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Also sagte ich zu, das Wochenende bei seinen Eltern zu verbringen, und Rory erwiderte, dass er »ganz entzückt« sei. Er war ein paar Tage in Belgien, wo er den Minister auf einer Reise nach Brüssel begleitete, was bedeutete, dass ich, nachdem ich am Freitagabend auf dem Sofa noch zwei Flaschen mit Mia und Ruby vernichtet hatte, mein Wochenende mit Marmalade verbrachte. Samstagnachmittag saß ich im Schneidersitz auf meinem Bett und schrieb ein paar Seiten über Zelda, die zählende Raupe, bis mir langweilig wurde und mein Blick auf mein Handy fiel.

Ein Nacktfoto? Ich zog am Ausschnitt meines T-Shirts und schaute nach unten. Ohne BH lagen meine Brüste gemütlich auf der Bauchrolle darunter. Würde dieser Anblick irgendwen anmachen? Eher unwahrscheinlich. Besser, ich vergraulte ihn nicht. Also nahm ich mein Handy und, anstatt ein Foto zu machen, schrieb ich ihm, um zu fragen, ob er am Donnerstagabend dabei sein wollte, wenn ich Fumi interviewte.

Am Sonntag erledigte ich meine Hausaufgaben in Sachen Fumi. Ihre neue Anthologie hieß Bad Fairy und gab mir das Gefühl, ein Voyeur zu sein, so als würde ich das geheime Tagebuch eines Teenagers lesen. Die Gedichte waren traurige Klagen über Typen, die nach einem Date nicht mehr schrieben, über den Planeten, der in Flammen aufging, darüber, dass Fumi ihre Knie hasste. Ihre Knie! Ich hatte nie darüber nachgedacht, ob ich meine Knie hasste oder nicht. Das waren einfach nur meine Knie.

Und doch war da auf Instagram eine selbstbewusstere Fumi zu sehen, die mit einer neuen Sonnenbrille, einer neuen Frisur oder vor einem schicken Restaurant in San Francisco, wo sie Percy, den Mops, mit Garnelen-Dim-Sum gefüttert hatte, in die Kamera strahlte. Jeder Post hatte Tausende Kommentare darunter. Von Fans, die schrieben, wie begeistert sie von ihr waren – oder dass sie ihr Haar liebten, ihre Jacke, ihre Schuhe und ihr Augen-Make-up –, von Fans, die verkündeten, dass sie sie heiraten wollten, von anderen, die sie anflehten, ihnen zurückzuschreiben. Unter einem Foto von Fumi, auf dem sie die Arme um ihren Mops Percy geschlungen hielt, hatte ein Fan geschrieben: Ich wünschte, du würdest mich so in den Armen halten, samt einem traurigen Emoji dahinter. Es schien mir da draußen eine große Welt für eine Neunzehnjährige. Kein Wunder, dass sie Percy überallhin mitnahm; er war wie ein Spielzeug aus der Kindheit, eine tröstende Kuscheldecke.

»Also, ich weiß nicht, ob du einen Platz in der Ersten Klasse zu schätzen wüsstest«, sagte ich mit einem Blick auf Marmalade, der so gut wie überall schlief – ausgestreckt hinter einem Heizkörper, hin und wieder im Waschbecken –, aber meistens auf meinem Kissen. »Komm schon, du musst nach draußen«, sagte ich, hob ihn hoch und ging nach unten, um mir eine Tasse Tee zu machen.

Ruby schlief immer noch, obwohl es vierzehn Uhr war, und Mia und Hugo waren damit beschäftigt, Le-Creuset-Töpfe und Handtücher auf ihren Hochzeitstisch bei John Lewis zu setzen. Also hockte ich mich mit meinem Tee an den Küchentisch und schrieb mir eine Liste mit Fragen auf. Fumis Verleger hatte gebeten, sie vorab zu bekommen, damit sie abgenickt werden konnten. Fumi hatte bereits gesagt, dass sie keine Fragen zu ihrem Liebesleben wolle, obwohl es in Dutzenden ihrer Gedichte nur darum ging, und auch keine Fragen von den Zuschauern. Aber sie freue sich, über »ihre Arbeit, ihren persönlichen Style, ihre wichtige Rolle als internationale Influencerin und ihren geliebten Schreibpartner Percy« zu reden.

Nachdem ich noch eine Stunde gelesen hatte, schlich Marmalade sich durch die Katzenklappe zurück und schmeichelte um meine Beine herum.

»Ich kann mich unmöglich konzentrieren, wenn du das tust«, tadelte ich ihn, stand jedoch auf, um den Schrank zu öffnen und ein Döschen Kondensmilch herauszuholen. Sein Wochenend-Leckerli.

Als ich mich setzte, kam Ruby in die Küche.

»Hey, Flo«, sagte sie verschlafen. »Was tust du da?«

Ich streckte mich auf meinem Stuhl. »Nur Arbeit. Wir haben diese Woche eine Veranstaltung in der Buchhandlung. Eine Instagram-Dichterin macht eine Lesung, und ich muss sie interviewen.«

»Cool«, sagte Ruby und nahm meinen Joghurt aus dem Kühlschrank. Sie setzte sich an den Küchentisch, die Füße auf einem Stuhl, und löffelte ihn direkt aus dem Glas. »Wie heißt sie?«

Ich würde wohl ein neues Glas Joghurt kaufen müssen. Ich hasste es zu teilen, ob es nun um Joghurt, eine Flasche oder einen Suppenlöffel ging. Wer waren diese Gestörten, die andere Leute an ihrem Eis lecken ließen? Bei der Vorstellung, wie die Zunge von jemand anderem über meine Eiskugel fuhr, wollte ich mir am liebsten den Mund mit Bleiche schrubben.

»Sie heißt Fumi.«

Ruby riss die Augen auf. »Die kenne ich! Ich folge ihr auf Instagram. Ich bin ganz besessen von dem Hund. Hast du ihn gesehen? Sie hat ihn erst neulich zum Shoppen zu Gucci mitgenommen.«

»Ich weiß«, erwiderte ich düster. Sie hatte Percy ein goldenes, rundum mit kleinen Gs verziertes Hundehalsband gekauft.

