«B ist du bereit?», fragte Noah mit einem aufgeregten Lächeln und rückte seine Krawatte zurecht, während wir vor dem Atelier im Auto saßen und der Januarschnee herabfiel.
«Was, wenn ich es nicht bin?» Ich hob die Augenbrauen.
«Dann wird es in einer Stunde, wenn alle hier auftauchen, ziemlich peinlich werden, aber wir könnten die Tür abschließen, das Licht ausmachen und so tun, als wären wir nicht da.» Er hob meine Hand und küsste die Innenseite meines Handgelenks, was einen Blitz aus Verlangen durch mich hindurch zucken ließ. In den letzten zweieinhalb Monaten hatte ich ihn fast jede Nacht in meinem Bett gehabt, und die Lust hatte nicht nachgelassen. Er brauchte mich nur anzuschauen, und ich war bereit für ihn. «Aber ich bin gewillt, dir jede erdenkliche Art von Bestechung anzubieten, damit du mich sehen lässt, was du da drinnen geschaffen hast.»
«Ich bin ziemlich stolz auf meine kleine Kollektion.» Ich hatte mir in der Vorbereitung für diesen Abend geradezu die Finger wund gearbeitet. Jetzt gab es ein paar Dutzend kleinere Werke, die zum Verkauf bereitstanden, und ein paar größere, die ich hauptsächlich als Ausstellungsstücke gefertigt hatte. Die Einladungen waren verschickt, die Antworten eingegangen, und jetzt konnte ich nur noch die Türen öffnen und beten, dass ich die letzten Reserven meines Bankkontos nicht verschwendet hatte.
«Ich bin stolz auf dich. » Diesmal küsste er meine Lippen, saugte leicht an der unteren, bevor er sie wieder freigab. Ich war diesem Mann vollständig verfallen. Es sollte nur eine Affäre sein – so lautete die Abmachung. Er würde gehen, sobald das Buch fertig war, und die Tage verstreichen zu sehen, erinnerte mich daran, dass wir von gestohlener Zeit lebten. Jeden Tag erwartete ich, dass er mir sagen würde, er sei fertig, aber das tat er nicht. Wenn er nicht aufpasste, würde er die Deadline für den Druck verpassen. «Ich weiß, dass der heutige Abend genauso fantastisch sein wird wie du.»
«Gut, dass sich wenigstens einer von uns sicher ist.» Ich holte tief Luft und rief mir ins Gedächtnis, dass wir hier in Poplar Grove, Colorado, und nicht in New York City waren. Hier gab es keine Paparazzi, keine Filmstars oder Manager, keine Klatschkolumnisten und niemanden, der Interesse an mir heuchelte, nur um fünf Minuten mit Damian zu bekommen. Das hier gehörte mir – nur mir –, und Noah sollte der Erste sein, mit dem ich es teilte.
Er hielt meine Hand, als wir zur Tür gingen, und mir den Wind vom Leib, während ich mit meinem Schlüssel herumhantierte, um die schwere Glastür zu öffnen. Dann führte ich ihn ins Innere des dunklen Raumes.
«Warte genau hier. Schließ deine Augen.» Ich wollte sein Gesicht sehen, wenn das Licht anging.
«Man könnte meinen, ich hätte Geburtstag und nicht du», zog er mich auf. Ich lachte und ging zum Lichtschalter, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass seine Augen wirklich geschlossen waren. Der Raum war mir inzwischen so vertraut wie mein Schlafzimmer. Ich könnte mich, falls nötig, auch mit verbundenen Augen hier drin orientieren.
Ich legte den Schalter um, worauf die Galerie von mehreren Stellen aus erhellt wurde.
Vasen und kleine Skulpturen säumten die Glasregale an den Wänden, zwei größere Stücke standen in den beiden Schaufenstern, und in der Mitte, auf einem Sockel, der von einer eigenen Beleuchtung angestrahlt wurde, stand mein Lieblingsstück.
«Du kannst die Augen öffnen», sagte ich leise und hielt den Atem an, als Noahs dunkler Blick über die Galerie schweifte. Sein Lächeln wurde immer breiter, und dann fiel sein Blick auf den Sockel.
«Georgia», flüsterte er und schüttelte den Kopf. «Mein Gott.»
«Gefällt es dir?» Ich trat an seine Seite, und er legte seinen Arm um meine Taille und zog mich fester an sich.
«Es ist atemberaubend.»
