Kapitel 31

Noah

«I ch hätte nicht gedacht, dass du kommst», sagte Adam. Wir befanden uns auf der Wohltätigkeitsveranstaltung, standen jenseits des Gedränges am Rand.

«Wäre ich auch fast nicht», gab ich zu und nickte einem Bekannten auf der anderen Seite des Raumes zu. Ich runzelte die Stirn, als ich daran dachte, wie klein und intim Georgias Party gewesen war, im Vergleich zu diesem Sehen-und-gesehen-Werden hier. «Du hast nicht auf meine E-Mail geantwortet.»

Adam seufzte. «Du hast meine einen Monat lang ignoriert. Betrachte es als Rache.» Er ließ die Schultern kreisen und zupfte an seiner Fliege.

«Sie wird ihre Meinung nicht ändern.» Meine Augen suchten weiter die Menge ab, auf der Suche nach der einen Person, die ich sehen wollte.

«Dann bring sie dazu.» Adam hob die Brauen.

«Nein.» Meine Augen verengten sich beim Anblick der Gruppe Indie-Filmemacher zu meiner Linken. «Sie nimmt meine Anrufe ohnehin nicht an, und nach zwei Wochen habe ich so langsam das Gefühl, sie macht es mit Absicht», sagte ich mit einem selbstironischen Grinsen.

«Willst du wirklich als der Typ in die Geschichte eingehen, dessen Ego einem Happy End für Scarlett Stanton im Weg stand?»

«So war es nicht.» Nein, Ellsworth stand auch nicht bei der Gruppe. Ich drehte mich Adam zu, blickte aber weiter suchend über seine Schulter.

«Na ja, so sieht es aber aus, und das wird auch in allen Kritiken stehen.» Er seufzte.

«Ist es schlecht geschrieben?», fragte ich herausfordernd.

«Natürlich nicht, es ist schließlich von dir.» Er schüttelte frustriert den Kopf.

«Dann bleibt es so. Das Korrektorat sollte doch in ein paar Tagen fertig sein, oder?» Ich verschränkte die Arme vor der Brust.

«Ja. Und ich kann dir sagen, wie glücklich die Korrektorin war, dass sie beide Versionen machen musste, weil du dich nicht für eine entschieden hast. Spoiler-Alarm: Sie war stinksauer.»

«Danke noch mal, dass du mir da entgegengekommen bist.» Ich meinte jedes Wort ernst.

«Sie hat auch gesagt, dass die Version mit dem Happy End besser ist», gab er zurück.

«Da sind wir uns einig.» Etwas Rotes blitzte auf und erregte meine Aufmerksamkeit. Ich lächelte. Paige Parker. Das bedeutete, dass Damian auch irgendwo hier war.

«Warum zum Teufel bist du dann …»

«Noah Harrison!», rief jemand hinter mir.

Ich schaute über meine Schulter. Bingo .

«Damian Ellsworth», sagte ich zur Begrüßung. Bleib höflich. Du brauchst Informationen. Das, was ich wissen wollte, war nicht unbedingt etwas, wonach ich Georgia fragen konnte – nicht mehr.

«Ich hätte nicht gedacht, Sie heute hier zu sehen.» Er klopfte mir auf die Schulter und setzte sich zu uns. Georgias Ex war knapp 1,80 m groß, was bedeutete, dass ich ihn um gut zehn Zentimeter überragte. Er lächelte und enthüllte so strahlend weiße Zähne, dass sie fast blau wirkten.

«Das könnte ich auch sagen, wenn man bedenkt, dass Sie ein Neugeborenes zu Hause haben.» Ich zwang mich zu einem Lächeln, während mir die Galle hochkam. Das war der Mann, der die Frau, die ich liebte, ruiniert hatte, der ihr immer wieder gesagt hatte, dass sie nicht genügte, ihn nicht zufriedenstellen konnte.

Was für ein verdammtes Arschloch.

«Dafür gibt es Kindermädchen», antwortete er achselzuckend. «Und, wie geht es meiner Frau?» Er hob seinen Drink und nahm einen langen Schluck.

Ich konnte mich gerade noch zurückhalten, ihm das Glas in den Hals zu rammen. Aber es war knapp.

«Mir war nicht bewusst, dass Sie eine Frau haben.» Ich blinzelte in gespielter Verwirrung.

Adam spuckte fast seinen Drink wieder aus.

«Ha. Touché.» Er blickte mich abschätzend an. «Sagen Sie mal, geht die alte Standuhr noch richtig? Die im Wohnzimmer?»

«Tut sie.» Ich hob eine Augenbraue angesichts seines leicht zu durchschauenden Versuchs, auf die Rolle hinzuweisen, die er seinerzeit in Georgias Leben gespielt hatte. «Da fällt mir etwas ein … Sie kannten Scarlett ziemlich gut, nicht wahr?»

