KAPITEL 46
Krankenhäuser konnte ich noch nie ausstehen, und seit Kurzem noch weniger, nachdem ich vor einigen Monaten genau in diesem hier gelegen hatte. Leonard wartete schon auf mich, vor der Tür zur Notaufnahme. In der Hand hielt er eine große Tüte.
»Ich kann ja verstehen, dass man die vierhundert Jahre alte Vampirin windelweich prügeln möchte«, sagte Leonard, als ich bei ihm ankam, »aber es gefällt mir trotzdem nicht, dass das irgendjemand tatsächlich getan hat.«
»Da stimm ich dir zu«, sagte ich.
Drinnen erkundigten wir uns nach Reba. Wir bekamen die nötigen Informationen und fuhren mit dem Lift nach oben und gingen dort den Flur entlang. Ich hatte Leonard gegenüber nicht erwähnt, dass Officer Carroll alias Curt alias Pookie hier Wache schob.
Als Leonard Curt sah, strahlte er, und Curt ebenso. An der Zimmertür angekommen, machte Curt uns auf, und ich ging rein. Ich blickte kurz zurück und sah, wie sie die Fäuste aneinanderstießen. Musste ja eine tolle Nacht gewesen sein.
Nachdem er ebenfalls ins Zimmer gekommen war, schloss Leonard die Tür, und wir traten zu Reba ans Bett. Es wirkte riesig, wie eine weiße Wolke, mit einem schwarzen Punkt am oberen Ende, Rebas Kopf. Sie sah so winzig aus auf dieser Wolke. Ihr Gesicht war geschwollen, ein Auge völlig zu, das Lid eine entzündete Beule, und ihre Lippen waren aufgerissen und blutig. Ein Arm lag in Gips, er lag auf der Bettdecke wie ein langes Stück Rohr.
Leonard stand auf der einen Seite am Bett, ich auf der anderen.
Rebas Augen waren geschlossen. Wir standen etwas verlegen da, doch innerhalb weniger Augenblicke spürte sie unsere Gegenwart und schlug die Augen auf. Zuerst sah sie Leonard.
»Verdammt, jetzt mach ich die Augen auf und seh so was«, sagte sie.
»Na ja, du bist auch nicht grad ein schöner Anblick«, sagte Leonard. »Wolltest du dich in ’nen fahrenden Zug verbeißen?«
»Zwei Nigger haben mich zusammengeschlagen«, sagte sie.
»Zwei Schwarze«, sagte ich.
»Egal«, sagte sie.
»Nenn die Leute lieber nicht so«, sagte ich.
»Macht er doch auch«, sagte sie.
»Bei ihm kann ich nichts dagegen machen, und bei dir … wahrscheinlich auch nicht, aber da versuch ich’s wenigstens.«
»Können Sie sein lassen«, sagte sie.
»Aber du hast den Cops nichts Genaueres über die beiden Männer erzählt?«, sagte Leonard.
»Kann Cops nicht ausstehen.«
»Marvin, der Polizeichef, der ist ein guter Mann«, sagte ich.
»Kann Cops nicht ausstehen. Sie haben’s wohl an den Ohren.«
»Also gut«, sagte ich. »Du wolltest uns sehen …«
»Scheint so.«
»Wolltest du, oder nicht?«, fragte Leonard und stellte die Tüte auf den Rolltisch neben dem Bett.
»Was ist das?«, fragte Reba.
»Weißt du doch«, sagte Leonard. »Da steht an der Seite McDonald’s drauf. Sind zwei Hamburger drin, eine Riesenportion Pommes, und zwei Apfelstückchen. Was zu trinken hab ich dir nicht mitgebracht. Aber ich kann in die Eingangshalle runter und dir was holen. Besser gesagt, Hap kann das machen. Ich bin ja nicht dein Sklave.«
»Für mich macht niemand nie was«, sagte sie.
»Aber jetzt sind wir für dich da«, sagte ich.
»Er jedenfalls«, sagte Leonard. »Ich bin nur rein zufällig da, weil ich sonst nichts Besseres zu tun hab.«
»Erzähl uns, wer die beiden Männer waren, die dich geschlagen haben«, sagte ich.
»Die haben mich gesucht«, sagte sie. »Ich war auf meinem Baum oben, aber sie haben genau gewusst, wo sie mich suchen müssen, und einer hat sich ’n großen Stein gegriffen und nach mir geschmissen und hat mich getroffen. Ich wollte schnell weg, und da bin ich runtergefallen. So hab ich mir den Arm gebrochen. Das Bein haben die mir dann gebrochen. Als ich am Boden lag, hat mir einer ans Bein getreten. Dann haben sie mich weggeschleppt und in ihr Auto gesteckt und mich runter in die Wälder am Fluss gefahren und dort abgeladen. Und da haben sie noch anderes Zeugs mit mir angestellt. Könnt ihr euch vorstellen.«
»Ja«, sagte ich. »Tut mir leid.«
»War nicht das erste Mal. Wenn man da oben in den Projects wohnt, dann passieren halt Sachen.«
»Tut mir echt leid«, sagte ich.
