Kapitel 11

Noah

S ie hat mir die Tür vor der Nase zugeschlagen.

Sie hat mir tatsächlich die Tür vor der Nase zugeschlagen.

Ich atmete tief ein und bemerkte dieses besondere Brennen in meiner Lunge, das immer auftrat, wenn ich in großer Höhe unterwegs war. Von allen möglichen Szenarien, die ich mir während des Fluges ausgemalt hatte, war dies keines gewesen.

Mir war eine Lösung eingefallen, als ich die Briefe von Scarlett und Jameson noch einmal durchlas. Jameson war es gelungen, Scarletts Schutzmauern zu durchdringen, weil er vor Ort gewesen war und ihren Koffer in Middle Wallop festgehalten hatte, also hatte ich meinen gepackt und war in ein Flugzeug gestiegen.

Ich beruhigte mich, hob meine Hand und klopfte erneut. Zu meiner Überraschung öffnete sie die Tür.

«Wie ich schon sagte, versuch jetzt mal, einfach …» Mir blieben die Worte im Hals stecken.

Hier stimmte etwas ganz und gar nicht. Georgia wirkte … angeschlagen, als hätte sie gerade eine Nachricht erhalten, nach der man sich erst einmal hinsetzen musste. Sie war genauso schön wie sonst auch, aber ihre Haut war blutleer, ihr Gesicht ausdruckslos, und der Blick aus ihren Augen – diesen atemberaubenden blauen Augen – war leer.

«Ist alles in Ordnung?», fragte ich leise, und meine Brust zog sich zusammen.

Sie schaute für einen Moment durch mich hindurch. «Was willst du, Noah?»

Irgendetwas stimmte definitiv nicht.

«Darf ich reinkommen? Ich verspreche, nicht über das Buch zu reden.» Wieder zog sich meine Brust zusammen, und ich verspürte den überwältigenden Drang, das, was auch immer hier schiefgelaufen war, wieder geradezurücken.

Georgia runzelte die Stirn, aber sie nickte und hielt mir die Tür auf.

«Komm, wir besorgen dir etwas zu trinken.» War irgendetwas mit Damian vorgefallen?

Sie nickte erneut, dann führte sie mich den Flur entlang in eine geräumige Küche. Ich konnte nur mit Mühe verhindern, meine Hand auf ihren Rücken zu legen oder ihr eine Umarmung anzubieten. Eine Umarmung ?

Ich war noch nie in diesem Teil des Hauses gewesen, aber die Küche passte zu dem, was ich bisher gesehen hatte. Sie war im toskanischen Stil gehalten, mit warmen Holzschränken und einer dunklen Arbeitsfläche aus Granit. Verschnörkelte, aber nicht übertriebene Schnitzereien zierten das Holz, die Küchengeräte waren von professioneller Qualität. Das Einzige, was fehl am Platz wirkte, waren leicht vergilbte Malereien, die an einer Pinnwand hingen.

«Setz dich doch», forderte ich sie auf und deutete auf die Hocker entlang der Kücheninsel.

«Ist das nicht eigentlich mein Text?», fragte sie und wandte den Blick ab.

«Lass uns einfach so tun, als wären unsere Rollen für den Moment nicht festgelegt.» Ich ging zum Herd und entdeckte einen Teekessel auf der hinteren Kochplatte. Zu meiner Erleichterung setzte Georgia sich hin und stützte ihre Unterarme auf den Granit.

Ich ließ die Schlüssel meines Mietwagens in meine rechte Tasche gleiten, füllte den Teekessel mit Wasser, stellte ihn zurück auf den Herd und zündete die Gasflamme an. Dann begann ich mit der Suche.

Ich musste drei Schränke durchstöbern, bis ich endlich fündig wurde. «Hast du eine Lieblingssorte?»

Georgia blickte an mir vorbei zu dem sorgfältig geordneten Teesortiment. «Earl Grey», antwortete sie.

Neben dem Tee stand eine Flasche mit flüssigem Honig in Form eines Bären, den ich instinktiv ebenfalls auf die Arbeitsplatte stellte.

«Du trinkst keinen?» Georgia warf einen Blick zu dem einzelnen Teebeutel.

«Ich bin eher der Typ für heißen Kakao», gab ich zu.

«Aber du kochst gerade Tee.»

