VIERZEHN

GRANT

Ich hatte mir selbst etwas vorgemacht, als ich sagte, ich würde nicht mit Kit zu seinem Rudel gehen. Selbst dann war mir klar, dass ich nicht zulassen konnte, ihm von der Seite zu weichen. Wie sollte ich? Wir waren füreinander geschaffen.

Aber jetzt, da er mein Zeichen trug und ich seines, sah ich ein, wie unmöglich es sein würde, nicht mit ihm zu gehen. Selbst wenn wir beide der Meinung waren, dass es das Beste wäre.

„Es könnte gefährlich werden, wenn du hingehst“, sagte ich, als Kit eine Hand auf meine Wange legte. „Es ist ausgeschlossen, dass dein Alpha … wie heißt er eigentlich?“

„Render“, sagte Kit.

„Es ist ausgeschlossen, dass dein Alpha, Render, dich am Leben lässt, nachdem sein Sohn so entehrt wurde.“

Für viele Gestaltwandler war die Entehrung das schlimmste aller Verbrechen.

„Aber ich bin dein Gefährte und es gibt Gesetze.“ Tränen traten mir in die Augen. „Dafür können sie mir doch nichts antun.“

Als ich es aussprach, wurde mir der Fehler in meiner Logik bewusst. Sie konnten mich nicht ausbluten lassen, weil ich meine wahre Liebe zum Gefährten genommen hatte, nein. Aber sie konnten mich aus tausend anderen Gründen herausfordern, unter anderem, weil ich die falsche Art Wandler war.

So falsch das auch war, es war dennoch legal unter dem Schirm der Wandler-Gesetze. Waren die meisten Rudel weise genug, um sich den modernen Zeiten anzupassen und so etwas mit eigenen Auflagen zu verhindern? Absolut. Aber ich wusste genau, dass das nicht alle taten, und ich hatte die Befürchtung, dass Kits Rudel dazugehörte.

„Ich möchte, dass du hierbleibst. Es muss einen Weg geben.“ Ich wusste nur wenig über die Details seines Rudels, aber von dem, was ich gelernt hatte, als ich die Aufzeichnungen unserer eigenen Höhle durchgesehen hatte, gab es immer ein Schlupfloch, eines, das nicht bedeutete, dass jemand seinen letzten Atemzug tat. Wir mussten es nur finden.

„Lass uns mit meinem Alpha reden.“ Ich drehte meinen Kopf, um seine Handfläche zu küssen, und nahm ihn dann bei der Hand. „Er weiß, wie das ist – jemandem vom Schicksal bestimmt zu sein, der das vielleicht nicht darf …“ Ich konnte denn Satz nicht zu Ende bringen.

Was Aspen nicht wusste, war, wie andere Rudel funktionierten. Er lernte ja selbst immer noch jeden Tag etwas dazu. Und auch wenn er für uns einen großartigen Job machte, würden andere Wandler von außen betrachtet denken, er würde die Traditionen unserer Höhle zerstören.

Aspen wirkte nicht im Mindesten überrascht, dass wir vor seiner Tür standen oder aus welchem Grund, als er uns öffnete, bevor wir überhaupt angeklopft hatten. Er hatte auf uns gewartet.

Das war nicht erstaunlich. Aspen war mit seinem Schicksalsgefährten verbunden. Er verstand es, wie die anderen in der Höhle es nicht vermochten. Was mich erstaunte, war, dass er mich bat zu gehen, damit er Dinge mit Kit besprechen konnte.

Aspen war kein Alpha-Arschloch – dies hatte nichts mit Kits Status zu tun. Und das machte es irgendwie schlimmer – beängstigender.

„Es geht auch um mein Leben.“ Ich wollte meinem Gefährten nicht von der Seite weichen. Nicht für eine Sekunde.

