Es waren nur wenige Minuten bis Ahrenshoop. Nele staunte immer wieder, wie nahe hier alles beieinanderlag.
Die Töpferei befand sich in einem niedrigen weißen Haus, das mit großer Würde ein altes Reetdach trug. Der First schien ein wenig eingesunken, dickes Moos wuchs überall. Das Haus wirkte wie in eine Senke gekuschelt, vom Alter gebeugt, aber mit einer unverwüstlichen Stärke. Auch die Obstbäume, die es umstanden, waren alt, gebeugt und knorrig. Ein paar verschrumpelte Äste hingen zwischen letzten goldgelben Blättern, an einem davon hackte eine Nebelkrähe herum. Sie ließ sich nicht stören, als Nele parkte und ausstieg.
Das Gartentor in einem schiefen Jägerzaun stand offen und auch die Haustür, die wie so viele Türen in Born geschnitzte Ornamente trug. Oben war es eine Sonne, unten ein Kormoran mit ausgebreiteten Flügeln. Sie klopfte dennoch an, nachdem sie keine Klingel entdecken konnte.
»Kommen Sie herein!«, rief eine Stimme.
Nele trat in einen schmalen, dunklen Flur und entdeckte rechter Hand eine Tür, die in einen hellen, erstaunlich großen Raum führte. Die Sonne fiel durch letzte rote Weinblätter, die wie Ponyfransen draußen vor den Fenstern hingen. Im Lichtkegel saß ein Mann an einer Töpferscheibe und blickte auf eine Vase, die sich zwischen seinen Händen formte. Es waren schmale Hände, die Nele an die ihrer Mutter erinnerten, wenn sie Gemüse in hauchfeine Scheiben schnitt, als sei es etwas überaus Kostbares. Die Scheibe trieb er mit den Füßen an. Vielleicht lag es an dem Licht, vielleicht an seiner beinahe fühlbaren Konzentration, dass die Szene merkwürdig zärtlich und intim wirkte. Nele ahnte, wie er sich fühlte. So ähnlich ging es ihr, wenn sie in eine Zeichnung, ihre Musik oder den Bau einer Kulisse dermaßen vertieft war, dass sie nichts anderes mehr wahrnahm.
»Ich habe gleich Zeit für Sie«, sagte er, ohne aufzublicken. »Sehen Sie sich inzwischen ruhig um.«
»Gerne, vielen Dank.« Anscheinend war dies zugleich Werkstatt als auch Verkaufsraum. Nele wanderte an schlichten Regalen entlang, zunehmend fasziniert.
Dass Keramikgefäße die Augen und Hände dermaßen anziehen konnten wie jene, die hier vor ihr standen, hatte Nele nicht geahnt. Sie waren leicht unregelmäßig geformt, man sah ihnen an, dass sie keiner Maschine entstammten, sondern von Hand gestaltet worden waren. Kein Teller war genau wie der andere. Bei den Tassen gab es unzählige verschiedene Arten von Henkeln und Grundformen. Die Glasuren waren matt und in gedämpften, wolkig unregelmäßigen Pastelltönen gehalten, die dem Auge wohltaten. Zarte Grasmuster waren auf einigen Oberflächen angedeutet, Möwen im Flug auf anderen, aber die meisten bestachen einfach nur durch ihre Farben und Formen. Als hätte der wechselhafte Himmel über dem Meer und den Dünen eine Gestalt angenommen, die man berühren, aus der man sogar tröstlich warmen Kaffee oder Tee schlürfen und so den Morgen beginnen konnte. Nele vergaß die Zeit und konnte es nicht lassen, ein Stück nach dem anderen vorsichtig zu berühren.
»Anfassen ist hier erlaubt. Sogar erwünscht«, sagte eine leicht amüsierte Stimme hinter ihr. Nele hatte ihn nicht näherkommen hören und hätte fast eine Tasse fallen lassen. Als sie sich umdrehte, blickte sie in ein schmales, waches Gesicht mit großen, rauchblauen Augen. Ihre Farbe erinnerte an die Glasuren, die sie eben noch bewundert hatte, an den Himmel an einem stürmischen Tag und an das Meer. Seine ergrauenden Schläfen betonten das noch. Sie schätzte ihn auf etwa Mitte Vierzig.
»Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«, fragte er.