Mein Lieblingsstück dieser Kollektion war eine Krone aus gläsernen Eiszapfen, die zwischen sechs und zehn Zentimeter lang waren. «Verstehst du es?» Einer meiner Mundwinkel hob sich zu einem Grinsen.
«Sie ist einer Eiskönigin würdig», antwortete er mit einem leisen Kichern. «Obwohl du alles andere als kalt bist. Sie ist unglaublich.»
«Danke. Ich habe mich nie zu den ganzen kleinen Sticheleien geäußert, denn Schweigen ist auch eine Form von Macht, aber ich dachte mir, warum soll ich nicht dazu stehen? Ich bin die einzige Person, die mich noch definieren darf, und vielleicht mache ich ja als Nächstes eine Krone aus Flammen.» In meinem Kopf nahm sie bereits Gestalt an, ich konnte sie förmlich vor mir sehen.
«Du bist unglaublich, Georgia Stanton.» Er drehte sich um und streichelte mein Gesicht, dann küsste er mich. «Danke, dass du das mit mir geteilt hast, und nur für den Fall, dass ich es nicht mehr sagen kann, bevor wir nach Hause gehen: Alles Gute zum Geburtstag.»
«Danke», sagte ich an seinem Mund und genoss die letzten Minuten, in denen wir ungestört waren, bevor das Cateringpersonal eintraf.
Weniger als eine Stunde später öffneten wir die Tür, und die Galerie füllte sich mit Gästen aus meiner Kleinstadt. Ich begrüßte das erste Dutzend Besucher und führte sie, mit Noah an meiner Seite, durch den Raum. Lydia, unsere Haushälterin, und ihre Tochter kamen, dann Hazel und Owen, Cecilia Cochran aus der Bibliothek, Mom …
Ich schnappte nach Luft und schlug die freie Hand vor den Mund. Noahs Arm legte sich um meine Taille und hielt mich fest, als Mom in einem blassrosa Mantel und mit einem unsicheren Lächeln durch die kleine Menge auf uns zukam.
«Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Georgia», sagte sie leise, umarmte mich sanft und ließ mich dann, nachdem sie mich wie immer zweimal getätschelt hatte, los.
«Mom?» «Schock» reichte als Wort nicht aus, um meinen Zustand zu beschreiben.
Sie schluckte nervös, ihr Blick hastete zu Noah und wieder zurück zu mir. «Noah hat mich eingeladen. Ich hoffe, das ist in Ordnung für dich. Ich wollte einfach hier sein, um dir zum Geburtstag zu gratulieren und dich zu beglückwünschen. Das hier ist eine beachtliche Leistung.»
War das wirklich der Grund, warum sie gekommen war?
«Und was ist mit dir und Ian?», fragte ich zögernd. Waren sie schon wieder getrennt? War sie nur hier, um ihre Wunden zu lecken, während sie so tat, als würde sie mir dabei helfen, meine zu überwinden?
«Oh, ihm geht es gut. Uns geht es gut», versicherte sie mir. «Er lässt dir schöne Grüße ausrichten. Ich bin sicher, du verstehst, warum er nicht mitgekommen ist.»
Weil ich ihn nicht ausstehen konnte und er das wusste, was eigentlich ziemlich rücksichtsvoll war, wenn ich darüber nachdachte.
«Wie war der Flug?», fragte Noah und brach mit seiner lockeren Art die Spannung.
«Er war gut. Ich danke dir vielmals.» Mom atmete tief ein. «Um ganz offen zu sein: Noah hat mein Ticket bezahlt.»
«Oh.» Ganz offen? Zwischen ihr und Ian war alles in Ordnung? «Das war wirklich nett von dir», sagte ich zu Noah und lehnte mich an ihn.
«War mir ein Vergnügen.» Seine Hand legte sich um meine Taille. «Allerdings ist das nicht mein Geburtstagsgeschenk. Das wartet im Haus auf dich.»
«Ich habe dir gesagt, du sollst kein Geld für mich ausgeben!», schimpfte ich, aber in meiner Brust kribbelte ein winziger Hauch von Neugierde.
«Das habe ich nicht, versprochen.» Da war wieder dieses Grinsen. Er führte etwas im Schilde.
«Ich kann das Geburtstagskind nicht den ganzen Abend in Beschlag nehmen. Kümmere dich um deine Gäste», sagte Mom mit einem blassen Lächeln. «Danke, dass ich hier dabei sein darf. Deine Geburtstage waren schon immer …» Ihr Lächeln erlahmte. «Ich bin einfach nur froh, das ist alles.» Ihr Blick schweifte über die Galerie. «Das ist phänomenal. Ich bin so stolz auf dich, Georgia.»
