KAPITEL 24
Am Montag suchten wir Tom Barkers Adresse raus und fuhren dann zu seinem Büro in Camp Rapture. Es lag in einer Gasse, wo man durch eine Tür mit abblätternder Farbe in einen Flur zu seinem Büro kam. In dem Dämmerlicht hätte man gut Pilze züchten können.
Barkers Milchglastür schmückten uralte schwarze Buchstaben: TOM BARKER, RECHTSANWALT . Und darunter eine Aufzählung: SCHWERE VERKEHRSUNFÄLLE, PROZESSE WEGEN ÄRZTLICHER KUNSTFEHLER, TRUNKENHEIT AM STEUER, KÖRPERVERLETZUNG. HIER BEKOMMEN SIE IHR RECHT.
»Hier bekommen wir unser Recht«, sagte Leonard.
»Scheint so.«
»Wär vielleicht ’ne gute Idee. Wir haben oft mal ’ne Körperverletzung.«
Ich öffnete die Tür und ging rein. Das Vorzimmer war klein und eng, ein Schreibtisch beanspruchte fast den gesamten Raum. Ein Mädchen dahinter, das noch zwei Jahre bis zur Highschool vor sich zu haben schien, hob den Blick, als wir reinkamen.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Ist Mr Barker da?«
»Der ist außer Haus«, sagte sie.
Sie war ein kleines Ding mit schulterlangem braunen Haar, einem Rest von Babyspeck, und Akne sprenkelte ihr freches Gesicht, das vollständig mit einer Schicht Make-up für einen andersfarbigen Hauttyp überzogen war.
»Wissen Sie, wann er wiederkommt?«, fragte Leonard.
»Ähm … Ich arbeite gar nicht hier. Ich bin Connie, seine Tochter. Er hat zurzeit keine Sekretärin. Die letzte hat vor einem Jahr gekündigt. Seither hat er keine mehr eingestellt. Manchmal helf ich nach der Schule aus.«
»Also gut«, sagte ich. »Vielleicht können Sie sich meinen Namen und meine Telefonnummer aufschreiben …«
In diesem Moment ging die Tür auf, und ein Mann mit einem Gesicht, das dem des Mädchens stark ähnelte, bloß ohne die Akne und das Make-up, aber dafür mit schütterem Haar, betrat den Raum. Er war klein und korpulent, aber bei ihm war es kein Babyspeck, sondern hart erworbenes Fettgewebe. Sein brauner Anzug passte ihm so perfekt wie ein Dreiteiler einem Murmeltier. Mit einem routinierten Grinsen gab er uns zu verstehen, dass er uns zu unserer Entschädigung verhelfen könne, wenn wir nötigenfalls zwei Wochen lang mit Halskrausen rumlaufen würden. In seinem linken Unterkiefer fehlten ihm ein paar Zähne. Genau wie sein Anzug hatte er schon bessere Zeiten erlebt.
»Meine Herren, was kann ich für Sie tun?«
»Kann ich gehen?«, sagte das Mädchen.
»Na klar, Liebling, geh ruhig. Los, geh schon.«
Auf ihrem Weg zur Tür fing er Connie ab. Barker zückte seine Brieftasche und gab ihr einen Zwanziger, und sie ging und schloss die Tür hinter sich. Ein Blick in seine Brieftasche zeigte mir, dass kaum weitere Scheine darin steckten, und anscheinend alles Einer.
»Kinder«, sagte er. »Wenn sie Mittagessen gehen, wollen sie Suppe zum Mitnehmen und Knabberzeug und Kekse. Kinder.«
Wir lächelten. Etwas Besseres fiel uns nicht ein.
»Kommen Sie in mein Büro. Kommen Sie.«
Er öffnete eine weitere Milchglastür, diesmal ohne Beschriftung, und wir folgten ihm. In diesem Raum stand eine durchgesessene Ledercouch mit einem Leintuch darüber und einem Kopfkissen. Barker schnappte sich das Leintuch, legte es zusammen, nahm auch das Kissen und trug alles zu einem offenen Schrank und stopfte es hinein und machte die Schranktür zu.