»Wie kommt es denn, dass du das tun darfst? Klingt für mich nicht sehr nach Frisbee.«

»Neue Strategie: Wir versuchen, Kunden an Land zu ziehen, die nicht fünfhundert Jahre alt sind und mit einem Fuß im Grab stehen.«

»Wann ist das denn? Darf ich kommen? Biiiiiiette! Ich bin nicht fünfhundert.«

»Donnerstagabend, und klar, wenn du wirklich willst. Ich reserviere dir eine Karte.«

»Muss ich bezahlen?«

»Ja.«

Ruby kräuselte die Nase.

»Na schön, ich setze dich auf die Gästeliste, aber nur wenn du was darüber twitterst und postest. Und du kannst Rory Gesellschaft leisten.«

Er hatte geantwortet und geschrieben, dass er es »um nichts in der Welt« verpassen wolle.

»Ich darf mit Cowabunga abhängen! Noch besser.«

»Ruby …«

Sie wedelte mit dem Löffel durch die Luft. »Versprochen ist versprochen, es bleibt unser Geheimnis. Aber danke, Flo, du bist die Beste. Also gut, ich nehme mal ein Bad.«

Sie stand vom Tisch auf, ließ den Löffel im Joghurt stecken und ging wieder nach oben. Als Test zwang ich mich, so lange hinter meinem Laptop sitzen zu bleiben, wie ich konnte, und das Glas zu ignorieren. Lass die Unordnung, wie sie ist, sagte ich mir. Es wird nichts Schlimmes geschehen. Aber es dauerte keine zwei Minuten, bis ich aufstand und es wegwarf, dann den Löffel abspülte und den Tisch noch einmal abwischte. Erbärmlich.

Am folgenden Morgen schaute ich bei der Arbeit unten im Büro vorbei und fragte Zach, ob ich zwei Personen auf die Gästeliste setzen lassen könnte. Meine Schwester und Rory.

»Ha! Rory, der Tory, kommt also, ja?«, erwiderte Zach und wirbelte in seinem Sessel herum. »Kann es kaum erwarten, ihn kennenzulernen. Aber ja, klaro.«

»Danke dir«, sagte ich und machte mich wieder auf den Weg zur Kasse. Ich fühlte mich heute keinem Streit mit Zach gewachsen. Eigentlich an gar keinem Tag die Woche, da ich immer nervöser wegen Donnerstagabend wurde.

Zach hatte am Montagnachmittag den Instagram-Account – @FrisbeeBooks – für den Laden freigeschaltet und gleich ein Foto von Fumi hochgeladen mitsamt der Ankündigung, dass in der Buchhandlung eine Lesung mit ihr stattfinden würde. Sie postete es pflichtgemäß an ihre 973.000 Follower weiter, was zur Folge hatte, dass wir noch am selben Tag bis Ladenschluss alle siebzig Eintrittskarten verkauft hatten.

Bis Dienstagmittag hatten wir bereits eine Warteliste von über zweihundert Leuten, und als ich an dem Abend nach Hause ging, konnte ich in meinem Kopf nichts anderes mehr hören als das unentwegte Schrillen des Telefons, da Fumis Fans in einem fort anriefen und um Plätze bettelten. »Tut mir leid, ausverkauft«, entschuldigte ich mich, selbst als ein Mädchen zu weinen anfing und darauf bestand, dass sie da sein müsse, da Fumi ihre »Religion« sei.

Das mit den Anrufen ging bis Mittwochnachmittag so weiter, als Norris schließlich erklärte, dass er genug hatte, und das Telefon aussteckte. »Ich habe die Schnauze VOLL von diesem modernen Kram«, blaffte er durch den Laden, woraufhin eine Kundin ein dickes Kochbuch auf ihren Fuß fallen ließ.

»Das Telefon wurde 1876 erfunden, das ist wohl kaum modern«, murmelte Eugene, als Norris wieder nach unten in sein Büro stapfte. Aber wir waren alle dankbar für den Frieden und die Ruhe, die danach folgten.

Am Donnerstagmorgen zog ich mich sorgfältiger an als sonst. Das gleiche Outfit (dunkelblaues T-Shirt, dunkelblaue Hose) und das gleiche Gesicht (getönte Tagescreme, Wimperntusche), aber ich nahm mir mehr Zeit. Ich achtete darauf, dass ich keinen schlimmen Schlüpfer anzog, der mir sichtbare Linien auf die Pobacken zeichnete. Ich föhnte mein Haar ordentlich und kämmte es mit einer Bürste statt mit den Fingern. Ich kramte in der Schublade meines Nachtschränkchens nach einem Paar goldener kleiner Kreolen, die ich kaum trug.

»Erwischt, Liz Taylor!«, scherzte Eugene, der die Ohrringe bemerkte, kaum dass ich durch die Tür getreten war.

»Hör auf. Ich fühl mich so schon schrecklich.«

»Du wirst fantastisch sein«, erwiderte er, gerade als Zach die Tür mit der Schulter aufschob, weil seine Arme voller Snacks waren. Er schwankte zum Tresen und ließ diverse Packungen fallen: Haribo-Tüten, gesalzene Chips, Schachteln mit Kräutertee, Äpfel sowie kleine Sprudelflaschen.

»Wofür ist das denn?«, fragte ich.

»Die Sonderwünsche«, erwiderte Zach.

»Hä?«

»Oooo na klar, so Zeug, das die Promis in ihrer Garderobe haben wollen«, erklärte Eugene und griff nach einer rosa Schachtel Tee. »Mick Jagger braucht das auch, bevor er auf die Bühne gehen kann.«

»Ich bin ziemlich sicher, dass Mick Jagger keine Haribo-Schnuller vor seinem Auftritt will«, sagte Zach, »aber das hier ist die Liste der Dinge, die ihr Verleger mir gestern Abend gemailt hat. Oh, die hier hätte ich fast vergessen.« Er griff in seine Gesäßtasche, zog eine kleine Schachtel hervor und hielt sie uns hin. »Bio-Hähnchen-Kekse für ihren Hund.«

Ich schnaubte. »Sie ist doch nicht Madonna.«

»Noch nicht.«

»Kannst du das Zeug woanders abstellen? Wir müssen gleich den Laden aufschließen.« Ich hatte die Woche damit verbracht, wie besessen aufzuräumen und Bücher zu sortieren. Während ich mit dem Finger über die Regale strich, hatte ich »Konsequenzen« gespielt. Wenn da eine gerade Zahl von Büchern in einem Fach war, würde der Donnerstagabend ohne Probleme verlaufen. Ungerade? Ich würde etwas Schreckliches tun wie auf der Bühne pupsen oder so.