«Danke, dass du hier bist», sagte ich zu ihr und meinte jedes Wort ernst. «Es bedeutet mir sehr viel.» Der Vorschuss war ausgezahlt worden, und alle weiteren Tantiemen aus dem Buch würden direkt auf Moms Konto gehen. Sie war glücklich mit Ian. Es sah so aus, als liefe auch ihr Leben gut, was bedeutete, dass sie nicht hier war, weil sie etwas von mir brauchte – sie war hier, weil sie es wollte. Und ja, es war nur ein Abend aus einem ganzen Leben voller Abende, aber es war genug.
Ich lächelte, als ich mich durch den Raum bewegte und beobachtete, wie die kleinen Stücke verkauft wurden und verschwanden.
«Das ist fantastisch!» Hazel umarmte mich. «Und ist das an der Kasse da Lydias Tochter?»
Ich nickte. «Ich glaube, es läuft gut.»
«Das tut es. Vertrau mir.» Ihre Augen verengten sich, als sie über meine Schulter blickte. «Whoa. Wen umarmt Noah denn …» Ihre Augenbrauen wanderten fast bis an den Haaransatz. Ich drehte mich um und blinzelte verwirrt, als ich sah, wie Noah an der Tür eine auffallend schöne Frau umarmte. Er schaute auf, sah sich suchend im Raum um und grinste, als er mich entdeckte. Er sagte etwas zu der Frau und führte sie dann an der Eiskrone vorbei zu mir und Hazel.
Die Haare und Augen der Frau waren so dunkel wie die von Noah, und ihr Teint hatte dieselbe Farbe von sonnengeküssten Oliven. Ein Mann mit sandblondem Haar, grünen Augen und einem gut sitzenden Anzug trat an ihre Seite.
«Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich auch eine meiner engsten Freundinnen eingeladen habe», sagte Noah mit einem Lächeln. «Georgia, das ist meine kleine Schwester Adrienne und ihre Geisel Mason.»
Seine Schwester? Männer luden ihre Schwestern nicht ein, damit sie ihre Affären kennenlernten, oder? In meiner Brust wurde es warm, und mein Herz gab ein Ziehen von sich, angesichts der Möglichkeit, dass dies mehr für ihn war, dass wir wirklich mehr sein konnten, auch noch nachdem er das Buch beendet hatte. Vielleicht brauchten wir das selbst auferlegte Verfallsdatum nicht.
Adrienne wölbte eine einzelne, perfekt gezupfte Braue, während ihr Bruder redete, aber das Lächeln, das sie mir schenkte, kam ohne zu zögern und war strahlend, als sie mich in eine feste Umarmung zog. «Und ich freue mich sehr, dich kennenzulernen, Georgia. Er spricht ständig von dir, auch wenn er eben eigentlich mein Mann Mason sagen wollte», korrigierte sie ihn und ließ mich los.
«Aber das habe ich doch», stichelte Noah. «Schön, dich zu sehen, Alter.» Er umarmte Mason, dann umarmte er seine Schwester so kräftig, dass er sie vom Boden hob. «Schön, dich zu sehen, Kleine. Guten Flug gehabt?»
«Weißt du doch. Hör auf, mir Tickets für die erste Klasse zu kaufen. Das ist Geldverschwendung.»
«Ich gebe mein Geld aus, wofür ich will.» Noah zuckte mit den Schultern.
«Ich hoffe, du magst Streitereien, denn die gibt es zwischen den beiden oft», sagte Mason und reichte mir mit einem leichten Lächeln die Hand.
«Um ehrlich zu sein – ich bin ein wenig überwältigt.» Ich schüttelte seine Hand, und sein Lächeln vertiefte sich und enthüllte ein Grübchen.
«Das kann ich dir nicht verdenken. Und deine Galerie ist unglaublich!», sagte Adrienne. «Oh, alles Gute zum Geburtstag! Es hat keine Eile – es ist ein bisschen viel los hier drin –, aber später will ich alles darüber erfahren, wie du meinen Bruder in diesem Buchladen überrumpelt hast.»
Ich lachte und versprach ihr Details, dann schauten sie und Mason sich um, in Begleitung von Hazel und Owen. «Habe ich dir schon gesagt, wie schön du heute Abend bist?» Noahs Lippen streiften meine Ohrmuschel und jagten mir einen Schauer über den Rücken.
