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D ie Gequälte kauerte wie ein Hund auf allen vieren auf der Matratze. Nur auf einer Hand abgestützt, der linke Arm hing wie ein gebrochener Flügel an ihrem dürren Körper herab.
»Bitte«, flehte sie stumm, als Klaras und ihr Blick sich trafen. Ihr fehlten mindestens zwei Frontzähne.
»Sag ›Hallo‹ zu Shaniqua.« Martin lachte. »Natürlich nur ihr Künstlername, aber sieht sie nicht aus wie eine indianische Schönheit?«
Eher wie eine Sterbende am Marterpfahl, dachte Klara. Das dunkelhaarige und -häutige Mädchen – sie konnte nicht älter als achtzehn sein – hatte eine zierliche Figur. Bei jedem ihrer stoßweise gehenden Atemzüge bohrten sich die Rippen wie Fingerknochen eines alten Mannes durch die Haut über ihrem Brustkorb, der von Blutergüssen und offenen Wunden gezeichnet war.
Sie bekam kaum Luft, so eng war das Hundehalsband gezogen, dessen Leine ein kräftiger Kerl mit zerknitterter Abendgarderobe hielt. In der anderen Hand hatte er einen Lötkolben, mit der ihr offenbar bereits Verletzungen auf dem Rücken und dem Hintern beigebracht worden waren.
Ich bin in der Hölle.
Klara wollte dem Mädchen zu Hilfe eilen, aber Martin hielt sie von hinten fest, zog sie zu sich heran und umarmte sie, als wären sie ein verliebtes Paar, das auf dem Balkon stehend eine wunderschöne Aussicht genoss.
»V.P. ist nur ein Spiel, Schatz«, flüsterte ihr Martin ins Ohr.
Auch er trug jetzt eine Smiley-Maske, die Klara an der Wange kratzte. Ihr wurde übel, als er ihr die Abkürzung übersetzte: »Violence Play«. Zwei englische Wörter, die so entsetzlich gegensätzlich waren, dass sie in keiner Welt unter keinen Umständen in Zusammenhang gebracht werden dürften.
Gewalt? Spiel?
Großer Gott.
Klara hatte gehofft, es würde besser werden mit Martins »Ideen« und »Rollenspielen«, sobald er erst einmal Vater war. Das Gegenteil war der Fall gewesen, denn mit dem Kind hatte er ein Druckmittel in der Hand.
»Wenn du nicht mitspielst, werden alle erfahren, was Mama alles so getan hat. Dann werden sie die Fotos und Videos davon im Internet sehen und anhören müssen, wie kaputt diese liebe Mutti ist, denn genau darüber wird auf dem Schulhof und beim Elternabend getuschelt werden. Und dann nehme ich dir das Kind weg, und ohne Amelie bleibt dir nichts außer einem Ausblick auf einen Marzahner Hinterhof, den du von deinem Fensterplatz im Plattenbau begutachten kannst.«
»Ihr Schweine, lasst sie sofort gehen!«, forderte Klara und nutzte die Gelegenheit, dass Martin sie losließ. Sie trat einen Schritt auf das Mädchen zu, das schreckhaft zurückzuckte. Es verlor das Gleichgewicht, stützte sich auf dem gebrochenen Arm ab und schrie vor Schmerz.
»Halt’s Maul!«, bellte der Mann mit der Hundeleine und riss an ihr. Mit zwei Schritten war Klara bei ihm und schrie ihn an: »Du lässt sie sofort in Ruhe, du perverses Schwein!«
Sie sah sich nach einem Telefon in der Suite um, mit dem sie Hilfe holen konnte. Ihr Handy hatte sie auf Anweisung von Martin im Auto gelassen.
»Ihr habt sie gehört«, sagte ihr Mann derweil in die Runde. »Meine Frau trägt keine Maske und kein Armband. Das bedeutet, sie ist heute die Königin.«
Alle Anwesenden nickten. Klara hatte das Gefühl, Zeugin der Abstimmung einer geheimen Loge geworden zu sein, deren Gesetze sie nicht verstand.
»Königin?«
»Ja, mein Schatz«, sagte Martin. »Du hast heute das Recht der finalen Maßnahme.«
Der Mann mit der Hundeleine hob die Hand mit dem Lötkolben. Das Kabel steckte in einer Verlängerung, und das Gerät glühte.
