North Weald, England
E s waren fast acht Wochen vergangen, und noch immer war das Leuchten nicht in Constances Augen zurückgekehrt. Scarlett konnte sie nicht drängen, konnte ihr keinen Rat geben, konnte nichts weiter tun, als ihrer Schwester beim Trauern zuzusehen. Und doch hatte sie sie gebeten, sich mit ihr nach North Weald versetzen zu lassen. Es war das Egoistischste, was sie je getan hatte, aber sie hatte nicht gewusst, wie sie zur gleichen Zeit Ehefrau und Schwester sein konnte, und so erfüllte sie beide Rollen nur schlecht.
Auch wenn sie sich durch ihre Hochzeit mit Jameson mit ihren Eltern zerstritten hatte, hielten diese den Bruch zwischen ihnen offenbar geheim, denn Scarletts und Constances Antrag auf Versetzung nach North Weald war genehmigt worden.
Seit einem Monat waren sie hier, und obwohl Scarlett ein Haus außerhalb des Stützpunktes gemietet hatte, in dem Jameson für die Nächte, in denen er eine Erlaubnis bekam, übernachten konnte, hatte sich Constance entschieden, mit den anderen Mitgliedern der WAAF in den Hütten auf dem Stützpunkt zu wohnen.
Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Scarlett eine ganze Woche lang vollkommen allein gelebt. Ohne Eltern. Ohne Schwester. Ohne die Frauen der WAAF . Ohne Jameson. Er befand sich über eine Stunde entfernt in Martlesham-Heath, aber er kam nach Hause – falls man es so nennen konnte –, wann immer es ging. Zwischen ihrer Sorge um Constance und ihrer Angst, dass Jameson etwas zustoßen könnte, lebte sie in einem ständigen Zustand von Übelkeit.
«Du musst das wirklich nicht machen», sagte Scarlett zu ihrer Schwester, die neben ihr auf dem Boden kniete, den der Frühling erst vor Kurzem aufgetaut hatte. «Es könnte ohnehin noch ein bisschen zu früh sein.»
«Wenn er stirbt, dann stirbt er.» Constance zuckte mit den Schultern und grub mit der kleinen Gartenschaufel weiter, um ein Loch für den kleinen Rosenstrauch vorzubereiten, den sie während ihres Urlaubs am Wochenende aus dem Garten ihrer Eltern geholt hatte. «Aber es ist zumindest einen Versuch wert, oder? Wer weiß, wie lange wir auf diesem Stützpunkt stationiert sein werden. Vielleicht wird Jameson wieder woandershin versetzt. Vielleicht werden wir versetzt. Vielleicht auch nur ich. Wenn ich weiterhin darauf warte, dass das Leben mir die richtigen Umstände bietet, um es zu leben, werde ich es nie leben. Also, auch wenn er erfrieren und absterben sollte, dann haben wir es wenigstens versucht.»
«Kann ich dir helfen?», fragte Scarlett.
«Nein, ich bin fast fertig. Du musst daran denken, ihn regelmäßig zu gießen. Aber nicht zu viel.» Sie bearbeitete die Erde am Rande der Terrasse. «Der Strauch sagt dir schon, wann es an der Zeit ist. Achte einfach auf die Blätter und decke ihn zu, wenn es nachts zu kalt wird.»
«Du kannst das so viel besser als ich.»
«Du kannst besser Geschichten erzählen als ich», erwiderte Constance. «Gärtnern kann man lernen, genau wie Mathematik oder Geschichte.»
«Du schreibst sehr gut», widersprach Scarlett. In der Schule hatten sie immer ähnliche Noten bekommen.
«In Grammatik und Aufsätzen bin ich gut, klar.» Sie zuckte mit den Schultern. «Aber Handlungsstränge? Einen Plot? Da bist du viel begabter. Wenn du wirklich helfen willst, dann setz dich hin und erzähl mir eine deiner Geschichten, während ich den Schatz hier einsetze.» Sie formte einen Hügel aus Erde auf dem Boden des Lochs, setzte die Wurzelkrone darauf und maß den Abstand zur Oberfläche ab.
«Nun, das sollte ich hinkriegen, denke ich.» Scarlett lehnte sich zurück und schlug die Beine vor sich übereinander. «Welche Geschichte, und wo waren wir stehen geblieben?»
Constance hielt inne und dachte nach. «Die von der Diplomatentochter und dem Prinzen. Ich glaube, sie fand gerade …»
«Die Notiz», fuhr Scarlett dazwischen. «Richtig. Die, durch die sie glaubt, dass er ihren Vater wegschicken will.» Ihre Gedanken wanderten zurück in diese kleine Welt, die Figuren darin waren für sie ebenso real wie Constance, die neben ihr saß.
Schließlich lagen die beiden Schwestern auf dem Rücken und starrten in die Wolken, während Scarlett ihr Bestes tat, um eine Geschichte zu erfinden, die Constance ablenken würde, wenn auch nur für ein paar Augenblicke.
«Warum sagt er ihr nicht einfach, dass es ihm leidtut?», fragte Constance und rollte sich auf die Seite, sodass sie Scarlett ansehen konnte. «Wäre das nicht die einfachste Lösung?»