Adams Blicke wanderten zwischen uns hin und her wie bei einem Tischtennis-Match, aber er schwieg.

«Sicher. Deshalb habe ich auch die Filmoption auf zehn ihrer Bücher.» Er grinste.

«Stimmt», sagte ich, als hätte ich das tatsächlich vergessen. Was zum Teufel hatte Georgia jemals in diesem Nick Nolte für Arme gesehen? «Dann kommen Sie genau zum richtigen Zeitpunkt, denn mein Lektor und ich haben eben über das Ende des neuen Buches gesprochen.»

«Das Buch, von dem eigentlich noch niemand etwas wissen sollte?» Er zwinkerte halb, was einfach nur seltsam wirkte.

«So ist es.»

«Leute. Ein bisschen leiser. Die Ankündigung soll doch überraschend werden, ja?», sagte Adam warnend.

«Natürlich.» Ich hätte ihn dafür küssen können, dass er mitspielte. «Jedenfalls haben Adam und ich das Ende von … Scarletts Geschichte besprochen. Und es gab da ein Puzzleteil, über das Georgia mir in Colorado nichts verraten wollte.» Ich schauderte übertrieben. «Na ja, keiner weiß so gut wie Sie, dass sie nicht besonders offen ist.»

Damian lachte, und ich ballte die Hände zu Fäusten, hielt aber meine Arme verschränkt. «Ja, sie kann ziemlich kratzbürstig sein, meine Georgia.» Er lächelte wehmütig.

Sie ist meine Georgia, Arschloch.

Adam hob die Brauen und trank einen großen Schluck.

«Ich habe mich jedenfalls, im Sinne der Geschichte, gefragt, ob Scarlett Ihnen jemals erzählt hat, warum sie so lange damit gewartet hat, Jameson für …» Die letzten Worte erstarben mir auf der Zunge. In meiner Vorstellung hatten die beiden ewig glücklich zusammen weitergelebt.

«Für tot zu erklären?», beendete er meinen Satz und trank noch einen Schluck.

«Ja.»

«Ist das nicht offensichtlich?» Er sah mich an, als wäre ich ein Idiot. «Sie hat die Hoffnung nie aufgegeben. Niemals. Diese Frau war knallhart, aber Mann, was für eine Romantikerin. Sie hat jeden Tag zur gleichen Zeit die Post gecheckt, in der Hoffnung, dass es irgendeine Nachricht gab, irgendeine Entdeckung, selbst dann noch, als Brian schon lange tot war.»

«Brian. Richtig.» Ich nickte. «Ich schätze, die Begegnung mit ihm hat ihr endlich den nötigen Anstoß gegeben, weiterzuziehen und ihr eigenes Leben zu leben. Das ergibt Sinn. Das hätte ich bedenken sollen.» Meine Lippen verzogen sich zu einem, wie ich hoffte, dankbaren Lächeln.

Adam verschluckte sich an seinem Getränk und räusperte sich dann, um das Geräusch zu übertönen. Genau so hatte ich das Ende geschrieben, hatte es aus den wenigen Bruchstücken zusammengesetzt, die Georgia aus diesem Teil von Scarletts Leben kannte und mir erzählt hatte.

«Ich würde nicht sagen, dass es die Begegnung als solches war. Scarlett kannte Brian eigentlich schon jahrelang.» Damians kleine Augen verengten sich leicht, während er nachdachte. «Sie haben nie darüber gesprochen, aber er ist Mitte der Fünfzigerjahre in dieses winzige Cottage gezogen. Jetzt, wo Sie es erwähnen, fällt mir ein, dass sie mir einmal erzählt hat, sie hätte Brian nicht heiraten können, weil sie das Gefühl hatte, ihre erste Ehe wäre noch nicht vorbei.» Er zuckte mit den Schultern. «Vermutlich hat sie irgendwann endlich begriffen, dass er tot war. Dreißig Jahre zu warten, ist vermutlich lang genug, oder?»

Mir drehte sich der Magen um.

«Hey, Baby.» Paige Parker hakte sich bei ihm ein. «Sollen wir zu unseren Plätzen gehen?»

«Ich plaudere gerade über Geschäftliches», sagte er. Sie schmollte, und er beugte sich zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Die Blondine war hübsch, aber sie war nicht Georgia. Sie hatte auch nicht Georgias Augen, ihren Humor oder ihre Stärke. Tatsächlich konnte Paige Georgia nicht einmal im Ansatz das Wasser reichen.

«Denkst du, was ich denke?», fragte Adam leise.

