12
Mir war von Anfang an klar, dass es nicht einfach sein würde, Conrad zu überreden. Er war absolut nicht der Typ, der auf Bälle ging. Aber das interessierte mich überhaupt nicht. Ich wollte nun mal unbedingt, dass er mit mir hinging, er sollte mein Ballpartner sein. Sieben Monate waren seit unserem ersten Kuss vergangen. Zwei Monate, seit wir uns zuletzt gesehen hatten. Eine Woche, seit er zuletzt angerufen hatte.
Was es heißt, Ballpartner von jemandem zu sein, dafür gibt es klare Regeln. Und so hatte ich diese Fantasie im Kopf, wie es sein würde. Wie er mich ansehen würde, wie er mir bei den langsamen Tänzen die Hand weit unten auf den Rücken legen würde, wie wir anschließend zum Dinner fahren und Käsefritten essen und vom Dach seines Autos aus dem Sonnenaufgang zuschauen würden. Alles sah ich schon genau vor mir.
Als ich ihn abends anrief, hörte er sich so an, als wäre er beschäftigt. Trotzdem fiel ich gleich mit der Tür ins Haus. »Was machst du eigentlich am ersten Aprilwochenende?« Bei dem Wort April zitterte meine Stimme, so nervös war ich. Ich hatte Angst, er könnte Nein sagen. Im Grunde meines Herzens erwartete ich es sogar.
Misstrauisch fragte er: »Wieso?«
»Da ist mein Abschlussball.«
Er seufzte. »Belly, ich hasse tanzen.«
»Ich weiß. Aber es ist mein Abschlussball, da will ich unbedingt hin, und ich will, dass du mitkommst.« Wieso musste er mir alles so schwer machen?
»Ich bin nicht mal zu meinem eigenen Ball gegangen. Und inzwischen geh ich aufs College«, erinnerte er mich.
Leichthin sagte ich: »Na, siehst du, erst recht ein Grund, dass du zu meinem mitkommst.«
»Kannst du nicht einfach mit deinen Freunden hingehen?«
Ich schwieg.
»Tut mir leid, aber mir ist echt nicht danach. Meine Prüfungen stehen vor der Tür, und es wäre schon ziemlich stressig, bloß für den einen Abend die ganze Strecke bis zu euch zu fahren.«
Nicht mal das wäre er bereit für mich zu tun! Um mich glücklich zu machen. Ihm war nicht danach. Na klasse. »Schon gut«, sagte ich. »Es gibt genug andere Jungs, mit denen ich gehen kann. Kein Problem.«
Ich hörte förmlich, wie sein Gehirn am anderen Ende der Leitung arbeitete. »Okay, ich geh mit dir.«
»Weißt du was? Vergiss es einfach«, sagte ich. »Cory Wheeler hat mich schon gefragt. Ich kann ihm sagen, ich hätte es mir anders überlegt.«
»Wer zum Teufel ist Cory Wheeler?«
Ich schmunzelte. Jetzt hatte ich ihn an der Angel. Jedenfalls dachte ich das. »Cory Wheeler ist einer aus Stevens Fußballmannschaft. Ein guter Tänzer. Größer als du.«
Doch Conrad sagte nur: »Dann kannst du ja wenigstens High Heels tragen.«
»Werd ich auch.«
Ich legte auf. War es wirklich zu viel verlangt, wenn ich ihn bat, einen lächerlichen Abend lang mein Tanzpartner zu sein? Was Cory Wheeler betraf – das war gelogen. Er hatte mich nicht gefragt. Aber ich wusste, er würde es tun, ich müsste ihm nur zu verstehen geben, dass ich es mir wünschte.
Ich weinte ein bisschen unter meiner Bettdecke. So perfekt hatte ich mir meinen Ball ausgemalt, Conrad im Anzug und ich in dem pflaumenblauen Kleid, das meine Mutter mir vor zwei Jahren im Sommer gekauft hatte, nachdem ich so gebettelt hatte. Conrad hatte mich im Übrigen noch nie aufgestylt gesehen und auch nie mit High Heels. Aber genau das wünschte ich mir so sehr.