Zach sammelte die Einkäufe wieder auf. »Dein Wunsch ist mir Befehl. Der Verleger hat auch um eine Garderobe gebeten. Wo sollen wir Ihre Majestät unterbringen?«

»Lagerraum«, schlug Eugene vor.

»Das dürfte gehen«, sagte Zach und machte sich auf den Weg nach unten.

Bis zum Mittag war mir so übel, dass ich mein Käse-Tomaten-Sandwich nicht essen konnte.

Gegen Nachmittag überlegte ich, ob ich meinen eigenen Tod vortäuschen und mich aus dem Staub machen könnte, um aus der Sache rauszukommen. Obwohl es mir sehr schwerfallen würde, Marmalade zurückzulassen. Warum hatte ich mich überhaupt von Zach zu dem hier nötigen lassen? Warum machte er es nicht selber? Ich hob die Augen zur Decke, wo ein Poltern zu hören war. Zach war jetzt offenbar derjenige, der hier das Sagen hatte, so wie er matadormäßig durch den Laden stolzierte und Eugene befahl, Tische und Stühle herumzuschieben.

Ich versuchte, mich abzulenken, indem ich meine Fragen auf Frisbee-Karteikarten schrieb, bevor ich vier Kisten mit Fumis Gedichtbänden auspackte und sie in gleichmäßigen Stapeln auf einem Signiertisch neben der Kasse anordnete. Die Türglocke bimmelte. Ich sah auf und sah eine Schar Teenager-Mädchen hereinkommen, die sich nervös umschauten.

»Tschuldigung«, fragte eine von ihnen. »Sind wir hier richtig für die Lesung von Fumi?«

Ich sah auf meine Armbanduhr. Es war erst 16.28 Uhr. »Jepp«, erwiderte ich. »Aber die ist erst in zwei Stunden. Habt ihr Tickets?«

Sie nickten gleichzeitig. »Wir wollten nur sichergehen, dass wir gute Plätze haben«, sagte die Anführerin.

»Die Stühle sind noch nicht aufgestellt«, erwiderte ich gerade in dem Moment, als oben etwas auf den Dielenboden über mir krachte und ein weiterer Schrei von Zach ertönte. »Kommt doch kurz vor sechs zurück, ja?«

Sie nickten erneut und gingen. Doch die Tür ging immer wieder auf. Bimmel, bimmel. Bimmel, bimmel. Bimmel, bimmel. Alle paar Minuten schneite ein anderes Rudel Fans herein, um nachzufragen, ob sie im richtigen Laden waren; um zu sehen, ob noch ein paar Tickets übrig waren oder irgendwer abgesagt hatte; um mich um einen Platz anzubetteln.

Irgendwann kam Norris aus seinem Büro nach oben, um nachzuschauen, was der »Aufruhr« sollte.

»Schließ heute früher ab«, sagte er. Sein Gesicht verdüsterte sich beim Anblick der Menge vor den Schaufenstern. »Hängt ein Schild auf. Zu viel Lärm.«

Ich zog ein Blatt Papier aus dem Drucker und schrieb in ordentlichen schwarzen Buchstaben: Für Fumis Lesung bitte hier anstellen. Einlass um 18 Uhr. Ich klebte es an die Türscheibe, schloss ab und schrieb Rory: Wir mussten die Tür abschließen. Falls du also früher kommst, ruf an und wir lassen dich rein. Xxx

Im Obergeschoss war Eugene damit beschäftigt, reihenweise Klappstühle auf dem türkischen Teppich aufzustellen. Zach saß an ein Regal gelehnt auf dem Boden, das Handy unters Ohr geklemmt, während seine Hände über die Tastatur flogen.

»Okay«, sagte er. »Okay, super. Ja, alles gut hier. Das ist perfekt. Freu mich schon.« Er legte auf. »Das war Fumis Agentin«, erklärte er und ließ das Handy sinken. »Sie sind unterwegs. Können wir kurz einen Soundcheck machen?« Er zeigte auf zwei Stühle vorne im Raum, zwischen denen ein Mikrofon stand.

Ich spürte, wie eine Woge von Adrenalin durch mich hindurchflutete, sagte jedoch nichts. Ich durfte vor Zach keine Angst zeigen. Stattdessen ging ich nach vorne und hockte mich auf einen der zwei Stühle, dann positionierte ich meinen Mund über dem Mikrofon. »Äh, Test, Test, Test, eins, zwei, drei.«

»Bisschen mehr!«, rief Zach, ohne von seinem Bildschirm aufzuschauen.

Mir fiel nichts ein, was ich sonst sagen sollte. Und wenn ich jetzt schon nichts rausbekam, vor einem Raum, in dem sich nur Eugene und Zach befanden, wie sollte es dann erst vor siebzig Leuten werden?

»Erzähl mir dein verborgenstes, dunkelstes Geheimnis«, sagte Zach.

»Was?«, krächzte ich.

»Das ist doch nur für den Sound. Aber egal. Erzähl mir einfach, was du zu Mittag gegessen hast.«

»Nichts«, blaffte ich, »weil ich so nervös war, dass ich nichts runterbekommen habe.«

Er grinste mich hinter seinem Laptop an. »Du wirst das schon machen.« Dann schüttelte er den Kopf. »Streich das – nicht einfach nur machen. Du wirst ganz fabelhaft sein!«

»Bist du sicher?«

»Bin ich«, sagte er, senkte den Kopf erneut und tippte auf seine Tastatur ein. »Hier stimmt so weit alles für die Aufnahme.« Er sah mich erwartungsfroh an. »Bereit?«

»Glaub schon«, erwiderte ich, aber meine Stimme verriet mich. Sie klang, als hätte eine Feldmaus einen Heliumballon verschluckt.

