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B leiben Sie dran, was immer auch geschieht, legen Sie nicht auf«, flüsterte Jules und schaltete über einen Regler an seinem linken Kopfhörer das Gespräch stumm.
Ob sie sich daran hielt?
Oder hatte er ohnehin schon die Verbindung zu ihr verloren? Und wenn, dann für immer?
Jules klopfte das Herz bis zum Hals, doch er hatte keine Wahl.
Klaras Worte vom Anfang ihres Telefonats kamen ihm in den Sinn. »Er wird nicht glauben, dass es nur ein Versehen ist. Dass ich mich verwählt habe. Verdammt, wenn er herausfindet, dass ich Sie angerufen habe, wird er auch zu Ihnen kommen.«
Das Kratzen war in ein Klimpern übergegangen, wie Wechselgeld in einer Keramikschüssel. Kurz war es lauter geworden, Jules meinte sogar, im Flur jemanden husten gehört zu haben. Doch jetzt herrschte wieder Stille in der Altbauwohnung.
Er griff auf dem Küchenblock nach dem Handy, mit dem er seinen Vater angerufen hatte, damit der mithören konnte.
»Bist du noch dran?«, fragte er ihn leise und verließ die Küche.
»Nein, ich hab aufgelegt.«
Im Flur warf das Nachtlicht seinen Schatten an die Wand; Jules wirkte wie ein übergroßer Stelzenläufer.
»Lass die Witze. Bist du nüchtern?«
»Jetzt bist du es, der witzig ist.«
»Touché.«
Es war lange nach achtzehn Uhr, sein Vater hatte seinen Pegel längst erreicht, was im Grunde gut war. Der alte Säufer funktionierte besser, wenn er auf hochprozentigen Umdrehungen lief.
»Hast du alles verstanden?«
Das Parkett ächzte unter seinen Schritten, obwohl sie von einem dicken Läufer gedämpft wurden. Die Geräusche, von wem auch immer sie stammten, waren nicht zurückgekommen.
»Nein, was um Himmels willen war das? Wobei zur Hölle hast du mich da mithören lassen?«
»Die Frau wird vom Kalender-Killer bedroht.«
»Okay, Junge. Du weißt, du kannst immer auf mich zählen, aber …«
»Erspar mir das«, unterbrach Jules seinen Vater. »Noch mal: Nur weil ich dich hin und wieder anrufe, heißt das nicht, dass ich dir verzeihe.«
»Wohl aber, dass du meine Hilfe brauchst.«
Für einen wimpernschlagkurzen Moment horchte Jules in sich hinein, ob er ein schlechtes Gewissen haben musste. Wann immer sie telefonierten, und das war seit Dajanas Suizid bestimmt ein Dutzend Mal gewesen, hatte er nie mit seinem biologischen Erzeuger sprechen wollen, sondern immer nur mit Hans-Christian Tannberg, dem erfolgreichsten Versicherungsdetektiv seiner Zunft. H. C., wie er von seinen Kollegen genannt wurde, arbeitete freiberuflich für die größten Konzerne wie Axa, Allianz oder HUK . In den letzten zehn Jahren war niemand einer größeren Zahl Versicherungsbetrüger auf die Schliche gekommen als Hans-Christian Tannberg.
»Wieso flüsterst du die ganze Zeit? Und was genau willst du von mir?«, fragte er.
»Dass du deinen Arsch nicht vom Fleck wegbewegst, die Finger von der Hausbar lässt und die Leitung freihältst. Ich ruf in zehn Minuten wieder durch.«
Ohne Abschiedsfloskel drückte er seinen Vater weg und war sich plötzlich sicher zu wissen, was er gerade gehört hatte. Denn jetzt stand er direkt vor der Quelle des Geräusches.
Das Klimpern stammte von einem Schlüsselbund, das am Haustürschlüssel herab an der Wohnungstür hing. Die einzelnen Schlüssel des Bundes, das noch immer hin- und herschwang, hatten gegeneinandergeschlagen, wofür er sich nur eine Erklärung denken konnte:
Jemand versuchte, sich von außen Zutritt zu verschaffen.