30
Der stinkende Tümpel
Ich habe gehört, dass man seinen ersten Kuss nie vergisst, aber ehrlich gesagt glaube ich, dass es der letzte ist, den man für immer bei sich trägt.
– Das Buch Brin
Gifford und Roan saßen am Feuer und klammerten sich aneinander. Sie sahen aus, als wäre ihnen schlecht. Regen und Tressa sahen ebenfalls nicht sehr gut aus. Alle hatten sich auf dem Boden zusammengerollt und starrten aus dem Fenster oder ins Feuer, ohne wirklich etwas zu sehen.
Das überraschte Moya nicht. Diese ganze Sache war ihr anfangs so verrückt und surreal vorgekommen – aber es gab wirklich eine Insel hinter dem Sumpf und eine Hexe von Tetlin, obwohl Muriel keine Ähnlichkeit mit der Figur aus den Geschichten hatte. Gerade war die »Hexe« dabei, die letzten hartnäckigen Reste aus dem Topf zu schrubben, in dem sie ihnen Essen gekocht hatte, während sie vor sich hin pfiff.
Moya stand auf. Tekchins Blick folgte ihrer Bewegung. »Bleib hier, in Ordnung? Ich möchte mit ihr sprechen … von Frau zu Frau«, sagte sie mit einem wehmütigen Lächeln.
»Aha.« Er klang nicht überzeugt, folgte ihr aber auch nicht. Bisher war Tekchin seltsam still gewesen. Der Fhrey war normalerweise laut und gesprächig, machte derbe Witze und beleidigte alle Anwesenden, doch seit sie in den Sumpf aufgebrochen waren, hatte er sich ungewöhnlich ruhig verhalten. Vielleicht war es wegen der Sache mit Tesh, die, wenn sie denn stimmte, nicht gut enden würde. Doch das war ein Problem, mit dem Moya sich später befassen würde. Im Moment hatte sie größere Sorgen.
Die kleine Hütte bot nicht viel Privatsphäre, doch das Knistern der Flammen und das Heulen des Windes ermöglichten ein Gespräch unter vier Augen, wenn es im Flüsterton abgehalten wurde. Moya stellte sich neben Muriel, die weiter den Topf schrubbte.
»Ich muss Euch etwas fragen«, sagte Moya leise, während sie sich dicht zu Muriel hinüberbeugte. »Wer ist Malcolm?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Aber Ihr habt vorhin gesagt, er wäre Euer Vater.«
»Turin ist mein Vater. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass Malcolm Turin ist, aber mein Vater ändert seinen Namen regelmäßig.«
»Wie dem auch sei. Wer ist Turin?«
»Mein Vater.«
Moya seufzte. Sie wollte keine Spielchen spielen. Viel stand auf dem Spiel, und sie brauchte ehrliche Antworten. »Aber wer ist Euer Vater?«
Nun war es an Muriel, frustriert auszusehen. »Mein Vater ist Turin. Turin ist mein Vater. Er ist der verdammte Bastard, der mein Leben zerstört hat und meinen Schmerz dann unendlich machte. Das ist er. Was möchtest du sonst noch wissen?«
»Es tut mir leid, aber meine Freunde, wirklich wunderbare Menschen, sitzen da drüben, und ich glaube, dass sie ernsthaft planen, sich wegen Malcolms Anweisungen selbst umzubringen. Sie glauben wirklich, dass sie sterben, nach Estramnadon reisen, unsere Freundin Suri retten und dann wiederauferstehen können. Was ich also wissen will, ist …«
»Ja, es ist möglich«, unterbrach Muriel sie. »Ich habe nicht gelogen, wenn es das ist, was du glaubst. Der Schlüssel …« Sie warf Tressa einen Blick zu. »Ich kann nicht glauben, dass er ihn ihr gegeben und euch alle hierhergeschickt hat.« Sie schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. Die Lippen kniff sie so fest zusammen, als wollte sie einen Schrei unterdrücken. Dann atmete sie einmal tief durch. »Ja, um deine Frage zu beantworten. Mit dem Schlüssel ist es möglich. Es ist Etons Schlüssel. Eton hat Phyre erschaffen, und das Ding kann jedes Schloss aufschließen. Damit kann man durch die verschiedenen Reiche reisen und am anderen Ende wieder herauskommen. Es ist keine Lüge, es ist eine Tatsache.«
Große Mutter!
Moyas Magen verkrampfte sich. »Das kann nicht wahr sein.«
»Warum nicht?«
»Kann es einfach nicht – belassen wir es dabei.«
Muriel lächelte sie traurig an. »Du bist zu mir gekommen, damit ich dir sagen kann, dass alles nur eine Lüge war, ein Trick sozusagen. Dann könntest du sie alle davon überzeugen, es nicht zu tun.«
»Ja, so bin ich eben. Ich mag’s halt nicht, meinen Freunden dabei zuzusehen, wie sie sich umbringen.« Moya deutete auf die anderen, die immer noch um das Feuer herumsaßen. »Wenn Tressa Todessehnsucht hat, meinetwegen. Aber Roan und Gifford sind eine andere Geschichte. Roan ist auf vielerlei Arten sehr speziell, was manchmal gefährlich sein kann. Wenn sie sich in den Kopf gesetzt hat, dass sie sterben, nach Rel gehen und wieder zurückkehren kann, wird sie es tun, bloß um herauszufinden, wie es wohl ist. Und Gifford … na ja, glaubt mir, wenn sie geht, folgt er ihr. Und das kann ich nicht zulassen.«
»Das tut mir leid, aber sosehr ich Turin auch hasse, ich erzähle keine Lügen, nicht einmal Notlügen. Das ist eher seine Spezialität.«
Moya starrte sie an, so wütend, dass sie ihr am liebsten eine passende Antwort gegeben hätte. Sie war nicht bereit, Malcolm zu glauben, und vertraute Tressa schon gar nicht, doch ihr gingen langsam die Argumente aus, um zu beweisen, dass Muriel sich alles nur ausgedacht hatte. Vor allem, wie Muriel von ihrem Vater sprach, kam Moya bekannt vor. Sie verstand, was es hieß, die eigenen Eltern zu hassen, und glaubte, dass ihr aufgefallen wäre, wenn Muriel es nur gespielt hätte. Die Hexe war ehrlich. Sie könnte mich damit nicht täuschen, ich bin sozusagen ihr Spiegelbild.
Und die Wahrheit über den Rest ihrer Erzählungen lag ebenfalls in der Abscheu und der kalten Wut, die man nur dann verspürte, wenn diesen Gefühlen Liebe zugrunde lag. Eine Liebe, die sich so hartnäckig hielt wie ein Blutfleck auf einem Hemd, egal, wie sehr man versuchte, ihn herauszureiben.
»Wollen alle gehen?«, fragte Muriel.
»Nur Tressa und Roan, aber wie schon gesagt, Gifford wird ihnen folgen. Was Regen angeht, bin ich nicht sicher – das ist der Zwerg da drüben, mit der Spitzhacke.«
Muriel zog die Stirn in Falten.
»Was denn?«, fragte Moya.