«Du siehst aus, als könntest du einen brauchen.»

Zwischen ihren Augenbrauen bildeten sich zwei Furchen. «Aber warum solltest du …» Sie schüttelte den Kopf.

«Warum sollte ich was ?» Ich stand ihr gegenüber an der Kücheninsel und stützte mich mit den Handflächen auf dem Granit ab.

«Schon gut.»

«Warum sollte ich was ?», fragte ich erneut. «Warum sollte ich mich um dich kümmern?», riet ich.

Ihr Blick zuckte zu mir.

«Weil ich, entgegen der landläufigen Meinung, kein ganz so großes Arschloch bin und du aussiehst, als wäre gerade dein Hund gestorben.» Ich neigte den Kopf zur Seite. «Und sowohl meine Mutter als auch meine Schwester würden mir in den Hintern treten, wenn ich es nicht täte.» Ich zuckte mit den Schultern.

Überraschung flackerte in ihren Augen auf. «Aber sie würden nie davon erfahren.»

«Ich versuche die meiste Zeit meines Lebens so zu leben, als könnte meine Mutter jederzeit herausfinden, was ich gemacht habe.» Meine Mundwinkel wanderten in die Höhe. «In Wirklichkeit findet sie es tatsächlich fast immer heraus, und dann hält sie mir stundenlang Schimpftiraden. Stundenlang . Und was die restlichen Dinge angeht … na ja, von denen wird sie niemals erfahren.» Plötzlich fiel mir die durchdringende Stille im Haus auf, und ich runzelte die Stirn. «Wo ist deine Mutter? Normalerweise ist sie diejenige, die darauf achtet, dass du genug trinkst.»

Sie schnaubte abfällig. «Sie hat darauf geachtet, dass du genug trinkst. Dass ich mich selbst versorgen kann, ist ihr mehr als bewusst.» Sie verschränkte ihre Finger vor sich, ihre Knöchel wurden weiß. «Außerdem kommt sie wahrscheinlich bald am Flughafen an.»

Mir wurde flau im Magen. Angesichts ihres Tonfalls würde ich jede Wette eingehen, dass Ava der Grund für Georgias verstörten Zustand war. «Hatte sie die Reise schon länger geplant?»

Georgia lachte, aber es klang nicht fröhlich. «Ja, ich würde sagen, sie war sehr lange im Voraus geplant.»

Bevor ich fragen konnte, was sie damit meinte, pfiff der Teekessel. Ich nahm ihn vom Herd und merkte erst in dem Moment, dass ich nicht wusste, wo die Tassen standen.

«Linker Schrank, zweites Fach», sagte Georgia.

«Danke.» Ich griff nach einer Tasse und ließ den Teebeutel hineingleiten.

«Ich sollte diejenige sein, die sich bei dir bedankt.»

Ich hob eine Braue. «Keine festgelegten Rollen, schon vergessen?»

Sie schenkte mir ein Lächeln. Es war kaum zu sehen und währte nur den Bruchteil einer Sekunde, aber es war echt.

«Trinkst du ihn auch mit Milch?», fragte ich und schob ihr die Tasse und den Honig über die Kücheninsel zu.

«Um Himmels willen, nein.» Sie drehte den Honigbär auf den Kopf und drückte einen Klecks der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in ihren Tee. «Gran würde sagen, das ist ein Sakrileg.»

«Würde sie das?», fragte ich in der Hoffnung, dass sie mir erklärte, warum.

Georgia nickte, rutschte von ihrem Hocker, kam um die Insel herum und öffnete die Schublade direkt hinter mir. «Würde sie.» Sie nahm einen Löffel heraus und setzte sich wieder hin, bevor sie ihren Tee umrührte. «Sie nahm allerdings lieber Zucker. Honig gab es immer nur für mich. Egal, wie lange ich weg war, er stand immer für mich bereit, sie hatte hier immer einen Platz für mich.» Ein wehmütiger Ausdruck zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.

«Du vermisst sie sicher sehr.»

«An jedem Tag. Vermisst du deinen Dad?»

«Auf jeden Fall. Es ist mit der Zeit besser geworden, aber ich würde alles dafür geben, ihn zurückzubekommen.» Wenn ich es mir recht überlegte, hatte ich bisher immer nur von den Stanton-Frauen gehört. «Was ist mit deinem Dad?»

