Amphitrite

A mphitrite, die Königin der Meere, schwamm zwischen den Delphinen im Meer und dachte daran, wie ihr Mann sie umworben hatte. Er habe sich in ihre Stimme verliebt, hatte er ihr gesagt, die ihn an das Plätschern des Wassers erinnerte, das ans Ufer schlug. Und sie hatte es genossen, dass er sie verfolgt, ihr Komplimente gemacht und Geschenke gebracht hatte. Aber er hatte etwas an sich, das ihr Unbehagen bereitete, sodass sie seinem unbestreitbaren Charme nicht gänzlich erlag. Nach dem Grund gefragt, hätte sie vielleicht gesagt, dass die Freude über seine Aufmerksamkeit immer ein wenig von dem Gefühl getrübt wurde, dass er neben seinem Charme auch zu entsetzlicher Grausamkeit fähig war. Sie hatte Gerüchte gehört – nie eine ganze Geschichte, aber kleine Bruchstücke von vielen Geschichten, als versuche sie, ihnen zu lauschen, indem sie eine Muschel an ihr Ohr presste.

Schließlich war ihr Unbehagen größer als ihre Freude über die Geschenke und die Aufmerksamkeiten geworden, und sie war geflohen vor dem Gott und dem Meer, das sein Reich war. Sie hatte sich versteckt und einen Beschützer gesucht, von dem sie glaubte, dass er sie verteidigen könne. Selbst Poseidon der Erderschütterer würde es sich zweimal überlegen, ob er es mit Atlas aufnehmen wolle. Der Titan hatte sie vor Poseidons Wut beschützt, aber er konnte nur wenig tun, um sie vor Poseidons ständigen Aufmerksamkeiten abzuschirmen. Jeden Tag waren Boten gekommen, die sie angefleht hatten, in die Tiefe zurückzukehren. Wenn sie umhergeschwommen war, hatten die Fische um sie herum gemurmelt, dass er sie liebe. War sie an der Küste geblieben, so hatte der Wind den Sand zu Wellenmustern gepeitscht. Er hatte nie Drohungen ausgestoßen, nur dieses unerbittliche Werben. Die Delphine, von denen Poseidon wusste, dass sie ihre Lieblinge waren, hatten sich als Nächstes für ihn eingesetzt.

Er wird irgendwann aufhören, hatte Atlas orakelt. Eines Tages wird er einfach das Interesse verlieren und aufgeben. Und sie hatte gelächelt, weil sie es glauben und Atlas das Gefühl hatte geben wollen, dass er sie beruhigte. Aber ihr war schon damals etwas klar gewesen, das der Titan nicht gewusst hatte, nämlich dass Poseidon niemals aufgab. Wie gewinnt das Meer all seine Schlachten? Durch endlose Zermürbung.

Im Laufe der Tage, Monate und Jahre hatte auch Amphitrite gespürt, wie die Stärke ihres Widerstands nachgelassen hatte. Wäre es nicht einfacher, hatten die Delphine gefragt, diese stets so freundlichen Wesen, ins Meer zurückzukehren? Und am Ende war es natürlich einfacher gewesen. Es war einfacher nachzugeben, als auszuharren. Und Poseidon war so erfreut über ihre Rückkehr gewesen, so erfreut, sie zu seiner Frau zu machen, dass er nie erwähnte, wie lange sie ihn hatte warten lassen, nie andeutete, dass es etwas anderes als ein reizvolles Spiel der Verführung gewesen war.

Und das war prägend für ihre Ehe. Poseidon zeigte nie seinen Zorn, und fast alle Spuren seiner Wut waren verwischt. Hätte sie nicht manchmal die plötzlich aufkeimende Angst bei den Wesen im Wasser um sie herum gespürt, hätte sie glauben können, dass alles so war, wie er es erscheinen lassen wollte. Sicherlich nahm er weitaus mehr Rücksicht auf ihre Gefühle als Zeus auf die seiner Gemahlin Hera. Es kostete Amphitrite einige Mühe, herauszufinden, wem ihr Gemahl gerade nachstellte, und – mit einer Ausnahme, die sie jetzt ein wenig bedauerte, weil ihre Reaktion darauf nicht gerade ihre beste Seite zum Vorschein gebracht hatte – scherte sie sich nicht weiter darum. Hera diente ihr hierbei als Inspiration: Wer von ihnen schien glücklicher zu sein? Amphitrite, die mit den Delphinen im leuchtend blauen Meerwasser schwamm und deren warme Haut vom Tang und den Fischen gestreichelt wurde? Oder Hera, die sich von Wut zerfressen in einem sich endlos wiederholenden Kreislauf vergeblicher Rache verlor?

Deshalb schenkte Amphitrite ihrem Mann normalerweise wenig Beachtung, es sei denn, er stand vor ihr und bot ihr eine weitere schöne Muschel mit einer weiteren herrlichen Perle dar. Doch dieses eine Mal konnte sie nicht umhin zu erkennen, worauf sich seine Aufmerksamkeit richtete. Denn er schien sich jeden Tag im Mittelmeer zu tummeln und immer wieder an denselben Küstenabschnitt zurückzukehren. Zweimal wäre sie ihm fast begegnet. Es sah ihm nicht ähnlich, so unvorsichtig zu sein. Aber er beobachtete das seltsame Gorgonenmädchen nun schon seit Monaten. Zumindest nahm Amphitrite an, dass er das Mädchen beobachtete und nicht ihre Gorgonenschwestern. Die beiden anderen waren schon viel länger da, und Poseidon hatte sich noch nie in ihren Gewässern herumgetrieben. Es war dieses neue Mädchen, das sein Interesse weckte. Die Gorgonen passten nirgendwohin, dachte Amphitrite, außer an diesen einsamen kleinen Strand, den sie sich selbst ausgesucht hatten. Aber wo sollten geflügelte Wesen, die auch noch Töchter von Phorkys und Keto waren, schon hinpassen? Die Ärmsten. Und doch verbrachte ihr Mann jede freie Minute damit, dieses Mädchen zu beobachten, das halb dem Meer und halb dem Himmel angehörte.

Sie brauchte ihn nicht zu fragen, wo er gewesen war, als er am Abend zu ihr zurückkehrte, und sie tat es dennoch, um ihn lügen zu hören. Er habe den Tempel der Hera bewundert, log er prompt, der von den Bewohnern der Stadt hoch oben auf dem Vorgebirge errichtet worden war. Die Entfernung zu den Gorgonen war nicht so groß, dass diese Antwort unwahrscheinlich gewesen wäre. Auch Amphitrite hatte den Tempel gesehen, und sie stimmte zu, dass er selbst aus der Ferne, vom Meer aus betrachtet, beeindruckend war. Ein zweiter Tempel sei in Planung, sagte Poseidon, und er wolle, dass diese Menschen auch ihn ehrten. Nein, sie seien kein Seefahrervolk, gab er zu. Sie lebten nicht auf einer Insel, ihr Land war fruchtbar, ihr Vieh gedieh. Aber er wollte, dass sie ihm trotzdem einen Tempel weihten.

Amphitrite nickte verständnisvoll und gab das beruhigende Summen von sich, das ihn vor so langer Zeit für sie eingenommen hatte: wie die Meereswellen, die sich sanft am weichen Sand brachen. Natürlich wollte er einen Tempel. Natürlich musste er die Menschen dazu überreden. Natürlich, natürlich, natürlich.

Und während sie mit ihren Fingern durch sein feuchtes, salziges Haar strich und ihm jeden Wunsch erfüllte, überlegte sie, ob sie die Gorgonen vor der Gefahr warnen solle, in der sich ihre Schwester befand.