»Hör mal, ich habe schon gesagt, dass ich keine Expertin bin, was das Jenseits angeht. Ich war offensichtlich nie dort, aber hier ist der Schleier zwischen den Welten besonders dünn. Man hört Dinge. In wirklich ruhigen Nächten kann man sich sogar über den Schleier hinweg unterhalten. Was deine Freunde planen, ist nicht … ist glaube nicht, dass es einfach wird. Phyre ist keine unendliche Feier mit Speis und Trank, wie die Krieger glauben. Es ist ein realer Ort, ein anderer Ort, mit anderen Regeln, aber dieser Welt gar nicht so unähnlich. Was ich damit sagen will: Dort lauern Gefahren.«
»Gefahren? Wie kann es dort gefährlich sein? Es ist ja nicht so, als könnte man sterben. Ich meine, man ist ja schon tot, oder nicht?«
»Es gibt Schlimmeres als den Tod, und natürlich kann man sterben. Wenn ihr es nicht zurückschafft oder nicht schnell genug, bevor eure Körper verwesen, bleibt ihr für immer in Phyre. Dann wärt ihr tot … für immer. Und …«
»Und was?«
»Der Schlüssel.«
»Was ist damit?«
»Er öffnet alle Türen in Phyre.«
»Das habt Ihr schon gesagt.«
»Ja, weil du verstehen musst, dass es dort unten Wesen gibt, die gerne entkommen würden, die den Schlüssel an sich bringen wollen, um nach Elan zurückzukehren. Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass das auf die meisten zutrifft. Und glaube mir, dort unten gibt es so einige, die auf gar keinen Fall ausbrechen dürfen. Den Schlüssel nach Phyre zu bringen ist aus so vielen Gründen gefährlich, dass du es dir nicht einmal annähernd vorstellen kannst. Selbst ich kann nicht vollständig begreifen, welchen Gefahren sich deine Freunde dort aussetzen werden.« Muriel schnaubte aufgebracht, während sie noch fester schrubbte, dann aufgab und ihren Lappen gegen den Topf schleuderte.
»Ich kann nicht glauben, dass er ihr diesen Schlüssel gegeben hat! Es ist … einfach so unverantwortlich! Aber es sieht ihm so ähnlich.« Sie wischte sich mit einem Arm das Haar aus dem Gesicht. »Bist du sicher, dass sie so einer Aufgabe gewachsen sind?« Muriel sah Moya zweifelnd an. »Du bist mutig. Das sehe ich, obwohl ich dich erst seit Kurzem kenne. Das, was euch in Phyre erwartet, ist genau deine Stärke. Jemand wie du wird dort gebraucht. Aber was ist mit ihnen?« Sie nickte in Richtung der Gruppe vor dem Feuer. »Ich bezweifle, dass es dem Zufall zuzuschreiben ist, dass du die Erste warst, die durch meine Tür kam.«
»Ihr findet, ich sollte sie begleiten?«
Muriel schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke, dass keiner von euch gehen sollte … nicht mit diesem Schlüssel.«
Moya hob den Lappen auf und gab ihn Muriel.
»Was meinst du denn?«, fragte Muriel.
»Ich weiß nicht.« Moya seufzte. »Unser Auftrag war, herauszufinden, ob es einen Weg nach Estramnadon gibt, und unserer Anführerin zu berichten. Jetzt fühlt es sich so an, als wäre ich in eine Falle getappt – wir alle.«
»Das ist meinem Vater zuzuschreiben. Er lässt eine Eichel fallen, und dann, dreihundert Jahre später, fällt die Eiche, die daraus wuchs, um und tötet praktischerweise jemanden, den er tot sehen wollte.«
Moya schüttelte traurig den Kopf.
»Was ist los?«
»Ich stehe in einer Hütte mitten im Nirgendwo und spreche mit einer Legende, von der ich dachte, dass sie nur entstanden ist, um kleinen Kindern Angst einzujagen. Ach ja, und diese Person unterhält sich gelegentlich mit den Toten und ist angeblich unsterblich. Und sie hat mir gerade erzählt, dass ein Kerl, den ich seit sieben Jahren kenne, ihr Vater ist. Dann ist da noch Tressa, die größte Lügnerin, die ich je kannte, die mir weismachen will, dass derselbe Kerl von ihr verlangt, gemeinsam mit sieben anderen zu sterben, was, nicht zu vergessen, unserer Freundin Suri das Leben retten soll. Wie soll ich denn bitte reagieren?«
Muriel antwortete nicht. Sie spülte den Topf aus, trocknete ihn ab und hängte ihn an einen Haken.
Moya warf Tekchin einen Blick zu, der sie eindringlich beobachtete. Er hört wahrscheinlich alles, was wir sagen.
»Er hat gesagt, dass insgesamt acht gehen müssen?«, fragte Muriel. »Diese acht?«
»Das hat Tressa gesagt.«
»Und du vertraust ihr nicht?«
»Keine Sekunde lang. Alles, was sie uns erzählt hat, war gelogen, sie hat uns an der Nase herumgeführt, uns Informationen vorenthalten. Wir sind ursprünglich aufgebrochen, um eine Passage zu finden, durch die wir eine Armee schicken können. Sie wusste von Anfang an, dass das unmöglich ist. Sie hat uns nie gesagt, dass wir sterben müssen, und auch kein Wort über den Schlüssel verloren. Was hat sie uns noch verschwiegen?«
Muriel zwang sich zu einem schwachen Lächeln. »Vielleicht sollte ich mehr Tee aufsetzen?«
Moya glaubte, dass sie mehr als nur Tee brauchen würde.
Sie gesellte sich wieder zu dem kleinen Kreis vor dem Feuer. Alle starrten in die tanzenden Flammen. Tekchin sah zu ihr auf.
Das Feuer erleuchtete die Narbe auf der einen Seite seines Gesichts. Moya hatte immer gefunden, dass die Narbe ihn realer aussehen ließ, menschlicher als die anderen Galantianer. Nun konnte sie nur daran denken, wie schmerzhaft die Wunde gewesen sein musste.
Sie kannte nicht die ganze Geschichte. Sie hatte etwas mit Berg-Goblins zu tun, aber er hatte ihr nie alles verraten. Trotz all seines prahlerischen Getues sprach er nicht viel über seine Abenteuer – zumindest nicht mit ihr. Tekchin war oft laut, fast als wäre die Stille sein Feind, doch er war auf dieser Reise ungewöhnlich still gewesen – still und wachsam. Sein Blick folgte ihr überallhin, doch darin lag nicht wie gewöhnlich die Lust auf sie. Auf seinem Gesicht zeichnete sich auch nicht dieses vertraute, gefährliche Grinsen ab, das ihn so anziehend machte. Er schien sie zu beobachten, sich einzuprägen, wie sie aussah, als ob er sich sehr bald daran erinnern müsste. Es kam Moya so vor, als wüsste er etwas, was sie nicht wusste. Sie schenkte ihm ein kurzes Lächeln, um ihm mitzuteilen, dass sie ihn nicht vergessen hatte, und setzte sich dann neben Roan und Gifford. Die beiden saßen Schulter an Schulter im Schneidersitz vor der Feuerstelle. Genau wie die anderen starrten sie mit melancholischen Mienen in die Flammen. Die düstere Stimmung wurde durch das flackernde Licht noch verstärkt.
»Tu es nicht, Roan«, sagte Moya leise. Sie saß dicht neben ihr, achtete aber darauf, Roan nicht zu berühren. »Muriel hat gesagt, dass es gefährlich sein könnte.«
»Ich vertraue Malcolm«, antwortete Roan leise, den Blick weiterhin auf die Flammen gerichtet, als spräche sie zu ihnen.