Als er mich später anrief, ließ ich es weiterklingeln. Er sprach mir eine Nachricht auf die Mailbox: »Hey, tut mir leid wegen vorhin. Geh nicht mit Cory Wheeler oder sonst wem. Ich komme. Und High Heels kannst du trotzdem tragen.«
Bestimmt dreißigmal hab ich das Band abgespielt und trotzdem nie richtig hingehört. Deshalb habe ich auch nicht verstanden, was er wirklich sagte: Er wollte nicht, dass ich mit einem anderen zum Ball ging – Lust hinzugehen hatte er aber trotzdem nicht.
Ich trug das pflaumenblaue Kleid, was meine Mutter freute, das merkte ich ihr an. Ich trug auch die Perlenkette, die Susannah mir zum sechzehnten Geburtstag geschenkt hatte, und so war auch Susannah froh. Taylor und die anderen Mädels gingen alle nachmittags zu einem Friseur, der gerade in war, aber ich beschloss, mir meine Frisur selbst zu machen. Ich drehte mir leichte Locken, und meine Mutter half mir mit den Haaren am Hinterkopf. Ich glaube, seit der zweiten Klasse, als ich noch jeden Tag Zöpfe trug, hatte sie mir nicht mehr mit meiner Frisur geholfen. Sie war wirklich geschickt mit dem Lockenstab, andererseits: Worin war meine Mutter nicht gut?
Sobald ich sein Auto hörte, rannte ich zum Fenster. Er sah unglaublich gut aus in seinem schwarzen Anzug. Ich hatte ihn noch nie darin gesehen.
Ich raste nach unten und riss die Tür auf, bevor er klingeln konnte. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu strahlen und wollte ihn gerade umarmen, als er sagte: »Nett siehst du aus.«
Ich ließ die Arme sinken. »Danke«, sagte ich. »Du auch.«
Noch bei mir zu Hause wurden wir sicher hundertmal fotografiert. Susannah wollte Beweise dafür, dass Conrad einen Anzug trug und ich mein Kleid. Meine Mutter rief sie an, damit Susannah alles mitbekam. Sie reichte den Apparat an Conrad weiter, und was immer sie zu ihm sagte, er antwortete: »Versprochen.« Ich fragte mich, was er da wohl alles versprach.
Außerdem fragte ich mich, ob Taylor und ich wohl eines Tages auch so sein würden – dauertelefonierend, während unsere Kinder sich fertig machten zum Ball. Die Freundschaft zwischen meiner Mutter und Susannah ging bereits Jahrzehnte zurück und schloss inzwischen Ehemänner und Kinder mit ein. Ob Taylors und meine Freundschaft wohl aus demselben Stoff gemacht war? So festem, unzerreißbarem Stoff? Ich hatte meine Zweifel. Was diese beiden hatten, das gab’s nur einmal.
Zu mir sagte Susannah: »Hast du deine Haare so frisiert, wie du es mir beschrieben hast?«
»Ja.«
»Und hat Conrad dir gesagt, wie hübsch du aussiehst?«
»Ja«, sagte ich, obwohl das nicht so ganz stimmte.
»Du wirst sehen, es wird ein großartiger Abend«, versprach sie mir.
Meine Mutter stellte uns auf den Stufen vor dem Haus auf, dann im Treppenhaus, schließlich neben dem Kamin. Steven war auch da mit seiner Partnerin Claire Cho. Die beiden lachten die ganze Zeit, und als sie fotografiert wurden, stellte Steven sich hinter sie, legte ihr beide Arme um die Taille, während sie sich an ihn lehnte. Es sah so einfach aus. Auf unseren Bildern hingegen steht Conrad steif neben mir, einen Arm um meine Schultern gelegt.
»Ist alles okay?«, flüsterte ich.
»Klar«, sagte er. Er lächelte mich an, aber ich glaubte ihm nicht. Etwas hatte sich verändert, nur was, das wusste ich nicht.