Nele zögerte. »Ich bin Nele Sommer. Wir hatten einen Termin. Jakob meinte, ich … Sie hätten Informationen über Joram Grafunder.«
»Oh! Den Termin hatte ich vollkommen vergessen. Verzeihung, Nele. Das ist bei mir so, wenn mich eine Idee packt. Nimm es bitte nicht persönlich.«
»Das kenne ich. Geht mir auch oft so«, sagte Nele.
Seine Miene hellte sich auf. »Stimmt, Jakob erwähnte, dass du auch künstlerisch tätig bist.«
»Künstlerisch ist vielleicht übertrieben. Ich baue Theaterkulissen.«
»Das ist auch Kunst. Und Handwerk. Genau wie Töpfern. Die wahre Künstlerin bei uns ist aber meine Frau. Das hier zum Beispiel ist von ihr.« Er winkte Nele in eine Ecke des Raumes, die sie noch gar nicht entdeckt hatte. Dort standen Skulpturen von Möwen, Robben, Krabben, Fischen und anderen Tieren. Alle wirkten äußerst lebendig und mit einem Anflug von Humor im Ausdruck. Hier war eine andere Art der Glasur verwendet worden. Manche waren zwar mit bunten Akzenten versehen, der Ton aber trotzdem im rauen Naturzustand belassen, unglasiert.
»Engobe«, erklärte Philip. »Das ist farbiger Ton. Damit wird das getrocknete Werkstück bemalt und dann erst gebrannt. Die dicken Glasuren, die ich verwende, würden die feinen Details der Skulpturen nur überdecken. Man kann sie dann noch mit einer transparenten Glasur versiegeln, wenn man möchte.«
Nele starrte auf die zart gefärbten Oberflächen, während in ihrem Kopf Gedanken wirbelten und sich zu etwas formten wie aus einem Nebel. »Das ist wunderschön. Zeigst du mir noch den Rest?«
»Gerne.« Er öffnete die Tür zu einem Nebenraum, in dem es einen Verkaufstresen gab – und weitere Regale mit Kerzenhaltern, großen Schalen und Vasen, von denen sie zu gern eine mit Blumen gefüllt bei Hella in den Flur gestellt hätte.
»Wie kommt es zu diesen wunderschönen natürlichen Farbtönen in den Glasuren?«, fragte Nele.
»Sie werden zum großen Teil aus Holzasche hergestellt«, erklärte er. »Manchmal nutzt man auch, dass beim Brennen Asche auf die Stücke fällt und dann noch einen zusätzlichen natürlichen Effekt ergibt, eine spannende Struktur, als wäre es etwas Gewachsenes.«
Also spielten auch hier die Bäume eine Rolle. Holz, das durch Feuer ging und eine farbige, unvergängliche Magie entwickelte. »Verkauft ihr auch unbehandelte Stücke, die man selbst verzieren kann?«, fragte sie.
Er hob die Augenbrauen. »Rohlinge? Darauf bin ich noch gar nicht gekommen. Aber ich kann dir einen geben, wenn du etwas ausprobieren möchtest. Komm mit.« In einem kleinen, kalten Nebenraum gab es einen Tisch mit einem Gitter als Oberfläche, auf dem diverse Gefäße standen. »Hier drin ist es so kalt, damit sie langsam trocknen, sonst reißen sie«, erklärte Philip. Er zeigte ihr noch einen Raum, in dem sich der Ofen befand, und ein weiteres Regal. »Das hier sind bereits gebrannte Rohlinge, noch ohne Verzierung und Glasur. Brauchst du etwas Ungebranntes oder etwas Gebranntes?«
»Ich weiß nicht. Geht beides? Es kann ruhig ein angeschlagenes Stück oder eine Scherbe sein, ich möchte nur etwas versuchen.«
»Kein Problem, davon haben wir immer etwas. Hier.« Er suchte ihr einen Becher und einen Teller heraus, beide mit einem leicht beschädigten Rand.