»Meine Frau und ich«, sagte er, »wir gönnen uns eine Auszeit. Ich habe hier übernachtet.«
»Klar«, sagte ich.
Barker setzte sich hinter seinen Schreibtisch, und wir nahmen auf harten Holzstühlen davor Platz. Eine halbe Minute später fühlte sich mein Arsch an wie zerbrochen.
»Oh.« Unvermittelt stand er auf. »Ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen.« Er lehnte sich über den Schreibtisch. Leonard und ich standen ebenfalls auf, und wir schüttelten ihm die Hand. »Tom Barker.«
»Ja«, sagte Leonard. »Das wissen wir.«
»Natürlich wissen Sie das. Natürlich.«
Wir setzten uns alle wieder.
»Ich würde Ihnen ja was zu trinken anbieten, einen Kaffee, wissen Sie, aber der ist mir gerade ausgegangen. Muss unbedingt einkaufen gehen. War schwer beschäftigt. Mir ist gerade alles ausgegangen.«
Das letzte Mal, dass er einkaufen gegangen war, musste zu einer Zeit gewesen sein, als man seine Kaffeebohnen noch selber erntete.
»Klar«, sagte ich.
»Wir arbeiten für eine Detektivagentur, und wir ermitteln im Todesfall Jamar Elton«, sagte Leonard. »Und wenn wir schon dabei sind, packen wir doch Timpson Weed gleich noch oben drauf.«
»Oh … oh … aha. Ja. Nun, ich weiß nicht, inwiefern ich Ihnen da behilflich sein kann. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Aber Sie wissen, worum es geht«, sagte ich.
»In Ansätzen. Ein winziges kleines bisschen.«
»Sie haben Timpson Weed vertreten, wenn ich das richtig verstehe«, sagte ich. »Sie haben an seiner Stelle den Cops seine Beobachtungen mitgeteilt.«
»Das habe ich. Habe ich. Ja, das habe ich.«
Er wirkte nervös. Als wäre sein Schwanz in eine Wurstmaschine geraten, und jemand, der ziemlich wütend war, würde ein wenig nachhelfen.
Seine Art, Worte und Sätze zu wiederholen, kroch mir unbehaglich den Rücken hoch.
»Wir wollten lediglich wissen, was da gesagt wurde, und weshalb Timpson Sie mit den Cops über Jamar sprechen ließ, und was sich daraus ergeben hat.«
»Das war eigentlich keine große Sache. Überhaupt nicht. Ich hab ihm praktisch nur einen kleinen Gefallen getan.«
»Finanziell war da nichts für Sie drin?«, fragte ich.
»Eigentlich nicht. Eigentlich nicht. Na ja, vielleicht. Aber es kam nichts dabei heraus. Ich stelle mich gern zur Verfügung, wissen Sie.«
»Könnten sie uns vielleicht genauer erklären, was Sie für Mr Weed getan haben, und warum?«, fragte ich. »Jamars Mutter ist unsere Auftraggeberin, und offenbar hängt alles irgendwie zusammen. Hier, damit Sie wissen, für wen wir arbeiten.«
Ich legte eine von Bretts Visitenkarten, die sie für uns hatte drucken lassen, vor ihm auf den Tisch und lehnte mich wieder in meinem Stuhl zurück. Die Karte lag vor ihm auf dem Schreibtisch. Er beugte sich vor und sah sie sich an.
Er las laut, was darauf stand, als wüssten wir nicht genau, was ich ihm da gegeben hatte. »›Brett Sawyer Investigations. Hap Collins, Leonard Pine.‹ Das sind Sie beide?«
»Sind wir und bleiben wir«, sagte Leonard. Hoffentlich wurde mein Nebenmann nicht vom Hafer gestochen und legte sich mit Barker an. Leonard kennt keine Geduld, wenn man ihn verarscht. Dann wird er fuchsteufelswild, und manchmal ganz schnell ziemlich gemein oder ziemlich komisch.
»Jamars Mutter hat uns engagiert«, sagte ich. »Wir möchten nur herausfinden, wie er ums Leben kam.«
»Ich verstehe. Ich verstehe.«
Barker machte nicht den Eindruck, als würde er verstehen.