Fumi traf in Begleitung ihrer Agentin sowie eines Bodyguards von der Größe eines Wohnmobils ein. Er hatte einen russischen Akzent, der ungefähr genauso einschüchternd war wie sein Stiernacken, und hieß Igor. Während draußen, wo die Schlange sich mittlerweile weit über den Bürgersteig zog, die Fans kreischten, machte Zach alle miteinander bekannt. Fumi trug ein kurzes pinkfarbenes Kleid unter einem weißen Pelzmantel mit schwarzen Tupfen drauf wie bei einem Dalmatiner. Ihre Füße steckten in schwarzen Ankle-Boots, ihre Fingernägel waren lang und silbern und ihr Haar kaugummirosa. Der Hund schlief in ihren Armen. Norris klappte die Kinnlade runter, und er keuchte auf, so als würde er zum ersten Mal die Pyramiden oder das Kolosseum sehen.

»Das ist Percy«, sagte Fumi und hielt eine Pfote vom Mops hoch, damit Norris sie schütteln konnte. Sie hatte einen mädchenhaften amerikanischen Akzent und wirkte gar nicht wie eine Diva, die spezielles Mineralwasser und Äpfel für ihre Garderobe verlangte. Wie sie da zwischen den Zwillingssäulen Igor und Norris stand, erinnerte sie mehr an ein Schulmädchen.

Norris streckte eine Hand aus und schüttelte die Pfote. Zach hob seine Kamera, die an einem Gurt um seinen Hals hing, und machte schnell ein Foto. »Hallo und willkommen«, sagte Norris. »Wir sind sehr erfreut, Sie bei uns zu haben.«

»Die Freude ist ganz unsererseits«, sagte die Agentin. Sie war eine Amerikanerin namens Jennifer, die aussah, als hätte sie noch nie in ihrem Leben Kohlenhydrate zu sich genommen. »Wo können wir uns vor dem Auftritt zurückziehen?«

»Unten«, sagte Zach, »folgen Sie mir. Passen Sie auf Ihren Kopf auf, Igor.«

Norris gab mir die Erlaubnis, die Tür aufzuschließen und die Gäste mit Tickets hereinzulassen; Eugene wiederum führte sie zu ihren Sitzplätzen, der Großteil waren Cliquen von Teenie-Mädchen.

Ich musste grinsen, als ich kurze Gesprächsfetzen aufschnappte, während sie an mir vorbeigingen.

»Ich habe ihr Haar gesehen!«

»Ich habe Percy gesehen!«

»Glaubst du, sie wird ein Selfie mit uns machen?«

»Ich brauche unbedingt diesen Mantel!«

Ruby stand etwas weiter hinten. »Hi, Flo, ich warte auf Rory, aber ich kann ihn nirgends sehen.«

»Keine Sorge. Er ist noch nicht hier. Willst du dich einfach schon mal setzen? Ich schicke ihm deine Nummer.«

Sie nickte. »Wie fühlst du dich?«

»Ganz gut.« Das war geflunkert. Ich war so aufgeregt, dass ich fürchtete, mich auf meine eigenen Schuhe zu übergeben.

Ich rief den Dutzenden von Fans, die ohne Tickets draußen bleiben mussten, eine Entschuldigung zu, schloss die Tür ab und schickte Rory Rubys Kontaktdaten, falls er noch eingelassen werden musste. Oben hörte man das Schrammen von Stuhlbeinen und das leise Geschnatter aufgeregter Stimmen; unten konnte ich nur Jennifers wogendes amerikanisches Gemurmel hören. Ich schnappte mir meine Karteikarten und ging nach unten in den Lagerraum.

»Sind alle bereit?«, fragte ich und streckte den Kopf durch die Tür.

Igor hielt Percy in seinen Baumstammarmen, ein ziemlich absurder Anblick, während Fumi auf einem Stuhl saß und sich mit ihrem Handy beschäftigte. Jennifer drehte sich um und strahlte mich mit einem breiten Lächeln an.

»Ich denke schon. Sollen wir loslegen?«

Mit dem Gefühl, als hätte eine seltsame, fremde Kraft die Kontrolle über meine Beine ergriffen, führte ich sie die Treppen nach oben und deutete auf zwei reservierte Plätze für Jennifer und Igor, der Fumi ihren Hund überreichte. Als sie, Percy und ich nach vorne gingen, wurde es still im Raum. Wir setzten uns, und ich sah blinzelnd nach hinten, wo Zach einen Daumen in die Höhe reckte. Neben mir hielt Fumi eine Ausgabe ihres Buches in der Hand. Percy hatte es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht und schloss die Augen.

Und da wurde mir bewusst, dass ich mein eigenes Herz schlagen hören konnte. Es erschien mir unfassbar laut.

»Hallo, äh, alle zusammen«, begann ich und lehnte mich zum Mikrofon vor. »Willkommen hier bei Frisbee Books, zu einem Abend mit einem ganz besonderen Gast, den man wohl kaum noch vorzustellen braucht: die legendäre Dichterin Fumi mit ihrem Hund, Percy!«

Ich schaute zu Percy, während Klatschen und Beifallrufe den Raum erfüllten. Seine Augen blieben geschlossen. Wahrscheinlich war der Mops solchen Trubel gewohnt.

»Danke. Ich danke euch allen, vielen lieben Dank, dass ihr gekommen seid.« Fumis Stimme brachte den Applaus sofort zum Verstummen. »Ich freue mich ja so, mit euch allen hier in London zu sein, um mein neues Buch, Bad Fairy, zu feiern.« Wieder ein paar Jubelrufe im Publikum. »Also würde ich euch gerne ein paar Auszüge vorlesen. Einverstanden?«

Im Raum herrschte vollkommene Stille, während Fumi aus ihrem Buch las und ich versuchte, meine Karteikarten so zu halten, dass sie in meinen schwitzigen Händen nicht völlig durchweichten. Nachdem Fumi den letzten Haiku beendet hatte – er hieß »Apokalypse« und handelte von dem einen Mal, als sie sich einen Fingernagel abgebrochen hatte –, brandete eine weitere Woge von Applaus auf.

»Vielen Dank, Fumi, das war fabelhaft«, sagte ich, als die Menge sich beruhigt hatte. »Wie du schon sagtest, ist dies dein neues Buch, dein zweiter Gedichtband nach deinem Debüt letztes Jahr, und das mit gerade mal einundzwanzig Jahren. Wann und warum hast du angefangen, Haikus zu schreiben?«

Gerade als Fumi den Mund öffnete, um zu antworten, wachte Percy auf und nieste in ihren Schoß.

