58
Jules
S o, dein Kackfahrstuhl ist mal wieder kaputt, ich brauch ne Herz-Lungen-Maschine, wenn ich oben bin«, schimpfte sein Vater, der seiner Bitte gefolgt und am Handy geblieben war.
Jules hörte die schweren Schritte im Treppenhaus und beendete das Telefonat. Wenig später knarzten die Dielen vor der Wohnungstür.
»Hallo?«, schallte es vom Eingang her. In der Altbauwohnung wurde der Schall von Zimmer zu Zimmer weitergereicht und schien lauter statt leiser zu werden, aber jetzt spielte das keine Rolle mehr, da die Kleine ohnehin wach war.
»Ich bin im Kinderzimmer«, rief Jules. »Bei Fabienne.« Er streichelte ihr liebevoll den Rücken, während sie den Kopf noch immer unter der Bettdecke vergraben hielt.
»Bei Fabienne? Was zum Geier …?«
Hans-Christian Tannberg trug meistens Sportschuhe. Jetzt zertraten Ledersohlen die Glassplitter der Glühlampe auf dem Fußboden.
»Was ist hier los?«, wollte die Stimme wissen, die auf einmal ein Gesicht bekommen hatte, und das war nicht das Gesicht von Jules’ Vater.
»Papa?«, rief das Mädchen erstaunt.
»Keine Angst«, sagte Jules und wollte sie daran hindern, die Bettdecke wegzuziehen, damit sie den Mann nicht sah, der auf einmal im Türrahmen stand.
»Wer sind Sie?«, fragte der hochgewachsene, vom Regen durchnässte Anzugträger mit den im Grunde sympathischen Gesichtszügen.
Ein Mann, auf den viele Frauen hereinfallen würden, dachte Jules.
»Papa!«, rief das Mädchen. Sie hatte es geschafft, den Kopf von der Decke zu befreien.
Aber sie sah dabei nicht zu Jules, was ihm einen Stich versetzte. Auch wenn er ihr Verhalten natürlich verstand und es objektiv keinen Grund für ihn gab, eifersüchtig zu sein. Nicht nach so kurzer Zeit. Sie hatte die ganze Zeit geschlafen, war in ihren Fieberträumen gefangen gewesen.
Wir haben noch keine Bindung. Sie weiß gar nicht, was ich heute Nacht alles für sie getan habe.
»Papa!«, rief sie erneut und versuchte sich von Jules loszureißen, um zu dem Mann in der Tür zu kommen.
Ihrem leiblichen Vater.