Kapitel 28

Mai 1942

Ipswich, England

S carlett klammerte sich an Jameson. Ihre Nägel kratzten über seinen Rücken, während er sich mit tiefen Stößen in ihr bewegte. Nichts auf der Welt war mit dem Gefühl seines Körpers auf ihrem vergleichbar, mit diesen Momenten, in denen es keinen Krieg, keine Gefahr, keine drohende Frist für ihre Trennung gab. In diesem Bett gab es nur sie beide, die mit ihren Körpern kommunizierten, wenn Worte versagten.

Sie stöhnte angesichts der Lust, die sich in ihrem Unterleib aufbaute, und er küsste sie tief und trank den Laut von ihren Lippen. In den letzten Monaten hatten sie die Kunst des lautlosen Sex fast perfektioniert.

«Ich kann nie genug von dir bekommen», flüsterte er an ihrem Mund.

Sie wimmerte als Antwort und schob ihre Hüften fester gegen seine, schlang ihr Bein um seinen Rücken und trieb ihn an. So nah. Sie war so nah dran.

Er griff nach ihrem Oberschenkel und schob ihr Knie in Richtung Brust, nahm sie noch tiefer, dann ließ er seine Hüften mit jedem Stoß kreisen, was ihr fast den Verstand raubte, und hielt sie auf dem schmalen Grat der Lust, schwebend, ohne zu fallen.

«Jameson», bettelte sie und vergrub ihre Hände in seinem Haar.

«Sag es», forderte er mit einem Grinsen und stieß noch einmal zu.

«Ich liebe dich.» Sie hob ihren Kopf, bis ihre Lippen an seinen lagen. «Mein Herz, meine Seele, mein Körper – alles gehört dir.» Es war immer das Ich liebe dich , das ihn die Selbstbeherrschung aufgeben ließ, und dieses Mal war keine Ausnahme.

«Ich liebe dich», flüsterte er, ließ seine Hand zwischen sie gleiten und trieb sie mit seinen Fingern zum Höhepunkt. Ihre Schenkel verkrampften sich, ihre Muskeln zitterten, und sie hörte ihn flüstern: «Scarlett, meine Scarlett», als der Orgasmus in Wellen über sie hereinbrach.

Sie schrie, er bedeckte ihren Mund mit seinem. Ein paar Stöße später folgte er ihr, sein Körper spannte sich über ihr an, als er seine Erlösung fand.

Als Knäuel aus verschwitzen Gliedmaßen und mit einem breiten Lächeln rollte er sie beide zur Seite.

«Ich will dieses Bett nie mehr verlassen», sagte er, während er ihr eine Haarsträhne von der Wange strich und sie hinter ihr Ohr schob.

«Das ist ein ausgezeichneter Plan», stimmte sie zu und fuhr mit den Fingerspitzen über seine muskulöse Brust. «Denkst du, dass es immer so sein wird?»

Er streichelte ihren Po. «Du meinst dieses unstillbare Bedürfnis, sich gegenseitig auszuziehen?»

«So in etwa.» Sie grinste.

«Gott, ich hoffe es. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen, als dich für den Rest meines Lebens aus deiner Kleidung zu schälen.» Er wackelte mit den Augenbrauen, und sie lachte.

«Auch noch, wenn wir alt sind?» Sie strich mit dem Handrücken über seine Kieferpartie, die vor Bartstoppeln ganz rau war.

«Vor allem, wenn wir alt sind. Dann müssen wir nicht mehr so leise sein, damit es die Kinder am anderen Ende des Flurs nicht mitbekommen.»

Daraufhin verstummten sie und lauschten auf Williams unvermeidlichen Ruf nach Frühstück, aber er schlief noch – oder war zumindest zufrieden und still.

Scarletts Brust zog sich zusammen. Drei Tage. Das war alles, was ihnen noch blieb, bevor sie abreisen sollte. Jameson hatte gestern die Nachricht von seinem Onkel erhalten. Wie lange würden sie getrennt sein? Wie lange würde dieser Krieg dauern? Was, wenn dies die letzten drei Tage waren, die sie mit Jameson verbringen würde? Jede Frage zog den Schraubstock um ihre Brust enger zusammen, bis jeder Atemzug schmerzte.