«Das wäre es», stimmte Scarlett zu. «Aber dann sieht unsere Heldin nicht, wie er sich weiterentwickelt, und kann in ihm nicht wirklich jemanden sehen, der einer zweiten Chance würdig ist. Der Schlüssel zu dem Ende, das sie verdienen, liegt darin, immer wieder ihre Schwächen offenzulegen, bis sie bluten, und sie dann dazu zu bringen, diese Schwäche, diese Angst zu überwinden, um sich demjenigen zu beweisen, den sie lieben. Sonst ist es eigentlich nur eine Geschichte über das Verlieben.» Scarlett verschränkte ihre Finger hinter dem Kopf. «Würden wir ohne die Möglichkeit einer drohenden Katastrophe jemals wirklich wissen, was wir haben?»
«Ich wusste es nicht», flüsterte Constance.
Scarlett sah ihrer Schwester in die Augen. «Doch, das wusstest du. Ich weiß, dass du Edward geliebt hast. Und er wusste es auch.»
«Ich hätte ihn heiraten sollen, so wie du Jameson geheiratet hast», sagte sie leise. «Dann hätten wir wenigstens das gehabt, bevor …» Sie driftete ab, ihr Blick schweifte zu den Bäumen über ihnen.
Bevor er starb .
«Ich wünschte, ich könnte dir deinen Schmerz abnehmen.» Es war nicht fair, dass Constance so leiden musste, während Scarlett die Stunden zwischen Jamesons freien Tagen zählte.
Constance schluckte. «Es ist egal.»
«Nein, ist es nicht.» Scarlett setzte sich auf. «Es ist nicht egal.»
Constance tat es ihrer Schwester nach, sah ihr aber nicht in die Augen. «Es würde keinen Unterschied machen. Die anderen Mädchen, die weitermachen, die ihre Beziehungen als vorübergehend betrachten – ich kann das verstehen. Wirklich. Hier gibt es keine Garantien. Jeden Tag stürzen Flugzeuge ab. Fallen Bomben. Es hat keinen Sinn, sein Herz zurückzuhalten, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass man am nächsten Tag sowieso stirbt. Da kann man genauso gut leben, solange es noch geht.» Sie ließ ihren Blick über den kleinen Garten schweifen. «Aber ich weiß, dass ich nie wieder jemanden so lieben werde, wie ich Edward geliebt habe – so, wie ich ihn immer noch liebe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals wieder ein Herz haben werde, das ich verschenken kann. Es scheint sicherer zu sein, in Romanen über die Liebe zu lesen, als sie selbst zu erleben.»
«Oh, Constance.» Scarletts Herz brach angesichts dessen, was Constance verloren hatte, ein weiteres Mal.
«Es ist schon okay.» Constance sprang auf die Füße. «Wir sollten uns langsam fertig machen, in etwas mehr als einer Stunde beginnt unser Dienst.»
«Ich kann uns vorher noch etwas zu essen machen», schlug Scarlett vor. «Ich bin mittlerweile ziemlich gut darin, ein paar Kleinigkeiten zuzubereiten.»
Constance sah ihre Schwester skeptisch an, zugegebenermaßen nicht ohne Grund. «Ich habe eine bessere Idee. Wir ziehen uns um und laufen rüber zur Offiziersmesse.»
«Du traust mir nicht!» Scarlett schnaubte.
«Dir vertraue ich bedingungslos. Nur deinen Kochkünsten nicht.» Constance zuckte mit den Schultern, aber ihr neckisches Lächeln war echt, und mehr wollte Scarlett gar nicht.
In Uniform und frisch gestärkt erschienen die beiden rechtzeitig zum Dienst. Sie hingen ihre Mäntel in der Garderobe auf und machten sich dann auf den Weg zum Filter Room. Schon an den Kartentischen ihres Sektors ging es lebhaft zu, kaum auszudenken, wie es in den Group Headquarters aussehen musste, wo alle Sektoren betrachtet wurden.
«Ah, Wright und Stanton, immer zu zweit», sagte Section Leader Robbins mit einem Lächeln in Richtung Tür. «Brauchen die Damen noch etwas, bevor die Schicht beginnt?»
«Nein, Ma’am», antwortete Scarlett. Von allen Vorgesetzten mauserte sich Robbins immer mehr zu ihrem Liebling.
«Nein, Ma’am», sagte auch Constance. «Zeigen Sie mir einfach meinen Bereich auf dem Kartentisch.»
«Ausgezeichnet. Wenn Sie beide einen Moment Zeit haben, würde ich gerne mit Ihnen über Ihre Aufgaben sprechen.» Die Frau lächelte, und kleine Falten bildeten sich in ihren Augenwinkeln.
«Haben wir die nicht erfüllt?», fragte Scarlett langsam.
«Nein, ganz im Gegenteil. Ich möchte, dass Sie beide eine Zusatzausbildung machen. Die Arbeit als Teller in unserer Einheit bedeutet zwar mehr Druck, aber ich würde wetten, dass Sie beide bis zum Ende des Jahres zur Section Officer befördert werden.» Sie ließ ihren Blick zwischen den Schwestern hin und her wandern, betrachtete ihre Reaktionen.
