SIEBZEHN

KIT

Grant stand am Schlafzimmerfenster, trank einen Kaffee und starrte hinaus. Es war noch früh, unsere bevorzugte Tageszeit, wenn die Höhle erwachte, aber er noch nicht zur Arbeit musste.

Meine Zukunft – unsere, um genau zu sein – hing noch in der Luft, aber ein Aspekt meines Lebens war klar. Letztendlich war es schon entschieden, dass ich meinen alten Job in der Stadt nicht behalten würde. Ich würde meine Klienten an jemand Neues übergeben und dann war es das. Ich würde für eine Woche zurückkehren und meine Wohnung ausräumen müssen, aber das war keine große Sache. Wäre ich gezwungen, ins Rudel zurückzukehren und Bronx zum Partner zu nehmen, ja, dann würde ich diesem Leben nachtrauern. Aber so nicht. Ich hatte meinen wahren Gefährten.

„Bist du aufgeregt wegen heute?“ Ich küsste ihn auf den Kopf.

„Hä? Sorry, was?“ Grant warf einen Blick auf den Kalender auf seinem Handy. „Sieht wie ein normaler Tag aus. Ich wüsste nicht, worüber ich aufgeregt sein sollte.“

Ich stupste ihn mit dem Ellbogen an. „Dinner bei Aspen und Lucian.“ Wir wollten nicht nur das Buch über die Geschichte der Höhle besprechen, an dem Lucian und mein Gefährte arbeiteten, sondern auch über die Möglichkeit, eine fiktive Version über eine Höhle mit Bärenwandlern zu schreiben und dafür einen Verlag zu finden. Aber Aspen würde auch erklären, welche Verantwortung Grants Position als Beta mit sich brachte. Es war ungewöhnlich, vielleicht sogar ganz neu, dass ein Omega zum Beta ernannt wurde, aber er war dieser Ehre ebenso würdig wie andere Betas.

„Richtig. Da war was.“

Auch wenn wir uns noch nicht lange kannten, hörte ich doch heraus, wie wenig begeistert er klang. „Möchtest du darüber reden, was dir durch deinen hübschen Kopf geht?“

Er trank einen weiteren Schluck Kaffee. Eindeutig eine Verzögerungstaktik. „Die Frist für die College-Bewerbung endet diese Woche.“

Er hatte sich innerlich darauf eingestellt, die Höhle zu verlassen und auf die Uni zu gehen, genau wie ich, als ich die Erlaubnis bekam, aufs College zu gehen. Aber für ihn bedeutete das keine Flucht, sondern eine Erweiterung seiner Welt. Beta zu sein hatte diese Träume zunichtegemacht. Er konnte und würde diese Ehre nicht zurückweisen, erst recht, da Aspen es öffentlich verkündet hatte, um uns vor einer Trennung zu bewahren.

„Du kannst trotzdem studieren, nur eben von der Höhle aus.“

„Mit einem Fernstudium online?“ Er schüttelte den Kopf. „Der Studiengang, den ich mir ausgesucht hatte, war mit Schwerpunkt mündliche Überlieferungen, und den gibt es nicht online.“

Er hatte sich auf die komplette Erfahrung eines Studiums eingestellt, mit Studentenwohnheim, wilden Partys, zu viel Bier und Diskussionen für den Leistungsnachweis. Aber es gab eine Alternative. Grant war in der Höhle mit strengen Regeln aufgewachsen, wo kritisches Denken unerwünscht war. Aber dank Aspens Führung hatten er und die anderen Höhlenmitglieder sich von diesen Beschränkungen befreit. Allerdings gab es noch eine Menge, was er über die Welt da draußen nicht wusste.

„Es gibt immer einen Weg, Regeln zu umgehen.“ Meine Worte wurden von Grant mit einem leeren Blick quittiert.