«Ich habe keinen.» Sie sagte das so sachlich, dass ich zusammenzuckte. «Ich meine, natürlich habe, oder hatte, ich einen. Ich bin nicht das Produkt einer unbefleckten Empfängnis oder so», sagte sie, während sie ihren Löffel zum Geschirrspüler brachte und ihn hineinräumte. «Ich bin ihm nur noch nie begegnet. Er und meine Mutter waren beide noch auf der Highschool, als ich geboren wurde, und sie hat mir seinen Namen nie verraten.»

Ein weiteres Teil des Puzzles namens Georgia Stanton fand seinen Platz. Sie hatte ihren Vater nie kennengelernt. Scarlett hatte sie aufgezogen. Welche Rolle spielte dann Ava in ihrem Leben?

«Bist du sicher, dass du nichts trinken möchtest?», fragte sie. «Es fühlt sich ein bisschen komisch an, dir nichts anzubieten, wo du doch Tee für mich gemacht hast.» Sie sah mich erwartungsvoll an.

«Nicht alles erfordert eine Gegenleistung», sagte ich leise.

Sie richtete sich kerzengerade auf, drehte mir den Rücken zu und ging zum Kühlschrank. «Meiner Erfahrung nach wird immer eine Gegenleistung gefordert.» Sie nahm eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und schloss ihn wieder. «Es gibt tatsächlich kaum jemanden, der nichts von mir will.» Sie stellte die Wasserflasche vor mir auf die Arbeitsplatte und setzte sich wieder an ihren Platz. «Also bitte, trink etwas. Du bist schließlich nicht den ganzen Weg nach Colorado geflogen, weil dein siebter Sinn dir gesagt hat, ich könnte eine Tasse Tee gebrauchen.»

Du willst auch etwas .

Ihr Blick sagte das, auch wenn ihr Mund es nicht aussprach, und verdammt, sie hatte recht. Mein Magen fühlte sich an wie ein Loch ohne Boden.

Ich nickte, und dann tranken wir beide.

«Warum bist du hier? Nicht, dass ich nicht dankbar für den Tee oder die Ablenkung wäre, denn das bin ich. Ich habe nur nicht mit dir gerechnet.» Sie beugte sich vor und wärmte ihre Hände an der Tasse.

«Ich habe versprochen, nicht über das Buch zu sprechen.» Buch hin oder her, ich war froh, hier zu sein, froh, sie auf eine Weise zu sehen, die nichts mit dem Beruflichen zu tun hatte. Diese Frau war mir während des letzten Monats auf die eine oder andere Weise nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

«Hältst du immer deine Versprechen?» Ihre Augen verengten sich misstrauisch.

«Ja. Sonst würde ich das Versprechen gar nicht erst geben.» Diese Lektion war teuer gewesen.

«Sogar bei den Frauen in deinem Leben?» Sie legte den Kopf schief. «Ich habe ein paar Fotos gesehen.»

«Hast du etwa ein Auge auf mich geworfen?» Bitte sag Ja . Gott allein wusste, dass mein Browserverlauf voll war mit Suchanfragen zu Georgia Stanton.

«Meine beste Freundin schickt mir ständig Fotos und Artikel über dich. Sie meint, ich sollte dich flachlegen.» Sie zuckte mit den Schultern.

Sie tut was? Ich krallte die Finger so fest um meine Wasserflasche, dass ich sie zerdrückte. «Wirklich?» Ich senkte meine Stimme und verdrängte jedes einzelne Bild, das mir nach ihrem Satz in den Sinn kam, aus meinem Kopf – zumindest versuchte ich es.

«Lustig, nicht wahr? Vor allem, wenn man das Heer an Frauen bedenkt, denen gegenüber du anscheinend deine Versprechen hältst.» Sie schenkte mir ein zuckersüßes Lächeln und klimperte mit den Wimpern.

