N utz die Ausstiegsklausel.
Das würde nicht passieren. Ich hatte einen Vertrag unterschrieben, in dem stand, dass ich das Buch fertigstellen würde, und das würde ich. Aber mein Wort zu halten, bedeutete, der einzigen Frau näherzukommen, die mich dazu brachte, sie besinnungslos küssen zu wollen, während sie mich gleichzeitig vor Frust die Wände hochgehen ließ.
Das Terrain war gefährlich, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, dem allzu viel Beachtung zu schenken. Georgia hatte mich genauso in ihren Bann gezogen wie das verdammte Buch. Die beiden waren so eng miteinander verwoben, dass ich sie nicht voneinander trennen konnte. Sie war genauso stur wie Scarlett bei ihrer ersten Begegnung mit Jameson, aber im Gegensatz zu Jameson hatte ich keine Constance, die mir helfen konnte.
Anders als bei Scarlett war Georgias Herz bereits gebrochen und ihr Vertrauen missbraucht worden.
Was Georgia betraf, stand es gerade zwei zu null für sie, und was das Buch betraf, befand ich mich in einer Sackgasse.
Georgia hatte recht. Scarlett war keine Romanfigur, sondern eine reale Person, die Georgia wirklich geliebt hatte. Nach allem, was ich über Georgias Mutter und ihren Arschloch-Ex mitbekommen hatte, war sie vielleicht der einzige Mensch auf der Welt, der Georgia wirklich und bedingungslos geliebt hatte.
Das hatte ich im Kopf, als ich mit einer letzten Idee und sehr viel gutem Willen, wie ich hoffte, auf Georgias Veranda stand. Ich war jetzt seit zwei Wochen in Colorado, hatte zwei leichte Viertausender bestiegen und seit gestern zwei Handlungsstränge fertig skizziert, die ich jederzeit anfangen konnte zu schreiben. In ein paar Tagen waren es nur noch zwei Monate bis zu meinem Abgabetermin.
«Hey», sagte sie mit einem verlegenen Lächeln, als sie die Tür öffnete.
«Danke, dass ich kommen durfte.» Eines Tages würde ich mich an diese Augen gewöhnen, die mich umhauten, aber dieser Tag war heute noch nicht gekommen. Ihr Haar war hochgesteckt und enthüllte die lange Linie ihres Halses. Ich wollte mit meinen Lippen an dieser Linie entlang fahren, und dann – Schluss jetzt .
«Kein Problem, komm rein.» Sie trat zurück, und ich folgte ihr.
«Das hier ist für dich.» Ich reichte ihr vorsichtig den mit Musselin umwickelten Wurzelballen, damit sie sich nicht an den Dornen der Pflanze darüber stach. «Es ist eine englische Teerose mit dem treffenden Namen Scarlett Knight. Ich dachte, sie könnte dir gefallen und du hättest vielleicht Lust, sie im Garten einzupflanzen.» Es war wahrscheinlich das seltsamste Geschenk, das ich je überreicht hatte, aber ich spürte irgendwie, dass selbst eine kleine blaue Schachtel von Tiffany diese Frau nicht erweichen würde.
«Oh! Danke.» Sie nahm die Pflanze entgegen, begutachtete sie mit Kennermiene und schenkte mir ein ehrliches Lächeln. Eine Gärtnerin also. Genau wie meine Mutter. «Sie ist wunderschön.»
«Gern geschehen.» Mein Blick streifte den Tisch im Foyer und blieb an der Vase hängen. Die Ränder der Glaswelle hatten die gleiche schaumige Textur wie die Skulptur in New York. «Die hast du gemacht, nicht wahr?»
Ihre Aufmerksamkeit wanderte von dem Rosenstrauch zu der Vase. «Ja. Gleich nach meiner Rückkehr aus Murano. Ich habe dort nach dem ersten Studienjahr einen Sommer lang einen Kurs gemacht.»
«Wow. Sie ist bemerkenswert.» Wie konnte jemand, der so etwas erschaffen hatte, einfach damit aufhören? Und was für ein Mann heiratete eine Frau mit so viel Feuer und löschte es dann systematisch aus?