»Vielen Dank, was bekommst du dafür?«
Er schüttelte den Kopf. »Nichts, es ist ja Abfall. Außerdem unterstütze ich gerne die Forschung.« Er lächelte sie an, herzlich und doch mit einer Spur Reserviertheit. »So, aber du wolltest etwas ganz anderes von mir, nicht wahr?« Er sagte es widerstrebend, so als wäre es ihm ganz recht gewesen, dass sie sich bis jetzt eher wie eine Kundin benommen hatte. »Wollen wir uns setzen? Draußen ist ein windgeschützter Winkel, ich glaube, die Sonnenwärme reicht gerade noch dafür.«
Er ging zu einer Seitentür hinaus. Dort befand sich eine kleine Terrasse mit Ausblick auf den Bodden. Philip zog ihr einen Korbstuhl zurecht. »Magst du einen Kaffee?«
»Gerne.«
Kurz darauf stellte er ihr eine dampfende Tasse hin, die Nele bewundernd in die Hand nahm. Auch hier diese matte Glasur, die man gern berührte, eine Form, die sich in die Handflächen schmiegte, und darauf ein angedeuteter Pfeil Wildgänse hoch oben in einem weiten Himmel. Alles passte in diese Landschaft, ebenso wie Philip Prevo, der sich ihr gegenübersetzte und sie prüfend betrachtete. Er wirkte jetzt angespannt. »Du wolltest etwas über Joram Grafunder wissen?«
Hinter ihm in der Ferne bewegten sich die Segel eines Zeesbootes über das Wasser wie ein brauner Schmetterling. Vielleicht war es Jakob? Der Anblick machte Nele Mut. »Ja. Er – er ist mein Großvater. Ich habe das kürzlich erst von meiner Großmutter erfahren.«
»Wann haben sie sich gekannt?«, fragte Philip, der nicht überrascht schien. Jakob musste das wohl angedeutet haben.
»Sie waren beide sehr jung. Etwas über zwanzig wohl. Danach haben sie sich nie wiedergesehen.«
»Wie kam das?«
Nele berichtete ihm, was sie wusste. Sie hatte keine Ahnung, warum er das so genau wissen wollte, aber sie vertraute Jakob. Er würde einen guten Grund haben, warum er sie zu diesem Mann schickte. Und wer etwas erfahren wollte, musste auch etwas dafür geben, das schien nur fair.
Philips Miene entspannte sich. »Das war also lange vorher …«, murmelte er und schien in Gedanken versunken. »Diese Violaine ist also deine Großmutter? Nicht deine Mutter?«, vergewisserte er sich noch einmal. »Und er hat nichts von ihrer Schwangerschaft gewusst?«
»Ja. Zu beidem.«
»Das ist gut.«
»Warum?«, fragte sie verwirrt.
»Weil ich Joram trotz allem doch für einen anständigen Kerl gehalten habe. Und ich möchte das ungern ändern.«
Nele wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie wurde nicht schlau aus diesem Mann. »Du hast ihn also gekannt?«
»Das ist zu viel gesagt. Ich bin ihm als Kind ein paarmal flüchtig begegnet. Er hat meine Familie gelegentlich kurz besucht, wenn er wieder einmal ein paar Tage auf dem Darß war. Ich hielt ihn für einen Bekannten meiner Eltern.«
»Und das war er nicht?«
Philip seufzte. »Doch. Schon. Tut mir leid, dass ich es so kompliziert mache. Es fällt mir immer noch schwer, darüber zu reden. Und dein Auftauchen bringt mich mehr durcheinander, als ich dachte.«
Er beugte sich vor und legte seine Hand neben ihre auf den Tisch. »Siehst du das? Diese Ähnlichkeit? Und du hast auch beinahe dieselben Augen wie ich. Joram Grafunder ist mein biologischer Vater. Und ich bin dein Onkel.« Er lehnte sich zurück und lächelte ein wenig schief. »Bis zu dem Gespräch mit Jakob gestern hatte ich keine Ahnung.«
»Oh. Du meinst …?« Nele versuchte, das zu begreifen.