»Was für eine finale Maßnahme?«, fragte Klara, dabei wollte sie die Antwort gar nicht wissen. Alles, was sie wollte, war weglaufen. Fort von hier. Aus dem Zimmer. Aus dem Hotel. Aus ihrem Leben.
»Wir haben unser Spielgerät (Martin sagte tatsächlich Spielgerät!) von ihrem Besitzer zur freien Verfügung gekauft. Das bedeutet, wir können alles mit ihr machen.«
Klara war sich sicher, dass er unter seiner Maske diabolisch grinste.
»Und mit ›alles‹ meine ich ›alles‹.« Er rieb sich die Hände. »Heute wollen wir sie noch blenden oder striegeln.«
»Ihr macht gar nichts mehr mit ihr, ihr kranken Mistker…«
»Ganz genau«, unterbrach Martin sie. »Wir nicht. Sondern du. Du hast die Wahl. Willst du mit dem Lötkolben ihre Augen oder ihre Vulva veredeln?«
Allein die Worte waren wie ein Schlag in den Unterleib. Klara hatte das Gefühl, sich vor Schmerzen krümmen zu müssen. Sie hatte geahnt, dass es Frauen gab, die noch Schlimmeres als sie zu erdulden hatten. Zwangsversklavte Prostituierte aus verarmten Ländern, von ihrer Familie als junge Mädchen an Zuhälter verkauft, die sie im Ausland psychotisch sadistischen Kunden zur »freien Verfügung« anboten. Sie hatte gehofft, niemals in der Realität dem Entsetzen zu begegnen, vor dem selbst sie, als Opfer häuslicher Gewalt, verdrängend die Augen verschloss.
»Ich bin die Königin?«, fragte sie Martin, während sich eine Idee in ihr formte.
»Das bist du!«
»Ich darf entscheiden?«
»Ganz genau.«
Sie holte tief Luft. »Gut. Dann entscheide ich hiermit, dass ihr alle sie sofort gehen lasst.«
Klara hielt in Erwartung einer Ohrfeige die Luft an.
»Okay.«
Zu ihrer Verblüffung erhob ihr Mann keinen Einspruch, sondern klatschte dreimal in die Hände. Eine mit Seidenpapier bezogene Schiebetür öffnete sich.
»Herr Doktor, wenn Sie so gut wären. Die Königin hat entschieden, dass für unser Gerät die V.P.-Runde vorbei ist.«
Ein ebenfalls maskierter Mann, der tatsächlich einen Arztkittel trug, schob wortlos eine Krankenliege aus dem Nebenzimmer.
Zwei Smokingträger zogen die halb bewusstlose Shaniqua – oder wie immer die Schwerverletzte hieß – wie einen Sack Kartoffeln von der Matratze und trugen sie zu dem angeblichen Doktor.
Klara wollte ihnen folgen, doch Martin hielt sie am Arm fest.
»Wo willst du hin, Liebes?« Er zog sie zu sich heran wie ein Tänzer seine Tanzpartnerin bei der Pirouette.
»Ich rufe die Polizei.«
Martin schüttelte heftig den maskenbewehrten Kopf. »Oh, das hätte ich dir erklären sollen, Schatz. Unsere V.P.-Session ist natürlich längst nicht vorbei.«
Ihr Mann sah dem Arzt und dem Mädchen auf ihrem Weg durch die Ausgangstür der Suite hinterher, ohne den Griff um Klaras Handgelenk zu lockern.
»Lass mich los!«
»Das darf ich leider nicht. Unsere Regeln besagen: Wenn die Königin ein Spielgerät freilässt, wird sie selbst zum Spielgerät. Und da du kein farbiges Armband trägst …«
Die Tür fiel hinter dem »Doktor« und dem Mädchen ins Schloss.
Martin packte Klara an den Haaren und riss ihren Kopf so stark zu sich heran, dass ihr die Tränen in die Augen schossen.
»… heißt das, wir können alles mit dir machen. Du kennst keine Tabus.«
Er gab dem Mann, der eben noch die Hundeleine gehalten hatte, ein Zeichen, worauf dieser einen Schritt auf Klara zutrat und ihr zum ersten von vielen weiteren Malen in dieser Nacht mit der Faust in den Magen schlug.