«Denk nicht darüber nach», flüsterte er. Sein Blick huschte über ihr Gesicht, als müsse er sich jedes Detail einprägen.

«Woher weißt du, woran ich denke?» Sie versuchte zu lächeln, schaffte es aber nicht.

«Weil ich an nichts anderes denke», gab er zu. «Ich wünschte, es gäbe eine andere Möglichkeit, ihn zu beschützen, eine, bei der du mich nicht verlassen müsstest.»

Sie nickte und biss sich auf die Unterlippe, um das Zittern unter Kontrolle zu halten. «Ich weiß.»

«Du wirst Colorado lieben», versprach er, und ein Funken Freude leuchtete in seinen Augen auf. «Die Luft dort ist dünner, daran muss man sich vielleicht erst einmal gewöhnen, aber die Berge sind so hoch, dass man meint, sie berühren den Himmel. Es ist wunderschön dort, und ganz ehrlich, das Einzige, was blauer ist als der Himmel über Colorado, sind deine Augen. Meine Mutter weiß, dass du kommst, sie hat das Haus für dich und William hergerichtet. Onkel Vernon wird dir bei der Einbürgerung helfen, und wer weiß, vielleicht hast du dein Buch ja schon fertig geschrieben, wenn ich nach Hause komme.»

Es war ihr egal, wie schön das Bild war, das er zeichnete, denn er fehlte darauf, zumindest in unmittelbarer Zukunft. Aber sie hatte nicht vor, ihm das zu sagen. Ihr Abschied war noch Tage entfernt, und sie wusste, dass sie stark bleiben musste, nicht nur für Jameson, sondern auch für William. Es hatte keinen Sinn, zu lamentieren oder zu jammern. Ihr Visum war vor zwei Wochen genehmigt worden, ihr Weg war vorgezeichnet, und jetzt gab es Dinge, die erledigt werden mussten – zwei Leben, die zusammengepackt werden mussten.

«Ich nehme das Grammofon nicht mit.» Das war der einzige Streitpunkt zwischen ihnen.

«Plattenspieler. Und meine Mutter hat mir das Versprechen abgenommen, ihn zurückzubringen.»

Sie runzelte die Stirn. «Ich dachte, deine Mutter hat gesagt, du sollst ihn zurückbringen, damit du lebendig wieder bei ihr auftauchst.» Sie fuhr mit den Fingern durch sein Haar und prägte sich das Gefühl der Strähnen ein.

«Sag ihr, dass ich es mit meinem Leben nach Hause schicke, denn das sind du und William. Ihr seid mein Leben.» Er umfasste ihre Wange und sah sie so eindringlich an, dass sie seinen Blick wie eine Berührung spüren konnte. «Wenn wir später auf das hier zurückblicken, wird es nicht mehr als ein kurzer Moment in unserer Geschichte sein.»

Ihr drehte sich der Magen um. Es brauchte nicht mehr als einen einzigen Moment, um zu sterben.

«Ich liebe dich, Jameson», flüsterte sie voller Inbrunst. «Ich bin nur William zuliebe bereit zu gehen.»

«Ich liebe dich auch. Und die Tatsache, dass du bereit bist zu gehen, um William zu schützen, lässt mich dich nur noch mehr lieben.»

«Drei Tage», flüsterte sie und brach bereits jetzt mit ihrem Vorsatz, stark zu bleiben.

«Drei Tage», wiederholte er und zwang sich zu einem Lächeln. «Die Kavallerie kommt, meine Liebste. Die amerikanischen Truppen sind auf dem Weg, und wer weiß, nächstes Jahr um diese Zeit könnte alles vorbei sein.»

«Und wenn nicht?»

«Scarlett Stanton», zog er sie auf, «willst du damit etwa sagen, dass du nicht auf mich warten willst?» Seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln, das sie fast als Grinsen bezeichnen würde.

«Ich würde ewig auf dich warten», versprach sie. «Kommst du hier zurecht, ohne mich?»

«Nein», antwortete er leise. «Ich werde erst wieder zurechtkommen, wenn ich bei dir bin. Du nimmst mein Herz mit dir. Aber ich werde am Leben bleiben», schwor er und legte seine Stirn an ihre. «Ich werde fliegen. Ich werde kämpfen. Ich werde dir jeden Tag schreiben und jede Nacht von dir träumen.»