»Ich bin da quasi gegen eine Wand gelaufen. Gegen eine Wand gelaufen.«
»Was für eine Wand?«, sagte Leonard. »Eine Wand des Schweigens?«
»Da gibt es leider nichts, was ich Ihnen erzählen kann«, sagte Barker.
»Oder erzählen will?«, fragte Leonard.
»Nun, kein Grund für Spitzfindigkeiten, verstehen Sie, für Spitzfindigkeiten besteht kein Grund.«
»Sollen wir lieber die Idioten spielen?«, fragte Leonard. »Sie behandeln uns wie Idioten. Wir wissen, dass Sie für Timpson Weed auf dem Revier waren, und dass Sie denen erzählt haben, er hätte beobachtet, wie Jamar totgeprügelt wurde.«
»Ihr Tonfall gefällt mir gar nicht. Gefällt mir gar nicht.«
»Wir wollen auch gar nicht unbedingt den richtigen Tonfall treffen«, sagte ich. »Wir wollen rausfinden, was einem jungen Mann zugestoßen ist, im Auftrag seiner Mutter, und so wie ich es sehe, wenn wir schon dabei sind, würden wir auch gern noch rausfinden, was Mr Weed zugestoßen ist, und wie die Polizei von Camp Rapture in das Ganze verwickelt ist, und wie die Cops reagiert haben, als Sie ihnen erzählt haben, was Sie ihnen erzählt haben. Und als Sahnehäubchen oben drauf, warum das alles Sie so nervös macht.«
»Ich muss jetzt gehen, ich muss gehen«, sagte er. »Aber Sie müssen zuerst gehen.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Leonard. »Wir würden uns auch ziemlich blöd vorkommen, wenn Sie gehen und wir hier ganz allein in Ihrem Büro rumsitzen.«
»Wir könnten Dame spielen«, sagte ich.
»Ja, du hast bestimmt ein Brett und Damesteine dabei«, sagte Leonard.
»Wir würden jedenfalls nicht Kaffee trinken, das steht fest«, sagte ich.
»Ich möchte wirklich, dass Sie jetzt gehen. Gehen Sie bitte«, sagte Barker.
»Verdammt noch mal, wer außer uns kriegt denn schon mit, was Sie uns erzählen?«, sagte Leonard.
»Also gut. Also gut. Es wird Zeit, dass Sie gehen. Gehen Sie jetzt. Gehen Sie.«
Wir blieben noch einen Moment lang sitzen. Barker erhob sich, schob seinen Stuhl unter den Schreibtisch, stützte seine Hände auf die Stuhllehne und sah uns an.
In aller Ruhe erhoben wir uns ebenfalls und machten uns auf den Weg zur Tür. Dort angekommen, drehte ich mich zu ihm um und sah ihm ins Gesicht.
»Was, wenn es um Ihre Tochter ginge, Barker? Was wäre, wenn ihr irgendwas zustoßen würde, und Sie würden vermuten, jemand könnte etwas darüber wissen? Vielleicht ja nur eine Kleinigkeit, derjenige würde es Ihnen aber nicht verraten. Wie wäre das für Sie?«
»Das ist ein Schlag unter die Gürtellinie, meine Tochter so ins Spiel zu bringen. Ein Schlag unter die Gürtellinie.«
»Jamars Mutter hat einen viel schlimmeren Schlag abbekommen«, sagte ich. »Sie wird ihr Kind nie wiedersehen.«
»Gehen Sie jetzt, oder ich …«
»Was wollten Sie sagen? ›… rufe die Polizei‹?«, fragte Leonard. »Das glaube ich kaum, dass Sie die Polizei rufen. Eher, dass Sie Angst vor ihr haben.«
»Gehen Sie. Gehen Sie jetzt.«
Wir durchschritten das Vorzimmer und den düsteren Korridor, traten auf die Gasse hinaus und gingen zu unserem Wagen zurück. Unter dem Scheibenwischer klemmte ein Werbeflyer für eine Waffenausstellung.