„Das verstehe ich“, versicherte er mir. „Aber ich muss dich dennoch darum bitten.“

Mein Bär drängte, mich dem Alpha zu widersetzen. Und ginge es nur um uns drei, würde ich es tun. Aber da ich einiges über die Geschichte unseres Rudels wusste und auf das von Kit übertrug, beschlich mich das Gefühl, dass es hier vor allem darum ging, wie die Dinge zu erledigen waren und nicht, wie ich es gern hätte.

Und dieses Wissen war das einzige, was mich dazu brachte, kampflos nachzugeben.

„Ich denke, ich könnte nach Lucian suchen“, sagte ich, als Kit mir unauffällig zunickte.

„Er ist im Kinderzimmer“, sagte Aspen. „Er wird sich freuen, dich zu sehen.“

Ich war mir nicht sicher, ob das wirklich stimmte, aber ich gab meinem Gefährten einen Kuss zum Abschied und machte mich auf den Weg.

„Klopf-klopf“, sagte ich in der Tür zum Kinderzimmer. Oberon lag in seinem Bettchen, entweder war er gerade aufgewacht oder kurz vorm Einschlafen. Wie auch immer, ich war lauter als nötig mit meinem verbalen Anklopfen. „Sorry“, flüsterte ich.

„Schon gut. Bärenjunge schlafen mit normaler Geräuschkulisse.“ Er schloss die Schublade der Kommode. „Bist du hier wegen der Telefonate?“

„Der was? Nein. Ich bin hier, weil Kit und ich Aspen um Hilfe bitten wollten, damit er hier bleiben kann.“

Meinem Freund klappte die Kinnlade herunter und seine Lippen formten ein lautloses O.

„Habe ich etwas verpasst?“ Denn irgendetwas stimmte ganz und gar nicht.

„Lass uns nach nebenan gehen.“ Er ging zum Bettchen und gab Oberon einen Kuss.

Ich folgte ihm hinaus. „Ich dachte, es wäre gut für ihn, wenn er Geräusche um sich hat“, sagte ich und nahm an, ich wäre zu laut gewesen.

„Ist es. Aber ich möchte nicht, dass er mithört, was ich dir zu sagen habe.“

Mir wurde flau im Magen. Seit Oberon auf der Welt war, hatte ich noch nie erlebt, dass Lucian ihn aktiv vor irgendwelchen Worten abschirmte. Er hielt ihn von der Feuerstelle fern oder von Dingen, an denen er ersticken könnte, sicher. Aber nicht von den alltäglichen Dingen des Rudels. Wenn er das jetzt tat, musste es einen Grund dafür geben.

„Was? Sag es mir einfach.“

„Aspen hat einen Anruf bekommen. Kits Alpha ist wütend, dass er hier ist. Er ist noch wütender darüber, dass er nicht einverstanden ist, seinen Sohn zum Gefährten zu nehmen. Er macht Aspen und die Höhle dafür verantwortlich.“ Lucian setzte sich auf seine Bettkante. „Aspen hat ihm gesagt, er soll sich verpissen, was auch immer das bringen soll.“

„Er hat was?“ Das war eine schnelle Methode, damit Aspen herausgefordert würde. Das konnte keiner gebrauchen, erst recht nicht Aspen.

„Nicht mit diesen Worten.“ Er klopfte neben sich auf das Bett. „Setz dich. Dein Herumlaufen macht mich nervös und ich kann dann nicht denken.“

Herumlaufen? Mir war nicht einmal bewusst, dass ich das getan hatte.

„Sorry.“ Ich setzte mich zu meinem Freund und sprang sofort wieder auf, als mein Bär drängelte. Ich konnte ihn kontrollieren, wenn ich ihm etwas nachgab, aber wenn ich ihn zu sehr bedrängte, dann würde ich wieder in meinem Pelz enden, und das Letzte, was Kit und ich jetzt brauchten, war, dass mein Bär außer Kontrolle geriet.