«Das wäre wunderbar!», antwortete Scarlett. «Ich danke Ihnen sehr für diese Chance. Wir werden …»
«Ich muss darüber nachdenken», fiel Constance ihr mit leiser Stimme ins Wort.
Scarlett blinzelte in dem Versuch, ihre Überraschung zu verbergen.
«Natürlich», sagte Robbins mit einem freundlichen Lächeln. «Ich hoffe, Sie haben eine … ereignislose Nacht.»
Sie verabschiedeten sich, und bevor Scarlett Constance zu ihrer Antwort befragen konnte, öffnete ihre Schwester die Tür und verschwand in dem stets leisen Filter Room.
Scarlett folgte ihr, setzte ihr Headset auf und löste die WAAF -Kameradin an ihrer Ecke des Kartentisches ab. Rasch ließ sie den Blick über ihren Bereich schweifen, um sich mit den Aktivitäten der heutigen Nacht vertraut zu machen. Es gab einen Bomberangriff, der über ihren Quadranten flog und fast Constances erreicht hatte.
Würden diese Angriffe jemals aufhören? Zehntausende waren bisher allein in London getötet worden.
Die Stimme des Funkers drang durch ihr Headset, und Scarlett verfiel in die Arbeitsroutine und verschob ihre Sorgen auf später. Hin und wieder sah sie hinüber zu Constance. Äußerlich wirkte ihre Schwester normal – ihre Hände waren ruhig und ihre Bewegungen effizient. Dies war der Ort, an dem es Constance in letzter Zeit am besten ging, wo die Gefühle sie nicht erreichen konnten. Das Wissen um die Leere, die in ihr brodelte, ließ eine weitere Welle der Übelkeit durch Scarlett hindurchrollen.
Es war nicht fair, dass sie ihre Liebe hatte behalten können, Constance aber nicht.
Die Minuten verstrichen, während sie das Flugzeug über den Kartentisch bewegte, und dann drehte sich ihr der Magen aus einem ganz anderen Grund um. Das 71st Eagle Squadron war in Bewegung, nicht in Richtung der Bombenangriffe, sondern in Richtung des Meeres. Jameson .
Sie bewegte das Geschwader in Fünf-Minuten-Schritten über ihren Abschnitt, notierte die Anzahl der Flugzeuge und ihre allgemeine Flugrichtung, aber bald hatten sie ihren Quadranten verlassen, und andere wachten von nun an über sie.
Die Stunden vergingen schnell, und in ihrer Pause war Scarlett zu besorgt, um etwas essen zu können, wartete nur angespannt auf die Rückkehr des 71sten, ohne etwas anderes tun zu können, als gebeugt über diesem Kartentisch zu stehen; sie wusste, dass er heute Nacht fliegen würde. Als ihre fünfzehn Minuten Pause um waren, ging sie zurück in den Filter Room auf ihren Posten.
Sie stellte mit großer Genugtuung fest, dass die Anzahl der Bomber, die zurückflogen, kleiner war als die, die hergeflogen war. Heute Abend hatten sie ein paar Siege erringen können.
Die nächste Ansage der Funkerin erklang in ihrem Headset, und sie griff mit einem leichten Lächeln nach einer neuen Markierung. Das 71ste war wieder in ihrem Quadranten.
Sie setzte den Marker auf die entsprechende Koordinate und verharrte mitten in der Bewegung, als die Funkerin die Anzahl der Flugzeuge mitteilte.
Fünfzehn.
Scarlett starrte sekundenlang den Marker an, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie irrt sich. Sie muss sich einfach irren . Scarlett drückte den Mikrofonschalter an ihrem Headset.
«Könnten Sie mir noch einmal die Truppenstärke des 71sten nennen?», bat sie.
Alle Köpfe im Raum drehten sich in ihre Richtung.
Plotter redeten nicht. Niemals.
«Fünfzehn Mann», wiederholte die Funkerin. «Sie haben einen verloren.»
Sie haben einen verloren. Sie haben einen verloren. Sie haben einen verloren .
Scarletts Finger zitterten, als sie das kleine Fähnchen auf der Markierung durch eines mit der Aufschrift «Fünfzehn» ersetzte. Es war nicht Jameson. Das konnte nicht sein. Sie würde es wissen, nicht wahr? Wenn der Mann, den sie von ganzem Herzen liebte, abgeschossen worden – gestorben – war, würde sie es spüren. Sie müsste es doch spüren. Es war einfach unmöglich, dass ihr Herz ohne das seine weiterschlagen konnte. Es war anatomisch unmöglich.
Aber Constance hatte es nicht gespürt …
Die nächste Bewegung wurde ihr über Headset durchgegeben, und sie verschob die entsprechenden Markierungen und tauschte die Pfeile gegen solche aus, deren Farbe mit der auf dem aktuellen Abschnitt auf der Sektionsuhr übereinstimmte.