Ich schenkte ihm eine Orchidee fürs Knopfloch. Meine Blume zum Anstecken hatte er allerdings vergessen. Er habe sie in seinen kleinen Kühlschrank im College gelegt, sagte er. Ich war nicht traurig, auch nicht sauer. Es war mir nur schrecklich peinlich. Die ganze Zeit hatte ich so viel über Conrad und mich geredet, so als wären wir tatsächlich so was wie ein Paar. In Wirklichkeit hatte ich betteln müssen, dass er mit mir zum Ball ging, und jetzt hatte er nicht einmal daran gedacht, mir Blumen mitzubringen.
Ich merkte ihm an, wie mies er sich fühlte, als ihm das klar wurde. Steven war zum Kühlschrank gegangen und kam nun zurück mit einem kleinen Gesteck fürs Handgelenk, winzige rosa Rosen, die perfekt zu Claires Kleid passten. Außerdem schenkte er ihr noch einen großen Strauß Blumen.
Claire nahm eine ihrer eigenen Rosen und hielt sie mir hin. »Hier«, sagte sie, »die machen wir an deinem Kleid fest.«
Ich lächelte sie an, um ihr zu zeigen, dass ich ihr wirklich dankbar war. »Schon gut«, sagte ich, »ich möchte kein Loch in mein Kleid machen.« So ein Schwachsinn! Sie glaubte mir auch nicht, aber sie tat so. »Und wenn wir sie dir ins Haar stecken? Das sähe bestimmt wunderschön aus.«
»Meinetwegen«, sagte ich. Claire Cho war nett. Ich hoffte, sie und Steven würden immer zusammenbleiben.
Nach der Geschichte mit den Blumen wurde Conrad nur noch verkrampfter. Auf dem Weg zum Auto legte er einen Arm um meine Taille und sagte: »Tut mir leid, dass ich deine Blume vergessen habe. Ich hätte daran denken müssen.«
Ich schluckte heftig und lächelte dünn. »Was für eine war es denn?«
»Eine weiße Orchidee«, sagte er. »Meine Mom hat sie ausgesucht.«
»Na ja, dann bringst du mir zu meinem letzten Schulball eben zwei Sträußchen mit, für jedes Handgelenk eins.«
Dabei musterte ich ihn von der Seite. Würden wir dann noch zusammen sein, in einem Jahr? Denn das war die Frage, die eigentlich hinter meiner Bemerkung steckte.
Seine Miene veränderte sich nicht. Er nahm meinen Arm und sagte: »Alles, was du möchtest, Belly.«
Als wir im Auto saßen, schaute Steven in den Rückspiegel. »Mann, ich kann’s echt nicht glauben: ein Doppel-Date mit dir und meiner kleinen Schwester!« Er lachte kopfschüttelnd.
Conrad schwieg.
Schon da fühlte ich, wie der Abend mir entglitt.
An meiner Schule war es üblich, dass der normalerweise kleinere Ball der Juniors mit dem der Seniors zusammengelegt wurde. Eigentlich war das nicht schlecht, auf die Weise hatte man zweimal Gelegenheit, auf einen richtig großen Ball zu gehen. Die Seniors durften immer das Motto wählen, und in diesem Jahr war es »Der Glamour des alten Hollywood«. Der Ball fand im Water Club statt, es gab einen roten Teppich und »Paparazzi«.
Das Ballkomitee hatte schon seit dem Frühjahr Geld gesammelt, um sich eines dieser irrsinnig teuren, zum Motto passenden Deko-Sets leisten zu können. An sämtlichen Wänden hingen alte Filmplakate, an einer blinkte ein großer Hollywood-Schriftzug. Die Tanzfläche war als Filmset hergerichtet, mit Scheinwerfern und einer nachgemachten Filmkamera auf einem Dreifuß-Stativ. Sogar ein Regiestuhl stand auf der Seite.
Wir saßen an einem Tisch mit Taylor und Davis. Taylor trug ihre Elf-Zentimeter-Stilettos, und so waren die beiden etwa gleich groß.
Conrad umarmte Taylor zwar zur Begrüßung, gab sich aber wenig Mühe, mit ihr oder Davis zu reden. Er saß einfach da und fühlte sich sichtlich unwohl in seinem Anzug. Als Davis sein Jackett öffnete und Conrad seinen silbernen Flachmann zeigte, krampfte sich alles in mir zusammen. Vielleicht war Conrad tatsächlich schon zu alt für diese Dinge.