Sie versuchte zu verhindern, dass der Schmerz sie übermannte, schob ihn beiseite mit dem Gedanken, dass sie noch drei Tage hatten. «Dann bleibt dir nur wenig Zeit, dich mit einem anderen Mädchen einzulassen», neckte sie ihn.

«Es wird nie ein anderes Mädchen für mich geben. Nur dich, Scarlett. Nur das hier.» Er zog sie näher zu sich. «Ich wünschte nur, ich hätte mir heute frei nehmen können.»

Sie schnaubte. «Sie haben dir letztes Wochenende für Constances Hochzeit freigegeben, und für den Tag unserer Abreise, damit du dich verabschieden kannst. Ich kann mich wirklich nicht beschweren.»

«Bezeichnest du das wirklich als Hochzeit? Es fühlte sich eher wie eine Beerdigung an.» Er verzog das Gesicht.

«Es war beides.» Constance hatte sich tatsächlich nicht von ihrem Weg abbringen lassen – als hätte daran noch ein Zweifel bestanden – und Henry Wadsworth am letzten Wochenende geheiratet.

Lord Sozialer Aufsteiger hatte offiziell in der britischen Gesellschaft Fuß gefasst, Constance hatte das Land gerettet, das sie so sehr liebte, und die finanzielle Zukunft ihrer Eltern war gesichert. «Es war eine überteuerte Feier für einen Geschäftsabschluss», sagte Scarlett leise.

Sie lagen noch einen Moment da, während die Sonne höher stieg und das Licht in ihrem Schlafzimmer von einem pudrigen Rosa in einen helleren Farbton überging. Sie konnten den Beginn des Morgens nicht länger hinauszögern, auch wenn Jameson sie überredete, mit ihm zu duschen.

Zwanzig Minuten und einen weiteren Orgasmus später wickelte er sie in ein Handtuch, dann band er sich selbst eines um die Hüfte und begann, sich zu rasieren. Sie lehnte sich gegen den Türrahmen und sah ihm dabei zu. Es war eine Gewohnheit, derer sie nie überdrüssig wurde, vor allem, weil er es gewöhnlich mit nacktem Oberkörper tat. Als er fertig war, machte sie sich auf den Weg in ihr Schlafzimmer, um sich für den Tag anzuziehen, gerade als William den ersten Laut des Morgens ausstieß.

«Ich nehme ihn», sagte Jameson, der bereits auf dem Weg zu Williams Zimmer war.

Scarlett zog sich an und lauschte den süßen Klängen von Jameson, der ihrem Sohn etwas vorsang, während er ihn für den Tag zurechtmachte.

Wegen Constances Hochzeit am vergangenen Wochenende und ihrer bevorstehenden Reise war es sinnvoll gewesen, William an die Flasche zu gewöhnen, was den zusätzlichen Vorteil hatte, dass sie Jameson beim Füttern ihres Sohnes zusehen konnte. Und genau das tat sie etwa zehn Minuten später. Die Bindung zwischen den beiden war unbestreitbar. Jameson war derjenige, den William am meisten anlächelte, wenn sie beide zu Hause waren, und er war derjenige, den er lieber um sich hatte, wenn er weinerlich war. Selbst jetzt hielt William die Flasche mit einer Hand und zupfte mit der anderen an den Knöpfen von Jamesons Uniform. Die unverhohlene Bevorzugung machte Scarlett nichts aus, zumal sie wusste, dass es ein Jahr oder länger dauern konnte, bis sie sich wiedersahen.

Würde William sich überhaupt an Jameson erinnern? Würden sie noch einmal von vorn anfangen müssen? Es war schwer zu glauben, dass ein so festes Band wie zwischen Vater und Sohn durch etwas so Unbestimmtes wie Zeit geschwächt werden könnte.

«Soll ich dir einen Kaffee machen?», fragte Scarlett, während Jameson auf einem der Küchenstühle saß und ihren Sohn wiegte.

«Ich hole mir auf dem Stützpunkt einen, danke», antwortete Jameson lächelnd und blickte zu ihr auf, bevor er seinen bewundernden Blick wieder auf ihren Sohn richtete. «Er hat wirklich das Beste von uns beiden, nicht wahr?»