Jameson. Jameson. Jameson . Ihre Gliedmaßen bewegten sich von selbst, aber ihr Verstand löste sich auf und ihr Magen rebellierte, ließ ihr Abendessen sauer werden, während das 71ste sich Martlesham-Heath näherte. Auch nachdem sie gelandet und offiziell aus den Flugzeugen gestiegen waren, konnte Scarlett das ungute Gefühl in ihrem Bauch nicht loswerden.
Bisher hatte das Eagle Squadron auf wundersame Weise Glück gehabt – und keinen einzigen Piloten verloren. Sie hatte dieses Glück einfach akzeptiert, aber damit war es heute Abend vorbei. Wer war es? Wenn es nicht Jameson war – bitte, Gott, lass es nicht Jameson sein –, dann war es jemand, den er kannte. Howie? Einer der neueren Yankees?
Sie warf einen Blick auf die Uhr. Sie hatte noch vier Stunden Dienst vor sich.
Sie wollte den Stützpunkt Martlesham-Heath anrufen, um das Rufzeichen des abgestürzten Piloten herauszufinden, aber wenn es Jameson war, würde sie das früh genug erfahren. Sie würden zweifellos schon zu Hause auf sie warten. Howie würde niemals zulassen, dass sie es durch die Gerüchteküche erfuhr.
Die Zeit verging in quälenden Fünf-Minuten-Blöcken, während derer sie Markierungen verschob, Pfeile änderte und Befehle aus den Group Headquarters entgegennahm. Als ihr Dienst zu Ende ging, war Scarlett nur noch ein Nervenwrack mit rasendem Puls.
«Ich fahre dich nach Hause. Ich weiß, du hast dein Fahrrad hier, aber ich habe den Dienstwagen», sagte Constance, nachdem sie ihre Sachen aus der Garderobe geholt hatten.
«Ich bin in Ordnung.» Scarlett schüttelte den Kopf, während sie zu den Fahrrädern gingen. Das Letzte, was Constance jetzt gebrauchen konnte, war, sie trösten zu müssen.
«Es geht ihm bestimmt gut», sagte Constance leise und berührte Scarletts Handgelenk. «Es muss ihm einfach gut gehen. Ich kann nicht an einen Gott glauben, der so grausam ist, uns beiden unsere Männer zu nehmen. Es geht ihm gut.»
«Und wenn es ihm nicht gut geht?» Scarletts Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
«Es geht ihm aber gut. Komm schon. Steig in den Wagen – keine Widerrede. Ich sage den anderen Mädchen, dass sie zur Hütte laufen müssen.» Constance führte sie zum Auto und sprach kurz mit den anderen Plottern aus ihrer Schicht, bevor sie sich hinter das Lenkrad setzte.
Die Fahrt war kurz, das Haus lag nur wenige Minuten vom Stützpunkt entfernt, aber einen winzigen Augenblick lang wollte Scarlett nicht um die Ecke biegen, wollte es einfach nicht wissen. Aber sie bogen um die Ecke.
Ein Auto parkte vor ihrem Haus. «Oh Gott», flüsterte Constance.
Scarlett straffte die Schultern und atmete tief ein. «Warum willst du die Zusatzausbildung nicht machen?»
Constance parkte hinter dem Auto mit dem Abzeichen der Number 11 Group und sah sie an. «Jetzt? Du willst jetzt darüber reden?»
«Ich dachte immer, du wolltest Karriere machen.» Ihr Herz schlug so schnell, dass der Rhythmus fast zu einem gleichmäßigen Dröhnen verschmolz.
«Scarlett.»
«Man hat mehr Druck, ja, aber mit der Beförderung gibt es auch mehr Gehalt.» Ihre Hand umklammerte den Griff wie ein Schraubstock.
«Scarlett!», fauchte Constance.
Sie riss ihren Blick vom Abzeichen der Number 11 Group los und sah ihre Schwester an.
«Ich verspreche, dass ich morgen früh vorbeikomme und mit dir über diese Ausbildung spreche, aber jetzt kannst du nicht einfach hier im Auto bleiben.»
«Wünschst du dir, du hättest den Brief nie aufgemacht?», flüsterte Scarlett.
«Es hätte das Unvermeidliche nur hinausgezögert.» Constance zwang sich zu einem zittrigen Lächeln. «Komm, ich bringe dich zur Tür.»
Scarlett nickte, stieß die Beifahrertür auf, trat auf den Bürgersteig hinaus und bereitete sich innerlich darauf vor, dass sich gleich auch die anderen Türen öffnen würden.
Doch die Autotüren blieben verschlossen. Nicht aber ihre Haustür.
«Hey, du.» Jameson stand auf der Schwelle, und Scarlett dachte für einen Moment, sie würde umkippen.
Sie rannte los, er kam ihr auf halbem Weg entgegen, schloss sie in seine Arme und drückte sie so fest an sich, dass sie spüren konnte, wie die Teile, die sich in ihr gelöst hatten, wieder an ihren Platz zurückfanden. Es ging ihm gut. Er war zu Hause. Er war am Leben.
Sie vergrub ihr Gesicht an seinem Hals, atmete seinen Duft ein und klammerte sich an ihn, als hinge ihr Leben davon ab, denn genau das war er geworden – ihr Leben.