«Ungefähr zwanzig Mal», versicherte ich ihm. «Habe ich dir schon gesagt, dass ich später mit der Krawatte, die du heute Abend trägst, unanständige Dinge mit dir anstellen werde?» Ich sah unter meinen Wimpern zu ihm auf.
«Jetzt gerade hast du es gesagt.» Sein Blick wurde dunkler. «Dabei war ich gerade dabei, eigene Pläne zu schmieden.» Er stahl mir einen Kuss, bevor ich wieder von jemand anderem in Beschlag genommen wurde.
Der Abend verging wie im Fluge, und ehe ich mich versah, hatte ich alle Stücke verkauft, die ich zum Verkauf vorgesehen hatte. Die Ausstellungsstücke, die Krone und die beiden großen Werke, blieben genau dort, wo ich sie haben wollte – bei mir. Die Galerie leerte sich langsam, bis nur noch meine engsten Freunde und die Aufräummannschaft da waren.
«Dafür bekommt er jede Menge Pluspunkte», sagte Hazel, als sie sich anschickte zu gehen.
«Hey», sagte ich neckend und umarmte sie zum Abschied. «Team Georgia, schon vergessen?»
«Ich bin Team Georgia», versprach sie. «Dieser Mann hat seine Familie eingeflogen, damit sie dich kennenlernt. Und deine Mutter», endete sie leise, während Noah sich von seiner Schwester verabschiedete.
Adrienne hatte bereits versprochen, am nächsten Tag zum Mittagessen vorbeizukommen. Das Gästezimmer hatte sie abgelehnt, aber Mom hatte zugestimmt, heute Nacht bei uns zu bleiben. Sie war schon mit ihrem Mietwagen zum Bed and Breakfast gefahren, um ihre Sachen zu holen.
«Ich weiß. Er ist …» Ich seufzte und sah zu Noah hinüber.
«Er ist genauso in dich verliebt wie du in ihn», flüsterte Hazel.
«Fang nicht damit an.» Ich schüttelte den Kopf, ich würde nicht noch einmal ein zerstörtes Herz riskieren.
«Ich habe dich noch nie so glücklich gesehen wie heute, so glücklich, wie du eigentlich die ganzen letzten Monate über warst.» Sie nahm meine Hand. «Du hast genug Schlimmes erlebt, G. Du musst auch das Gute zulassen.»
Sie umarmte mich wieder, bevor ich eine Antwort formulieren konnte, dann zog Owen sie zur Tür hinaus und murmelte etwas davon, dass sie den Babysitter noch für eine Stunde hätten.
Zu Hause war es dunkel und still, als Noah und ich dort ankamen, aber Mom stieß zu uns, als wir unsere Mäntel aufhängten. Noahs Blick wanderte zu meinen Beinen, die das kurze schwarze Kleid, das ich aus meinen kürzlich ausgepackten Umzugskisten geholt hatte, hervorragend in Szene setzte.
«Ich gehe nach oben und rufe Ian an, und dann gehe ich ins Bett», sagte Mom mit einem wissenden Lächeln. Sie hielt ihre kleine Reisetasche in der Hand, obwohl Noah ihr angeboten hatte, sie für sie hochzubringen. «Habt nicht zu viel Spaß, ihr beiden. Alles Gute zum Geburtstag, Gigi.»
«Nacht, Mom.» Ich zuckte bei dem Spitznamen nicht einmal zusammen und blickte auf die neunundzwanzig Rosen, die Gran zusammen mit einer signierten Erstausgabe von The Sun Also Rises geschickt hatte.
«Zeit für dein Geschenk», sagte Noah, trat hinter mich und schlang seine Arme um meine Taille. «Es ist zwar nicht Hemingway, aber du hast mich gezwungen, das Budget klein zu halten.»
Ich stöhnte auf. «Du hast mir schon genug geschenkt.»
«Glaub mir, das willst du haben.»
Ich drehte mich in seinen Armen um. «Ich will dich .» Wenn er gewusst hätte, wie sehr, wäre er wahrscheinlich schreiend aus dem Haus gerannt.
Er küsste mich auf die Stirn, nahm meine Hand und führte mich in das Wohnzimmer, in dem er noch vor ein paar Monaten seine Schreibkünste angepriesen hatte. Die Möbel waren zur Seite geschoben worden, um Platz zu schaffen, und er hatte den hohen Tisch aus dem Foyer hereingeholt. Darauf stand eine mittelgroße, mit einer Schleife versehene Schachtel. Er hatte den Tisch neben dem Kamin platziert, den er mit dem Umlegen eines Schalters anschaltete.