»Na schön, nehmen wir mal an, dass Malcolm wirklich der ist, den Tressa und Muriel in ihm sehen. Dann kann ich eure Unterwürfigkeit ja verstehen. Aber es ist ja nicht so, dass er dich persönlich aufgesucht und dir aufgetragen hat, zu gehen. Du kannst nicht wissen, ob Tressas Geschichte wirklich von ihm stammt oder ob alles nur gelogen ist. Wir sprechen hier schließlich von Tressa, und du kennst sie nicht so gut wie ich. Sie lügt. Sie hat versucht, Persephone zu töten.«
Roan wandte sich ihr zu. »Sie hat Etons Schlüssel, Moya. Wie sollte das eine Lüge sein?«
»Sie hat ein Stück Metall um den Hals. Vielleicht ist das alles, was es ist.«
»Die Hexe von Tetlin hat gesagt, dass es Etons Schlüssel ist«, sagte Gifford. »Willst du etwa sagen, dass Twessa und
die Hexe planen, uns zu töten? Denn dafü- hätten wi- nicht den ganzen Weg du-ch den Sumpf kommen müssen.«
Moya seufzte. »Ich will einfach nicht, dass ihr sterbt. Wenn das alles wahr ist, wenn man wirklich durch die Unterwelt zur Fhrey-Stadt laufen kann, dann sollten wir uns an den Plan halten und zurückgehen, um Persephone alles zu erklären. Sie kann einer ganzen Legion den Schlüssel geben und sie hineinschicken.«
Roan schüttelte den Kopf. »Tressa und sieben
andere.«
Moya wollte schreien, aber sie behielt sich im Griff und atmete stattdessen nur einmal tief durch.
»Vor nicht allzu langer Zeit ist Persephone nach Neith gegangen, um Waffen zu besorgen. Sie hat keine Legion mitgenommen, brauchte keine. Vielleicht ist es jetzt dasselbe.«
»Entschuldige, wenn sich das gemein anhört, aber es ist unmöglich, dass ihr zwei und Tressa das alles schafft. Ich bezweifle ja sogar, dass ihr es zu dritt von hier bis zurück zum Drachenlager schaffen würdet. Muriel meint, dass es gefährlich werden wird.«
Roan und Gifford starrten beide wieder ins Feuer, hörten ihr aber zu. Ihnen blieb ja keine Wahl.
»Denkt doch mal darüber nach, was ihr da vorhabt. Ihr werdet sterben, durch Rel, Nifrel und Alysin reisen und in der Fhrey-Hauptstadt als was rauskommen? Als Geister? Und dann was? Wie wollt ihr denn dann irgendetwas schaffen?«
»Das werden wir herausfinden, wenn wir dort ankommen«, antwortete Roan. »Malcolm hätte uns sonst nicht geschickt. Also gehe ich mit.«
»Ich auch«, sagte Gifford.
»Und ich«, sagte Regen.
Alle wandten sich ihm zu, und Gifford schenkte dem Zwerg ein Lächeln.
»’tschuldigung.« Regen senkte ertappt den Kopf. »Ihr sitzt nicht so weit weg, und es ist schwer, nicht zuzuhören.«
»Warum?«, fragte Moya ihn. »Gehst du mit, weil alle ständig davon reden, dass Malcolm ein Gott ist? Weil du in der Schmiede warst, als Suri den Gilarabrywn geschaffen hat?«
»Schon, aber hauptsächlich wegen meiner Träume. Sie sind schlimmer geworden, seit wir den Sumpf betreten haben. Sie ruft ständig nach mir. Sagt, dass ich zu ihr runterkommen soll. Ich dachte immer, es hieße, dass ich graben muss, aber jetzt glaube ich das nicht mehr – ich glaube, niemand kann so tief graben. Sie ist wahrscheinlich tot, und ich kann sie nur auf diese Weise erreichen.«
»Sie?«
, fragte Gifford.
Regen schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, wer sie ist, aber ich habe schon mein ganzes Leben diese Visionen von ihr. Deshalb wurde ich überhaupt zum Gräber. Seit ich klein bin, versuche ich schon, zu ihr zu gelangen.«
»Das wären dann also vier«, sagte Roan.
»Hör auf!«, entfuhr es Moya. Sie sprang auf. »Hör einfach auf, Roan, klar? Hör auf.« Moya war wütend, frustriert, aber vor allem hatte sie furchtbare Angst. Es fühlte sich so an, als würde dieser Wagen, der nichts als Absurditäten geladen hatte, einen Hang hinunterfahren, und sie könnte ihn nicht aufhalten, geschweige denn verlangsamen. »Ich habe Persephone versprochen, auf euch aufzupassen.« Sie wollte noch mehr sagen, doch als sie in ihre ausdruckslosen Gesichter sah, wusste sie, dass es nichts bringen würde.
So ging sie zu Tekchin zurück, der immer noch auf der anderen Seite des Raums saß. Sie ließ sich neben ihn auf den Boden fallen.
»Was denkst du?«, fragte er.
Moya winkte Tesh und Brin heran und sprach dann im Flüsterton. »Roan, Gifford und Regen haben vor, sich zusammen mit Tressa umzubringen. Dafür sind wir nicht hergekommen. Ich kann es nicht erlauben. Ich glaube, dass wir womöglich Gewalt anwenden müssen, um sie dazu zu bringen, mit uns zurückzugehen.«
»Moya …« Brin sah schockiert aus. »Was willst du denn tun? Sie fesseln?«
»Wenn nötig, ja.« Moya war ganz heiß vor Wut – sie war nicht in der besten Verfassung, um Entscheidungen zu treffen, das wusste sie. Und doch hatte sie keine andere Wahl. Sie ließen ihr keine. »Hört zu, Tesh kann Gifford im Auge behalten, und Tekchin hält Regen fest. Ich kümmere mich um Tressa.«
»Und Roan?«, fragte Brin. »Was soll ich tun? Sie zu Boden ringen? Sie unten halten, damit du sie fesseln kannst? Bevor wir anfangen, frage ich Muriel lieber noch nach Wachs für die Ohren, damit ich nicht taub werde von all dem Geschrei. Gifford kann sie berühren, ja, aber niemand anderes. Du weißt doch, wie sie früher war. Vielleicht ist es immer noch so. Und wenn sie wirklich anfängt, glaubst du, Gifford wird einfach nur danebenstehen und zusehen? Tesh wird ihn überwältigen müssen, und Gifford ist stärker, als er aussieht. Wenn du Roan wehtust, wird er den Verstand verlieren. Hast du vergessen, wie schlimm er verprügelt wurde, als er den Speer zurückgab, den Roan sich genommen hatte?« Brin hielt inne und holte tief Luft. »Moya, erwartest du wirklich von uns, dass wir einander bekämpfen?«
Moya hatte überhaupt nichts vergessen. Sie erinnerte sich nur zu gut daran, wie sie zugelassen hatte, dass Eres Gifford beinahe getötet hatte. Wie sie stumm zugesehen hatte und wie sie sich geschworen hatte, das niemals wieder zu tun. Und doch …
»Was willst du, Brin? Ich kann nicht zulassen, dass sie sich umbringen!«, sagte sie laut, viel zu laut. Köpfe drehten sich ihr zu.
Tressa, die wie immer abseits von den anderen am Fenster saß, stand auf.
»Ich bin ziemlich sicher, dass du es kannst.«
»Tressa! Du Schlange!« Moya sprang auf und funkelte sie an.
