Mal hatte sie Overknees und einen Latexrock tragen müssen, um ihn in einem Pornokino am Adenauerplatz zu treffen. Verglichen damit war ein Luxushotel wie das Le Zen
das Paradies auf Erden.
Dachte Klara. Wohl wissend, dass das Tor zur Hölle auch von einem livrierten Pagen mit charmantem Lächeln aufgehalten werden konnte, der einem den Weg über den mit chinesischem Marmor ausgelegten Boden durch die Lobby zu den Fahrstühlen wies. Wo sie eine der Aufzugskabinen betrat. Den vierten, offenbar geheimen Speakeasy-Lift, dessen Beleuchtung so gedämpft war, dass man einige Zeit brauchte, um sich an das Schummerlicht zu gewöhnen.
Alt
, dachte Klara, als die Konturen ihres Gesichts im Fahrstuhlspiegel schärfer wurden.
Faltig und unförmig.
Martin sagte es ihr täglich. Seit Amelies Geburt wurde er nicht müde, sie auf die Auswirkungen der Schwangerschaft hinzuweisen und ihre Charakterschwäche zu verdammen, weil sie diese nicht behob.
Die Tür zum 19. Stockwerk öffnete sich.
Mit wackeligen Knien trat Klara in den nach Patschuli-Raumspray duftenden Hotelflur, der überhaupt nicht wie ein Hotelflur wirkte. Eher hatte sie den Eindruck, mit dem Fahrstuhl direkt in das Treppenhaus eines mehrstöckigen Luxuspenthouse gefahren zu sein. Eine halb geschwungene, absurd breite Edelholztreppe wand sich vor dem überlebensgroßen Ölgemälde eines weißhaarigen, zahnlosen Chinesen zu einer Galerie hinauf. Rechts und links des ersten Absatzes wurde die Treppe von mannshohen, zylinderförmigen Blumenvasen flankiert, in denen die größten Sonnenblumen standen, die Klara je gesehen hatte.
Dazwischen, als hätte sie gerade die Stufen einer Showtreppe genommen, stand eine lächelnde Fee, zumindest wirkte die schmerzhaft idealgewichtige, ganz in Schwarz gekleidete Erscheinung auf Klara wie eine solche.
»Hallo und herzlich willkommen bei V.P., mein Name ist Lousanne.« Sie lachte.
Sie sprach die Buchstaben englisch aus, es klang entfernt wie V.I.P.
»Wie schön, dass Sie gekommen sind. Waren Sie schon einmal bei uns?«
Klara schüttelte den Kopf, eingeschüchtert von der Schönheit der Empfangsdame. Blutjung, mit großen, dunklen Disneyaugen, die bei jedem Mann einen Beschützerinstinkt auslösten und jeder Frau zu verstehen gaben, dass sie machtlos war, wenn Lousanne es darauf anlegte, ihren Ehemann zu verführen.
Klara fühlte einen Stich, weil sie sich an ihr eigenes Leben erinnert fühlte; damals, als sie während ihrer Ausbildung nachmittags nach der Berufsschule als Aushilfe am Empfang der Anwaltssozietät am Ku’damm gesessen hatte. Als sie jedem Klienten mit einem ähnlichen Lächeln entgegengetreten war, einen Kaffee angeboten und ihn gebeten hatte, im Wartezimmer Platz zu nehmen, solange der Anwalt oder Notar noch in einem Gespräch war. Auf diese Art hatte sie Martin kennengelernt. Damals hatte sie sich noch so selbstbewusst und frei gefühlt wie Lousanne, deren Körperhaltung Stolz, aber auch Understatement ausstrahlte, mit dem sie jedem Gast zu verstehen gab, dass ihre Tage am Empfang nur ein Zwischenschritt waren und sie eigentlich zu Höherem berufen war.
Aus großer Höhe kann man tief fallen,
dachte Klara und wunderte sich im nächsten Moment über Lousannes Bitte: »Wenn Sie uns zum ersten Mal mit Ihrer Anwesenheit beehren, würde ich Sie bitten, unseren Mitgliederfragebogen auszufüllen.«
Lousanne drehte sich um, und Klara staunte über den tiefen Rückenausschnitt ihres Kleides. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Sie führte Klara zu einer brusthohen, marmornen Säule neben einer der Sonnenblumenvasen. Darauf lag ein Lederetui, das sie schwungvoll öffnete. Lousanne entnahm ihm einen wattierten Umschlag und reichte ihn Klara zusammen mit einem weißen Montblanc-Füllfederhalter aus Porzellan.