«Ich habe mir solche Sorgen gemacht», sagte sie an seiner Haut, nicht bereit, sich auch nur einen Moment von ihm zu lösen.
«I ch wusste, dass du dir Sorgen machen würdest. Deshalb habe ich mir die Erlaubnis besorgt, den Stützpunkt über Nacht zu verlassen, und bin hergefahren.» Er legte seine große Hand auf ihren Rücken und umfing mit der anderen ihren Nacken. Scarlett im Arm zu halten, war alles, woran er seit dem Moment, in dem sie Kolendorski verloren, hatte denken können. «Es geht mir gut.»
Sie klammerte sich nur noch fester an ihn.
Jameson blickte über Scarletts Schulter und nickte Constance zu, die sie mit einem wehmütigen Lächeln beobachtete. Sie erwiderte sein Nicken, dann wandte sie sich ab und ging zu dem Auto, mit dem sie Scarlett nach Hause gebracht hatte.
«Wer war es?», fragte Scarlett.
«Kolendorski.» Er hatte den Mann gemocht. «Er drehte ab, um einen Bomber abzufangen, und wurde von zwei Jägern abgeschossen. Wir haben alle gesehen, wie er ins Meer stürzte.» Kein Versuch, den Schleudersitz auszulösen. Kein Mayday. Er war mit solcher Wucht senkrecht aufs Wasser gestürzt, dass ihn spätestens der Aufprall das Leben gekostet hätte, wenn er nicht schon vorher getötet worden wäre. So einen Aufprall konnte man nicht überleben.
«Es tut mir so leid», sagte sie und lockerte ihren Griff ein wenig. «Ich bin nur …» Ihre Schultern zitterten, und er wich sanft ein wenig zurück, damit er seine Frau ansehen konnte.
«Es ist okay. Es ist alles okay», versicherte er ihr und wischte ihre Tränen mit der Kuppe seines Daumens weg.
«Ich weiß nicht, warum ich mich wie eine Heulsuse aufführe.» Unter Tränen zwang sie sich zu einem Lächeln, das schief geriet. «Ich habe gesehen, wie sich die Truppenstärke änderte, und ich wusste, dass einer von euch tot ist.» Sie schüttelte den Kopf. «Ich liebe dich.»
«Ich liebe dich auch.» Er küsste sie auf die Stirn.
«Nein, ich meine etwas anderes.» Sie löste sich aus seinen Armen. «Ich liebe dich so sehr, dass es sich anfühlt, als würde mein Herz in deinem Körper schlagen. Ich habe gesehen, was der Verlust von Edward mit Constance gemacht hat, und ich weiß, dass ich nicht ertragen könnte, dich zu verlieren, dazu bin ich nicht stark genug. Ich würde das nicht überleben.»
«Scarlett», flüsterte er, schlang seine Arme um sie und zog sie an sich, es war das Einzige, was er jetzt tun konnte. Sie wussten beide, dass es morgen ihn treffen könnte. Und bei der Häufigkeit der Bombenangriffe könnte auch sie die nächste sein. Jeder Abschiedskuss, den sie sich gaben, trug den bittersüßen Geschmack der Verzweiflung in sich, weil sie wussten, dass es ihr letzter sein könnte.
Und falls ihr etwas geschehen würde … Er atmete tief ein, um sich zu beruhigen und die unwillkommenen, furchtbaren Gedanken zu unterdrücken. Ohne Scarlett gab es nichts für ihn. Sie war der Grund, warum er etwas schneller rannte, wenn sie losliefen, um einen Bombenangriff abzufangen. Sie war der Grund, warum er die neuen Piloten mehr anspornte. Sie war der Grund, warum er hierbleiben würde, egal wie viele Briefe seine Eltern ihm schickten und beteuerten, wie stolz sie auf ihn waren, und wie sehr sie ihn anflehten, nach Hause zu kommen. Es war gar nicht nötig, dem König seine Treue zu schwören – er hatte sie bereits Scarlett geschworen, und es war seine Aufgabe, sie zu beschützen.
«Komm mit.» Er nahm ihre Hand und führte sie ins Haus, aber anstatt sie in ihr Schlafzimmer zu tragen und mit ihr zu schlafen, wie er es die ganze Fahrt über geplant hatte, führte er sie ins Wohnzimmer und legte dort eine Billie-Holiday-Platte auf. «Tanz mit mir, Scarlett.»
Ihre Lippen verzogen sich ein wenig, aber ihre Miene war zu traurig, um es ein Lächeln nennen zu können. Sie ließ sich in seine Arme gleiten und legte ihren Kopf an seine Brust, während sie sich in kleinen Runden hin und her wiegten, dem Couchtisch ausweichend.
Das hier, das war sein Zuhause. Alles, was er tat, diente dazu, ihn unversehrt wieder zurückzubringen, damit er mehr davon bekommen konnte – mehr von ihr. Voneinander getrennt zu leben, war eine besondere Art der Folter; zu wissen, dass sie nur eine Stunde entfernt war, er aber nicht zu ihr gelangen konnte, verursachte zu viele schlaflose Nächte. Er vermisste das Gefühl ihrer Haut an seiner am Morgen, vermisste den Duft ihrer Haare, wenn sie an seiner Brust einschlief. Er vermisste es, über ihren Tag zu sprechen, ihre Zukunft zu planen, sich während eines weiteren verbrannten Abendessens zu küssen. Er vermisste alles an ihr.
