D ie einzige Institution, die langsamer war als das Verlagswesen, war die Regierung der Vereinigten Staaten. Vor allem, wenn sie mit einem anderen Land zusammenarbeiten musste und keine Einigkeit darüber herrschte, wer für was zuständig war. Aber sechs Wochen und ein paar Hunderttausend Dollar später hatte ich die Antwort auf eine meiner Fragen.
Ich kam allmählich zu der Ansicht, dass die andere Frage besser unbeantwortet bleiben sollte.
Ich fluchte, weil ich mir die Zunge am frisch gebrühten Kaffee verbrannte, und blinzelte gegen das Sonnenlicht, das durch die Fenster der Wohnung fiel. Der Jetlag war eine Qual, zudem hatte ich dort drüben ohnehin nicht gerade regelmäßige Arbeitszeiten gehabt.
Ich trug meine Tasse mit Lava zur Couch, dann schaltete ich den Laptop ein und überflog etwa eine Milliarde E-Mails. Sechs Wochen lang die reale Welt zu ignorieren, brachte einige ernsthafte Komplikationen im Posteingang mit sich, denen ich mich noch nicht gewachsen fühlte.
Also lieber ans Handy. Wie so oft scrollte ich meine Nachrichten durch, bis ich zur letzten Mitteilung von Georgia kam.
GEORGIA : Das mit den Kritiken tut mir wahnsinnig leid.
Ich hatte sie gelesen, kurz nachdem ich gelandet war. Das war einen Tag, nachdem die gesamte Buchbranche einheitlich beschlossen hatte, dass ich ein Arschloch bin – was auch stimmte, wie ich zu ihrer Verteidigung anbringen musste. Nur nicht aus den Gründen, die sie auf allen Plattformen herausschrien. Ich las mir den Rest des Chats durch, was inzwischen ebenso sehr zu meiner Routine gehörte wie mein Kaffee.
NOAH : Ich habe mein Versprechen gehalten.
GEORGIA : Ich weiß. Ich brauche ein wenig Zeit für mich, aber ruf mich an, sobald du zurück bist.
NOAH : Mach ich.
Das war’s. Mehr Worte hatten wir seitdem nicht miteinander gewechselt. Sie brauchte Zeit für sich, was in etwa bedeutete, dass ich sie in Ruhe lassen sollte, und das tat ich. Sechs verdammte Wochen lang.
Wie viel Zeit brauchte die Frau noch?
Und vor allem: Brauchte sie noch heute? Sollte ich anrufen, jetzt, wo ich wieder zu Hause war? Oder sollte ich ihr mehr Zeit geben?
Es war drei Monate her, dass sie stur dieses Kinn gereckt und mich wegen der Lüge, die ich ihr, blöd, wie ich war, erzählt hatte, vor die Tür gesetzt hatte. Drei Monate waren vergangen, seit ihre Augen sich mit Tränen gefüllt hatten, für die ich der Grund war. Drei Monate, und ich liebte sie immer noch so sehr, dass es schmerzte. Ich hätte mir keine Figur ausdenken können, die liebeskranker war; die Ringe unter meinen Augen bewiesen es.
Mom rief an, und ich ging ran.
«Hey, Mom. Ich bin erst gestern Abend zurückgekommen. Hast du dein Exemplar zugeschickt bekommen?» Normalerweise brachte ich ihr mein neuestes Buch immer selbst vorbei, aber ich würde es möglicherweise nicht überleben, ihr ins Gesicht zu sehen, wenn ihr aufging, was ich mit Scarlett Stantons letztem Werk angestellt hatte.
«Es kam gestern Abend per Kurier! Ich bin so stolz auf dich!» Scheiße, sie klang so glücklich – aber nur, weil sie das Ende noch nicht gelesen hatte.
«Danke, Mom.» Mein Laptop neben mir fing an zu piepsen, als Google-Benachrichtigungen mit weiteren Rezensionen eintrudelten. Ich musste diesen Mist wirklich abschalten.
«Ich liebe es, Noah. Du hast dich wirklich selbst übertroffen. Ich kann nicht einmal sagen, wo Scarletts Worte enden und deine beginnen!»