»Acht müssen gehen«, erinnerte Roan sie. Mit ihrer pausenlosen Besessenheit von Zahlen brachte sie das Fass zum Überlaufen.
»Lass es doch endlich gut sein, Roan!«
Tressa durchquerte den Raum, während Muriel stumm zusah. »Ich glaube, dass wir lange genug gewartet haben. Wir sollten es jetzt tun. Malcolm hat mir gesagt, dass der Eingang nach Rel in dem Tümpel liegt, der …«
»Ich weiß, welcher es ist«, sagte Muriel. »Er liegt gleich da draußen, den Pfad hinunter. Ich zeige ihn euch.«
Schweigend nahm sie dann einen schweren Umhang vom Haken, legte ihn sich um und setzte die Kapuze auf. Sie endete in einer Spitze, und so sah Muriel zum ersten Mal ein wenig wie eine Hexe aus. Sie wählte einen gut gearbeiteten, robusten Korb mit Deckel von einem Stapel neben der Tür aus. Dann griff sie auch nach einer Laterne. »Folgt mir.«
Während die anderen sich reisefertig machten, ging Muriel zu einem eingezäunten Pferch hinter der Hütte und packte eine kleine weiße Ente mit gelbem Schnabel. Sie zwängte das sich windende Tier in den Korb und schloss ihn wieder.
Dann ging sie den Pfad hinunter zu dem stehenden Stein, wo sie auf die anderen wartete. Die Welt war dunkel, kalt und feucht. Es hatte längst aufgehört zu regnen, doch es tropfte immer noch von den Bäumen. Während sie auf die Nachzügler warteten, setzte Moya die Kapuze ihres Umhangs auf und zog sich die Wolle enger um die Schultern. Trotzdem zitterte sie.
Die Hexe hob die Laterne an, während sie auf Roan und Gifford warteten. Der Korb, der von ihrem Arm baumelte, zuckte hin und her.
»Warum die Ente?«, fragte Tesh.
»Ihr werdet sie brauchen«, war alles, was Muriel sagte. Als Gifford endlich zu ihnen aufgeschlossen hatte, drehte sie sich um und folgte dem Pfad, an dem sie auf dem Weg zur Hütte vorbeigekommen waren.
»Wir brauchen eine Ente?«, fragte Regen.
Muriel lächelte nur.
Der Pfad wand sich in einem weiten Bogen den Hügel hinab und endete in einem tiefen Sumpf. Es war unmöglich, die Pfützen zu umgehen, und so waren Moyas Füße bald völlig durchnässt. Die Luft wurde noch feuchter – Moya hatte bis dahin geglaubt, dass das unmöglich wäre. Die Bäume wurden kleiner, gedrungene Dinger mit gekrümmten Stämmen, verdrehten Ästen und bewachsen mit knollenartigen Pflanzen. Brombeersträucher mit langen, rasiermesserscharfen Dornen wuchsen überall, und das hohe Gras erinnerte an das spröde Haar lange Verstorbener.
»An diesem Ort sind sich die beiden Welten am nächsten«, erklärte Muriel, während sie vorausging und die Laterne viel zu unbeschwert schwenkte. »Nur ein dünner Schleier trennt Elan hier von der Unterwelt. Phyre brodelt unter uns und läuft immer wieder in unsere Welt über wie eine giftige Quelle. Und diese übergriffige Fäulnis schlägt sich auf die ganze Umgebung nieder. So wie ein Teich eine Oase des Lebens ist, ist diese Insel die Folge des sich hier befindenden Durchgangs. Nichts ist hier, wie es sein sollte. Nichts ist natürlich
.«
»Sagt doch einfach, dass es gruselig ist«, sagte Moya. »Wohnt Ihr deshalb hier? Ich meine, weil keine vernünftige Person sich je hierherwagen würde?«
»Zum Teil, ja«, sagte Muriel. »Aber das ist eher ein positiver Nebeneffekt. Wie schon gesagt, kann ich mich durch den Schleier mit meinen Nachbarn unterhalten. Ich kam vor langer Zeit her, in der Hoffnung, mit jemandem Bestimmten zu sprechen.«
»Hat nicht funktioniert?«
Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich habe festgestellt, dass ich gebraucht werde. Die Hexe von Tetlin hat eine Bestimmung.«
»Den kürzlich Verstorbenen Steine zu geben?«
»Ihnen zu helfen.« Muriel nickte und sprang über einen gefallenen Zweig. »Die Steine sind nur ein Symbol. Etwas, das man mit auf die andere Seite nehmen kann. Nach dem Tod denken die Leute immer noch wie während ihrer Zeit in Elan, denn sie kennen nichts anderes. Die verlorenen Seelen nehmen nicht die Steine selbst, aber das Symbol, das Konzept dahinter mit, das ihnen hilft, nach Phyre hinunterzusinken.«
Moya wunderte sich darüber, wie normal sie wirkte, wie ungezwungen und freundlich. Die berüchtigte Hexe von Tetlin hätte eine Freundin von ihr sein können, und sie hätte gut zu Seph und den anderen gepasst.
»Das mag dir nicht wichtig erscheinen. Die meisten Leute verschwenden nicht viele Gedanken an den Tod. Aber stell dir nur mal vor, du lebst fröhlich vor dich hin und gehst eines Tages Blumen pflücken oder Wasser holen und – zack! Du stirbst. Vielleicht wirst du von einem wilden Tier angefallen. Vielleicht brichst du im Eis ein. Dein Tod könnte tausend verschiedene Ursachen haben, manche davon sind wirklich lächerlich, wie beispielsweise wenn man auf einem Stein ausrutscht und sich den Kopf anschlägt. Das Problem ist, dass niemand wusste, dass du unterwegs warst. Niemand weiß, wo du bist. Sie finden deine Leiche nicht. Du wirst nicht begraben und bekommst keinen Stein. Und dann findest du dich auf einmal hier wieder.« Sie machte eine ausholende Armbewegung mit der Laterne in Richtung der Bäume. Der Henkel klirrte leise. »Wenn du auf einem feuchten Felsen ausgerutscht bist, hast du keine Ahnung, was passiert ist. Es ist möglich, sogar sehr wahrscheinlich, dass du gar nicht verstehst, dass du gestorben bist. Du bist verloren und allein. Vielleicht zum ersten Mal in deinem Leben.«
»Kann man nicht einfach« – Tekchin ließ den Blick über das Gras schweifen – »irgendeinen Stein aufheben?«
»Nein. Die Geister der Toten können nichts berühren, das zu Elan gehört.«
»Dann verstehe ich das nicht«, sagte Moya. »Wie können sie den Stein bei sich haben, mit dem sie begraben wurden?«
»Der Geist, den ihr im Sumpf getroffen habt, trug Kleidung, oder?«
Moya und Tekchin nickten.
»Aber die war nicht echt, richtig?«
Moya erinnerte sich daran, wie ihr Pfeil einfach durch Mieks hindurchgeflogen war, auch durch seine Kleider. Sie schüttelte den Kopf.