Wir würden das irgendwie hinkriegen. Wir mussten einfach. Es gab keinen anderen Weg.

„Ich kann nicht. Aber ich versuche, nicht herumzulaufen.“ Mehr konnte ich nicht anbieten.

„Was hat der Alpha gesagt, was er nun unternehmen wird?“ Vielleicht konnten wir fliehen. Streuner werden oder so. Mich an die Bequemlichkeit der Höhle zu klammern und an die Zukunft, die ich mir für mich ausgemalt hatte, war es nicht wert, meinen Gefährten zu verlieren. Nicht einmal ansatzweise.

„Was das angeht – der Anruf war reine Höflichkeit, seine Worte, nicht meine. Die Betas warten bereits am Tor auf sie. Aspen wollte euch ohnehin gerade holen.“ Er atmete langsam aus.

„Und du legst Oberon zu einem Nickerchen hin, als wäre alles ganz normal?“ Ich machte ihm keine Vorwürfe. Ich war nur verwirrt und das war etwas Greifbares, das ich ihn fragen konnte und er hätte eine Antwort darauf.

„Brian kommt herüber und passt auf ihn auf. Ich muss an Aspens Seite sein, wenn die eintreffen, aber Oberon ist noch zu jung für diesen Teil des Höhlenlebens.“ Er stand auf. „Ich würde gern sagen, dass es einen genialen Plan gibt, aber Aspen hatte kaum Zeit, mit den Betas zu reden, und hat dann Brian Bescheid gesagt.“

„Wir sind hergekommen, um Aspen um Hilfe zu bitten.“

Es klopfte an die Tür und ich erschreckte mich so sehr, dass ich beinahe meinen Pelz genommen hätte.

Es war Brian, den Aspen direkt zu uns hinaufschickte, was unser Gespräch augenblicklich beendete.

„Wenn du irgendetwas brauchst … wir sollten bald zurück sein.“ Lucian bedankte sich noch einmal bei Brian.

Brian sah verwirrt aus, warum er gebraucht wurde, freute sich aber gleichzeitig, helfen zu können. Er war ein netter Kerl, aber er musste sich erst noch an den neuen Stil des Rudels gewöhnen und ich hatte den Eindruck, er hätte nichts infrage gestellt, selbst wenn Lucian ihm gesagt hätte, dass er seinem Sohn nur Zuckerwatte zum Essen geben sollte.

„Lass uns zu unseren Gefährten gehen“, sagte Lucian leise und nahe an meinem Ohr, als er meinen Arm nahm.

Ich konnte ihre Tiere riechen, lange bevor wir sie sahen.

Lucian begab sich direkt an die Seite seines Gefährten und ich ging zu meinem, ich musste ihn berühren – ihn beruhigen.

„Render, mein Alpha, kommt her, um sich zurückzuholen, was er für seinen Besitz hält.“

Ich erstarrte auf der Stelle. Es gab genau zwei Möglichkeiten, das Band zwischen Gefährten zu brechen. Eine war gruselige, dunkle Magie und die andere der Tod. Beides war nicht akzeptabel für mich.

„Du kannst nicht mit mir kommen, egal, was passiert“, sagte er zu mir und seine Stimme brach. „Versprich es mir. Schwöre es.“

Ich schüttelte den Kopf. „Kann ich nicht. Zwing mich nicht.“

Er hielt mein Gesicht und sah mich an. „Wenn du es nicht tust, werden sie dich töten. Ich kann nicht in einer Welt leben, in der du nicht existierst. Ich finde einen Weg zu dir zurück. Ich. Schwöre. Es. Es wird nur etwas Zeit brauchen.“

Ich schloss meine Augen. So sollte es nicht sein. Wir sollten unsere Gefährten finden und glücklich bis ans Ende unserer Tage leben. So war das gedacht. Das hier? Das war so falsch, ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte.