Ich lachte, dann schüttelte ich den Kopf. «Georgia, die einzigen Versprechen, die ich Frauen gebe, sind die zu der Uhrzeit, zu der ich sie abhole, und zu dem, was sie erwarten können, während sie mit mir zusammen sind. Tage. Nächte. Wochen. Ich finde, es erspart allen eine Menge Missverständnisse und eine Menge Drama, wenn jeder im Voraus weiß, was er bekommt. Und trotz deiner Meinung zu meinen Büchern hat sich noch nie jemand beschwert, es wäre unbefriedigend gewesen.» Ich drehte den Deckel wieder auf meine leere Wasserflasche und versuchte hartnäckig, die Gedanken an das, was ich ihr versprechen wollte, weit von mir wegzuschieben.

«Wie romantisch.» Sie rollte mit den Augen, aber ihre Wangen wurden rot.

«Ich habe nie behauptet, dass ich das wäre.» Ich lehnte mich schmunzelnd gegen die Arbeitsplatte.

«Ah ja. Ist notiert. Du hast also noch nie ein Versprechen gebrochen?» Ihr Unglauben ließ ihre Stimme in die Höhe schnellen.

Ich verzog das Gesicht. «Nicht, seit ich sechzehn war und vergessen habe, mit meiner kleinen Schwester Adrienne Eis essen zu gehen, obwohl ich es versprochen hatte.» Ich zuckte zusammen und erinnerte mich an das Piepsen der Krankenhausmonitore. «Meine Mom hat sie dann mitgenommen und hatte dabei den Unfall, von dem ich dir erzählt habe.»

Georgia riss die Augen auf.

«Adrienne – meine Schwester – blieb unverletzt, aber Mom … na ja, sie musste oft operiert werden. Danach habe ich mir vorgenommen, nur dann etwas zuzusagen, wenn ich sicher bin, dass ich es durchziehen kann.» Im darauffolgenden Sommer hatte ich auch mein erstes Buch geschrieben.

«Du hast noch nie einen Abgabetermin verpasst?»

«Nein.» Aber das könnte sich ändern, wenn sie nicht bald anfing, mit mir über dieses spezielle Buch zu sprechen.

Neugierde funkelte in ihren kristallblauen Augen. Ich könnte einen ganzen Roman über diese Augen schreiben. In gewisser Weise schrieb ich schon an diesem Roman, denn Scarlett und sie hatten die gleichen Augen.

«Du hast noch nie einen Neujahrsvorsatz über den Haufen geworfen?»

Ich grinste. «Ich beschließe nie welche», gab ich zu, als wäre es ein schmutziges kleines Geheimnis.

Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum.

Scheiße . Ich wollte dasselbe tun. Die Flasche knisterte in meiner Hand.

«Hast du noch nie eine Frau bei einem Date versetzt?»

«Ich sage immer, dass ich mein Bestes gebe, um es zum Date zu schaffen, und das tue ich auch. Ich verspreche einer Frau nie, dass ich mich mit ihr treffe, außer, ich bin bereits vor Ort.» Jede Frau, die mit mir ausging, wusste, die Wahrscheinlichkeit war groß, dass ich das Date mit einer kurzen Nachricht absagte, weil ich gerade in meinem Manuskript vergraben war. Zugegeben, ich schickte die Nachricht Stunden im Voraus, aber die Geschichte hatte Vorrang. Immer. «Ich bin nicht gerade der Typ, auf den man sich vor einer Deadline verlassen kann. Es sei denn, man ist mein Verleger.»

«Bei dir geht es also darum, wie du dich am besten mit Wortklaubereien herauswindest», sagte sie und nippte an ihrem Tee.

Ich schaffte es gerade eben, nicht entsetzt zu stottern. «Nein, mir geht es eher darum, Erwartungen zu definieren und sie entweder zu erfüllen oder zu übertreffen.» Wir sahen uns in die Augen, und wieder fühlte es sich an wie ein elektrischer Schlag.

«Mhm-hm.» Sie schnalzte mit der Zunge. «Gehst du immer noch mit deiner Mutter essen?»

«Einmal in der Woche. Es sei denn, ich bin auf Lesetour, auf Recherchereise oder im Urlaub.» Ich dachte kurz nach. «Manchmal zwingt sie mich, es auf jede zweite Woche zu reduzieren.» Meine Mundwinkel zuckten.

«Sie zwingt dich , die Verabredungen mit ihr zu reduzieren?»

«Das tut sie.» Ich nickte. «Sie möchte, dass ich weniger Zeit in ihrem Haus und mehr Zeit damit verbringe, eine Ehefrau zu finden.»