»Es war, was er trug, als er starb, und wie schon erwähnt, nimmt man seine Gedanken und Erinnerungen mit sich. Es dauert nicht lange, bis die Seelen Phyre erreichen. Deshalb ist es so wichtig, seine Lieben so schnell wie möglich mit einem Stein zu beerdigen. Wenn sie das Ende des Flusses erreichen und bemerken, dass sie einen Stein bei sich haben, wissen sie, dass sie gestorben sind. Es ist, als hätte man etwas immer wieder geübt, bis man genau weiß, wie man sich zu verhalten hat, selbst in Notfallsituationen. So funktionieren Beerdigungen.«
Moya versuchte, sich vorzustellen, wie es wohl sein mochte, plötzlich einen Stein in ihrer Hand vorzufinden. Selbst wenn sich alles andere um sie herum verändert hätte, wenn sie vom Rest der Welt abgeschnitten wäre, würde dieser Stein – egal, ob real oder nicht – ihr eine Erklärung dafür liefern, was geschehen war und was sie als Nächstes tun musste. Mehr noch wäre der Stein eine herzliche Verabschiedung, die ihr im Augenblick schlimmster Not Trost spenden würde. Moya stellte sich vor, wie ihr allein, völlig einsam und verängstigt der imaginäre Stein sogar ein paar Tränen entlocken würde.
Ich habe meiner Mutter keinen Stein gegeben und auch sonst niemand.
Nachdem sie die Beerdigung verlassen hatte, hatte sie einfach angenommen, dass irgendjemand sich darum kümmern würde. Vielleicht hatten sie geglaubt, dass es ihnen nicht zustünde, dass sie zurückkommen und es selbst tun würde. Schließlich oblag es ihrer Verantwortung. Meine Mutter hatte nichts, woran sie sich orientieren konnte. Wie schrecklich das gewesen sein muss! Und sie dachte, dass ich es absichtlich getan hätte, aus purer Boshaftigkeit. Aber so war es nicht. Meine Mutter wurde wegen meines Versäumnisses beinahe vom Nachleben ausgeschlossen.
»Jene, die ohne Steine hier auftauchen, sind normalerweise plötzlich gestorben«, fuhr Muriel fort. »Sie haben keine Zeit, ihren Tod zu verarbeiten. Also stehen sie hier, verwirrt. Deswegen komme ich regelmäßig diesen Pfad entlang, um nachzusehen. Oft höre ich sie weinen. Männer, Frauen, Kinder, sie tun es alle, weil sie nicht verstehen, was mit ihnen passiert ist. Andere, die etwas abenteuerlustiger sind und nach Nifrel kommen werden, kommen direkt zu meinem Haus. Wir sitzen zusammen und unterhalten uns. Bei manchen geht es sehr schnell. Andere brauchen Tage, bis sie sich endlich einen Stein nehmen. Ich weiß nicht warum, aber verschiedene Steine sprechen unterschiedliche Leute an. Darum habe ich auch so viele – um ihnen die Auswahl zu erleichtern. Der Stein bleibt, wo er ist, aber einer, der genauso aussieht, erscheint in ihrer Hand, und damit folgen sie dann diesem Pfad. Also, ja, der Sumpf und diese Insel sind nicht gerade schön, aber wenn ich nicht hier wäre, wenn ich das nicht tun würde, was würde dann mit ihnen passieren? Ich bin schon so lange auf der Welt, dass es schwer ist, etwas zu tun zu finden, das noch eine wirkliche Bedeutung hat, etwas beiträgt.«
Sie gingen immer weiter nach unten, folgten einer langen Spirale, umgeben von einer tiefen Schlucht voll tropfender Weiden, Dornenbüsche und schmaler Gräser. Die Luft wurde wärmer, trug allerdings auch einen unangenehmen Geruch mit sich, der von fauligem Wasser, verbranntem Haar und verrottenden Dingen zeugte. Moya konnte nichts dergleichen erkennen, aber etwas in der Dunkelheit vor sich fließen hören, ein vom Regen erzeugter Wasserfall. Dann, ohne Vorwarnung, erreichten sie den Grund.
Der Pfad endete vor einem schlammigen Tümpel, umgeben von Schilfrohr, Sumpfgras und sich träge neigenden Rohrkolben. Der Teich war nicht mehr als eine Pfütze, nicht breiter als fünf oder sechs Fuß, und gefüllt mit einer trüben, matschigen, zähflüssigen Masse, die auch das Gras darum herum braun färbte.
Muriel stellte Laterne und Korb daneben ab und wartete. Die anderen tauschten verwirrte Blicke.
Tressa war die Erste, die ihre Stimme wiederfand. »Wo ist der Eingang?«
»Gleich hier«, sagte die Hexe und zeigte auf die matschige Pfütze.
Dies beantwortete die Frage in etwa so gut, als hätte sie ihnen etwas vorgetanzt. Muriel schien sich überhaupt nicht unwohl zu fühlen oder auch nur überrascht zu sein. Stattdessen öffnete sie seelenruhig den Korb und rupfte ein paar Federn von der Ente. Diese wand sich und quakte laut, doch Muriel hielt sie fest. Dann band sie ein Stück Faden um den Hals des Tieres. Daran baumelte einer der kleinen Steine mit einem Loch in der Mitte. Ohne zu zögern, riss die Hexe die Ente aus dem Korb und warf sie in den zähflüssigen Schlamm.
Selbst in der Dunkelheit und mit der Laterne als einzige Lichtquelle konnten alle die leuchtend weiße Ente sehen, wie sie sich abmühte, mit ihren breiten Füßen ans Ufer zu paddeln. Sie kam jedoch kaum voran. Sie breitete die Flügel aus und schlug ein paarmal damit, um sich aus dem heimtückischen Schleim zu befreien. Stattdessen wurde sie aber nur tiefer und tiefer nach unten gezogen.
»Oh Große Mutter«, flüsterte Moya, während sie alle dabei zusahen, wie die quakende Ente um ihr Leben kämpfte. Trotz ihrer Bemühungen sank sie tiefer und tiefer, bis sich nur noch Hals und Kopf über der Oberfläche befanden. Sie reckte sich noch einmal nach oben, um einen letzten Atemzug zu nehmen, dann wurde sie vom Tümpel verschluckt.
Nachdem das Tier verschwunden war, starrten alle weiterhin auf die Oberfläche, bis die Hexe sich schließlich zu ihnen umdrehte und sagte: »Dies ist der Eingang nach Phyre.«
»Auf gar keinen verschissenen Fall!«, sagte Moya mit großen Augen. Sie schüttelte heftig den Kopf und trat sogar einen Schritt zurück. Unwillkürlich musste sie an Tressas Lied denken. Sollte dieser ganze Unfug darüber, in der Dunkelheit zu versinken, nicht lediglich dazu gedacht sein, kleinen Kindern Angst einzujagen? Das hier ist … es ist …
Muriel legte die Federn in den Korb, wo auch ein paar Steine lagen. Dann stellte sie ihn auf einem Schemel ab. »Alle, die gehen, sollten sich einen Stein und eine Feder nehmen. Der Stein wird euch helfen, nach Phyre zu gelangen, einzusinken. Wenn es wirklich möglich ist zurückzukehren, werdet ihr auch hier wieder herauskommen. Der Schlamm ist kalt und wird eure Körper unter der Oberfläche konservieren, wenigstens für ein paar Tage, glaube ich. Ich weiß es nicht mit Sicherheit. Was ihr vorhabt, wurde schließlich noch nie versucht. Wenn ihr zurückkehrt, werden sie hoffentlich noch so sein, wie ihr sie zurückgelassen habt.«
»Wofür sind die Federn?«, fragte Tressa.