Das Publikum lachte.

»Bitte entschuldigt ihn, ich glaube, er hat einen Jetlag«, sagte sie zu noch mehr Gelächter. »Also, ich habe schon sehr früh mit dem Schreiben begonnen. Mein Vater unterrichtete Englisch in Kyoto und …«

Während sie redete, hopste Percy von ihrem Schoß und schnupperte an meinen Füßen. Ich versuchte, ihr weiter zu folgen, aber es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, während der Hund um meine Füße herumschnüffelte.

»Es tut mir so leid, stört er dich?«, fragte Fumi, womit sie ihre Antwort unterbrach und zu meinen Füßen runterschaute.

»Nein, nein, überhaupt nicht!«, erwiderte ich. »Bitte, mach weiter. Er ist ganz brav.«

Aber sobald sie wieder zu reden anfing, stellte Percy sich auf die Hinterläufe auf, seine Vorderpfoten auf meinen Knien abgelegt, und begann damit, meinen Knöchel zu rammeln.

Leises Lachen gluckste durch die Sitzreihen vor uns.

»Ach du meine Güte, Percy! Es tut mir ja so leid«, sagte Fumi, deren silberne Nägel an ihre Wangen flogen. Das Gelächter nahm zu, als Percy dazu überging, meinen Turnschuh zu begatten.

»Nein, nein, schon okay«, flüsterte ich und überschlug rasch meine Beine andersherum, um damit Percy abzuschütteln. Ich lehnte mich zurück und lächelte Fumi zu, um sie zu ermutigen fortzufahren. Aber davon ließ sich der nymphomane Hund nicht lange beirren. Innerhalb von Sekunden hatte er seine Vorderpfoten um meine Wade geschlungen und legte wieder los, stieß dabei seinen Hundehintern vor und zurück.

Das Publikum hatte nun komplett die Beherrschung verloren, der ganze Raum johlte, während ich versuchte, meine Beine wegzudrehen, nur damit Percy direkt wieder meinen Knöchel ansprang. Was war denn los mit diesem Köter? Warum war er so besessen von meinen hässlichen Schuhen? Er machte sich über meine Beine her wie ein pubertierender Schuljunge.

»Geh da weg«, knurrte ich leise und beugte mich vor, um ihn mit den Händen wegzuschieben. Ich sah zum Publikum auf und lächelte, wie um ihnen zu versichern, dass das alles total in Ordnung sei, aber alles, was ich sehen konnte, waren Handys. Ein ganzer Wall blitzender Handys. Alle schossen sie Fotos von mir, wie ich blöd in die Kamera glotzte, während Percy der Mops meinen Fuß rammelte. Wie konnte ich das unterbinden? Wie stoppte man einen sexbesessenen Köter? Ich konnte ihn doch nicht treten, oder? Herrje, das Gelächter wurde immer lauter.

Plötzlich tauchte ein fleischiges Paar Arme vor mir auf, und Igor hob Percy am Halsband hoch. Ich spürte meine Panik etwas abklingen, als er ihn mit sich zu seinem Platz nahm. Meine Wangen brannten, ich hatte (natürlich) angefangen zu schwitzen, und meine Hosenbeine waren voller feiner, heller Mopshaare.

»Nun«, sagte ich ein paar Sekunden später, als das Gelächter endlich verebbt war. »Ich fühle mich äußerst geschmeichelt. Aber entschuldige, Fumi, sollen wir einfach weitermachen, wo wir stehen geblieben waren? Du hast gerade darüber geredet, wann du angefangen hast, Haikus zu schreiben?«

Fumi fuhr ganz ruhig und gelassen fort, während ich mich auf meinem Stuhl zurücklehnte, die Arme krampfig an meine Seiten gepresst, und darauf wartete, dass die Hitze in meinen Wangen nachließ.

Das einzig Positive an dem ganzen Fuß-Gerammel-Debakel war, dass Rory es nicht mitbekommen hatte, er war nämlich nicht aufgetaucht. Das merkte ich erst unten, als ich hinter der Kasse stand. Fumi saß am Tisch neben mir und signierte Bücher für die lange Schlange von Fans, die Selfies mit ihr und Percy wollten. Der Mops war auf ihren Schoß zurückgekehrt und saß stolz da wie ein Kaiser. Ich sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Man konnte über Katzen sagen, was man wollte, aber so etwas Ungehobeltes würden sie niemals tun.

»Wo ist Rory?«, formte ich stumm in Rubys Richtung, die neben der Tür lehnte.

Sie zuckte mit den Schultern und rief zurück: »Keine Ahnung! Aber ich warte auf dich.«

Es dauerte über eine Stunde, bis der Laden sich geleert hatte. Fumi verabschiedete sich mit einem weiteren Wink von Percys Pfote und bedankte sich bei uns, bevor sie in einen schwarzen Van stieg, der vor dem Frisbee parkte. Jennifer stieg hinter ihr ein. Zach und ich schauten von der Ladentür aus zu, als Igor sich auf den Fahrersitz hievte und sie wegfuhren.

»Tja, das war wohl eine Vollkatastrophe«, sagte ich seufzend und drehte mich zu ihm.

»Unsinn! Du warst toll!«

»Zach, dieses Tier war außer Kontrolle. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so geschämt.«

»Du warst genial, Flo«, meldete sich Ruby hinter uns. »Ich bin übrigens Ruby«, sagte sie zu Zach und grinste ihn breit an.

»Ich bin Zach, hi. Ich arbeite mit deiner Schwester.«

»Das habe ich mir gedacht. Es war sehr unhöflich von ihr, dich nicht früher zu erwähnen.«

»Sie kann sehr unhöflich sein, ja«, erwiderte er, bevor er sich näher zu Ruby vorbeugte, »aber verrate ihr bloß nicht, dass ich das gesagt habe. Ich habe ziemlich Angst vor ihr, wenn sie sauer wird. Du solltest sie mal sehen, wenn sie mit einem Mopp bewaffnet ist.«

Bei dem blöden Gequassel hätte ich den beiden am liebsten gegens Schienbein getreten. Herrje, Ruby, nicht im Ernst, oder? Sie konnte unmöglich auf Zach stehen. Er zog sich an wie ein pubertierender Gamer und sollte dringend mal zum Friseur. Seine Arme waren mehr Tattoo als menschliche Gliedmaßen. Er war eingebildet und kommandierte andere gerne herum. Er verschlang sein Essen wie ein hungriger Labrador. Er war … Ich hielt bei meiner Liste der Dinge, die ich am wenigsten an Zach mochte, inne, da er und Ruby unbeirrt weiterplauderten.