Georgia fuhr zusammen, spuckte fast ihren Tee aus. «Eine Ehefrau.» Sie stellte die Tasse auf den Tresen. «Und wie läuft das bisher?»

«Ich lasse es dich wissen, sobald es etwas zu wissen gibt», sagte ich und schaffte es, keine Miene zu verziehen.

«Bitte tu das. Ich fände es furchtbar, nicht auf dem Laufenden zu sein, was dein Liebesleben betrifft.»

Ich lachte und schüttelte wieder den Kopf. Sie war wirklich außergewöhnlich.

«Gran hätte dich gemocht», sinnierte sie leise. «Sie war zwar kein Fan von deinen Büchern, aber dich hätte sie gemocht. Du hast genau die richtige Mischung aus Arroganz und Talent, das hätte sie zu schätzen gewusst. Außerdem schadet es nicht, dass du hübsch bist. Sie mochte hübsche Männer.» Georgia rieb sich über den Nacken. Er war lang und anmutig, genau wie der Rest von ihr.

«Du findest, ich bin hübsch.» Ich grinste und zog die Augenbrauen hoch.

Sie rollte mit den Augen. «Alles, was bei dir hängen geblieben ist, ist hübsch

«Hättest du sexy, gut aussehend, bestens ausgestattet oder mit einem Körper wie ein Gott gesagt, hätte ich mich darauf konzentriert, aber das hast du nicht, also muss ich mich mit dem begnügen, was ich kriege.» Ich warf meine Wasserflasche in den Papierkorb neben der Kücheninsel.

Ihre Wangen wurden noch röter.

Mission erfüllt. Sie war eine Zeit lang so blass gewesen, dass ich mich schon gefragt hatte, ob ich ihr Feuer noch einmal zu sehen bekommen würde.

«Zu den letzten beiden kann ich wohl kaum etwas sagen.» Sie räumte ihre Tasse in die Spülmaschine.

«Schätze, deine Freundin hat dir nicht alle Artikel gezeigt», zog ich sie auf. Es gefiel mir, dass sie ordentlich war. Nicht, dass mir irgendetwas an ihr zu gefallen hatte, auch nicht die Art, wie ihre Shorts sich an ihren sehr schönen Hintern schmiegten, aber ich mochte es trotzdem. Wie hatte dieser Hintern meiner Aufmerksamkeit bei meinem letzten Besuch entgehen können? Oder diese kilometerlangen Beine? Du hattest andere, wichtigere Dinge im Kopf . «Zu den ersten beiden Dingen kannst du also etwas sagen?» Mein Blick wanderte ihren Nacken hinunter, als sie sich wieder auf ihren Platz setzte.

«Kommt darauf an, wie sehr du mir im Moment auf die Nerven gehst.» Sie hob eine Schulter.

«Wie ist es jetzt gerade?»

Sie ließ ihren Blick über mich schweifen, von Kopf bis Fuß und wieder zurück, musterte meine Cargo-Shorts und mein T-Shirt mit dem Aufdruck NYU . Wenn ich gewusst hätte, dass ich heute begutachtet werde, hätte ich den Armani-Anzug angezogen .

«Ich würde sagen, du bist eine solide Sieben», sagte sie, wieder ohne eine Miene zu verziehen.

Nett . Ich hob eine Augenbraue. «Und wenn ich dir gerade auf die Nerven gehe?»

«Dann rutschst du auf der Skala direkt ins Negative.»

Ich lachte. Verdammt, wie lange war es her, dass mich eine Frau innerhalb weniger Minuten so oft zum Lachen gebracht hatte?

Sie legte ihre gefalteten Hände auf der Kücheninsel ab, und ihre Ausstrahlung veränderte sich. «Sag mir, warum du wirklich hier bist, Noah.»

«Ich habe versprochen …»

«Willst du also einfach in meiner Küche stehen bleiben und mir noch einen Tee kochen?» Sie reckte ihr Kinn. «Ich weiß, dass du wegen des Buches hier bist.»

Ich betrachtete sie genau, sah, dass sie wieder Farbe auf den Wangen hatte, und erkannte ein Funkeln in ihren Augen. Sie war fast wieder bei dem angelangt, was ich als ihren Normalzustand beschreiben würde, aber um ganz ehrlich zu sein, hatte ich, was Georgia Stanton betraf, überhaupt keinen Maßstab. Bei ihr befand ich mich im Blindflug.