«Ich habe Neuigkeiten für dich», sagte er leise und strich mit seinen Lippen über ihre Schläfe.
«Hm?» Sie hob den Kopf, und Besorgnis stand in ihren Augen.
«Wir werden wieder versetzt.» Er versuchte, eine ernste Miene zu bewahren, aber seine Lippen gehorchten ihm nicht.
«Schon wieder?» Sie runzelte die Stirn und presste die Lippen aufeinander. «Ich weiß nicht …»
«Frag mich, wohin.» Jetzt grinste er – so viel dazu, sie damit überraschen zu wollen.
«Wohin?»
Er hob die Brauen.
«Jameson», schimpfte sie. «Hör auf, mich zu ärgern. Wo …» Sie atmete scharf ein und kniff dann die Augen zusammen. «Du sagst es mir jetzt sofort, denn wenn du mir Hoffnung machst, nur um die dann wie eine Wanze zu zerquetschen, schläfst du heute Nacht allein.»
«Nein, das werde ich nicht», sagte er lächelnd. «Dafür magst du mich zu sehr.»
«Im Augenblick nicht.»
«Dann magst du halt das, was ich mit deinem Körper anstelle, zu sehr», neckte er, und sein Blick wurde heiß.
Sie wölbte eine Braue.
«Hierher», sagte er schließlich, als das Lied zu Ende war. «Wir werden hierher versetzt. In ein paar Wochen werden wir jede Nacht im selben Bett schlafen.» Er hob seine Hand an ihre Wange. «Wir werden wieder unser Frühstück anbrennen lassen und wieder versuchen, jeweils vor dem anderen unter der Dusche zu sein.»
Ein Grinsen breitete sich auf ihrem schönen Gesicht aus, und seine Brust zog sich zusammen. Sie verwandelte einen absoluten Scheißtag einfach so in etwas wirklich Außergewöhnliches.
«Man hat mich gebeten, eine Zusatzausbildung zu machen. Zu einer sogenannten Teller », sagte sie so leise, als könnten sie belauscht werden. Freude blitzte in ihren Augen auf. «Das könnte bedeuten, dass ich noch vor Ende des Jahres Section Leader werde.»
«Ich bin stolz auf dich.» Jetzt war er es, der grinste.
«Und ich bin stolz auf dich. Sind wir nicht ein tolles Paar?» Sie richtete sich auf und strich mit ihrem Mund über seinen. «Was sagtest du gerade noch über meinen Körper und was du mit ihm anstellen kannst?»
Noch bevor das nächste Lied begann, hatte er sie schon nach oben gebracht.
A m nächsten Morgen kam Scarlett in die Küche gestolpert. Jameson stand am Herd und bereitete das Frühstück zu. Bei dem Geruch drehte sich ihr der Magen um und schlug direkt danach noch einen Salto.
«Alles in Ordnung?», fragte Constance aus der Ecke, in der sie gerade ein Glas Marmelade öffnete.
Richtig, sie wollten heute Morgen ja über die Ausbildung sprechen. Sie hatte es vergessen, noch ein Grund, sich über sich selbst zu ärgern.
«Alles gut», log Scarlett und versuchte, die Übelkeit herunterzuschlucken. «Ich habe dich gar nicht kommen hören. Es tut mir so leid, dass ich dich gestern einfach allein gelassen habe.»
Constance lächelte und ließ ihre Blicke zwischen Scarlett und Jameson hin und her wandern. «Du musst dich nicht entschuldigen. Ich bin nur froh, dass alles gut ausgegangen ist.» Sie stellte die Marmelade auf den Tisch, doch das kurze Leuchten in ihren Augen war verschwunden.
«Kann ich irgendwie helfen?», fragte Scarlett und legte ihre Hand zwischen Jamesons Schulterblätter.
«Nein, Süße.» Seine Stirn furchte sich. «Du siehst ein bisschen grün um die Nase aus.»
«Es geht mir gut», wiederholte sie langsam und hoffte, dass er es dabei belassen würde. Hatte sie geglaubt, dass ihre Nervosität sich legen würde, jetzt, wo Jameson hierher zurückversetzt werden sollte? Ja. Aber offenbar hatte ihr Körper das Memo nicht erhalten.
Constance musterte sie aufmerksam. «Sollen wir unsere Unterhaltung auf später verschieben?»
«Nein, natürlich nicht. Ich bin froh, dass du hier bist.»
Constance nickte, aber um ihren Mund hatte sich ein seltsamer, angespannter Zug gebildet. An diesem Morgen sah sie … irgendwie älter aus.
Jameson brachte die gebratenen Würstchen und Kartoffeln an den Tisch, während Scarlett einen Laib Brot aufschnitt. Sie aßen, und Scarlett seufzte fast vor Erleichterung, weil ihr Magen sich endlich beruhigte.
«Wollt ihr zwei etwas Privatsphäre?», fragte Jameson von seinem Platz an dem viereckigen Tisch aus, während sein Blick zwischen den Schwestern hin und her wanderte.