„Aber ich habe nachgefragt und sie haben Nein gesagt. Außerdem habe ich das noch nicht mit Aspen besprochen, ob er mit so einer Regelung einverstanden wäre.“

Ich zögerte, denn ich wollte meinen Einfluss nicht ausnutzen, um einen Gefallen zu erbitten, damit Grant bekam, was er sich wünschte. „Warum schreibst du dem College nicht noch einmal?“ Dank meiner Arbeit im PR-Bereich war ich ziemlich gut darin, die Leute dazu zu bringen, ihre Meinung zu ändern, indem ich ihnen etwas anbot, was sie wollten oder nicht wussten, dass sie es wollten, bis man es ihnen erklärte. „Ich kann dir ein paar Tipps geben heute Abend nach dem Essen.“

„Würdest du das tun?“ Er schlang einen Arm um meinen Nacken und bekleckerte mein Hemd mit Kaffee. Gut, dass er nur noch lauwarm war. „Sorry, sorry.“

„Du wirst es wiedergutmachen müssen, wenn wir heute Abend allein sind.“ Ich klatschte ihm auf den Hintern. „Heute Abend wäre die beste Gelegenheit, Aspen um Erlaubnis zu bitten. Und jetzt mach dich fertig und ich bringe die Sauerei hier in Ordnung.“

Ich verbrachte den Tag online und am Telefon, um Probleme auf der Arbeit zu lösen, damit meine Klienten einen glatten Übergang zu meinem Nachfolger bekamen. Die Welt der PR war so oberflächlich im Vergleich zu den Situationen auf Leben und Tod in der Höhle von Bruin Ridge, als sie sich noch unter der Führung des vorherigen Alphas befand, oder auch in meinem Rudel, das von einem Alpha angeführt wurde, der sich an die alten Traditionen klammerte.

Nach einem Tag in der Bibliothek kam Grant müde nach Hause und wollte endlich wissen, was seine neue Verantwortung als Beta mit sich brachte. Er duschte sich den Dreck des Tages ab und wir spazierten Hand in Hand hinüber zum Haus von Aspen und Lucian. Ich hatte zwischen den Gesprächen mit meinem zukünftigen Ex-Boss einen Kuchen gebacken und Grant davon abgehalten, vom Zuckerguss zu naschen.

„Gran. Gran.“ Oberon umklammerte die Beine meines Gefährten und zerrte ihn die Treppe hinauf ins Kinderzimmer, während er etwas über eine Burg und einen Zauberer murmelte.

„Das Essen ist in zehn Minuten fertig“, rief Lucian ihnen nach.

Aspen bot mir ein Bier an und betrachtete den Kuchen, den ich gemacht hatte. „Denk nicht einmal dran.“ Ich sah ihn finster an, als er einen Klecks Zuckerguss ins Auge fasste, der auf den Teller gekleckert war.

Oberon beherrschte auf niedliche Art das Essen, indem er die ganze Zeit über Drachen plapperte und als Lucian ihn ins Bett brachte, räusperte Grant sich. „Alpha, ich bräuchte deine Erlaubnis für etwas. Es kann sein, dass nichts daraus wird, aber wenn doch, würde ich es gern machen.“ Er grinste, als er es herausgebracht hatte.

„Lass hören.“

Mein Gefährte erklärte seinen Plan, neben der Arbeit online zu studieren. „Es würde länger dauern, den Abschluss zu bekommen, weil ich hier Vollzeit arbeite und meine Pflichten als Beta habe, aber meine Studien würden gut zur Arbeit in der Bibliothek passen.“

Aspen rieb sich das Kinn und schien über den Vorschlag meines Gefährten nachzudenken, aber wenn ich hätte raten müssen, dann hatte er sich längst entschieden. Da war ein Funkeln in den Augen, als wäre er stolz auf meinen Gefährten, weil er die Initiative ergriffen hatte. Grant dachte voraus und kam mit Lösungen für seine Probleme und sah Hindernisse voraus.

„Soweit ich es verstehe, gibt es bei deinem Online-Studium Perioden, in denen du zwei Wochen pro Semester vor Ort am Kurs teilnehmen musst.“

Grant warf mir einen Blick zu. „Ja, ich denke, das ist so.“

„Ausgezeichnet. Dann bekommst du einen Geschmack vom Leben auf dem Campus.“

Lucian unterbrach uns und teilte uns mit, dass Oberon eingeschlafen wäre, dann sank er auf das Sofa. „Hast du es ihm gesagt?“, fragte er seinen Gefährten.