»Deine Mutter ist meine Halbschwester. Wie heißt sie eigentlich?«
»Anita. Sie lebt in Belgien. Sie ist Köchin in einem Sternehotel. Patisserie und so.«
»Aha. Also, lass uns das einmal sortieren«, begann Philip langsam. »Joram ist jung, er lebt mit Freunden auf dem Darß, liebt den Wald, experimentiert mit Holzkunst. Mit der kleinen Hella, die seine Interessen teilt, ist er befreundet. Sie ist etwas in ihn verknallt, bewundert ihn, aber für ihn nimmt sie die Stellung seines toten kleinen Bruders ein. Dann aber verliebt er sich, wahrscheinlich zum ersten Mal ernsthaft, und zwar in Violaine, eine Gaststudentin der Musikschule. Doch ihm ist schon immer eine innere Unruhe eigen, ein Freiheitsdrang, noch stärker als bei jungen Männern sowieso. Etwas, das ich im Übrigen von ihm geerbt habe, aber das nur nebenbei.« Philip räusperte sich. »Also, diese Violaine ist ihm ähnlich, eine trotz ihrer Jugend selbstbewusste, unabhängige Frau. Wahrscheinlich war es das, was Joram an ihr gefiel. Sie hört aufmerksam zu, als er erwähnt, dass er sich immer noch schuldig am Tod seines kleinen Bruders fühlt und auch deswegen niemals Verantwortung für eine Familie übernehmen will, zumal er ja seiner Abenteuerlust folgen will und schlichtweg nicht der sesshafte Typ ist. Violaine, die etwas älter und reifer ist als er, liebt ihn, versteht ihn aber nur allzu gut. Sie weiß, dass sie auch ohne ihn leben kann und ihr Glück nicht von einem anderen Menschen abhängig machen will. Eine bewundernswerte Frau, deine Großmutter.«
»O ja!«, sagte Nele mit Nachdruck. »Und wo kommt nun deine Mutter ins Spiel?«
Philip hob die Hand. »Moment, sonst komme ich durcheinander. Ich muss das jetzt einmal richtig verstehen. Also, Violaine verlässt den Darß wieder, weil der Studienaustausch vorüber ist. Zu Hause stellt sie fest, dass sie schwanger ist, und beschließt, Joram das nicht zu sagen. Er soll frei bleiben, und sie möchte dasselbe für sich. Sie zieht ihre Tochter Anita allein auf, Anita wiederum wird später deine Mutter sein, also bist du Joram Grafunders Enkelin.«
»Joram hat den Darß kurz nach Vio verlassen«, sagte Nele. »Was tat er danach?«
»Soweit wir wissen, trieb ihn seine Rastlosigkeit durch die Lande, meist nach Norden. Norwegen, Schweden, Dänemark. Er tischlerte und schuf Holzkunst, wo immer er war, und verdiente sich damit seinen Lebensunterhalt. Er war genügsam, brauchte nicht viel. Der Wind und die Zugvögel faszinierten ihn immer, am liebsten wäre er mit ihnen geflogen. Stattdessen beobachtete er sie und drehte am Ende seines Lebens einen Film.«
»Ja, ich habe große Teile davon gesehen. Hat Joram wirklich nie eine Familie gehabt?«
»Nein. Er blieb nirgendwo lange. Nur gelegentlich kam er ein paar Tage wieder auf den Darß, ich glaube auch, um nach dem Grab seines Bruders zu sehen.«
Und um die Windharfe instand zu halten, dachte Nele. Sie wusste nicht, ob sie Philip davon erzählen sollte. Onkel oder nicht, er war ein Fremder.
»Bei solchen Stippvisiten besuchte er manchmal kurz meine Eltern. Erst in den späten neunziger Jahren nahm er sich eine Wohnung in Born und blieb bis zu seinem Tod, als er im Wald einen Herzinfarkt erlitt«, fuhr Philip fort. »Da hatte er sich noch ein letztes Mal verliebt, in eine Künstlerin namens Henny Badonin. Sie war eine Verwandte meiner Frau. Tja, und erst nach seinem Tod und dem meiner Eltern erfuhr ich, wie angeordnet von unserem Anwalt, dass ich das Ergebnis einer kurzen Affäre zwischen Joram und meiner Mutter war.«
»Wann war das?«
»Anfang der siebziger Jahre. Ziemlich genau zwischen seiner ersten Liebe zu deiner Großmutter und seiner letzten zu Henny Badonin. Ich bin siebenundvierzig.«
Sie schwiegen beide, um sich alles noch einmal vorzustellen.