»Ein Model! Das kann ich mir bei dir gut vorstellen«, sagte er.

Ruby lachte affektiert und warf ihr Haar über die Schulter. Würg, anderen beim Flirten zuzusehen war echt abartig.

»Eine Runde aufs Haus!«, brüllte plötzlich Norris, der mit einem Tablett in den Laden hochkam, auf dem eine Champagnerflasche und mehrere Tassen standen. »Ihr wart alle ganz großartig, besonders du, Florence, und ich möchte mich bei euch bedanken.«

Er stellte das Tablett vorsichtig auf einem Tisch mit Biografien ab, bedeckte dabei die Gesichter von Cromwell und Queen Victoria und ließ den Korken knallen.

»Ich habe ein Selfie mit dem Mops bekommen!«, prahlte Eugene, der die Tassen verteilte.

»Hör mir bloß mit dem Hund auf«, brummte ich und musterte die Tasse, die er mir gereicht hatte. Die Seiten waren voller brauner Teeränder. Konnte ich daraus Champagner trinken?

»Prost!«, rief Norris und hob seine Tasse in die Höhe. »Wir haben hundertsechsundzwanzig Ausgaben von diesem bekloppten Gedichtband verkauft, und das zusätzlich zu den Tickets.«

»Ich habe ein paar tolle Fotos machen können«, sagte Zach, hob die Kamera von seinem Hals und scrollte sie durch. »Ich werde sie gleich morgen auf Instagram posten.«

»Ich will sie nicht sehen«, erwiderte ich.

»Ich schon!«, gurrte Ruby und trat näher an Zach heran, um auf sein Kameradisplay zu schauen.

So viel zu ihrem selbst auferlegten Männerverzicht, dachte ich bei mir. Falls ich morgen in die Küche runterkam und Zach in unseren Schränken nach Teebeuteln kramen sah, würde ich ausziehen. Ich meine, was, wenn ich ihm in einem Handtuch über den Weg lief? Abartig. Oder was, wenn ich gerade fernsehen wollte, während sie auf dem Sofa neben mir knutschten? Unmöglich. O mein Gott, was, wenn er und Ruby am Ende heirateten und wir von nun an jedes Jahr Weihnachten zusammen feiern mussten? Der Gedanke war unerträglich.

»Wo ist dein Macker, Florence?«, fragte Zach und sah plötzlich von seiner Kamera auf. »Ich dachte, er wollte kommen.«

»Ja. Ich meine, wollte er, aber ich schätze, er wurde bei der Arbeit aufgehalten.«

Ich wusste es nicht mit Sicherheit, da Rory mir immer noch nicht geschrieben hatte, aber das wollte ich nicht zugeben. Ich fühlte mich seltsam hin- und hergerissen: Einerseits ärgerte ich mich über Rory, andererseits meinte ich trotzdem, ihn vor Zach verteidigen zu müssen.

»Vielleicht wurde er vom Premierminister aufgehalten«, schlug Eugene vor, bevor er nach Luft schnappte. »Was, wenn es um eine Sache von nationaler Wichtigkeit geht?«

»Okay, jetzt lass uns mal nicht übertreiben«, erwiderte ich und schreckte zusammen, als es am Schaufenster hinter mir klopfte. Ich drehte mich um. »Seht ihr? Da ist er ja.« Ich stellte meine Tasse auf dem Tablett ab und eilte zur Tür, um ihm zu öffnen.

»Es tut mir so leid«, sagte Rory mit gequälter Miene. »Mir ist im Ministerium eine Krise dazwischengekommen, und nun habe ich deinen großen Moment verpasst. Ich bin ein schrecklicher, schrecklicher Freund, also … habe ich dir die hier mitgebracht.« Er zog einen Strauß gelber Rosen hinter seinem Rücken hervor und beugte sich vor, um mich auf die Schläfe zu küssen. »Vergibst du mir?«

»Mach dir keinen Kopf«, erwiderte ich, da ich keine Szene machen wollte. »Komm doch rein und sag Hallo zu allen.« Ich nahm die Blumen und zog ihn mit der anderen Hand hinter mir in den Laden. »Das ist Rory. Rory, das sind Eugene und Norris, meine Schwester Ruby hast du ja bereits getroffen, und Zach.«

»Hallo«, sagte Eugene sofort und schob sich vor die anderen, um ihm die Hand zu schütteln. Selbst nach einem langen Tag im Büro sah Rory beeindruckend aus mit seinem leichten Bartschatten.

»Hallo noch mal«, sagte Ruby und winkte ihm zu. »Ich glaube, du hast seit heute einen kleinen haarigen Rivalen, der um die Gunst deiner Freundin buhlt.«

»Norris«, sagte Norris und streckte seine Pranke aus.

Womit Zach übrig blieb.

»Rory Dundee, sehr erfreut«, sagte Rory und streckte den Arm aus.

Zach schüttelte zwar seine Hand, aber ich konnte die Verachtung förmlich spüren, die von ihm ausging. »Du hast ihren großen Moment verpasst.«

»Argh, ja, ich weiß«, stöhnte Rory, ließ Zachs Hand los und klopfte sich selbst gegen die Brust. »Wir haben nur gerade diese sich anbahnende Krise im Oman.«

Zach wirkte kein bisschen beeindruckt. Eugene gab ein seltsam schmachtendes Geräusch von sich.

»Auch einen Schluck, Rory?«, fragte Norris und nickte zu dem Tablett mit dem Champagner.

»Ja, bitte, vielen Dank. Obwohl ich das Gefühl habe, es kaum zu verdienen, wo ich doch so fürchterlich spät dran bin. Und was war das mit dem kleinen haarigen Rivalen?« Er schlang den Arm um meine Taille, um mich erneut auf die Schläfe zu küssen.

Ich seufzte. »Fumis Hund hat versucht, mein Bein zu begatten. Mitten auf der Bühne.«

»Vernünftiger Hund«, erwiderte Rory, was mich immerhin zum Lächeln brachte.