«Nein», antwortete Constance und legte ihre Gabel auf ihren zur Hälfte geleerten Teller. Es war nicht ihre Art, das halbe Frühstück stehen zu lassen, aber sie hatte sich in den letzten zwei Monaten insgesamt nicht gerade normal verhalten. «Du solltest das auch hören.»
«Was denn?» Etwas Schweres legte sich auf Scarletts Brust. Was auch immer ihre Schwester zu sagen hatte, es war nichts Gutes.
«Mich die Ausbildung machen zu lassen, wäre Verschwendung», sagte sie und straffte die Schultern. «Ich bin nicht sicher, wie lange ich noch im Dienst bleiben darf.»
Scarlett wurde blass. Es gab nur sehr wenige Gründe, warum eine Frau gezwungen war, aus dem Dienst zu scheiden. «Was? Warum?»
Constance knetete einen Moment lang ihre Hände in ihrem Schoß, dann hob sie ihre linke Hand und präsentierte einen funkelnden Smaragdring. «Weil ich heiraten werde.»
Scarletts Gabel glitt ihr aus der Hand und fiel klappernd auf den Tisch.
Jameson rührte sich nicht, was sie ihm zugutehielt.
«Heiraten?» Scarlett ignorierte den Ring und blickte ihrer Schwester in die Augen.
«Ja», sagte Constance, als hätte Scarlett sie gefragt, ob sie noch mehr Kaffee wollte. «Heiraten. Und mein Verlobter unterstützt meine Arbeit hier nicht gerade, also bezweifle ich, dass man mich ermutigen wird, sie weiter auszuführen, sobald wir verheiratet sind.» Es lag keine Emotion in ihrer Stimme. Keine Aufregung. Nichts.
Scarletts Mund öffnete und schloss sich zweimal. «Ich verstehe das nicht.»
«Das habe ich geahnt», sagte Constance leise.
«Du hast denselben Gesichtsausdruck wie an dem Tag, an dem unsere Eltern dir verboten haben, Edward vor dem Krieg zu heiraten.» Pflichtbewusst – das war es. Sie sah resigniert und pflichtbewusst aus. Die Übelkeit kehrte mit Vehemenz zurück, als eine dunkle Vorahnung von Scarletts Brust in ihren Bauch wanderte. «Wen wirst du heiraten?»
«Henry Wadsworth.» Constance reckte ihr Kinn vor.
Nein .
Stille erfüllte die Küche, schneidender, als alle Worte hätten sein können.
Nein. Nein. Nein . Scarlett griff unter dem Tisch nach Jamesons Hand, sie brauchte einen Anker.
«Es liegt nicht an dir, das zu entscheiden», sagte Constance.
Scarlett blinzelte und merkte, dass sie ihre Gedanken laut ausgesprochen hatte. «Das darfst du nicht tun. Er ist ein Monster. Er wird dich zugrunde richten.»
Constance zuckte mit den Schultern. «Dann richtet er mich halt zugrunde.»
Wenn er stirbt, dann stirbt er . In Scarletts Kopf hallte noch immer nach, was Constance gestern beim Pflanzen des Rosenstrauchs gesagt hatte. «Warum tust du das?» Sie war letztes Wochenende zu Hause gewesen. «Sie zwingen dich, nicht wahr?»
«Nein», entgegnete Constance leise. «Mummy hat mir gesagt, dass sie das restliche Land um das Haus in Ashby verkaufen müssen.»
Nicht das Haus in London … ihr Zuhause. Scarlett schob das Bedauern über diese Nachricht beiseite.
«Das ist allein ihre Schuld, weil sie ihre eigenen Finanzen nicht im Griff haben. Bitte sag nicht, dass du der Heirat mit Wadsworth nur zugestimmt hast, um das Land zu retten. Dein Glück ist viel mehr wert als dieses Grundstück. Sollen sie es doch verkaufen.» Und es ging nicht nur um ihr Glück. Constance würde eine Ehe mit Wadsworth nicht überleben. Er würde ihren Geist zu Tode prügeln und ihren Körper fast mit.
«Verstehst du denn nicht?» Schmerz flackerte über Constances Gesicht. «Sie würden den Teich verkaufen. Den Gartenpavillon. Das kleine Jagdhäuschen. Alles.»
«Sollen sie doch!», fauchte Scarlett. «Dieser Mann wird dich vernichten.» Ihre Hand umklammerte die von Jameson.
Constance stand auf und schob ihren Stuhl heftig unter den Tisch. «Ich wusste, dass du es nicht verstehen würdest, und das musst du auch nicht. Es ist meine Entscheidung.» Sie schritt aus dem Zimmer, die Schultern gestrafft und den Kopf hoch erhoben.
Scarlett rannte ihr hinterher. «Ich weiß, dass du sie liebst und es ihnen recht machen willst, aber du schuldest ihnen nicht dein Leben.»
Constance hielt inne und legte die Hand auf den Türknauf. «Ich habe kein Leben mehr. Alles, was ich noch habe, sind Erinnerungen.» Sie drehte sich langsam um, die abgeklärte Fassade verschwand und der Schmerz darunter wurde sichtbar.