«Danke. Ich liebe diese Vase.» Ein wehmütiger Ausdruck huschte über ihr Gesicht.
«Vermisst du es? Das Glasblasen?»
«In letzter Zeit schon.» Sie nickte. «Ich habe die perfekte Location für ein Atelier gefunden, aber ich kann die Kosten vor mir selbst nicht rechtfertigen.»
«Das solltest du aber. Ich bin sicher, du hättest keine Probleme damit, deine Skulpturen an den Mann zu bringen. Also, ich wäre dein erster Kunde.»
Ihr Blick ruckte zu meinem, und da war sie wieder, die unerklärliche Verbindung, die mich nachts wach hielt, wenn ich an sie dachte. «Ich sollte die hier ins Gewächshaus stellen.»
«Ich begleite dich», bot ich an und schluckte den nervösen Kloß herunter, der sich in meiner Kehle hochgearbeitet hatte, wie damals im Alter von sechzehn.
«Okay.» Sie führte mich durch die Küche zur Hintertür hinaus, aber anstatt direkt in den Garten zu gehen, bog sie links ab und schritt über die Terrasse zum Gewächshaus.
Der Hauch von Feuchtigkeit, der mir in dem Glasgebäude entgegenschlug, weckte bei mir fast Heimweh. Sowohl die Größe als auch die Vielfalt der Pflanzen hier drin waren beeindruckend. Der Boden bestand aus mit Moos überwucherten Pflastersteinen, und in der Mitte gab es sogar einen kleinen Springbrunnen, dessen stetiges Tröpfeln jegliche Geräusche der Außenwelt auslöschte.
«Kümmerst du dich selbst um all das hier?», fragte ich, während sie den Rosenstrauch zu einem Pflanztisch trug.
«Um Gottes willen, nein.» Sie schnaubte. «Ich kenne mich vielleicht ein bisschen mit Pflanzen aus, aber die Gärtnerin war Gran. Ich habe vor etwa fünf Jahren einen Profi eingestellt, nachdem sie kürzertreten musste.»
«Mit fünfundneunzig», fügte ich hinzu.
«Sie war einfach nicht zu stoppen.» Sofort war ihr Lächeln wieder da, das sich als zusätzlicher Schraubstock um meine Brust festzog. «Sie war so wütend auf mich. Sie sagte, ich würde mir Vermutungen über ihren Gesundheitszustand anmaßen. Ich widersprach mit dem Argument, dass ich ihr nur die Zeit ersparen wollte, die sie zum Gießen brauchte.»
«Aber du hast Vermutungen über ihren Gesundheitszustand angestellt.» Meine Mundwinkel zuckten in die Höhe.
«Sie war fünfundneunzig; kannst du mir das verübeln?» Sie stellte den Rosenstrauch auf der Bank ab. «Ich werde ihn später eintopfen.»
«Ich kann gerne warten.» Oder das hinauszögern, was ich ihr anbieten wollte. Irgendwie hatte Georgia geschafft, was weder dem College noch den Deadlines jemals gelungen war: Sie hatte mich zu einem Prokrastinierer gemacht.
«Bist du sicher?»
«Vollkommen sicher. Ich bin zwar der Letzte, der dir etwas zu Rosenstöcken erzählen kann, aber ist diese Sorte nicht eher für den Außenbereich gedacht?» Zumindest hatte es auf dem Foto im Internet so ausgesehen.
«Nun, ja, normalerweise schon. Aber es ist fast Oktober. Ich würde ihn nur ungern in die Erde stecken und dann einfach auf das Beste hoffen, denn sein kleines Wurzelsystem hätte vor dem ersten Frost fast keine Chance, sich zu entwickeln.» Sie öffnete den großen Schrank neben dem Tisch und nahm einen Behälter und verschiedene kleine Tüten heraus.
«Willst du mir damit sagen, dass es ein schlechtes Geschenk ist?» Es war nicht nur scherzhaft gemeint. Scheiße . Warum hatte ich daran nicht gedacht?
Ihre Wangen röteten sich. «Nein, ich will damit sagen, dass die Rose bis zum Frühling im Gewächshaus leben muss.»
«Kann ich dir helfen?»