»Florence war genial«, sagte Zach. »Du hättest sie sehen müssen.«

Rory runzelte die Stirn. »Ah, dieser verdammte Oman. Ich wünschte, ich wäre da gewesen.«

»Ja, erzähl uns von deiner Arbeit, Rory«, sagte Eugene, bevor er verschwörerisch die Stimme senkte. »Es klingt ja so bedeutend. Aber nur, wenn du darfst. Du musst uns natürlich keine Staatsgeheimnisse oder so etwas verraten.«

»Nein, nein, nichts Bedeutendes«, erwiderte Rory und bedachte Eugene mit seinem blendendsten Lächeln, »nur ein Rädchen im Getriebe der Regierung.«

Zach gab ein schnaubendes Geräusch von sich, das er mit einem Husten kaschierte. »Und du willst also für die Konservativen kandidieren, meinte Florence?«

»Ja, das werde ich«, sagte Rory. »Oder zumindest hoffe ich es.«

»Ich würde dich wählen«, warf Eugene ein.

»Zach …«, warnte ich.

»Was denn?«, erwiderte Zach, ganz die Unschuld. »Ich frage doch nur.«

»Kein Fan?«, fragte Rory. Er lächelte nach wie vor, aber ich sah einen Muskel in seinem Kiefer zucken.

Zach hob lapidar die Schultern. »Meine Mutter ist Lehrerin, also nein, nicht unbedingt.«

»In diesem Fall sollte sie dankbar sein.«

»Dankbar?«

»Absolut. Wir haben Milliarden in das Schulsystem investiert und die Lehrergehälter erhöht.« Rory klang cool, aber ich konnte den winzigen Muskel immer noch pulsieren sehen.

»Wir? Rory, du bist doch noch gar kein Abgeordneter«, scherzte ich, um die Stimmung aufzulockern.

»Und was tust du so?«, fragte Rory und hielt den Blick weiter auf Zach gerichtet. »Florence hat dich nie erwähnt.«

»Ich bin Fotograf und arbeite hier nur ein Weilchen, um auszuhelfen«, erwiderte er. Zach versuchte, ebenfalls ungerührt zu klingen, doch seine Haltung – aufrecht wie ein Kerzenständer, die Schultern gestrafft – verriet ihn. Es war, als würde man dem Treiben im Gorillagehege im Zoo zuschauen. »Aber ich bin außerdem ein anständiger Mensch, und deswegen sind mir die Leute, die weniger Glück im Leben hatten als unsereins, nicht egal.«

»Genauso wenig wie mir«, sagte Rory und bedachte ihn mit einem weiteren aufgesetzten Lächeln.

»Genug«, unterbrach Norris, der die Hände vor ihnen in der Luft überkreuzte. »Kein Gezanke. Kommt schon, das hier ist eine Feier.« Er goss den Rest des Champagners in unsere Tassen. Norris und Rory unterhielten sich daraufhin über Politik, und ich durfte Ruby zuschauen, die für Zach ihr Haar hin und her schwang, während er ihr mehr von seinen Fotos zeigte.

»Also gut, ich gehe dann mal nach Hause«, verkündete Norris, kurz nachdem er seine Tasse geleert hatte.

»Kommt ihr noch mit was trinken?«, fragte Eugene und sah uns hoffnungsfroh an.

»Klar«, erwiderte Zach.

»Ich bin dabei«, fügte Ruby hinzu.

Ich schaute zu Rory. »Auch Lust?«

Er verzog das Gesicht. »Ich würde ja gerne, aber die Situation am Golf ist in vollem Gange, und ich muss früh ins Büro. Du kannst ja bleiben. Du musst nicht mit zu mir kommen.«

Ich wägte meine Optionen ab. Entweder in den Pub mitgehen, wo Eugene uns zwingen würde, Shots zu trinken (vorzugsweise Tequila, eigentlich immer Tequila), und Ruby dabei zusehen, wie sie mit Zach flirtete, oder mit Rory nach Hause fahren und neben ihm einschlafen.

»Lass uns zu dir fahren«, sagte ich. »Wartest du nur kurz, bis ich meinen Rucksack von unten hole?«

»Klar.«

In weniger als einer Minute war ich nach unten und dann wieder hochgeflitzt, da ich Rory und Zach nicht länger als nötig unbeaufsichtigt lassen wollte.

»Na dann, komm mit«, sagte Rory und streckte die Hand nach mir aus.

Ich ergriff sie und schaute wieder zu Zach. »Ist es okay, wenn du abschließt?«

Er nickte, und wir waren beinahe durch die Tür, die Rory für mich aufhielt, als Zach uns hinterherrief: »Viel Glück beim Befrieden des Mittleren Ostens!«

Rory hielt uns ein Taxi an, und ich versuchte die gesamte Fahrt über dahinterzukommen, wen ich weniger leiden konnte: Percy oder Zach? Aber sobald ich in Rorys Schlafzimmer war, stieß er mich rücklings auf sein Bett und leckte mich mit einer solchen Konzentriertheit und aufmerksamen Präzision, dass ich beide vergaß und beinahe selbst »Cowabunga!« geschrien hätte.

»FLORENCE, MEIN SCHATZ!«, rief Eugene, kaum dass ich am nächsten Morgen bei der Arbeit eintraf. »HAST DU SCHON GESEHEN? DU BIST EIN MEME!«

»Eugene, wovon redest du da?«

»Du bist ein Meme, SCHAU DOCH!«, sagte er und hielt mir das Handy vor die Nase.

Ich schaute und spürte, wie sich mein Magen zusammenzog. Auf Twitter reihte sich ein Meme an das andere, wie Percy mein Bein rammelte. War es für dich auch so schön, Percy?, lautete einer der Sprüche auf einem Schnappschuss von Percy, der sich an meine Wade klammerte, während ich mit hochrotem Gesicht krampfig ins Publikum grinste.

Eugene scrollte weiter. Dutzende von Bildern, und auf jedem sah ich noch verzweifelter aus, meinen Mund gequält nach oben verzogen. Bei meiner panischen Miene hätte man meinen können, ich würde von einem Löwen attackiert, nicht von einem kleinen Mops.

Beinrammeln, das ist voll mein Ding, lautete ein anderes Meme.