Dann entdeckte ich Cory Wheeler auf der Tanzfläche, und um ihn herum standen jede Menge Leute, auch mein Bruder und Claire. Cory führte einen Breakdance vor.
Ich beugte mich zu Conrad vor und flüsterte: »Der da drüben, das ist Cory.«
»Wer ist Cory?«, fragte er.
Nicht zu fassen – er wusste es nicht mehr! Ich konnte es einfach nicht glauben. Einen Moment lang starrte ich ihn an, suchte in seinem Gesicht nach Anzeichen einer Erinnerung, dann lehnte ich mich wieder zurück. »Niemand«, sagte ich.
Nachdem wir einige Minuten so dagesessen hatten, nahm Taylor meine Hand und verkündete, wir würden mal eben zur Toilette gehen. Ich war direkt erleichtert.
Sie schminkte sich die Lippen neu, dann flüsterte sie mir zu: »Davis und ich gehen später in das Zimmer von Davis’ Bruder im Studentenwohnheim.«
»Wozu?«, fragte ich, während ich in meiner kleinen Handtasche nach meinem eigenen Lipgloss kramte.
Sie gab mir ihren. »Du weißt schon. Um allein zu sein.« Dabei riss sie die Augen extraweit auf, damit ich kapierte.
»Echt? Wow«, sagte ich langsam. »Mir war nicht klar, dass er dir so viel bedeutet.«
»Tja, du warst ja immer so abgelenkt durch dein Conrad-Drama. Apropos: Der sieht ja wirklich toll aus inzwischen, aber wieso ist er dermaßen lahm? Habt ihr Krach?«
»Nein …« Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen, also trug ich immer weiter Lipgloss auf.
»Belly, lass dir das nicht gefallen. Das ist dein Ball! Er ist doch schließlich dein Freund, hab ich recht?« Sie posierte vor dem Spiegel, schüttelte ihr Haar, spitzte die Lippen. »Wenigstens tanzen könnte er ja mit dir.«
Als wir an unseren Tisch zurückkamen, redeten Conrad und Davis über die NCAA-Meisterschaften, und ich entspannte mich ein bisschen. Davis war ein Fan der Mannschaft der Universität von Connecticut, Conrad ein Anhänger des Clubs der University of North Carolina. Für diesen Club hatte der beste Freund von Mr. Fisher als Scout gearbeitet, und so waren auch Conrad und Jeremiah beide große Fans geworden. Conrad konnte endlos über Basketball und die Mannschaft aus North Carolina reden.
Ein langsamer Song begann, und Taylor nahm Davis bei der Hand und zog ihn auf die Tanzfläche. Ich sah ihnen zu, wie sie tanzten, sie lehnte den Kopf an seine Schulter, seine Hände lagen auf ihren Hüften. Schon bald würde Taylor keine Jungfrau mehr sein. Das hatte sie immer schon gesagt: dass sie von uns beiden die Erste sein würde.
»Magst du was trinken?«, fragte mich Conrad.
»Nein«, sagte ich. »Magst du tanzen?«
Er zögerte. »Müssen wir?«
Ich versuchte ein Lächeln. »Na, hör mal, angeblich warst du doch derjenige, der mir beigebracht hat, wie man langsam tanzt.«
Conrad stand auf und hielt mir eine Hand hin. »Also gut, tanzen wir.«
Ich gab ihm die Hand und folgte ihm auf die Tanzfläche. Wir tanzten, und ich war froh, dass die Musik so laut war, dass er nicht hören konnte, wie laut mein Herz schlug.
»Ich bin froh, dass du gekommen bist«, sagte ich und sah zu ihm hoch.
»Wie?«
»Ich bin froh, dass du gekommen bist«, wiederholte ich lauter.
»Ich auch.« Seine Stimme klang seltsam stockend, als er das sagte. Daran erinnere ich mich noch, an seine Stimme in dem Moment.
Er stand direkt vor mir – seine Hände an meinen Hüften, meine Hände in seinem Nacken –, und doch schien er mir so fern wie noch nie.