«Macht es dir nichts aus, wenn du schmutzig wirst?» Sie musterte meine Sporthose und mein langärmeliges Mets-T-Shirt.
«Schmutzig mag ich es am liebsten.» Ich zuckte mit den Schultern und grinste.
«Hol die Blumenerde.» Sie rollte mit den Augen, während sie ihre Ärmel hochkrempelte.
Ich schob meine Ärmel ebenfalls hoch und ging zu dem Schrank, der viel tiefer war, als auf den ersten Blick zu erkennen. Auf dem Boden standen mindestens drei verschiedene Säcke.
«Welcher Sack ist es?»
«Der, auf dem Blumenerde steht.»
«Auf allen steht Blumenerde.» Ich begegnete ihrem amüsierten Blick mit einer hochgezogenen Augenbraue.
Sie beugte sich neben mir vor, und ihr Arm streifte meinen, als sie auf den blauen Sack deutete. «Den da, bitte.»
Wir sahen uns in die Augen, und die Zentimeter zwischen uns luden sich elektrisch auf. Sie war nah genug für einen Kuss – nicht, dass ich so etwas Leichtsinniges tun würde, aber verdammt, ich wollte es.
«Alles klar.» Mein Blick fiel auf ihre Lippen.
«Danke.» Sie wich zurück, während die Röte von ihrem Hals zu ihren Wangen hinaufstieg. Auch sie war nicht immun gegen mich, aber das hatte ich von der Sekunde an gewusst, als sich unsere Blicke in der Buchhandlung trafen. Es bedeutete aber nicht, dass sie entsprechend handeln wollte.
Ich schnappte mir den richtigen Sack, riss ihn auf und schüttete die Erde in den Behälter, ganz nach ihren Instruktionen.
«Perfekt.» Sie trat dazu und fügte eine Handvoll Erde aus verschiedenen kleineren Säcken hinzu und vermischte dann alles.
«Das wirkt sehr kompliziert.» Es war faszinierend, ihr bei der Wahl der Düngersorten zuzusehen.
«Ist es aber nicht», sagte sie achselzuckend und pflanzte den Rosenstock mit bloßen Händen ein. «Mit Pflanzen kann man viel einfacher umgehen als mit Menschen. Wenn man weiß, mit welcher Pflanze man es zu tun hat, dann weiß man auch, welchen pH-Wert der Boden haben muss. Ob sie ihn durchlässig oder gesättigt mag. Ob sie Stickstoff bevorzugt oder einen Kalziumschub braucht. Mag sie direkte Sonneneinstrahlung? Teilsonne? Schatten? Pflanzen sagen einem unmittelbar, was sie brauchen, und wenn man ihnen das gibt, wachsen sie. So gesehen sind sie ziemlich berechenbar.» Sie drückte die Erde sorgfältig flach und wusch sich dann die Hände an der Spüle des Pflanztisches.
«Menschen können auch berechenbar sein.» Ich hievte den nun halb leeren Sack zurück in den Schrank. «Wenn man weiß, auf welche Weise jemand verletzt wurde, hat man eine gute Vorstellung davon, wie er in einer bestimmten Situation reagieren wird.»
«Stimmt, aber wie oft weiß man schon, wie jemand verletzt wurde, bevor man eine Beziehung eingeht? Wir laufen ja nicht gerade alle mit Warnhinweisen auf der Stirn herum.»
Ich lehnte mich gegen den Tisch, während sie die Gießkanne füllte. «Die Vorstellung gefällt mir. Warnung – Narzisst. Warnung – impulsiv. Warnung – hört Nickelback.»
Sie lachte, und ein Sehnen flammte in meiner Brust auf und verlangte danach, diesen Klang erneut zu hören. «Welchen Warnhinweis hättest du?», fragte sie.
«Du zuerst.»
«Hmm …» Sie drehte den Wasserhahn zu, dann hob sie die Gießkanne an und gab dem Rosenstrauch Wasser. «Warnung – kann nur schwer Vertrauen fassen.» Sie hob eine Augenbraue und sah mich an.
Das ergab durchaus Sinn. «Warnung – hat immer recht.»
Sie schnaubte und hörte auf zu gießen.