Scarlett strich ihr Haar über die Schulter zurück und sah auf William hinab. «Ich würde behaupten, dass deine Augen viel hübscher sind als meine, aber ja, ich glaube, er hat das Beste von uns beiden.» Ihr Sohn hatte ihr schwarzes Haar, aber den sonnenverwöhnten Teint von Jameson. Er hatte ihre hohen Wangenknochen, aber Jamesons kräftiges Kinn und seine Nase.

«Stanton-Blau», sagte Jameson mit einem Grinsen. «Ich hoffe, alle unsere Kinder bekommen solche Augen.»

«Oh? Hast du noch mehr Kinder geplant?», neckte sie ihn, als er sie auf sein freies Knie zog.

«Wir machen so hübsche Babys, dass es eine Schande wäre, damit aufzuhören», sagte er mit einem schnellen, sanften Kuss.

«Ich schätze, damit müssen wir warten, bis wir alle in Colorado sind.» Sie wünschte sich ein kleines Mädchen mit Jamesons Augen und seiner unbekümmerten Art. Sie wollte, dass auch William die Freude erlebte, ein Geschwisterchen zu haben.

«Ich werde dich zum Angeln mitnehmen», versprach Jameson William. «Und ich werde dir beibringen, unter Sternen zu zelten, die so strahlend sind, dass sie den Mitternachtshimmel erhellen. Ich zeige dir, wo du das kleine Flüsschen am sichersten überqueren kannst, und wenn du alt genug bist, bringe ich dir auch das Fliegen bei. Du musst dich, bis ich da bin, nur vor den Bären in Acht nehmen.»

«Bären!» Scarlett fiel die Kinnlade herunter.

«Kein Grund zur Sorge.» Jameson lachte und schlang seinen Arm um Scarletts Taille. «Die meisten Bären haben Angst vor deiner Grandma … genau wie die Pumas. Aber sie wird dich lieben.» Er blickte Scarlett an. «Sie wird euch beide genauso sehr lieben wie ich.»

Widerwillig übergab Jameson William an Scarlett, dann standen sie auf.

«Ich bin so schnell wie möglich zurück», sagte er und zog seine Frau und seinen Sohn in seine Arme.

«Gut.» Sie hob ihren Kopf für einen Kuss. «Wir sind noch nicht fertig mit der Diskussion über das Grammofon.»

Jameson küsste sie innig, dann lachte er. «Der Plattenspieler kommt mit.»

«Wie ich schon sagte», erwiderte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue, «diese Diskussion ist noch nicht beendet.» Scarlett war nicht abergläubisch, im Gegensatz zu den meisten Piloten, und den Plattenspieler mit nach Hause zu Jamesons Mutter zu nehmen, fühlte sich für sie irgendwie an, als würden sie das Unglück geradezu einladen.

«Wir besprechen das später, sobald ich zu Hause bin», versprach er. Er küsste sie erneut, hart und schnell, dann strich er mit seinen Lippen über Williams Stirn und ging zur Tür hinaus.

«Wir besprechen das später heißt, Mummy wird gewinnen», sagte sie zu William und kitzelte ihn sanft.

Er schenkte ihr ein herzhaftes Lachen, und sie konnte einfach nicht anders, als es zu erwidern.

***

J ameson ließ die Schultern kreisen und versuchte, den permanenten Muskelkater zu lindern, der sich in seinen Muskeln breitgemacht hatte. Ihre Anflugkoordinaten, ein Ziel an der deutschen Grenze, hatten sie erreicht, und obwohl die drei Bomber, die sie begleiteten, unter Beschuss geraten waren, befanden sie sich jetzt über den Niederlanden und waren unversehrt. Wenn das mal kein guter Tag war.

Er warf einen Blick auf das Foto, das noch immer unter dem Gradmesser befestigt war, und lächelte. Es war das Foto von Scarlett, das Constance ihm vor fast zwei Jahren geschenkt hatte. Er wusste, dass sie dachte, den Plattenspieler mit nach Hause zu nehmen bringe Unglück. Aber alles Glück, das er brauchte, hatte er hier, in diesem Foto. Außerdem gab es niemanden außer seiner Scarlett, mit dem er tanzen wollte, und es würde genug Zeit zum Tanzen geben, sobald dieser Krieg vorbei war.