»Haben Sie sich denn bereits für ein Level entschieden?«
Level?
Sie zuckte mit den Achseln.
»Keine Sorge, Sie können die Farbe jederzeit ändern.«
Farbe?
Klara zitterte bei dem Versuch, den Umschlag aufzureißen, als er ihr aus der Hand gerissen wurde.
»Nicht nötig, Schatz. Ich hab die Formalitäten bereits für dich erledigt.«
Erschrocken fuhr sie herum. Martin war wie aus einer Geheimtür in den Raum gesprungen und stand plötzlich neben ihr. Der Umschlag (mit einem Mitgliederantrag? Wofür? War das ein Club?)
lag nun in seiner Hand, und er lächelte spitzbübisch. Frisch rasiert, frisch geduscht, die grauen, lockigen Haare mit Wachs gebändigt, roch er so gut wie bei ihrem ersten zufälligen Zusammentreffen in der Anwaltskanzlei.
»Darf ich dich kurz sprechen?«, fragte Klara mit dem Versuch eines Lächelns, was kläglich scheiterte, und deutete auf die Tür, aus der Martin vermutlich gerade gekommen war. Direkt neben dem Fahrstuhl schien es zu den Toiletten zu gehen, im Gang zu den Waschräumen waren sie vielleicht ungestört.
Martin schüttelte den Kopf. »Reden können wir hinterher, dann haben wir auch mehr Gesprächsstoff.« Er griff nach ihrer Hand. Mit etwas mehr Druck als notwendig.
Er nickte Lousanne zu und führte Klara nach oben.
»Was geschieht hier?«, flüsterte Klara gepresst.
Martin nickte, als hätte sie eine kluge Frage gestellt, ließ sie jedoch unbeantwortet, während er ihr eine Hand gegen das Schulterblatt presste und sie sanft drängend nach oben leitete.
»Ich meine es ernst, Martin. Was hast du wieder vor?«
»Sei doch keine Spielverderberin«, hörte sie ihn lächelnd sagen, einen Schritt hinter ihr.
Am oberen Ende der Treppe mündete die Galerie in einen mit grauem Teppich ausgelegten Flur, der an seinem hinteren Ende auf eine große, schwarze Flügeltür zulief. Darauf war ein rotes Pi gemalt.
Martin öffnete die Tür mit einer elektronischen Keycard.
»Bitte …«, setzte Klara an und musste an ihre sechsjährige Tochter Amelie denken, die hoffentlich friedlich und ahnungslos, vom Babysitter behütet, in ihrem Bettchen schlief. Sie folgte Martin in das Hotelzimmer, obwohl alle ihre Sinne sie davor warnten.
Mit gesenktem Blick, weil sie sich vor dem fürchtete, was sie erwartete.
»Ich muss auf die Toilette«, krächzte sie.
»Das kann warten«, bestimmte Martin, und dann bewegte sich etwas in dem Raum, und Klara konnte nicht länger wegsehen.
Sie hatte mit einer Suite gerechnet, einem Bett und vielleicht einer Sitzecke vor einer Fensterfront mit Aussicht auf die Gedächtniskirche und den Zoo-Palast, und all das war auch vorhanden. Nur dass das Bett kreisrund war und in der Mitte des Zimmers stand, das bestimmt dreimal so groß war wie ihre Bude im Prenzlauer Berg, in der sie gewohnt hatte, bis sie zu Martin gezogen war.
»Was geht hier vor?«, sagte sie, etwas schwer verständlich, da sie sich unbewusst die Hand vor den Mund geschlagen hatte.
Sie starrte in ein halbes Dutzend identischer Gesichter. Alle Männer trugen die gleiche Maske. Ein Tränen lachendes Emoji.
Ihr selbst war zum Heulen zumute.
»Was macht ihr mit ihr?«, fragte sie mit kraftloser Stimme. Das Entsetzen lähmte sie. Klara wünschte, auch das junge Mädchen auf dem Bett, um das sich die gesichtslosen Smokingträger herum aufgestellt hatten, wäre nur das Werk einer Maskenbildnerin.
Aber das Blut, das ihr aus dem Mund über die nackten Brüste tropfte, war echt.