Nach dem Tanz setzten wir uns wieder an unseren Tisch. »Hast du Lust, irgendwohin zu gehen?«
»Also, die Nachfeier geht erst um Mitternacht los«, erklärte ich. Ich konnte ihm nicht ins Gesicht sehen und spielte nervös mit meiner Perlenkette.
»Nein«, sagte Conrad, »ich meinte, nur du und ich. Irgendwohin, wo wir reden können.«
Plötzlich wurde mir schwindlig. Wenn Conrad mit mir irgendwohin gehen wollte, wo wir allein wären, wo wir reden könnten, dann konnte das nur eins bedeuten: dass er mit mir Schluss machen wollte. Ich wusste es.
»Lieber nicht. Lass uns noch ein bisschen hierbleiben.« Ich gab mir Mühe, nicht verzweifelt zu klingen.
»Okay«, sagte er.
Also saßen wir weiter da, sahen zu, wie alle anderen um uns herum tanzten, mit glänzenden Gesichtern, zerlaufendem Make-up. Ich zog die Blume aus meinem Haar und steckte sie in meine Handtasche.
Nachdem wir eine ganze Weile stumm dagesessen hatten, fragte ich Conrad: »Hat Susannah dich gezwungen herzukommen?« Es tat schrecklich weh, diese Frage zu stellen, doch ich musste es einfach wissen.
»Nein«, sagte er, aber er hatte zu lange mit seiner Antwort gezögert.
Draußen hatte es angefangen zu nieseln. Meine schönen Locken, die mich so viel Zeit und Mühe gekostet hatten, hingen sich schon aus. Wir gingen über den Parkplatz zum Auto, als Conrad sagte: »Meine Kopfschmerzen bringen mich noch um.«
Ich blieb stehen. »Soll ich zurückgehen und fragen, ob jemand ein Aspirin hat?«
»Nein, schon gut. Aber vielleicht sollte ich direkt zurück zum College fahren. Am Montag hab ich ja meine Prüfung und alles. Wäre es in Ordnung für dich, wenn ich nicht mehr mitkomme zur Nachfeier? Ich könnte dich aber auf jeden Fall noch da absetzen.« Dabei wich er meinem Blick aus.
»Ich dachte, du bleibst über Nacht.«
Conrad hantierte mit seinen Autoschlüsseln und murmelte: »Ich weiß, aber inzwischen glaube ich, ich sollte besser fahren …« Seine Stimme wurde immer leiser.
»Aber ich will nicht, dass du schon fährst«, sagte ich. Es hörte sich wie Betteln an, und das fand ich furchtbar.
Er schob beide Hände in seine Hosentaschen. »Tut mir leid.«
Wir standen auf dem Parkplatz, und ich dachte: Wenn wir jetzt einsteigen, dann ist es vorbei. Er wird mich in der Stadt absetzen, und dann fährt er zum College und kommt nie wieder. Das war’s dann.
»Was ist denn passiert?«, fragte ich, und dabei spürte ich, wie Panik in mir aufstieg. »Hab ich was falsch gemacht?«
Er sah weg. »Nein. Mit dir hat das nichts zu tun.«
Ich packte ihn am Arm, und er zuckte zurück. »Kannst du vielleicht mal mit mir reden? Bitte! Sag mir doch, was eigentlich los ist.«
Conrad schwieg. Ich sah ihm an, was er sich wünschte – er wollte endlich im Auto sitzen und losfahren. Weg von mir. Am liebsten hätte ich ihn geschlagen.
»Also gut. Wenn du es nicht sagst, dann tu ich’s halt.«
»Wenn ich was nicht sage?«
»Dass es aus ist. Das zwischen uns, wie immer du es nennen willst. Ich meine, so ist es doch, hab ich recht?« Jetzt weinte ich, meine Nase lief, und Rotz und Tränen vermischten sich mit dem Regen. Ich wischte mir mit dem Unterarm übers Gesicht.
Er zögerte. Ich sah es ihm an, sah, wie er seine Worte abwägte. »Belly –«
»Lass es«, sagte ich und trat einen Schritt zurück. »Lass gut sein. Sag nichts.«
»Jetzt warte doch«, sagte er. »So sollst du nicht gehen.«
»Du bist doch derjenige, der so weggeht.« Damit ging ich los, so schnell das auf diesen blöden Absätzen möglich war.