«Na ja, ich bin sicher, du wirst es herausfinden, sobald du am Ende angekommen bist. Es ist ziemlich offensichtlich», stöhnte ich und ließ mich auf die Couch sinken. Es gab bestimmt eine gesonderte Hölle für Leute, die ihre Mütter enttäuschten. «Und ich möchte, dass du weißt, dass es mir leidtut.»
«Es tut dir leid? Was tut dir leid?»
«Wart’s ab. Du wirst schon sehen.» Ich hätte in Übersee bleiben sollen, aber selbst diese Entfernung wäre nicht weit genug als Schutz vor dem Zorn meiner Mutter.
«Noah Antonio Morelli, hör auf, kryptisches Zeug zu reden», schnauzte sie. «Ich habe die ganze Nacht durchgelesen, ich bin fertig mit dem Buch.»
Mein Herz rutschte in die Hose. «Darf ich immer noch zum Memorial Day kommen?»
«Warum solltest du nicht?» Sie klang misstrauisch.
«Weil ich das Ende versaut habe?» Ich rieb mir die Schläfen und wartete darauf, dass sie loslegte.
«Ach, hör auf, so bescheiden zu sein. Noah, es war wunderschön! Der Moment im Espenhain, als Jameson sieht …»
«Was?» Ich setzte mich ruckartig auf, und mein Laptop schlug krachend auf dem Boden auf. «Jameson …» So endete es nicht. Zumindest nicht in der Version, die veröffentlicht worden war. Adam. «Mom, hast du das Buch gerade da?»
«Sicher. Noah, was ist hier los?»
«Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher. Tu mir einen Gefallen und blättere zur ersten Seite, dahin, wo das Copyright steht.» Adam musste eine Sonderausgabe für sie gedruckt haben. Heilige Scheiße, ich stand tief in seiner Schuld.
«Ich hab sie.»
«Ist es eine Sonderausgabe?»
«Nur wenn Erstausgaben etwas Besonderes sind.»
Was zum Teufel sollte das? Ich schnappte mir meinen Laptop vom Boden und öffnete die erste Google-Benachrichtigung. Es war die Rezension in der Times , und die erste Zeile haute mich um.
HARRISON VERWEBT STANTONS VISION NAHTLOS MIT –
«Mom, ich hab dich lieb, aber ich muss auflegen.» Ich klickte mich durch die Benachrichtigungen. Sie besagten im Grunde alle dasselbe.
«Okay. Ich hab dich lieb, Noah. Du solltest mehr schlafen», sagte sie in dieser für sie typischen, freundlich-autoritären Art.
«Das werde ich. Ich hab dich auch lieb.» Ich legte auf und rief Adam an. Er nahm das Gespräch gleich nach dem ersten Klingeln an.
«Willkommen zu Hause! Wie war die Reise? Bist du bereit, mit dem Buch für das kommende Jahr zu beginnen?»
Warum waren heute Morgen alle so verdammt gut gelaunt?
«Harrison verwebt Stantons Vision nahtlos mit seiner eigenen Interpretation von klassischer Romantik. Das sollte man sich nicht entgehen lassen. The Times» , las ich. «Schön!»
«Ist das dein Ernst? Wie wär’s mit dem hier?», schnauzte ich. «Wir wurden an der Nase herumgeführt. Wie ein epischer falscher Köder die Fangemeinde überrascht und erleichtert. The Tribune. » Meine Hände ballten sich zu Fäusten.
«Nicht schlecht. Sieht fast so aus, als hätten wir das absichtlich gemacht, was?»
«Adam», knurrte ich.
«Noah.»
«Was zum Teufel hast du mit meinem Buch gemacht?», brüllte ich. Alles war zerstört. Alles, was ich für sie aufs Spiel gesetzt hatte, hatte sich in Luft aufgelöst. Sie würde mir das niemals verzeihen – mir niemals mehr vertrauen, egal wie viel Zeit ich ihr ließ.
«Genau das, was mir von der einzigen Person aufgetragen wurde, die vertraglich das Recht hat, mir zu sagen, was ich tun soll», sagte er langsam.
Es gab nur eine Person, die ohne mich Änderungen genehmigen durfte. Und ihre Zeit war nun offiziell abgelaufen.