«Willst du mal hier raus?», fragte ich.

«Was hast du vor?» Sie wirkte mehr als nur skeptisch.

«Wie steht es um deine Lebensversicherung?»

***

«N ein», sagte sie eine halbe Stunde später, während sie die Felswand anstarrte, die sich hundert Meter über uns erstreckte.

«Es macht Spaß», widersprach ich und deutete auf ein paar Jungs, die grinsend ihre Ausrüstung zusammenpackten. «Die finden sicher auch, dass es Spaß macht.»

«Wenn du wirklich glaubst, dass ich da hochklettere, bist du verrückt geworden.» Sie schob sich ihre Sonnenbrille ins Haar, um mir zu zeigen, dass sie es ernst meinte.

«Du sollst ja nicht das ganze Ding erklettern», sagte ich. «Gleich da drüben gibt es eine leichtere Kletterroute.» Die war nur etwa zehn Meter hoch, selbst meine Nichte könnte sie leicht bewältigen. Aber das würde ich Georgia auf keinen Fall sagen.

«Willst du mich umbringen?», fragte sie flüsternd, weil die anderen Kletterer auf dem Pfad an uns vorbeigingen.

«Wir haben alles Nötige an Ausrüstung dabei.» Ich klopfte auf den Schulterriemen meines Rucksacks. «Ich habe einen zusätzlichen Klettergurt mitgenommen.» Ich beäugte ihr Schuhwerk. «Deine Schuhe sind nicht gerade das, was ich zum Klettern empfehlen würde, aber sie reichen aus, bis wir dir ein paar bessere besorgt haben.»

Ihre Augen verengten sich. «Als du sagtest, zieh dir Sportklamotten an und lass uns wandern gehen , nahm ich – und das mag dich schockieren – an, dass wir wirklich wandern gehen würden.» Sie deutete auf die eng anliegenden Sportsachen, die sie übergezogen hatte.

«Wir sind gewandert», widersprach ich. «Eine halbe Meile, vom Parkplatz bis hierher.»

«Schon wieder diese Wortklaubereien!», schnauzte sie und stemmte die Hände in ihre sehr ansehnlichen Hüften.

Hör auf, ihre verdammte Hüfte anzustarren .

«Wovor hast du Angst?» Ich setzte meine Mets-Cap andersherum auf und schob mir die Brille auf den Kopf.

«Vom Berg zu fallen!» Sie deutete auf die Felswand. «Das ist eine ziemlich realistische Angst, wenn man vorhat, auf ihn drauf zu klettern

«Betrachte es einfach als vertikales Wandern.» Ich zuckte mit den Schultern.

«Du bist unmöglich.» Sie zeigte mit dem Finger in meine Richtung.

«Das mit der Lebensversicherung war nur ein Scherz. Ich werde dich nicht fallen lassen.» Niemals . Man hatte sie schon zu oft fallen lassen.

Sie schnaubte. «Okay. Na schön. Und wie genau willst du es verhindern?» Sie zog die Augenbrauen hoch.

«Ich werde dein Sicherungspartner sein und das Seil halten, falls du den Halt verlierst. Wir legen den Gurt an und …»

«Warum zum Teufel hast du überhaupt einen extra Gurt dabei? Fliegst du in den Vereinigten Staaten herum in der Hoffnung, dass du irgendwo eine Sportkletterin aufgabelst?» Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

«Nein.» Ich fragte mich unwillkürlich, ob diese Vorstellung sie ärgerte oder nicht. Das machte mich natürlich zum letzten Arsch, aber der Gedanke, dass Georgia sich aus Eifersucht so aufregte, war verdammt heiß. «Das ist mein Ersatzgurt, falls meiner kaputt geht. Ich klettere gerne, deshalb nehme ich meine Ausrüstung mit, wenn ich irgendwohin fahre, wo es Berge gibt … du weißt schon, Orte wie Colorado

«Woher kennst du diesen Ort überhaupt?», fragte sie, noch immer mit deutlicher Feindseligkeit in der Stimme.

«Ich habe ihn bei meinem letzten Besuch hier entdeckt.»

Sie neigte den Kopf zur Seite.