»Schau dir das an, das ist genial, und es wurde beinahe dreitausend Mal geteilt!«, freute sich Eugene. Es handelte sich um eine besonders schlimme Aufnahme von mir, auf der ich gerade versuchte, Percy wegzuziehen, und die Zähne dabei fletschte wie ein wütender Gargoyle. Froher Bumstag!, lautete die Bildunterschrift.

»Und es gibt sogar Videos«, verkündete Eugene entzückt und zeigte mir ein GIF von Percys Hintern, der meinen Turnschuh bearbeitete und dessen Schwänzchen dabei vor Erregung zuckte.

»Genug.« Ich schob unwirsch sein Handy aus meinem Blickfeld. »Ich packe das nicht mehr.«

»Aber du bist ein Internetstar!«

»Eugene, ich will ganz sicher kein Internetstar sein, weil ein Hund meinen Turnschuh scharf fand. Ich will überhaupt kein Internetstar sein, aber wegen so was schon gleich gar nicht.«

An der Tür bimmelte es, und Zach kam hereingerauscht.

»Morgen, du virale Sensation, was für ein Triumph! Der Instagram-Account wurde ungefähr eine Million Mal getaggt. Schau …« Er kam auf uns zu und hielt uns sein Handy hin.

»Ich will’s nicht sehen«, sagte ich eingeschnappt und öffnete die Schublade, um das Tapetenmesser rauszuholen.

»Na, komm schon, das ist lustig!«, sagte Zach. »Eugene, gib mir recht.«

»Kein Interesse«, erwiderte ich und fuhr mit der Klinge über das Klebeband. »Ich wusste doch, dass das Interview mit Fumi ein Desaster wird, und seht, was passiert ist.«

»Das ist kein Desaster«, beharrte Zach. »So eine Publicity hätten wir nicht mal für Geld bekommen. Das ist genial! Und das alles dank dir. Na gut, dank dir und einem notgeilen Mops.«

»Ich will kein Wort mehr darüber hören.« Ich spürte meine Wangen schon wieder brennen. Das war alles Zachs Schuld. Wenn er nicht angefangen hätte, hier zu arbeiten, hätte es das Event nicht gegeben, und hätte es das Event nicht gegeben, würden jetzt nicht Bilder von mir kursieren, auf denen ich praktisch von einem Mops geschändet wurde.

Er wechselte das Thema. »Ich mag übrigens deine Schwester.«

»Darüber will ich auch nichts hören.«

Ich spürte, wie Zach und Eugene hinter mir Blicke wechselten, und fuhr damit fort, Bücher aus den Kisten zu heben.

»Okay, falls mich jemand braucht, ich gehe mal unten die Fotos von gestern Abend durch«, verkündete Zach. Er trampelte die Treppe runter, und ich funkelte über meine Schulter hinweg erbost Eugene an, der immer noch grinsend in sein Handy starrte.

»Willst du mir vielleicht helfen?«, fuhr ich ihn an und deutete auf die Kisten.

Er blickte von seinen Memes auf, als hätte ich ihn gerade dabei erwischt, wie er einen Zehner aus der Kasse stibitzte, und schob das Handy in seine Hosentasche.

»Wie war’s im Pub?«, fragte ich ein paar Minuten später. Ich versuchte, ganz beiläufig zu klingen, während ich mit dem Eifer eines Mörders die Klinge über den nächsten Streifen Klebeband zog.

»Gut. Haben ein paar Shots getrunken und sind dann nach Hause.«

»Nichts, was ich wissen sollte. Kein Tratsch?«

Eugene sah mich ratlos an. »Was für Tratsch?«

»Ach, nichts«, erwiderte ich und dachte, was für ein Glück es doch war, dass er in einer Buchhandlung arbeitete und nicht für den Geheimdienst.

Bis zur Mittagspause hatte sich die Situation nicht gebessert. Genauso wenig wie meine Stimmung. Wenn überhaupt, hatte sich beides nur verschlimmert. Da die Memes auf Twitter förmlich explodiert waren, stand die Ladenfront unter der Dauerbelagerung von Fumi & Percy-Fans, die draußen Fotos knipsten. Sie posierten alleine oder in Grüppchen und machten dabei mit den Fingern das Peace-Zeichen unter dem Frisbee Books Ltd-Ladenschild. Ein paar von ihnen besaßen sogar die Frechheit, in den Laden zu kommen und zu fragen, ob ich mich mit ihnen fotografieren lassen würde. Als ich zum fünften Mal an diesem Tag gefragt wurde – von einem schlaksigen Jungen in einem Superdry-T-Shirt –, stapfte ich erbost nach unten. Zach saß an seinem Laptop und bearbeitete Fotos.

»Das ist ein Albtraum, und es muss aufhören«, sagte ich.

Er wirbelte in seinem Sessel herum und streckte die Arme hinter seinem Kopf aus. »Hör zu, es tut mir leid, dass du dich aufregst, aber für den Laden ist es super, und in zwei Tagen wird die ganze Sache vergessen sein.«

»Das ist es also, ja? Das ist deine Antwort darauf, dass ich den ganzen Vormittag belästigt werde? Ich bin eine nationale Lachnummer, Zach!«

Er seufzte und plusterte die Wangen auf. »Warum machst du nicht früher Feierabend? Eugene und ich kommen zurecht. Geh heim und gönn dir heute Abend einen Drink. Morgen wird die ganze Sache Schnee von gestern sein.«

»Na schön«, sagte ich. Normalerweise hätte ich ein schlechtes Gewissen gehabt, früher zu gehen, aber heute kümmerte es mich kein bisschen. Ich stapfte wieder nach oben.

»Ich mache für heute Schluss«, sagte ich zu Eugene und griff nach meinem Rucksack hinter der Kasse. »Wir sehen uns Montag.«

Ich öffnete die Tür und kam mir dabei vor wie ein Promi, der ein Hotel verlassen und sich draußen einem Ansturm von Paparazzi und Fans stellen muss. Nur, dass auf dem Bürgersteig bloß zwei Mädchen standen und kicherten, während eine den Arm ausstreckte, um ein Selfie von ihnen beiden zu machen. Dennoch köchelte ich auf dem gesamten Nachhauseweg vor Wut. Und die Schuld dafür gab ich ganz allein Zach.