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Klara
N
ein heißt Ja.«
Der wohl perfideste Kommentar von Männern, wenn sie gefragt wurden, wieso sie weitergemacht hätten, obwohl ihre Partnerin sie doch gebeten hatte aufzuhören.
»Bitte, du tust mir weh.«
»Hör auf.«
»Ich will das nicht!«
Klara wusste, diese Sätze würden in wenigen Sekunden, sobald der »Meistbietende« bei ihr war, keinerlei Bedeutung mehr haben. Martins Sklavenauktion hatte gefühlt weniger als zehn Minuten gedauert, und nun näherte sich ein groß gewachsener Mann mit langsamen Schritten von der Notausgangstür ihrem Wagen. Noch wenige Sekunden, dann würde der breitschultrige Kerl mit dem Gang eines leicht betrunkenen Seemanns sie »benutzen« und dabei nur das hören, was er hören wollte:
Ja.
Mach weiter!
Härter!
Einmal hatte sich eine ihrer Arbeitskolleginnen in der Mittagspause über die »geldgeilen Hühner« lustig gemacht, die Jahre warteten, bis sie eine Vergewaltigung zur Anzeige brachten, meistens dann, wenn Geld im Raum stehe, weil der »angebliche Unhold« zu Ruhm und Ehre gelangt war. Klara war so übel geworden, dass sie ihr mitgebrachtes Sandwich auf der Praxistoilette auskotzen musste. Sie war nicht in der Lage gewesen, dieser Kollegin aus eigener Erfahrung zu schildern, dass man sich wie Abfall fühlte, wenn das Sperma noch aus der aufgerissenen Vagina in den blutigen Slip lief. Dass man sich am liebsten ein Jahr bei hundert Grad unter der Dusche die Haut vom Körper kochen würde, anstatt unmittelbar nach der Tat die Vergewaltigung von einem Unbekannten dokumentiert zu wissen; dass es meistens Männer waren, die den Tathergang aufnahmen, aber man auch keine Frauenhände an seinem geschändeten Körper zur Beweissicherung ertrug. Für einen Prozess, in dem Aussage gegen Aussage stehen würde; in dem die Gegenseite versuchen würde, einen als Schlampe darzustellen (es gibt ja sogar Videos davon, wie sie sich von anderen Kerlen auspeitschen lässt),
und der Mann am Ende, wenn es richtig, richtig gut lief, mit einer Bewährungsstrafe das Gericht verließ, während man selbst eine lebenslange Scham in sich trug.
Klara schüttelte den Kopf und weinte.
Nein,
sie würde auch heute nichts sagen. Selbst wenn der Kerl, der trotz der Kälte der Nacht nur ein langärmeliges weißes T-Shirt und schwarze Jeans trug, ihr sämtliche Knochen im Leib brach.
Klara drückte zum wiederholten Mal den Knopf für die Innenverriegelung, obwohl sie wusste, dass es sinnlos war, denn Martin hatte in abgründiger Voraussicht hinten den Kofferraumdeckel etwas geöffnet, um dem Meistbietenden problemlosen Einstieg in das Fahrzeug zu garantieren.
Der »Spieler« (so nannten sich die Teilnehmer dieser perversen Abende) hatte seinen Teil der Abmachung eingehalten. Das Geld musste bereits online von seinem Account avisiert sein, so waren die Regeln. Er hatte Martin den Sklavenlohn überwiesen, und das bedeutete, er durfte alles mit ihr machen, sie würde alles ertragen müssen. Sehr wahrscheinlich dachte dieser Abschaum von Mann genauso wie Martin. Dass Frauen es ohnehin wollten. Und es sein Recht war, denn er hatte ja schließlich bezahlt.
Nein heißt Ja.
Erst recht, wenn es um eine verheiratete Frau ging, die ihrem Mann zu gehorchen habe. Wie hatte ein ranghoher Politiker einmal im Bundestag argumentiert, warum die Vergewaltigung in der Ehe straflos bleiben müsse: »Zum ehelichen Leben gehört auch, die Unlust des Partners zu überwinden. Der Ehemann ist nicht darauf aus, ein Verbrechen zu begehen – manche Männer sind einfach rabiater.«
Oh ja, das sind sie.
Martin hat mir bestimmt ein ganz besonders »rabiates« Exemplar ausgesucht,
dachte Klara und hielt unbewusst die Luft an, als der Mann etwa fünf Meter von ihr entfernt vor dem Wagen stehen blieb und sie wie ein Raubtier ansah, das seine Beute taxierte. Sie stand kurz davor zu schreien. Allein der Gedanke daran, was ihr gleich angetan würde, während sie hilflos an den Haltegriff gekettet war, erzeugte bei ihr körperliche Schmerzen.
Ich hab noch eine Chance
, dachte sie. Eine allerletzte Chance.
Klara beugte sich zur Seite, streckte den fixierten Arm, so weit es ging, aus und versuchte, mit der Linken die Fahrertür zu erreichen, genauer gesagt das Innenfach, in das Martin vorhin Hendriks Pistole gelegt – und vergessen!!!
hatte.
»Du dummer Idiot«, sprach sie laut aus und schöpfte mit jedem Fluch, bei dem sie ihren Mann vor Augen hatte, neue Kraft. War die blöde Sau tatsächlich ausgestiegen, ohne die Waffe mitzunehmen!
Verglichen mit den Handschellenschlüsseln war die Pistole wesentlich größer und nicht eingeklemmt, weshalb sie für Klara leichter zu greifen war. Ihr Herz schlug wie der Huf eines zornigen Pferdes gegen den Brustkorb. Sie spürte den Schmerz im Handgelenk nicht mehr, so groß war die euphorisierte Aufregung darüber, dass sie den Lauf in den Händen hielt.
Beinahe.
Geschafft,
dachte Klara schon, doch in dem Moment entglitt ihr die Waffe wieder. Nicht, weil sie ihr aus den angstfeuchten Fingern rutschte, sondern weil sich der Abstand zwischen ihrer Hand und dem Innenfach auf einmal wieder vergrößerte. Der »Spieler« war ihr zuvorgekommen und hatte die Fahrertür geöffnet.
Mit dem aufflammenden Innenraumlicht erlosch der letzte Widerstandswille in Klara. Mit dem, was jetzt beginnen würde, war ihr Ende eingeläutet. Nur dass es nicht länger selbstbestimmt sein würde. Sondern begleitet von Schmerzen, die ihr ein Fremder zufügte.
Der massige Kerl, der viel zu groß für den Kleinwagen war (und viel zu groß für einen zierlichen Frauenkörper), ließ sich auf den Sitz fallen und brachte allein dadurch das Fahrzeug zum Schaukeln.
»Hallo, Lady«, sagte der Mann und schloss die Tür. Dann wandte er das Gesicht zu Klara. »So sieht man sich wieder, was?«