Der Teich. Der Gartenpavillon. Die Jagdhütte. Scarlett schloss für einen Moment die Augen. «Poppet, selbst wenn du diese Orte noch hast, wird es ihn nicht wieder zurückbringen.»
«Wenn du Jameson verloren und die Chance hättest, das erste Haus in Kirton-in-Lindsey zu behalten, und sei es nur, um durch die Räume zu gehen und mit seinem Geist zu sprechen, würdest du das nicht auch tun?»
Scarlett wollte erwidern, dass das nicht vergleichbar war. Aber sie konnte es nicht.
Jameson war ihr Mann, ihr Seelenverwandter, die Liebe ihres Lebens. Aber sie liebte ihn erst seit weniger als einem Jahr. Constance liebte Edward schon seit sie Kinder gewesen waren, seit sie gemeinsam im Teich geschwommen waren, im Gartenpavillon gespielt und sich in der Jagdhütte heimlich geküsst hatten.
«Es ist nicht sicher, dass das Land bis zu eurer Hochzeit überhaupt noch da ist.» Die hoffentlich nicht diesen Sommer stattfinden würde – der dauerte nur noch wenige Wochen an.
«Er kauft es jetzt, um seinen guten Willen zu zeigen … als Verlobungsgeschenk. Es wurde alles am Wochenende geregelt. Ich weiß, du bist enttäuscht von mir …»
«Nein, das bin ich nicht, das werde ich nie sein. Ich habe Angst um dich. Ich habe Angst davor, dass du dein Leben wegwirfst, anstatt …»
«Anstatt was?», schrie Constance. «Ich werde nie wieder lieben. Meine Chance auf Glück ist weg, warum also sollte es mich noch kümmern?» Sie öffnete die Haustür und stürmte hinaus. Scarlett lief ihr hinterher.
«Das weißt du doch gar nicht!», rief Scarlett und hielt ihre Schwester auf, bevor sie die Straße erreichen konnte. «Du weißt doch, was er dir antun wird. Wir haben es gesehen. Willst du dich wirklich so einem Mann überlassen? Du bist so viel mehr wert!»
«Ich weiß es!» Constances Gesicht verzog sich. «Ich weiß es genauso, wie du es weißt. Ich habe gestern Abend dein Gesicht gesehen. Hätte Howie an deiner Tür gestanden und dir gesagt, dass Jameson abgeschossen wurde, wärst du zusammengebrochen. Kannst du mir in die Augen sehen und mir sagen, dass du jemals wieder lieben wirst, falls er sterben sollte?»
Galle stieg in Scarletts Kehle auf. «Bitte tu das nicht.»
«Ich habe die Macht, unsere Familie zu retten, unser Land zu bewahren und vielleicht meinen Kindern in genau diesem Teich das Schwimmen beizubringen. Wir sind verschieden, du und ich. Du hattest einen Grund, dich gegen diese arrangierte Ehe zu wehren. Ich habe einen Grund, sie anzunehmen.»
Scarletts Magen krampfte sich zusammen. Sie fiel auf die Knie und erbrach ihr Frühstück in einen der Büsche neben der Eingangstür. Sie spürte Jamesons Hand in ihrem Nacken, die ihr offenes Haar zusammenhielt, während sie würgte und ihren Mageninhalt ausspie.
«Süße», murmelte er und strich mit der Hand kreisend über ihren Rücken.
Die Übelkeit ließ nach und verschwand so schnell, wie sie gekommen war.
Oh Gott! Ihre Gedanken rasten in dem Versuch, einen unsichtbaren Kalender zu lesen. Seit März hatte sie keinen einzigen Moment Ruhe gehabt. Sie waren im April umgezogen … und jetzt war Mai.
Langsam stand Scarlett auf und begegnete Constances offenem, mitfühlendem Blick.
«Oh, Scarlett», flüsterte sie. «Keine von uns beiden wird bis zum Ende des Jahres Section Leader werden, nicht wahr?»
«Was soll das denn heißen?», fragte Jameson. Seine Hand schien so stark, während Scarlett das Gefühl hatte, dass der kleinste Windhauch sie umwerfen könnte.
Scarlett sah zu ihm auf und betrachtete seine wunderschönen grünen Augen, sein markantes Kinn und die Sorgenfalten um seinen Mund. Gleich würde er sich noch viel mehr Sorgen machen.
«Ich bin schwanger.»
Scarlett,
und wieder liegen Meilen zwischen uns, die sich viel zu lang anfühlen, wenn wir nachts daliegen und auf die nächste Möglichkeit warten, wieder zusammen zu sein. Du hast so viel für mich aufgegeben, und doch bitte ich dich um noch mehr, bitte dich, mir noch einmal zu folgen. Ich verspreche dir, wenn dieser Krieg vorbei ist, wirst du nie bereuen, dass du dich für mich entschieden hast. Nicht eine Minute lang. Ich werde deine Tage mit Freude und deine Nächte mit Liebe füllen. Es gibt so viel, was auf uns wartet, wenn wir nur noch weiter durchhalten …