Muriel nahm eine in die Hand, hielt sie hoch und drehte sie. »So wie ein Stein symbolisch ein Gewicht darstellt, das euch nach unten zieht, ist die Feder ein Symbol für Leichtigkeit, dafür, aufzusteigen und wiedergeboren zu werden. Ihr werdet die echten Federn nicht bei euch haben, allein der Gedanke daran sollte euch aber helfen. Wie meine Nachbarn mir erzählen, können in Phyre Gedanken wahr werden. Vergesst nicht, dass ich noch nie dort war und sie lügen könnten, aber ich sehe nicht, warum sie das tun sollten.«
Muriel legte die Feder in den Korb zurück und erhob sich. Sie wartete.
Niemand näherte sich ihr.
Moya schüttelte immer noch den Kopf. »Auf gar keinen Fall.« Sie sah Roan und Gifford an. »Auf keinen Fall.«
»Was habt ihr denn erwartet?«, fragte Muriel. Ihre unbeschwerte, freundliche Art schien nun viel weniger liebenswert, nachdem sie die Ente hatten verschwinden sehen.
»Eine Höhle oder vielleicht ein Loch, aber das hier … das ist einfach …«
»Eklig«, beendet Gifford ihren Satz.
»Ja, genau!«
»Es ist ein Übergang«, sagte Muriel, »ein Eingang, und alle Wege, die nach Pyhre führen, sind gleich.«
»Tut mir leid, aber das ist einfach – nein. Ihr wollt, dass wir uns im Matsch ertränken? Das ist einfach nur verrückt«, sagte Moya.
»Ich will überhaupt nichts von euch. Ihr seid zu mir gekommen. Nur die Toten haben Zugang. Ist es nicht egal, wie ihr sterbt?« Muriel sprach so seelenruhig, dass es Moya wütend machte. Was sie hörte, klang vielmehr wie: Was ist denn, Kleines? Man kann schließlich keinen Kuchen backen, ohne ein paar Eier zu zerschlagen.
Alle starrten den Tümpel an, und während sie starrten, formte der Schleim sich zu Blasen, die zerplatzten und in alle Richtungen spritzten. Als würde der Tümpel nach seinem Mahl rülpsen.
»Nein, einfach nein.« Moya schüttelte wieder den Kopf – oder hatte sie gar nicht erst damit aufgehört, seitdem die Ente versunken war? Ihre Stirn war so stark gerunzelt, dass ihr Gesicht schon wehtat. »Tut mir ja leid, dass Ihr eine Ente darauf verschwendet habt, aber das ist einfach unmöglich. Auf gar keinen Fall!«
»Es sieht sehr unangenehm aus«, pflichtete Gifford ihr bei. Sein Gesicht war ebenso verzerrt.
»Ich hab sowieso nie geglaubt, dass einer von euch es bis zum Ende durchziehen würde«, sagte Tesh, erstaunlich frohen Mutes. »Obwohl ich zugeben muss, dass ihr mir für eine Weile wirklich Sorgen bereitet habt.«
»Na ja, also dann …« Moya zog sich noch weiter zurück. Sie lief dabei in Brin hinein, die hinter ihr stand, und zuckte vor Schreck zusammen. »Tressa, du wusstest doch nicht etwa, dass es so sein würde, oder?«
Tressa antwortete nicht. Sie starrte nur weiter auf den Tümpel.
»Also, was tun wir jetzt?«, fragte Tesh. »Es bringt ja nichts, hier herumzustehen, wenn …«
»Gehen wi- einfach zuwück?«, fragte Gifford Roan. Er hörte sich eher hoffnungsvoll als enttäuscht an.
»Ich … äh …«, murmelte Roan. »Ich denke schon.«
»Malcolm hätte uns nicht hergeschickt, wenn es nicht notwendig wäre«, sagte Tressa. Ihre Stimme klang schicksalsträchtig, laut und klar.
»Von mir aus kann Malcolm ein Schwein besteigen«, rief Moya.
»Aber mal ehrlich«, warf Regen ein, »wie hätte er uns hiervon
erzählen können?«
»Er hat recht«, sagte Tesh. »Man muss es schon mit eigenen Augen gesehen haben.«
»Deshalb habe ich die Ente mitgebracht«, erklärte Muriel. »Und für die Federn.«
»Wir müssen ihm vertrauen«, sagte Tressa beharrlich und trat einen Schritt vor.
»Tressa?«, rief Moya ihr nervös hinterher.
»Es ist genau dasselbe wie mit Raithe«, sagte Tressa, »nur schlimmer.«
Moya wurde klar, dass sie mit keinem von ihnen sprach. Sie machte es mit sich selbst aus. »Er wusste es.«
»Tressa, was machst du da?«
Zur Erleichterung aller drehte Tressa sich zu ihnen um, doch der Moment währte nur kurz, bis sie den Ausdruck in ihren Augen sahen. Sie beugte sich vor und nahm ein paar Dinge aus dem Korb. Als sie sich wieder aufrichtete, hielt sie einen Stein in der einen und eine Feder in der anderen Hand. Sie schien zu allem entschlossen.
»Er hat das für mich getan. Seht ihr es denn nicht? Für euch alle habe ich nicht mehr existiert. Aber nicht für Malcolm. Er hat mir diese Chance gegeben. Jetzt ist es meine Aufgabe, sie zu ergreifen. Er hat gesagt, dass es nicht einfach werden würde. Dass es schlimmer wäre als das, was Raithe erleiden musste. Seht ihr es nicht? Dies ist meine Chance. Mein einziger Ausweg. Wenn ich sie nicht ergreife, was bin ich dann? Wie kann ich so weiterleben wie bisher? Da könnte ich … dann könnte ich auch gleich tot sein.« Rückwärts machte sie einen weiteren Schritt auf den Tümpel zu.
»Tressa, wage es ja nicht«, sagte Moya.
»Es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe, Moya, euch alle. Aber deshalb hat er mich auserwählt. Wenn man eine Mauer bauen will, braucht man einen Maurer. Und wenn man gute Menschen hintergehen will, braucht man mich. Ich warte ein bisschen, falls … falls jemand von euch es sich anders überlegt.« Tressa sprach hauptsächlich zu Gifford und Roan. »Wenn niemand mitkommt, werde ich mich allein auf den Weg zu Suri machen. Ich verstehe, wenn ihr nicht mehr mitkommen wollt. Ihr alle habt Leben, in die ihr zurückkehren könnt. Nur ich habe keins.«
»Tressa!« Moya warf sich vor, doch sie war zu weit entfernt, und Tressa stand am Rande des Tümpels.
Brin schrie auf, als Tressa in den Tümpel sprang. Sie traf mit einem Platschen auf der Oberfläche auf. Da sie hart aufschlug und viel schwerer als die Ente war, wurde sie sofort bis zur Hüfte verschluckt.
»Tressa!«, rief Moya erneut und fuhr dann völlig außer sich zu den anderen herum. »Gebt mir ein Seil! Ein Seil!«
Doch es gab keins.
Moya suchte die Bäume ab. Sie sprang hoch, zog an Schlingpflanzen, riss sie von Stämmen. Tesh und Tekchin halfen ihr, und gemeinsam warfen sie Tressa eine zu. Sie war bereits bis zu den Schultern eingesunken.
»Halt dich daran fest!«, befahl Moya ihr.
Tressa schüttelte abgehackt den Kopf. Sie hatte die Lippen zusammengepresst, starrte stur geradeaus und atmete laut durch die Nase. Sie war steif vor Angst.