»Warte!«, brüllte er mir hinterher.
Ich drehte mich nicht um, sondern lief nur noch schneller. Dann hörte ich, wie er mit der Faust aufs Autodach schlug. Fast wäre ich stehen geblieben.
Vielleicht wäre ich es auch wirklich, wenn er hinter mir hergekommen wäre. Aber das tat er nicht. Er ist in sein Auto eingestiegen und weggefahren. So wie er’s angekündigt hatte.
Am nächsten Morgen kam Steven in mein Zimmer und setzte sich an meinen Schreibtisch. Er war gerade erst nach Hause gekommen und hatte noch immer seinen Smoking an. »Ich schlafe«, sagte ich und drehte mich auf die Seite.
»Nein, stimmt nicht«, sagte er. Und nach einer Pause: »Hör mal – Conrad ist es nicht wert.«
Ich wusste, welche Überwindung es ihn kostete, das zu sagen, und ich liebte ihn dafür. Steven war Conrads größter Fan, immer schon. Als Steven aufgestanden und gegangen war, wiederholte ich mir seinen Satz: Er ist es nicht wert.
Als ich gegen Mittag nach unten kam, fragte meine Mutter: »Alles in Ordnung mit dir?«
Ich setzte mich und legte den Kopf auf den Küchentisch. Glatt und kühl fühlte sich das Holz an meinem Gesicht an. Dann sah ich zu meiner Mutter hoch und sagte: »Steven hat also getratscht.«
Vorsichtig antwortete sie: »So würde ich’s nicht nennen. Ich habe ihn bloß gefragt, wieso Conrad nicht über Nacht geblieben ist. So war es doch geplant.«
»Wir haben Schluss gemacht«, sagte ich. Auf gewisse Weise war es aufregend, diesen Satz laut auszusprechen, denn wer Schluss machen kann, war ja wohl irgendwann richtig zusammen.
Seufzend setzte meine Mutter sich mir gegenüber an den Tisch. »Ich hatte so etwas befürchtet.«
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, die Geschichte ist komplizierter, weil sie nicht nur Conrad und dich angeht. Sie betrifft mehr Menschen als nur euch zwei.«
Fast hätte ich sie angebrüllt, ihr gesagt, wie unsensibel sie sei, wie grausam, ob sie nicht merke, dass mir buchstäblich das Herz brach? Doch als ich ihr ins Gesicht sah, schluckte ich meine Worte hinunter. Sie hatte recht. Wir hatten tatsächlich größere Sorgen als mein blödes Herz. Wir mussten an Susannah denken. Sie würde so enttäuscht sein. Wie ich es hasste, sie zu enttäuschen.
»Mach dir wegen Beck keine Sorgen«, meinte meine Mutter, und ihre Stimme klang so sanft. »Ich bring’s ihr schon bei. Soll ich dir was zu essen machen?«
Ich nickte.
Später, als ich wieder allein in meinem Zimmer war, redete ich mir ein, dass es so besser war. Dass er die ganze Zeit schon hatte Schluss machen wollen und es daher besser war, dass ich es zuerst ausgesprochen hatte. Nur: Geglaubt habe ich mir kein Wort. Hätte er angerufen und gesagt, er wolle mich zurück, hätte er vor dem Haus gestanden mit Blumen oder einem CD-Player auf der Schulter, der unseren Lieblingssong spielte (hatten wir überhaupt so etwas wie unser Lied? Keine Ahnung) – hätte er nur den winzigsten Versuch gemacht, ich hätte ihn zurückgenommen, mit Freude. Aber Conrad rief nicht an.
Als ich erfuhr, dass es Susannah wieder schlechter ging, dass sie nicht mehr gesund werden würde, da rief ich ihn an, einmal. Er ging nicht dran, und ich sprach nicht auf die Mailbox. Wäre er drangegangen, hätte er mich zurückgerufen – ich weiß nicht, was ich gesagt hätte.
Und das war’s dann auch. Es war vorbei.