«Den hat Gran bei der Renovierung einbauen lassen.» Ich nickte in Richtung des Gaskamins. «Sie sagte, es sei eine törichte, verschwenderische Ausgabe, aber das war ihr egal.»
«Nun, danke, Gran.» Noah streifte sich sein Jackett ab und legte es über einen der Ohrensessel. «Und jetzt mach dein Geschenk auf, Georgia.» Er lehnte sich mit der Schulter gegen den Kaminsims und legte einen Fuß über den anderen.
«Das Geschenk, das dich nichts gekostet hat.» Ich wölbte eine Braue.
«Keinen Cent.» Seine Augen verengten sich leicht. «Na ja, ich habe die Schachtel bezahlt. Und die Schleife. Ehrlich gesagt, bin ich nur zufällig darüber gestolpert, während ich meine Schuhe gesucht habe.»
Ich rollte mit den Augen, ging aber zu der Schachtel hinüber und suchte nach einer Möglichkeit, sie zu öffnen. «Hast du sie zugeklebt?», zog ich ihn auf.
«Nope. Heb sie einfach an.» In seinen Augen lag so viel Aufregung, und ich spürte, wie sie auf mich übersprang.
Ich ergriff die Seiten der Schachtel und hob sie an. Mein Herz schlug bis zum Hals, und Tränen brannten in meinen Augen. «Oh, Noah.»
Er trat vor und nahm mir die Schachtel aus den zitternden Händen, aber ich war zu sehr damit beschäftigt, mein Geschenk anzustarren, um mitzubekommen, wo er sie ablegte. Dann war er an meiner Seite.
«Ist das …» Ich traute mich fast nicht, die Worte auszusprechen, wäre zufrieden damit, sie auch nur in meiner Vorstellung wahr werden zu lassen.
«Ja.» Er nickte mit einem sanften Lächeln.
«Aber … wie?» Ich streckte eine zittrige Hand nach dem alten Plattenspieler aus und fuhr mit den Fingern über den abgenutzten Rand des Gehäuses vor mir auf dem Tisch.
«Ich habe vor ein paar Wochen im Schrank in Grantham Cottage ein loses Brett gefunden», sagte er und bewegte den Arm des Plattenspielers so, dass er über der staubfreien Schallplatte ruhte. «Derselbe Schrank, bei dem die Höhenmarkierungen am Türrahmen nicht überstrichen wurden, wie sonst das ganze Haus.»
Mein Blick wanderte hastig zu ihm; aus irgendeinem Grund wusste ich, was er als Nächstes sagen würde. «Sie zeigen jeweils Großvater Williams Körpergröße, nicht wahr?», riet ich.
Er nickte. «Ich vermute, dass sie das Haus deshalb nie verkauft hat. Ich war bei der Stadtverwaltung und habe in den Grundbüchern nachgesehen. Es gehörte ursprünglich Grantham Stanton – Jamesons Vater. Deinem Ur-Ur-Großvater.»
«Dort haben sie die ersten Jahre gelebt», flüsterte ich und setzte die Puzzleteile in meinem Kopf zusammen. «Aber Gran sagte, der Plattenspieler sei zerstört worden.»
Noah hob einen Mundwinkel. «Was auch immer zerstört wurde, der hier war es nicht. Scarlett muss ihn in der Wand versteckt haben.»
«Aber warum hat sie ihn nie geholt?» Ich zog die Stirn in Falten. «Wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich nicht, ob sie das Haus überhaupt jemals betreten hat. Sie hat immer jemanden dafür bezahlt, sich darum zu kümmern.»
«Trauer ist ein starkes, unlogisches Gefühl, und manche Erinnerungen bleiben besser unter Verschluss und unberührt.» Er legte den Schalter am Plattenspieler um, und ich war geradezu geschockt, als er ansprang.
«Du hast Jamesons Plattenspieler gefunden», flüsterte ich.
«Ich habe Jamesons Plattenspieler gefunden.» Er ließ den Arm sinken, die Nadel setzte auf und die Stimme von Billie Holiday erfüllte den Raum. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie auf diesem Feld im wogenden Sommergras die Liebesbeziehung begann, die auch zu meiner Existenz führte, diese Liebe, die Gran den Rest ihres Lebens nicht losließ, auch wenn sie später wieder geheiratet hatte.
