KAPITEL 57
Schon nach wenigen Tagen schien Marvins Groll auf uns nachgelassen zu haben, denn er berichtete uns, dass man Tamara in den Projects verhaftet hatte und sie dabei schrie wie am Spieß. So taff war sie denn doch nicht. Sie bestätigte unsere Aussagen und fügte noch einiges hinzu: dass Timpson geholfen hatte, Jamar tot zu prügeln, und dass er mich nur deshalb zu Roscoe bestellt hatte, damit der uns in Augenschein nehmen konnte und die beiden Dumpfbacken in ihrer Nische ebenso. Ich schob echt einen Hass auf diese beiden Dreckschweine, die Reba so Schlimmes angetan und sie beinahe auch umgebracht hatten. Marvin versprach, dafür zu sorgen, dass sich im Knast, wo sie einfuhren, herumsprechen würde, dass sie ein junges Mädchen vergewaltigt und zusammengeschlagen hatten. Selbst die übelsten Übeltäter im Gefängnis kannten normalerweise keine Gnade gegenüber jemandem, der Kindern oder Jugendlichen so etwas antat, und ließen für ihn dann gerne eine Schlitzerparty im Duschraum steigen.
Da würde es mal genau die Richtigen treffen.
Sheerfaults Auto wurde aus dem Sumpf gezogen. Er saß immer noch drin. Bobo hatte das Seitenfensterglas in der Fahrertür mit der bloßen Faust zertrümmert, an sich schon an Land keine Kleinigkeit und unter Wasser in diesem dunklen Matsch bestimmt noch schwieriger. Ich hätte es eigentlich für unmöglich gehalten.
Bobos Arm war durch das Fenster nach innen ausgestreckt, seine andere Hand am Türrahmen festgekrallt – er war bei dem Versuch gestorben, Sheerfault da rauszuziehen. Irgendwie bewunderte ich ihn dafür.
An einem Sonntagnachmittag holten Leonard und Officer Carroll, wie er für mich immer noch hieß, Reba in den Projects ab und brachten sie mit zu uns, wo wir gemütlich grillten, allerdings im Haus, denn es regnete, schon die ganze Woche lang. Rebas Arm und Bein waren immer noch in Gips, sie bewegte sich unbeholfen auf Krücken fort.
Als sie zur Tür reinkamen, sagte Leonard: »Hab die vierhundert Jahre alte Vampirin gefunden. Sie will heut auf Blut verzichten und nimmt nur ’n Burger mit Grillfleisch.«
»Habt ihr keine Fritten?«, fragte sie, während sie zum Tisch humpelte.
»Haben wir«, sagte Brett. »In der Fritteuse.«
Brett und Chance machten sich mit ihr bekannt.
»Bevor wie sie abgeholt haben, haben wir ihr noch frittierte Apfelstückchen bei McDonald’s geholt«, sagte Officer Carroll. »Leonard meinte, da würde sie drauf stehen.«
»Na klar«, sagte Reba. »Haben Sie was gegen Apfelkuchen?«
»Nein, gar nichts«, sagte Officer Carroll. Er trug Freizeitklamotten. Ohne Uniform kam er mir komisch vor. Ein Finger war bandagiert, der verstauchte, und er machte den gleichen wachen und zufriedenen Eindruck wie immer. Ich fragte mich nur, wie er damit klarkam, zwei Menschen erschossen zu haben. Ich hatte noch weit mehr Leute auf dem Gewissen, und es gab manche Nächte, da schienen sich all ihre Leichen auf meiner Brust zu stapeln.
»Du und Leonard, ihr seht ja grauenhaft aus«, sagte Officer Carroll.
»Alles Zeichen von Charakter«, sagte Leonard.
»Ach was, die Wunden machen dich bloß langsamer«, sagte Officer Carroll, und sie tauschen ein Lächeln aus.
Mit steifen Bewegungen half Leonard Reba in einen Stuhl, und sie streckte ihr eingegipstes Bein unter dem Tisch aus.
»Ihr habt in den Projects eine Bombe hochgehen lassen«, sagte Reba, »und habt den fiesen Bullen den Arsch aufgerissen, aber es wird nicht lang dauern, bis jemand anders da den süßen Stoff verkauft. Irgendwelche anderen Cops werden das übernehmen.«
»Ich bin auch ein Cop«, sagte Officer Carroll.
»Ich hab Sie auf ’m Schirm«, sagte sie. »Auch wenn Sie mir ’s Leben gerettet haben.«
»Na ja, wollen wir mal die Hoffnung nicht aufgeben«, sagte Officer Carroll.
»Hoffnung ist nur ’n anderes Wort für Scheißdreck«, sagte sie.
»Mann, du hast ja ein ganz schönes Mundwerk«, sagte Brett.
»Da hätten Sie erst mal meine Mama hören müssen. Und jetzt zu den Hamburgern. Meinen mag ich gut durch, und ohne blödes Zwiebelzeug oben drauf, aber wenn’s Senf gibt, nehm ich ’n bisschen, ganz dünn draufgeschmiert.«