Brin fiel auf die Knie und bedeckte ihren Mund mit den Händen. »Tressa … oh Heilige Mutter … Tressa.«
Als der dunkle Schlamm ihr bis zum Hals reichte, erhellte ein Lächeln Tressas Züge. »Malcolm ist wirklich ein Gott.«
Sie schnappte ein allerletztes Mal nach Luft. Dann sahen alle dabei zu, wie Tressa genau wie die Ente verschlungen wurde.
»Tressa, du dämliches Miststück!« Moya befand sich auf Händen und Knien und schluchzte am Rande des Tümpels. Sie hielt immer noch die Schlingpflanze umklammert. »Warum hast du das getan? Warum?«
Sie war nicht die Einzige, die weinte. Brin, Roan und Gifford standen ebenfalls Tränen in den Augen. Vielleicht ging es allen so. Moya konnte nichts mehr erkennen. Doch sie war die Lauteste, daran bestand kein Zweifel. Schon lag sie mit dem Gesicht im Gras, schlug mit beiden Fäusten auf den Boden ein, als wäre es seine Schuld. Als das nicht half, begann sie, ganze Grasbüschel auszureißen. »Tressa, warum hast du das getan?«
Einige Zeit sagte niemand etwas, doch die natürlichen Geräusche des Tümpels wurden von Schluchzern übertönt. Aber vielleicht
, dachte Moya, als ihr auffiel, dass sie an diesem Ort kein einziges Mal Grillen zirpen oder Frösche quaken gehört hatte, ersetzt an diesem Ort der Klang unseres Leids das Lied der Nacht.
Als das Schluchzen sich schließlich in leises Wimmern verwandelte, wischte Moya sich mit einem Zipfel ihres Umhangs über das Gesicht. Da hörte sie Giffords Stimme.
»Woan?«
Roan machte einen Schritt auf den Tümpel zu.
»Roan?«, wiederholte Moya Giffords Frage. »Was tust du?«
»Ich kann Tressa nicht allein gehen lassen.« Roan klang entschuldigend, Tränen liefen ihr über die Wangen.
Alle Köpfe hoben sich.
Gifford nahm zwei Steine und zwei Federn aus Muriels Korb und stellte sich neben Roan. »Ich gehe mit dir.«
Roan schüttelte den Kopf. »Nein. Du glaubst nicht an Malcolm. Das sehe ich dir an. Du sorgst dich, hast Angst – du kannst es nur nicht aussprechen.«
»Ich muss nicht an ihn glauben. Ich glaube an dich, Woan. Und Twessa ist meine Fweundin.«
»Roan, Gifford«, unterbrach Tesh sie. »Tressa ist tot, ihr könnt nichts mehr für sie tun.«
»Sie hat dich früher immer als Missgeburt bezeichnet«, sagte Moya. »Erinnerst du dich?«
Gifford nickte. »Ich weiß, abe- sie hat es ande-s gesagt. Twessa wusste, dass sie auch eine Missgebu-t wa-.«
Er wandte sich wieder Roan zu, die ihn mit glasigen Augen und zitternder Lippe ansah. »Ohne dich wü-de ich ste-ben. Ich habe nicht gelebt, bis wi- uns bewüh-ten, bis du mi- ve-twaut hast. Woan, jetzt kann ich nicht meh- ohne dich leben. Ich kann nicht.« Er sog scharf die Luft ein. »Wenn du mich zuwücklässt, ste-be ich … also können wi- auch gleich zusammen gehen.«
»Roan, Gifford, nein.« Moya schüttelte schon wieder den Kopf, doch diesmal langsamer. Es fühlte sich nur noch hilflos an.
»Vielleicht stimmt es, was Twessa übe- Malcolm gesagt hat«, sagte Gifford. »Wenn nicht …«, er sah Roan an, während ihm die Tränen über das Gesicht liefen. »Ich beweue nichts. Auße- eins. Ich habe dich nie geküsst.«
Mit zitternden Lippen und tränennassen Augen stellte Roan sich auf die Zehenspitzen. Sie legte beide Hände an seine Wangen und zog Giffords Gesicht an ihres, um ihn zum ersten Mal zu küssen.
Als sie ihn wieder losließ, lächelte Gifford. »Gut«, sagte er. »Jetzt gibt es nichts zu beweuen.«
»Ich liebe dich, Gifford.«
»Ich liebe dich auch, Woan. Schon imme-. Und fü- imme-.«
Beide wandten sich dem Tümpel zu.
»Also gut«, sagte Gifford mit einem entschiedenen Nicken und hielt die Steine und Federn vor sich. »Zusammen.«
Roan nahm ihm je eins aus der Hand.
»Bitte nicht«, sagte Moya, doch ihre Stimme war nicht mehr viel lauter als ein schwaches Wispern.
Die anderen sahen vor Schock schweigend zu, als Roan und Gifford einander bei der Hand nahmen und in den Schlamm wateten. Langsam begannen sie zu versinken, während sie sich einmal mehr umarmten. »Verabschiede dich für mich von Frost und Flut«, sagte Roan mit zitternder Stimme zu Regen. Ein kurzer Schrei entwich ihr, als der Schleim bis zu ihren Schultern kroch. Als er ihr bis zu ihrem Kinn reichte, küssten Gifford und Roan sich einmal mehr und tauchten dann unter.
»Bei Tetlins Hexe!«, schrie Moya und schlug erneut auf das Gras ein. Sie kniete immer noch, presste ihre Stirn gegen die Erde, während sie Mühe hatte zu atmen. Sie schluchzte heftig, schniefte und schnappte nach Luft. Als sie aufsah, fiel ihr Blick auf Muriel, die immer noch neben dem Korb stand. »Verzeihung. Es tut mir leid. Ich bin einfach gerade sehr, sehr traurig.«
Muriel sagte nichts. Sie hatte eine Hand an die Lippen gehoben, und Moya war überrascht, Tränenspuren auf ihren Wangen zu sehen. Anscheinend war Weinen eine ansteckende Angelegenheit, gegen die selbst die Hexe von Tetlin nicht immun war.
»Verdammt sei Tetlin!« Moya schlug mit beiden Händen auf den Boden, stand auf und sah sich um.
»Wonach suchst du, Moya?«, fragte Muriel.
»Als ob Ihr das nicht wüsstet«, fuhr Moya sie an.
Muriel griff in ihren Korb, fischte einen Stein heraus und reichte ihn ihr.
Moya schnappte sich den Stein und sah dann Tekchin an. Sie konnte selbst kaum glauben, was sie als Nächstes sagen würde, aber sie wusste, dass es für ihn noch schwerer war. »Hör mal, du wirst noch ein paar Tausend Jahre oder so leben, und ich wäre sowieso in etwa dreißig Jahren gestorben, wenn ich Glück habe. Wäre den Aufwand sowieso nicht wert gewesen. Du hättest mir beim Altern zusehen müssen. Und dann hättest du mich sowieso sterben lassen müssen. Daran hast du sicher auch schon mal gedacht.«
»Habe ich«, antwortete Tekchin. Er klang weder schockiert noch besorgt. Der Galantianer sah nicht einmal traurig aus. Alle anderen weinten, selbst Tesh und Regen, doch Tekchins Augen waren trocken wie eine Wüste. Seine knappe Antwort war genauso leichthin wie immer.