«Ich meine es ernst. Es fällt mir wirklich schwer zuzugeben, wenn ich unrecht habe, sogar mir selbst gegenüber. Außerdem bin ich ein Kontrollfreak.»
«Na ja, du trägst ein Shirt der Mets, also hast du dich zumindest schon mal für das richtige New Yorker Team entschieden.» Sie lächelte und stellte die Gießkanne zurück auf die Bank.
«Ich bin in der Bronx aufgewachsen. Da gibt es kein anderes Team. Ich vergesse immer wieder, dass du in New York gelebt hast.» Die Fotos, die ich von ihr im Netz gesehen hatte, zeigten eine auf Hochglanz polierte Georgia, nicht die Gärtnerin mit ihrem nachlässigen Dutt und den zerrissenen Jeans. Nicht, dass ich ihre Jeans oder ihren Hintern, der Letztere phänomenal ausfüllte, ansehen sollte … aber ich tat es.
«Um genau zu sein, von dem Tag an, an dem ich geheiratet habe, bis zu dem Tag, an dem ich dir begegnet bin.» Ihr Lächeln verblasste, und sie verschränkte die Arme vor der Brust. «Und worüber genau wolltest du mit mir reden? Denn ich weiß, dass du dir nicht die Mühe gemacht hast, den Rosenstrauch zu bestellen, nur um ihn bei mir vorbeizubringen. Ich habe das Etikett gesehen.»
Alles oder nichts.
«Stimmt.» Ich kratzte mich im Nacken. «Ich möchte dir einen Deal vorschlagen.»
«Was für einen Deal?» Ihre Augen verengten sich. Das ging ja schnell.
«Zugegebenermaßen die Art von Deal, bei der am Ende mehr für mich herausspringt als für dich.» Ich presste die Lippen zusammen.
Ihre Augen blitzten vor Überraschung auf. «Na ja, wenigstens gibst du es direkt zu. Okay, schieß los.»
«Ich glaube, wir müssen beide aus unserer Komfortzone herauskommen, sowohl was unseren Umgang miteinander als auch dieses Buch angeht. Ich bin es nicht gewohnt, dass mir jemand das Ende diktiert, geschweige denn eine ganze Geschichte, die zu zwei Dritteln schon geschrieben ist. Und du traust mir nicht weiter als bis zu deiner eigenen Nasenspitze.»
Sie machte sich nicht die Mühe, es abzustreiten, und neigte den Kopf leicht zur Seite. «Was schwebt dir vor?»
«Ich werde einige Zeit damit verbringen, Scarlett kennenzulernen – nicht nur die Figur, als die sie sich selbst in dem Buch beschrieben hat, sondern die reale Frau –, und dann schreibe ich zwei Enden. Das eine wird so sein, wie ich es mir vorstelle, und das andere wird denen entsprechen, für die ich bekannt bin – so, wie du es dir vorstellst. Du kannst dich zwischen den beiden entscheiden.» Ich hielt mein Ego im Würgegriff, damit das Arschloch in mir still blieb.
«Und ich muss dafür …» Sie hob die Brauen.
«Klettern gehen. Mit mir. Wegen der Sache mit dem Vertrauen.»
«Du willst, dass ich mein Leben in deine Hände lege.» Sie verlagerte ihr Gewicht, fühlte sich sichtlich unbehaglich.
«Ich möchte, dass du Scarletts Leben in meine Hände legst, und ich glaube, dafür musst du mit deinem anfangen.» Weil ihr Scarletts Leben mehr bedeutete. Das hatten mich der Ausflug zum Pavillon und das Internet gelehrt. Sie war knallhart, wenn es um den Schutz ihrer Urgroßmutter ging, ihren Ehemann aber hatte sie ohne große Konsequenzen aus ihrer Ehe entlassen.
«Und die endgültige Entscheidung liegt immer noch bei mir?», fragte sie und legte die Stirn in Falten.
«Hundertprozentig, aber du musst zustimmen, beide Enden zu lesen, bevor du dich entscheidest.» Ich würde sie auf die eine oder die andere Weise für mich gewinnen. Ich musste sie nur dazu bringen, es auf meine Weise zu lesen.
«Deal.»