„Noch nicht.“

„Bin ich derjenige, von dem ihr redet?“ Grants Blick huschte von Aspen zu Lucian und dann zu mir.

„Ja. Unsere Studien passen sehr gut dazu, dass du nun ein Beta bist. Und auch wenn ich dir nicht versprechen kann, dass du nicht doch eines Tages die traditionelle Aufgabe eines Betas übernehmen musst, wie das Patrouillieren der Grenzen, hatte ich für dich andere Aufgaben im Sinn.“ Aspen erklärte, dass Grant College-Beratungen für Höhlenmitglieder aller Altersgruppen übernehmen sollte, die an einem örtlichen College oder an einer Universität studieren wollten, vor Ort oder online.

„Aber ich bin für die Aufgabe gar nicht qualifiziert, Alpha. Ich bräuchte einen Master-Abschluss.“

Aspen nickte. „In einer idealen Welt, ja. Aber es wird noch mindestens eine halbe Generation brauchen, bis die Höhle so weit ist. Du wirst eine Menge recherchieren und viele Kontakte zu den entsprechenden Anlaufstellen der Colleges knüpfen müssen.“ Er legte Grant eine Hand auf den Rücken. „Aber ich vertraue auf deine Fähigkeit, das zu lernen.“

„Danke für dein Vertrauen, Alpha.“

Da wir nun den geschäftlichen Teil erledigt hatten, konnten wir zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung kommen. Wir hatten schon einige Male darüber gesprochen, dass Lucian und Grant die Geschichte der Höhle aufschrieben. Das Buch würde hier vor Ort bleiben. Sie konnten die Belange der Höhle nicht aller Welt mitteilen, nicht einmal anderen Gestaltwandlern.

Aber Lucian und Grant mussten das Projekt wohl auch unter sich besprochen haben. „Nicht lachen“, sagte Lucian.

„Tun wir nicht“, sagten Aspen und ich gleichzeitig.

„Wir wissen, ihr beide habt Kontakte in die Verlagswelt. Und was wir für die Höhlengeschichte erarbeiten, die nur innerhalb der Höhle verteilt wird, ist ziemlich trocken. Und der Vorschlag war, einen Fantasyroman zu schreiben über eine Bärenhöhle. Und das ist cool, aber wir würden es lieber vermeiden, über Bären zu schreiben. Wir dachten, um es etwas aufzupeppen, sollten wir etwas anderes schreiben.“

„Aufzupeppen?“, fragte Aspen.

Grant ergriff das Wort. „Ja. Wir fügen andere Gestaltwandler hinzu, nicht bloß Bären.“ Er grinste. „Vielleicht einen Berglöwen hier und da. Wir können Fakten mit Fiktion vermischen. Das spricht Wandler an, die in der Lage sind, die Wahrheit von den Ausschmückungen zu trennen. Und die Menschen werden alles für reine Fantasie halten.“

„Wir haben so viele Ideen und haben schon mal angefangen, einiges aufzuschreiben“, fügte Lucian hinzu.

„Was meinst du?“, fragte Grant. „Wir haben keinerlei Erfahrung, aber was uns da fehlt, machen wir mit unserem Enthusiasmus wieder wett.“

„Wir könnten scheitern“, sagte Lucian und Grant nickte.

„Aber ihr könntet auch Erfolg haben“, sagte ich. „Und das weiß man nie, bis man es ausprobiert hat.“

Aspen und ich erklärten uns bereit, beide Manuskripte zu lesen und unsere Meinung dazu zu sagen. Aber wir mussten schwören, unsere Beziehungen in der Verlagswelt nicht auszunutzen, um die Bücher an den Mann zu bringen.

„Aber wir hätten nichts dagegen, eure Kontakte zu benutzen, um einen Fuß in die Tür zu bekommen.“ Grant war sehr entschlossen und Lucian nickte.

Wir stießen darauf an, nicht mit Champagner, da wir keinen hatten, sondern mit Stücken meines Kuchens. „Vielleicht solltest du ein paar davon für den nächsten Bauernmarkt machen“, meinte Aspen und leckte sich die Glasur von den Lippen.