«Hey», sagte Noah leise, trat in die Mitte des Raumes und streckte seine Hand nach meiner aus. «Komm, tanz mit mir, Georgia.»
Ich lief geradewegs in Noahs Arme, spürte, wie der letzte Rest meiner Schutzmauern verschwand.
«Danke», sagte ich und legte meine Wange an seine Brust, während wir uns sanft zur Musik wiegten. «Ich kann nicht glauben, dass du das alles für mich getan hast. Das Essen, deine Schwester, Mom und der Plattenspieler. Das ist viel zu viel.»
«Es ist noch lange nicht genug.» Seine Stimme wurde leiser, und er hob mein Kinn an, um mir in die Augen zu sehen. «Ich bin vollkommen, von ganzem Herzen, wahnsinnig in dich verliebt, Georgia Constance Stanton.» Die Intensität in diesen Worten spiegelte sich in seinem Blick wider.
«Noah.» Mein Herz krampfte sich zusammen, und der süße Schmerz, den ich mit allen Mitteln zu unterdrücken versucht hatte, brach hervor und füllte jede ausgetrocknete, liebeshungrige Zelle in meinem Körper, als ich mir erlaubte, ihm zu glauben, ihn ebenfalls zu lieben.
«Das hier ist für mich keine Affäre. Das war es nie. Ich wollte dich von der ersten Sekunde an, als ich dich in dem Buchladen gesehen habe, und ich wusste sofort, du bist die Richtige, als du den Mund aufgemacht hast, um mir zu sagen, dass du meine Bücher hasst.» Er nickte langsam, ein Grinsen umspielte seine Lippen. «Das ist die Wahrheit. Und du musst es nicht auch aussprechen. Noch nicht. Mir ist es sogar lieber, du sagst es nicht. Ich möchte, dass du die Worte aussprichst, wenn du sie sagen willst, wenn du bereit bist. Und wenn du mich noch nicht liebst, ist das kein Grund zur Sorge, denn ich werde dich für mich gewinnen.» Er lehnte seine Stirn an meine, während wir weiter tanzten.
Oh Gott. Ich liebte ihn. Vielleicht war es leichtsinnig und töricht und verdammt früh, aber ich konnte nichts dagegen tun. Mein Herz gehörte ihm. Er hatte mich vollkommen für sich gewonnen, ich konnte mir keinen einzigen Tag mehr ohne ihn vorstellen. «Noah, ich …»
Er küsste mich sanft und stoppte meine Erklärung. Dann trug er mich nach oben und liebte mich, bis es keinen einzigen Zentimeter meiner Haut mehr gab, der nicht wusste, wie sich seine Hände, sein Mund, seine Zunge anfühlte.
Als die Sonne aufging, waren wir beide am Verhungern, betrunken von einem Cocktail aus Orgasmen und Schlafentzug. Wie Teenager küssten wir uns auf dem Weg die Treppe hinunter ununterbrochen und versuchten dabei so leise wie möglich zu sein, um Mom nicht zu wecken.
Wir waren das totale Klischee – Noah trug noch die Anzughose vom Abend zuvor, und ich hatte mir hastig sein Hemd übergestreift und zugeknöpft. Darunter trug ich nichts weiter als einen Hipsterslip. Aber das war mir egal. Ich war in Noah Morelli verliebt, und ich wollte ihm Pfannkuchen machen – oder Eier. Das, was schneller ging, damit wir bald wieder ins Bett konnten.
Im Foyer küsste er mich tief und lange und zog mich in die Küche.
«Was war das?» Ich blieb stehen. Aus dem Büro drang das Rascheln von Papier.
Noah hob den Kopf. Als er den kleinen Spalt in der Bürotür sah, verengten sich seine Augen. «Die habe ich gestern Abend geschlossen, bevor wir zur Party gefahren sind. Warte hier.» Er schob mich hinter sich, dann ging er schweigend zu den Flügeltüren und schob eine vorsichtig auf, um hineinzusehen. «Was zum Teufel machst du da?», knurrte er und verschwand im Zimmer.
Ich rannte ihm nach durch die offene Tür.
Es dauerte eine Sekunde, bis ich die Situation durchschaute. Mom saß auf Grans Stuhl und hielt ihr Handy über den Schreibtisch, zu ihrer Linken lag eine offene Hemdenschachtel und vor ihr ein kleiner Stapel Papier.
Sie scannte das Manuskript.