«Wir liegen gut in der Zeit», sagte Howard über das Funkgerät auf dem für sie vorgesehenen Geschwaderkanal.

«Freu dich nicht zu früh», erwiderte Jameson und blickte nach rechts, wo Howard in etwa zweihundert Metern Entfernung als Blue Lead die eine Reihe aus vier Flugzeugen anführte. Das Einzige, was er an dieser Formation mochte, war, dass er neben Howard fliegen konnte. Heute flog er ganz vorne in der roten Reihe.

Aber er hatte recht, sie kamen gut voran. Bei diesem Tempo würde er zwar nicht vor dem Abendessen zu Hause sein, aber vielleicht schaffte er es noch rechtzeitig, um William ins Bett zu bringen.

Dann würde er seine Frau ins Bett bringen. Er würde jede einzelne Sekunde, die sie noch zusammen hatten, nutzen.

«Blue Lead, hier ist Blue Four, over», ertönte eine Stimme über Funk.

«Hier ist Blue Lead, sprich», funkte Howard zurück.

Was Jameson an dieser Kiellinienformation hasste, war, dass ihre jüngsten Piloten, die mit der geringsten Kampferfahrung, am hinteren Ende flogen.

«Ich glaube, ich habe etwas über uns gesehen.» Die zittrige Stimme brach zum Ende des Satzes hin. Das musste der Neue sein, der erst letzte Woche dazugekommen war.

«Du glaubst es? Oder weißt du es?», fragte Howard.

Jameson blickte durch das Glas des Cockpits nach oben, aber das Einzige, was er in der Wolkendecke über ihnen sah, waren ihre eigenen Schatten in der untergehenden Sonne.

«Ich glaube …»

«Red Lead, hier ist Red Three, over», sagte Boston über Funk.

«Red Lead hier, sprich», antwortete Jameson, der immer noch den Himmel über ihnen absuchte.

«Ich habe auch etwas gesehen.»

Die Haare in Jamesons Nacken stellten sich auf.

«Über uns auf zwei Uhr!», brüllte Boston.

Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als eine Formation deutscher Jäger die Wolkendecke durchbrach und auf sie feuerte.

«Ausschwärmen!», rief Jameson in das Funkgerät. In seinem peripheren Blickfeld sah er, wie Howard eine enge Rechtskurve flog und Cooper, der links neben ihm die White-Lead-Position hatte, dieselbe Richtung einschlug.

Jameson zog am Steuerknüppel, stieg steil in den Himmel und führte seine Männer höher in die Luft. In einem Luftkampf hatte derjenige mit der größeren Höhe die Oberhand. Nachdem sie weit genug angestiegen waren, wandte Jameson sich dem Feind zu, nahm den ersten Jäger ins Visier und vergaß alles andere um sich herum.

Er feuerte zur gleichen Zeit wie der Deutsche, Glas zersplitterte direkt hinter ihm, und sie flogen so nah aneinander vorbei, dass sie fast kollidierten.

«Ich bin getroffen!», rief Jameson und überprüfte seine Anzeigen. Der Wind peitschte durch das Cockpit, aber das Flugzeug hielt stand. Der Öldruck war in Ordnung. Höhe: stabil. Treibstoffstand: stabil.

«Stanton!» Howards Stimme brach.

«Ich glaube, ich bin okay», antwortete Jameson. Der Kampf fand jetzt unter ihnen statt, Jameson flog eine scharfe Linkskurve und zurück ins Getümmel.

Der Sturzflug wehte einen Luftzug durch das nun offene Cockpit und riss Scarletts Bild vom Rand der Anzeige. Es war weg, bevor Jameson auch nur versuchen konnte, es zu fangen.

Über Funk ertönte eine Kakofonie von Stimmen, als die deutschen Jäger auf die Bomber zusteuerten. Die Schutzbrille schützte seine Augen, aber er spürte ein warmes Rinnsal an seiner linken Gesichtshälfte und hob schnell seine behandschuhte Hand.

Als er sie wieder senkte, war sie rot.

«Nichts Schlimmes», sagte er zu sich selbst. Das musste das Glas gewesen sein. Hätte der Deutsche ihn getroffen, wäre er jetzt tot.