«In den Tagen, in denen ich auf deine Entscheidung gewartet habe, ob ich gut genug bin, um das …»

«Du hast es versprochen!» Und wieder fuchtelte der Finger in meine Richtung.

Ich presste die Lippen zusammen, atmete durch die Nase ein und aus und zählte bis drei. «Georgia, ich werde dich nicht zwingen, diesen Felsen zu erklettern …»

«Als ob du das könntest.»

«Aber ich verspreche dir, dass ich dich nicht vom Berg fallen lassen werde, falls du dich entscheidest, doch hinaufzuklettern.» Ich senkte mein Gesicht näher an ihres heran, um ihr zu verdeutlichen, dass ich es ernst meinte.

Meine beste Freundin meint, ich sollte dich flachlegen . Von dem Moment an, in dem sie das gesagt hatte, hatte sich mein Gehirn in eine Platte mit Sprung verwandelt.

«Weil du die Schwerkraft kontrollieren kannst?» Sie blinzelte.

Noch nie in meinem Leben war ich einer derart frustrierenden Frau begegnet. «Weil …»

Sie hob wieder die Braue.

Ich seufzte. «Falls du dort hinaufklettern wolltest , würde ich vorgehen und das Seil einhängen. Ich habe die Stelle schon ausgekundschaftet, als ich das erste Mal hier war.»

Ihre Augenbrauen senkten sich wieder. «Und was hält dich davon ab, herunterzufallen?»

Ich ließ den Rucksack von meinen Schultern rutschen und schüttelte ihn leicht.

«Ich hake mich einfach ein. Das hier ist nicht der Yosemite Nationalpark. Der Kletterpfad wird sehr häufig bestiegen. Wenn du dann anfängst zu klettern, sichere ich dich, und falls du wirklich abrutschen solltest , baumelst du einfach am Seil, bis du wieder sicheren Tritt gefunden hast.»

Ihr fiel die Kinnlade herunter. «Was?»

Ich hob den Rucksack leicht an. «Wir sind durch das Seil verbunden, ich an einem Ende und du am anderen.»

Sie wich zurück.

«Dir kann nichts passieren», versprach ich.

Sie schüttelte den Kopf, die Lippen zusammengepresst.

Plötzlich kam mir ein Gedanke. «Georgia, wenn du nicht klettern willst, weil du Höhenangst hast oder Sorge hast, dir die Hände aufzuschürfen, oder einfach keine Lust darauf hast, ist das völlig in Ordnung.»

«Das weiß ich.» Ihr Blick verriet, dass sie das nicht gewusst hatte. Was? Hatte sie wirklich gedacht, ich würde sie den Berg hinaufzerren, obwohl sie mich anflehte, es nicht zu tun?

«Gut.» Mir tat die Brust weh. «Aber wenn du nicht klettern willst, weil du Angst hast, dass ich dich fallen lasse, dann ist das etwas ganz anderes. Ich verspreche dir, dass ich dich nicht fallen lassen werde.» Ich sprach leise und ruhig, in der Hoffnung, dass sie heraushörte, wie ernst ich das meinte. «Ich kann das wirklich gut.»

Sie schluckte, dann blickte sie auf den Rucksack. «Ich kenne dich kaum.»

«Dann hat deine Freundin offensichtlich noch mehr Artikel übersehen. Du kannst meine bisherigen Klettertouren googeln, falls wir hier oben Empfang haben. Man kann überall nachlesen, dass ich ein begeisterter Kletterer bin, und ich nehme nicht nur die leichten Routen.»

Sie runzelte die Stirn. «Ich habe nie behauptet, dass du kein guter Kletterer bist.»

Mein Magen krampfte sich zusammen. «Es ist also nicht mein Können, das dir Sorgen macht», sagte ich langsam.

Sie wandte den Blick ab und verlagerte ihr Gewicht. «Du könntest ein Serienmörder sein», sagte sie und hob die Hände, wobei ihre Stimme vor Sarkasmus nur so triefte.

Ablenkungsmanöver. Sie benutzt Humor, um abzulenken .

«Das bin ich nicht.»

«In deinen Büchern tötest du eine Menge Menschen. Ich mein ja nur.» Sie legte den Kopf in den Nacken und sah die Felswand hinauf.