«Kommt darauf an, was du denkst», antwortete ich und bemerkte meine Schwester und Carmen, die gerade von der Damentoilette kamen. Perfektes Timing. Ich hatte bekommen, weswegen ich hergekommen war.

«Aus irgendeinem Grund wusste Scarlett 1973 mit Sicherheit, dass Jameson nicht mehr nach Hause kommen würde», flüsterte er. «Sie wusste es, und sie hat es niemandem gesagt.»

«Dieser Gedanke sollte unter uns bleiben.» Allein die Andeutung würde Georgia fertigmachen.

Adam nickte, während Paige wegging, ohne dass ihr Mann sie auch nur vorgestellt hätte. Ein echter Gentleman.

«Apropos Scarlett», fuhr Damian fort. «Wann bekomme ich das Manuskript zu lesen?» Er nippte lässig an seinem Drink.

«Es erscheint im März.» Ich hatte genug davon, nett zu sein.

«Sie wollen mich wirklich bis zur Veröffentlichung warten lassen?» Er lachte. «Stellen Sie sich vor, wir würden den Film zur gleichen Zeit wie das Buch ankündigen. Die Verkaufszahlen würden in astronomische Höhen schnellen.»

«Georgia wird Sie diesen Film nie produzieren lassen.» Ich grinste.

«Natürlich wird sie das. Sie ist nur sauer wegen Paige. Sie wird noch einlenken. Vertrauen Sie mir.»

«Ihnen vertrauen. Der ist gut.» Ich nickte Adrienne zu, und ihre Schritte beschleunigten sich, als sie sah, neben wem ich stand. «Sie hingegen können mir vertrauen, Ellsworth: Das wird nie passieren.»

Sein Gesichtsausdruck änderte sich, verlor die vorgetäuschte gute Laune. «Was muss ich tun, damit Sie das Manuskript herausrücken? Kommen Sie mir entgegen, damit Georgia das auch tut. Nach dem, was Ava mir erzählt hat, stehen Sie beide sich … nahe.»

«Ich liebe sie», korrigierte ich ihn.

«Und?» Er legte den Kopf schief, sein Blick verriet keinerlei Gefühl. «Mein Angebot steht. Ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen auch irgendwie helfen könnte.»

«Lieber würde ich sterben.» Ich reichte Adrienne die Hand. «Bereit zu gehen?»

«Wenn du es bist», erwiderte sie.

«Das bin ich. Damian Ellsworth, das ist meine Schwester, Adrienne. Adrienne, das ist Georgias beschissener Ex.» Ich wandte mich von seinem knallroten Gesicht ab. «Adam. Carmen. Es war schön, euch zu sehen.» Mit einem Lächeln drehte ich mich um und ging mit Adrienne an meiner Seite davon.

«Emotionen haben im Geschäftsleben nichts zu suchen, Harrison», spottete Damian. «Irgendwann wird Ava sie weichkochen. Das schafft sie immer. Was glauben Sie, wie ich an die zehn Filmoptionen gekommen bin?»

Ich hielt inne. Er hatte fünf Filme gedreht, fünf standen noch aus. Ich hatte gesehen, wie unnachgiebig Georgia sich für Scarletts Wünsche eingesetzt hatte, warum hatte sie dann aufgegeben, wenn … Manchmal ist der einzige Weg, das zu behalten, was man braucht, das loszulassen, was man will. Das hatte sie an jenem Tag am Fluss gesagt.

«Sind Sie sicher, dass es zehn sind?» Mein Lächeln wurde breiter. Was, wenn sie damit etwas ganz anderes gemeint hatte? Kluge Frau.

«Was zum Teufel soll das heißen?», schnauzte er.

«Es bedeutet, dass ich Georgia besser kenne als Sie.» Ich machte mir nicht die Mühe, seine Antwort abzuwarten. «Tut mir leid, dass wir nicht zum Essen bleiben», sagte ich zu Adrienne und geleitete sie zur Tür.

«Ich war nur wegen der Show hier», sagte sie achselzuckend. «Hast du bekommen, was du brauchst?»

Ich nickte und schob uns durch die Menge.

«Du siehst nicht gerade zufrieden aus.»

«Georgia fällt es schwer zu vertrauen.» Ich nickte einem Bekannten zu, während wir an die Garderobe traten.

«Offensichtlich.» Adrienne blinzelte mich an.

«Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass der einzige Mensch auf der Welt, dem Georgia voll und ganz vertraut hat, sie ihr ganzes Leben lang belogen hat?»

«Bist du sicher?» Sie wurde blass und riss die Augen auf.

«Zu etwa neunzig Prozent.» Plusminus.

«Es müssen hundert Prozent sein, und dann musst du es ihr sagen.»

Ich fluchte. «Das habe ich befürchtet.» Georgia zurückzugewinnen, war gerade sehr viel komplizierter geworden.