Er durchstieß die Wolkendecke, hielt den Finger am Abzug und raste auf den nächsten Jäger zu, der gerade eine Spitfire im Visier hatte.

Adrenalin durchflutete seinen Körper und schärfte seine Sinne, während er das Tempo erhöhte.

Der erste Schuss des Deutschen ging daneben.

Jamesons nicht.

Das deutsche Kampfflugzeug fiel in einer schwarzen Rauchwolke vom Himmel und verschwand im dichten Dunst der Wolken unter ihnen.

«Ich habe einen erwischt!», rief Jameson, aber sein Triumph war nur von kurzer Dauer, denn ein weiterer Jäger – nein, zwei weitere Jäger – tauchten hinter ihm auf.

Er zog den Steuerknüppel kräftig nach hinten, stieg in einer Rechtskurve an und entging nur knapp einer Verabredung mit dem schon sicher geglaubten Tod, als die Schüsse an ihm vorbeirauschten.

«Das war knapp, Baby», sagte er leise, als ob Scarlett ihn über die Nordsee hinweg hören könnte. Sterben war keine Option, und er hatte auch nicht die Absicht, es heute zu tun.

«Einer ist mir auf den Fersen!», rief der Neue über das Funkgerät, als er direkt unter Jameson vorbeiflog, der deutsche Jäger dicht hinter ihm.

«Ich komme», antwortete Jameson.

Er spürte den Schuss – als hätte jemand mit einem Vorschlaghammer gegen den Boden seines Sitzes geschlagen –, bevor er den anderen Jäger überhaupt sah.

Das Flugzeug reagierte noch immer, aber die Treibstoffanzeige begann stetig zu sinken, was nur eines bedeuten konnte.

«Hier spricht Red Lead», sagte er über Funk so ruhig, wie es ihm möglich war. «Ich wurde getroffen und verliere Treibstoff.»

Er war schon einmal ohne Motor gelandet. Es war keine schöne Landung gewesen, aber er könnte es wieder tun. Die einzige Frage war, ob sie noch über Land oder schon über dem Meer waren. Land wäre besser. Über Land, das würde er schaffen.

Es bestand die Gefahr, dass man ihn als Kriegsgefangenen nahm, aber er war in den Bergen aufgewachsen, und seine Fähigkeiten, unterzutauchen, waren erstklassig.

«Red Lead, wo bist du?», rief Howard über das Funkgerät.

Die Tankanzeige war leer, der Motor stotterte und erstarb. Die Welt wurde entsetzlich still, als Jameson aus dem Kampf in die Wolken unter ihm stürzte. Das Dröhnen des Motors war durch das Rauschen des Windes ersetzt worden.

Ruhig. Bleib ruhig , sagte er sich, während sich seine schöne Spitfire in einen Gleiter verwandelte. Runter, runter, runter. Jetzt konnte er nur noch lenken – war nur noch Begleiter.

«Blue Lead, ich bin in den Wolken.» Er war aus ihrem Blickfeld verschwunden und ihm drehte sich der Magen um. «Ich stürze ab.»

«Jameson!», rief Howard.

Jameson blickte auf die leere Stelle, an der das Foto gewesen war. Scarlett . Die Liebe seines Lebens. Der Grund für seine Existenz. Für Scarlett würde er überleben, egal, was unter den Wolken lag. Er würde es für sie beide überstehen – für Scarlett und William.

Er bereitete sich auf den Absturz vor.

«Howard, sag Scarlett, dass ich sie liebe.»

Scarlett, meine Scarlett,

 

heirate mich. Bitte hab Erbarmen mit mir und werde meine Frau. Die Tage hier sind lang, aber die Nächte sind noch länger. In der Nacht kann ich nicht aufhören, an dich zu denken. Es ist seltsam, jetzt von Amerikanern umgeben zu sein, vertraute Ausdrücke und Akzente zu hören, während ich mich nur nach dem Klang deiner Stimme sehne. Sag mir, dass du bald Urlaub bekommen kannst. Ich muss dich unbedingt sehen. Bitte triff dich nächsten Monat in London mit mir. Wir buchen getrennte Zimmer. Es ist mir egal, wo wir schlafen, wenn ich dich nur sehen kann. Ich sterbe hier, Scarlett. Ich brauche dich.