»Na schön.« Es schmerzte sie, dass Tekchin es auf die leichte Schulter nahm. Sie hatte es zwar gehofft, doch ihr wurde nun klar, dass es möglich war, zu
mutig zu sein. Und das war nichts Gutes. »Also, dann macht es dir nichts aus … wenn ich …?«
»Ich komme mit dir.«
»Oh – nein! Ganz sicher nicht! Das wäre so unglaublich dumm. Ich kann gar nicht aufzählen, auf wie viele Arten das dumm wäre. Roan hätte das geschafft, aber da sie tot ist, ist niemand mehr da, der das kann. Es wäre die Verschwendung eines langen Lebens. Du musst die anderen zurückführen.«
»Ich komme mit dir«, wiederholte Tekchin unbeschwert. Noch immer zeigte sich keine Angst, keine Sorge auf seinem Gesicht, nur das typische, lächerlich mutige galantianische Gehabe.
»Nein! Hörst du denn nicht? Du kommst nicht mit! Du hast ganze Jahrhunderte zu leben, Dutzende Menschenleben liegen vor dir. Du musst das nicht tun.«
»Tu ich aber. Und ihr werdet mich brauchen, wenn ihr es nach Estramnadon schafft. Keiner von euch spricht Fhrey.«
»Nein.« Moya ging auf ihn zu und nahm sein Gesicht in beide Hände. Sie weinte. »Ich kann dir nicht so viel bedeuten. Unmöglich. Ich bin eine Rhune. Eine lausige, großmäulige Rhune. Die meisten Menschen mögen mich ja nicht einmal. Vor allem die Soldaten. Sie hassen es, dass eine Frau Schild der Keenigin ist. Stimmt’s, Tesh?«
»Ich hasse dich nicht«, sagte Tesh. »Ich habe dich immer respektiert und zu dir aufgesehen.«
»Was im Namen von Tetlin weißt du schon, du verdammter Bastard! Hör nicht auf ihn.« Moya fuhr sich mit ihren schlammigen Händen über die Augen und schmierte sich alles ins Gesicht. »Ich bin nichts. Nicht mal meine eigene Mutter hat mich geliebt. Und du – du hast noch Jahrhunderte vor dir. Du wirst dich nicht mal an meinen Namen erinnern. Ich werde nur ein winziger Bruchteil eines Augenblicks in deinem Leben sein, den du vergessen wirst. Es wird andere Rhunes, Fhrey und vielleicht sogar Zwerginnen in deinem Leben geben. Letztere sind angeblich recht attraktiv. Wusstest du das? Natürlich. Du musst vor mir Hunderte Herzen erobert haben, und du wirst Tausende mehr haben.«
»Nee«, sagte er und nahm sie fest in die Arme. »Du warst meine Erste und ich denke auch meine Einzige.«
»Was?« Moyas Augenbrauen schossen in die Höhe. »Nein, das ist unmöglich.« Sie schüttelte den Kopf. »Du lügst. Es ist unmöglich, dass du Jungfrau warst, als wir uns kennenlernten.«
»Das meine ich damit nicht.« Tekchin schüttelte den Kopf. »Du bist meine erste große Liebe.«
Moya starrte ihn weiter an. Sie war verwirrt. Nichts ergab mehr einen Sinn. Sie lebte seit fünf Jahren mit diesem Fhrey, und er hatte dieses Wort kein einziges Mal in den Mund genommen. Sie war schon vor langer Zeit zu dem Schluss gekommen, dass es eins der rhunischen Worte war, die er nie gelernt hatte. Tekchin war ein Abenteurer, jemand, der gerne Risiken einging, er war unberechenbar und launisch. Sie war nur ein Spielzeug für ihn, etwas, das ihn irgendwann langweilen würde. Sie wusste nicht einmal, warum das nicht längst geschehen war.
»Wir Fhrey«, sagte Tekchin, »verbringen normalerweise unser Leben nicht mit einer einzigen Person. Vielleicht weil es nach so langer Zeit einfach zu langweilig wird. Ich weiß nicht, aber wir entwickeln einfach nicht solche tiefen Gefühle füreinander. Uns wird beigebracht, es nicht zu tun. Sonst würden ja auch alle verrückt werden. Denk nur, wie viele Geliebte man über die Jahrhunderte verlieren würde. Aber du bist keine Fhrey, also wusstest du nicht, dass man sich nicht so leidenschaftlich ineinander verlieben soll. Und du – du hast alles eingesetzt, was du hast. Wie hätte ich dir widerstehen können? Und du hast recht. Ich würde dich sterben sehen müssen. Du glaubst, das wäre etwas Schlimmes für jemanden wie Gifford oder Roan? Wie würde es dir gefallen, in meiner Haut zu stecken? Mit diesem Schmerz jahrhundertelang leben zu müssen? Ich würde dich nicht vergessen, niemals. Aber all dieser Herzschmerz, über all die Jahre, wäre nichts im Vergleich zu der Zeit, die wir zusammen verbracht hätten.«
Sie umarmte und küsste ihn, bevor sie ihn wieder losließ.
Moya atmete einmal tief durch und wandte sich dann mit betretenem Gesichtsausdruck an Brin.
»Verzeih mir«, flüsterte sie und drückte Brin fest an sich. »Geht zurück. Entweder kommen wir wieder oder nicht. Egal, was uns passiert, ihr drei solltet zurückgehen und Seph erzählen, was sich hier zugetragen hat.«
Sie gab der weinenden jungen Frau einen Kuss auf die Stirn und sah Tesh seufzend an. »Pass gut auf sie auf. Wenn mir zu Ohren kommt, dass du es nicht getan hast, werde ich zurückkommen und dich so was von heimsuchen!«
Dann schloss sie sich Tekchin an, der bereits am Ufer wartete. Sie vergewisserten sich, dass sie Steine und Federn hatten. »Sollte das hier entgegen allen Erwartungen doch funktionieren, wie sollen wir die dann benutzen?«, wandte Moya sich an Muriel.
»Die Federn sind nur ein Symbol für Leichtigkeit, aber sie sollten helfen, euch wieder hinaufzutragen – wahrscheinlich.«
»Wahrscheinlich?«
»Ich habe es schließlich noch nie ausprobiert – und auch niemand sonst. Aber in Phyre sind es Gedanken, die zählen. Dein Wille, das, woran du glaubst, ist dort alles
.«
»Na gut. Und habt Ihr irgendwelche letzten Ratschläge, wie wir uns in Phyre zurechtfinden sollen?«
»Ich war nie dort, also weiß ich es nicht, aber …« Muriel dachte einen Augenblick nach. »Wenn Turin es wirklich von euch verlangt, kann ich mir nicht vorstellen, dass er euch allein damit lässt. Ich nehme an, dass ihr Hilfe bekommen werdet.«
»Im Nachleben?«, fragte Moya skeptisch.
»Wenn Turin seine Finger im Spiel hat, ist fast alles möglich. Fast.«
»Malcolm«, sagte Moya ungläubig, »unser kleiner Malcolm, dem es schwerfällt, die eigenen Stiefel anzuziehen, kann uns Hilfe in Phyre besorgen?«
Muriel nickte. »Wenn er will, ja.«
Moya lachte leise. »Das alles ist so verrückt.«
»Mit dir wird es eben nie langweilig«, sagte Tekchin.
»Wir werden uns küssen, während wir versinken, genau wie Roan und Gifford, oder? Das sah nämlich ziemlich gut aus.«
Tekchin hob sie auf seine Arme und trug sie die letzten Schritte zum Tümpel. Dort hielt er kurz inne.
»Tu es«, sagte Moya, und er lief hinein.