»Mir noch viel mehr«, sagte sie, und nun verdrückte sie eine Träne. Kurz dachte ich, sie würde in Tränen ausbrechen, doch sie fing sich wieder. Sie war zu abgehärtet, und das wiederum brachte mich fast zum Heulen.
»Einen der Nigger hab ich ordentlich gebissen«, sagte sie. »Und einem auf ’n Fuß gestampft. Da sind sie ausgerastet und haben mich so richtig vermöbelt. War schlimm.«
»Das sieht man«, sagte Leonard.
»Ja, mit meiner Model-Karriere wird’s wohl nichts mehr. Sie haben mich tiefer in den Wald geschleppt und wollten mir den Rest geben. Ich hab ja schon manchmal Prügel kassiert, von manchen der Kerle von Mama, aber noch nie so wie jetzt. Mir sind die Lichter ausgegangen, aber dann war ich wieder da. Die haben gedacht, ich könnt nicht abhauen, wegen dem gebrochenen Bein. Aber ich hab sie ausgetrickst und bin davongekrochen, wie so ’n kaputter Hund. Und dann bin ich ’n Abhang runtergefallen, bis ans Flussufer, und dahin konnten sie mir nicht hinterher, weil’s so steil war und voller Dornengestrüpp. Hab mir ’n Arsch voll Dornen geholt. Hab mich aber totgestellt, und sie haben wohl gedacht, ich wär endgültig hin, oder so gut wie, und sind abgezogen. Ich bin ’ne Strecke gekrochen, hab mir dann ’n Stock als Krücke genommen, und bin wieder hoch zum Highway. Da seh ich dann den Streifenwagen. Ich versuch noch wegzukommen, wieder in den Wald, hab mich aber nicht schnell genug bewegen können, deshalb hat die weiße Polizistin mich erwischt und mich ins Krankenhaus verfrachtet. Und dann sind noch andere Cops gekommen. Der große Nigger, der Chief, hat mich ausgefragt, und jetzt lieg ich eben hier.«
»Warum hast du Chief Hanson nicht erzählt, was passiert ist?«, fragte ich.
»Sie haben ja wirklich was an den Ohren«, sagte sie. »Hab ich doch gesagt. Weil ich Cops nicht ausstehen kann.«
»Die beiden Schlägertypen kannst du bestimmt auch nicht ausstehen«, sagte ich. »Wenn du willst, dass sie erwischt werden, dann musst du den Cops von ihnen erzählen.«
»Ich will, dass ihr beide sie erwischt«, sagte sie.
»Und warum sollten wir uns da drum kümmern wollen?«, fragte Leonard.
»Weil wir zusammengearbeitet haben«, sagte sie.
»Haben wir das?«, sagte Leonard. »Andernorts würde man die Art unserer Zusammenarbeit als verdammte Erpressung bezeichnen.«
»Ist das ’ne Art von Zusammenarbeit?«, sagte sie.
»Eigentlich nicht«, sagte Leonard.
»Hör mal, ich habe vielleicht ein kleines Überraschungsei für dich«, sagte ich.
»Ein Überraschungsei?«, sagte sie.
»Ja, eine nette Überraschung. Beschreib mal die beiden Schläger.«
Sie beschrieb sie.
Ich sagte: »Einer hinkt noch immer wegen dir, und alle beide sitzen in Untersuchungshaft.«
»Sicher?«, sagte sie.
»Ziemlich sicher«, sagte ich. »Die Beschreibung passt.«
»Sie müssen da aber ganz sicher sein«, sagte sie.
»Warum wollten sie dich verprügeln, Reba?«
»Verprügeln? Die wollten mich abmurksen.«
»Warum?«
»Weiß ich nicht genau. Aber ich hab sie schon mal gesehen. Die haben sich ein paarmal mit dem Hühnerficker getroffen. Der war ja auch so ’n Schläger, hat Leute vermöbelt, die ihre Drogen nicht bezahlt haben, und so welche waren das auch.«
»Timpson hat gedealt?«, fragte Leonard.
»Nee. Der hat nur die Kohle kassiert.«
»Und für wen hat er den Schläger gespielt?«, fragte Leonard.
»Für denselben wie die andern beiden großen Nigger, sie haben alle für Roscoe Washington gearbeitet.«
Ich sah Leonard an. Er sagte: »Klick.«