„Was, wenn sie dich töten? Denkst du, ich könnte dann in dieser Welt leben?“ Denn das konnte ich nicht. Es würde mich in tausend Stücke brechen lassen wie Humpty Dumpty, aber selbst meine großartige Höhle könnte mich nicht wieder zusammensetzen.

„Werden sie nicht.“ Er lehnte seine Stirn gegen meine. „Aber manche Dinge müssen eben auf die Art meines Rudels erledigt werden, so scheiße die auch sind.“

„Ich weiß.“ Ich wusste das wahrscheinlich besser als Aspen, auch wenn er alles nachgelesen hatte, was ich ihm über die Geschichte unserer Höhle gegeben hatte. Er erwähnte, dass ich ein Autor sein sollte, dass ich Geschichte weniger langweilig machte. Aber eigentlich lag es daran, dass er der bestmögliche Alpha sein wollte, was ihn sich in die Unterlagen und Bücher stürzen ließ.

Aspens Handy klingelte und ich erstarrte. Sie waren da. Ich konnte es spüren. Sie wollten keine Möglichkeit offenlassen, ihr Ziel nicht zu erreichen.

Aber ihr Ziel war es, mir meinen Alpha wegzunehmen, meinen wahren Gefährten, den Berglöwen, dessen Zeichen ich trug und das mit Stolz. Sie würden ihr Ziel nicht erreichen. Ich würde es nicht zulassen. Und wenn das bedeutete, dass ich meinen Gefährten für eine kurze Zeit gehen lassen musste, dann würde ich das tun. Ich musste stark für ihn sein.

„Ich schwöre es.“

Sein wissender Blick sagte mir, dass er genau verstand, was ich mit diesen Worten meinte.

„Danke“, murmelte er an meinen Lippen. „Wir müssen gehen. Wenn wir sie bei ihrem Eintreffen nicht erwarten, denken sie, sie hätten schon gewonnen.“

Wir gingen zu der Stelle, wo wir unsere Toten verbrannten. Das hatte Aspen mit Absicht so entschieden. Kein Zweifel. Nur wusste ich nicht, was genau seine Absicht dahinter war.

Aspen murmelte etwas davon, den Betas eine Nachricht zu schicken, um sie wissen zu lassen, dass sie unsere Gäste zu uns führen konnten oder so. Ich bekam keine Textnachrichten, aber Doran und Monroe kamen ein paar Minuten später mit vier Alphas an und einem Omega, der hinter ihnen herging, also nahm ich es an.

„Ich bin Aspen, Alpha von Bruin Ridge.“ Aspen stand aufrecht da und strahlte Macht aus. Er war eine Mischung aus zuversichtlich und furchterregend. Der nette, ruhige Alpha, den ich kannte, war verschwunden. „Sagt uns, weshalb ihr hergekommen seid.“

Nicht sagt mir , sondern sagt uns. Er zeigte dem Alpha, dass wir diesen hierarchischen Mist hier nicht mitmachten. Es war vielleicht keine Absicht, aber es war laut und deutlich.

„Ich bin Render und dies ist mein Sohn Bronx.“ Er machte sich nicht die Mühe, seine Betas vorzustellen.

Warum sollte er? Sie waren ihm nicht wichtig, nicht so, wie unsere für Aspen wichtig waren. Sie hatten einen holprigen Start, aber jetzt waren sie ein Team.

„Wir sind hier, um unseren zukünftigen Alpha abzuholen.“ Render trat vor. „Was du längst wusstest. Warum wurde er mir nicht am Tor übergeben?“

„Wie ich bereits sagte, er ist ein alter Freund und ein Gast. Er untersteht nicht – und ich wiederhole das nur noch ein einziges Mal – er untersteht nicht meiner Kontrolle. Ich bin nicht sein Alpha. Ich kontrolliere meine Höhle, so wie du dein Rudel kontrollieren solltest.“

Aspen spielte Renders Spiel. Bitte lass ihn die Regeln verstehen.