Ein Wimmern von draußen ließ Lucian aufspringen. „Bleibt, wo ihr seid, ich rede mit ihm.“ Es war Walt, der seit der Abreise des Rudels versucht hatte, von hier wegzukommen und Bronx zu suchen. Wir hatten ihm gesagt, das wäre sinnlos, und ihn überredet, hierzubleiben, bis wir eine Lösung gefunden hatten.

Seine Zukunft hing an meiner eigenen, aber weder Aspen noch ich hatten bisher etwas in den Unterlagen der Höhle entdeckt, das uns in meiner Situation helfen konnte, das Bemühen meines Alphas zu unterbinden, mich zur Rückkehr ins Rudel zu drängen. Walts Glück hing von meinem eigenen ab und war eine zusätzliche Bürde. Wir mussten es einfach schaffen.

Grant gähnte, als wir in unsere Hütte zurückkamen. „Bist du zu müde, um dem College zu schreiben?“

„Nein. Die Zeit wird knapp.“

„Du solltest darauf hinweisen, wie sehr das College davon profitieren wird, dich als Student zu haben.“

Er verzog das Gesicht. „Aber ich bin nichts Besonderes.“

„Und ob.“

Ja . Mein Tier sah das auch so.

Ich ließ durchblicken, dass ich wusste, dass der Angestellte des Colleges, der für die Zulassungen verantwortlich war, auch ein Wandler war. Kein Bär, sondern ein Tiger.

Mein Gefährte hob die Hand. „Nein. Ich lasse nicht zu, dass du deine Verbindungen benutzt, damit ich bekomme, was ich möchte.“

„Und ich habe nicht die Absicht, das zu tun.“

„Oh.“

Stattdessen benutzte ich meine Fertigkeiten aus dem Job, alles von einer anderen Seite zu betrachten, ob gut oder schlecht sei dahingestellt, und die Gefühle der Leute anzusprechen.

„Die Geschichte, die du mit Lucian aufschreibst, ist nur für die Höhle, aber der Fantasyroman kann dir und jedem, der mit dranhängt, eine Menge Aufmerksamkeit bescheren.“ Colleges brauchten immer finanzielle Förderer. Wenn Grants und Lucians Arbeit sich auszahlte, und das war ein großes Wenn, dann würde sich das College in ihrem Ruhm sonnen können. Und das bedeutete Geldspenden.

Mein Gefährte saß am Computer und tippte wie besessen, seine Müdigkeit war vergessen. „Sollte ich erwähnen, dass ich jetzt ein Beta bin?“

Ja . Mein Berglöwe wusste nichts über höhere Bildung, aber er hatte recht. Aber Grants E-Mail über seinen zukünftigen Studiengang hatte nichts mit mir zu tun.

„Was denkst du denn?“

Seine Finger schwebten über der Tastatur. „Ja?“ Er sah mich auf der Suche nach Bestätigung an, aber es lag ganz allein bei Grant. Er würde es mir verübeln, wenn ich die Entscheidung traf. „Ja. Ja, für einen Wandler ist die Rolle von Bedeutung. Sie zeigt, dass ich verantwortungsbewusst und loyal bin.“

„Und freundlich.“ Er schickte die Mail ab und ich klatschte. „Ich bin stolz auf dich.“

Mein Gefährte strich mit dem Finger über meinen Arm. „Weißt du noch, wie müde ich vorhin war?“

„Mhmmm.“ Ich hoffte, dass dies die Richtung nahm, die ich vermutete.

„Die E-Mail zu schreiben hat mich belebt.“

Er wippte auf und ab und mir kam der Gedanke, ich hätte seine Absichten falsch beurteilt. Er wollte sich verwandeln, keinen Sex. Aber ein lüsternes Grinsen, gefolgt von einer Hand auf meinem Schritt, klärte die Verwirrung auf.

„Der Letzte im Schlafzimmer gibt dem anderen einen Blowjob.“

Ich bewegte mich nicht, denn seinen Schwanz in meinen Mund zu nehmen und ihn dazu zu bringen, meinen Namen zu schreien, war die beste Art, einen Tag zu beenden.