«Ich ermorde sie aber nicht, und wer redet hier jetzt von Büchern?»

Ein Lächeln umspielte ihre Lippen.

«Außerdem sind da drüben noch drei andere Kletterer.» Ich deutete auf eine Gruppe auf halber Höhe der Felswand. «Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mich anzeigen würden, sollte ich dich am helllichten Tag ermorden.»

Sie sah schweigend zu den anderen.

«Du willst nicht klettern, oder?», fragte ich leise.

Sie schüttelte den Kopf und schürzte die Lippen, ohne den Blick abzuwenden.

Ihre Weigerung tat weh. Das sollte es eigentlich nicht, das wusste ich auch, aber dennoch tat es weh. «Willst du den Rest des Weges nach oben wandern?»

Überrascht drehte sie den Kopf in meine Richtung. «Du kannst klettern gehen. Ich schaue gerne zu.»

«Ich bin nicht meinetwegen hier hochgekommen.» Wir waren hier, weil ich hoffte, dass die frische Luft ihr helfen würde, das loszuwerden, was sie vorhin so runtergezogen hatte.

Sie zuckte zusammen. «Ich fände es schlimm, wenn du etwas verpassen würdest. Geh nur. Ich komme klar.» Sie nickte und setzte ein so falsches Lächeln auf, dass es fast schon komisch wirkte.

«Ich würde lieber mit dir wandern gehen. Los, komm.» Ich deutete mit einem Nicken in Richtung des Wanderwegs und schob mir meinen Rucksack über die Schultern.

«Bist du sicher?» Sie verengte ihre Augen.

«Ja.»

«Es liegt nicht an dir.» Sie holte tief Luft, dann blickte sie wieder zur Felswand hinauf. «Der letzte Mann, der versprochen hat, für meine Sicherheit zu sorgen, hat es vermasselt und mich unsanft aufprallen lassen», sagte sie leise. «Aber ich vermute, das weißt du schon. Jeder weiß es.»

Wäre ich ein Serienmörder, wie sie es mir scherzhaft vorgeworfen hatte, wäre Damian Ellsworth mein erstes Opfer.

«Und nach dem heutigen Tag …» Sie schüttelte den Kopf, ihr Mund zitterte. «Heute ist einfach kein guter Tag für diese ganze Vertrauenssache. Also, lass uns laufen.» Sie zwang sich zu einem weiteren Lächeln und setzte sich dann in Bewegung.

Sie vertraut dir nicht . Ich fluchte leise, als mir klar wurde, dass es derselbe Grund war, aus dem sie mich das Buch nicht so beenden ließ, wie ich es wollte.

Es war alles eine Frage des Vertrauens.

Ich folgte ihr erst, nachdem ich mich beruhigt hatte, und verfluchte insgeheim die Ironie des Ganzen. Ich hatte den größten Teil meines Lebens damit verbracht, mich an mein Wort zu halten, und jetzt wurde es von einer Frau infrage gestellt, die so oft hatte einstecken müssen und dadurch abgestumpft war, dass selbst ich nicht aus dem Loch herauskam, das jemand anderes gegraben hatte.

Vermutlich war es ganz gut, dass ich ein erfahrener Kletterer war.

«Wie lange bleibst du hier?», fragte sie, als wir den Pfad hinaufliefen.

«Bis ich das Buch fertig habe.» Meine Lunge brannte. «Und da mein Abgabetermin in zweieinhalb Monaten ist, schätze ich, dass ich ungefähr so lange hier sein werde.»

«Was? Wirklich?»

«Wirklich.»

Zwischen ihren Augenbrauen erschienen zwei kleine Furchen. «Und wo wohnst du?»

«Ich habe ein kleines Häuschen gemietet, am Ende der Straße», antwortete ich, wobei sich ein süffisantes Lächeln auf meine Lippen stahl.

«Ach ja?»

«Jepp. Es heißt Grantham Cottage.»

Sie blieb hinter mir mitten auf dem Weg stehen, also drehte ich mich um und ging rückwärts weiter hinauf, um die Überraschung und das Entsetzen in ihrem Gesicht auszukosten. «Wie gesagt, versuch jetzt mal, einfach aufzulegen, Frau Nachbarin

Ihre Miene war all die Mühe, die es mich gekostet hatte, die Unterkunft zu finden, wert.