»Ach, übrigens, ich habe einen Sohn, der auf Wunsch meiner Frau nach Joram benannt ist«, sagte Philip schließlich. »Das ist dann wohl dein Cousin. Wir nennen ihn Jori. Er ist dreizehn. Und seine Schwester Kyana ist deine Cousine, sie ist sechzehn. Du kannst sie gern kennenlernen, wenn du magst. Es kommt vermutlich sehr überraschend für dich, plötzlich neue Verwandte zu haben.«
»Allerdings. Das muss ich erst mal verdauen.« Nele nahm einen Schluck ihres kalt gewordenen Kaffees. »Für dich muss das ein ganz schöner Schock gewesen sein, dass dein Vater gar nicht dein biologischer Vater war.«
»Ja, anfangs schon«, gab Philip zu. »Aber ich hatte nie ein enges Verhältnis zu dem Mann, den ich bis dahin für meinen Vater gehalten hatte. Er war jähzornig, wurde sogar handgreiflich, und ich kann meine Mutter verstehen, dass sie bei einem anderen Trost gesucht hat. Ich habe selbst oft Trost gebraucht und ihn im Wald und am Weststrand gefunden, genau wie Joram. Ich denke, sie waren beide einsam.« Er sah Nele eindringlich an. »Außer meiner Frau, Jakob und Remy weiß niemand von diesem Seitensprung. Ich mag nicht darüber sprechen, um die Erinnerung an meine Mutter nicht zu belasten. Hier hat sie jeder gekannt, und es ist einfach ihre Privatsache und soll es bleiben.«
»Das verstehe ich. Darum hat Jakob so gezögert. Ich verspreche dir, dass ich es niemandem erzählen werde! Nicht einmal Hella«, versicherte Nele. Nun wusste sie auch, warum Remy so zurückhaltend gewesen war, als Nele sie nach Joram Grafunder gefragt hatte.
»Danke. Da bin ich sicher. Auf Jakobs Menschenkenntnis kann man sich verlassen. Er hätte uns sonst nicht zusammengebracht.«
»Glaubst du, Joram ist jemals glücklich geworden?«, fragte sie leise.
Philip zögerte. »Ich denke, er hatte viele glückliche Momente. Er ist sich selbst stets treu geblieben. Er konnte seinen Sehnsüchten folgen. Und wenn er schöne Dinge erschaffen hat, dann war er in dem Augenblick auf jeden Fall glücklich und mit sich im Einklang. Das weiß ich, weil es mir selbst so geht, wenn ich töpfere.«
»Ich weiß. Ich kenne das Gefühl.«
Philip sah sie scharf an und nickte. »Das glaube ich. Nach allem, was Jakob gesagt hat, war mir das schon ziemlich klar.« Er lächelte plötzlich. »Du wirst meine Frau mögen. Die ist noch mehr so, wenn sie im kreativen Rausch ist.«
»Glücklich?«
»Ja. Glücklich. Frei. Und irgendwie voller Licht.« Er lächelte verlegen. »Ich weiß nicht, wie ich es sonst ausdrücken soll.«
Es machte Nele beinahe ein wenig neidisch, wie Philip über seine Frau sprach. Inzwischen wünschte sie sich auch so etwas. Für irgendwann. Eine Liebe, die so tief ging, über Jahre wuchs und so lange hielt. Wenn die Tochter schon sechzehn war, dann mussten Philip und seine Frau ja schon lange zusammen sein.
Nein, nicht irgendeine Beziehung wünschte sie sich! Nur eine ganz bestimmte.
»Wenn du magst, schließe ich die Töpferei für heute und nehme dich mit nach Hause«, bot Philip an. »Du kannst dort einige Möbel sehen, die Joram gemacht hat.«
»Sehr gerne«, sagte Nele, etwas unschlüssig, ob sie zu dem plötzlichen Onkel gleich auch noch dessen Frau und Kinder verkraften konnte. Als Einzelkind, dessen einzige Verwandte neben ihren Eltern Vio gewesen war, schien ihr das vorläufig alles etwas viel. Doch die Werke ihres Großvaters wollte sie unbedingt sehen.
»Aber ich möchte nicht, dass du wegen mir Kunden verlierst. Ich kann gut warten, bis du sowieso schließt. Ich möchte auch gern eine Vase für Hella kaufen.« Ach nein, fiel ihr da ein. Sie hatte ja Timon versprochen, sich um Hella und Quentin zu kümmern. »Oder ich kann ein andermal wiederkommen.«
»Ach was. Die Vase kannst du dir ja noch schnell aussuchen. Und manchmal gibt es einfach Wichtigeres als das Geschäft«, sagte Philip.