Athene

D ie Klippe spaltete sich und zersplitterte vor ihm. Perseus hatte keine Ahnung, in welche Richtung er gehen sollte. Er sah einen halbwegs flachen Felsen und ließ sich keuchend darauf nieder. Helios stand hoch über ihm und warf seine brennenden Strahlen auf Perseus’ schmerzenden Kopf. Er dachte an Hermes, der einen Sonnenhut getragen hatte, als sie sich auf Seriphos trafen, im heiligen Hain des Zeus. Das schien so weit weg, sowohl zeitlich als auch räumlich, dass Perseus plötzlich melancholisch wurde. Er glaubte zwar nicht, dass er auf seiner Mission schon gescheitert war, aber es war schwer, sich daran zu erinnern, wie viele Tage verstrichen waren. Wie lange hatte er gebraucht, um die Graien zu erreichen? Wie lange waren sie von dort bis zum Garten der Hesperiden gereist? Es war ihm wie ein Augenblick erschienen, als hätte sich die Welt vor seinen Augen einfach neu geordnet. Und doch war er an jedem neuen Ort erschöpft, ausgehungert und ausgedörrt angekommen. Vielleicht hatte die Reise viele Tage gedauert, und die Götter hatten einfach seinen Verstand vernebelt, damit er es nicht bemerkte.

Er konnte fast den ätzenden Hohn in Athenes Stimme hören, wenn sie erfahren hätte, was er dachte. Als ob er noch mehr Spott von ihr bräuchte. Eine leuchtend grüne Eidechse huschte über seinen Fuß, und er schrak zusammen. Er wünschte, er hätte den Sonnenhut von Hermes und nicht die Kappe, die er in seiner Tasche verstaut hatte. Und als er jetzt darüber nachdachte, wünschte er sich, er hätte auch die Tasche nicht genommen. Sie war so schwer, dass ihr Riemen die Haut auf seinen Schultern dunkelrot gescheuert hatte. Auf seiner Tunika waren dünne weiße Salzstreifen zu sehen, wo sich der Schweiß unter den Riemen gesammelt hatte. Deshalb dachte er auch an die Tasche, wenn er sie nicht trug. Nicht, dass das jemals vorkam, dachte er. Außer wenn er schlief oder sich ausruhte, wie jetzt. In der ersten Nacht hatte er noch versucht, sie als Kopfkissen zu benutzen, indem er seinen Mantel darübergefaltet hatte. Doch bei all den unangenehmen Nächten, die er seit Beginn seiner Suche verbracht hatte, war dies die unangenehmste Nacht gewesen. Die Tasche hasste ihn, das war die einzige Schlussfolgerung. Sie wollte nicht von ihm benutzt oder auch nur an ihn ausgeliehen werden. Sie wurde mit jeder Stunde schwerer, und Unmut war der einzige Grund, den er sich denken konnte.

Er kramte in der Tasche nach seinem Wasserschlauch und setzte ihn an die Lippen. Die Flüssigkeit schmeckte warm und sandig, und er war kein bisschen weniger durstig, als er den Schlauch verschloss und wieder weglegte. Zweifellos würde er irgendwann auf einen Bach stoßen, aber er wusste nicht, wann und wo. Seine Wangen brannten, und das hatte nichts mit der heißen Sonne zu tun. Es war das anhaltende Schamgefühl, das er empfand, weil er so ungeeignet war, ein solches Abenteuer zu bestehen. Er konnte einfach die Überzeugung nicht abschütteln, dass ein anderer Held mit einer Mission wissen würde, wie weit er schon gereist war und welchen Weg er einschlagen sollte. Perseus fühlte sich, als würde er einfach nur von Ort zu Ort stolpern, bis die Götter eingriffen. Natürlich, erinnerte er sich, war es ein Zeichen seiner heldenhaften Tapferkeit, dass die Götter zu seinen Gunsten eingriffen. Ein unbedeutenderer Mann hätte keine so mächtigen Verbündeten gehabt. Aber das hob seine Laune nicht lange. Zeus war sein Vater, klar, aber das lag daran, dass Zeus seine Mutter geliebt hatte. Er, Perseus, war nur ein Nebenprodukt. Er hatte seinen Vater nicht einmal kennengelernt.

Und hier saß er nun. Er konnte die Felsen hinunterklettern, die ihn näher ans Meer zu führen schienen. Oder höher klettern und hoffen, weiter im Landesinneren frisches Wasser und Vorräte zu finden. Wieder fragte er sich, wie weit er noch von den Gorgonen entfernt war, und spürte einen frischen Anflug von Wut darüber, dass er so wenig wusste, aber so viel erreichen sollte. Er murmelte ein kurzes, aber tief empfundenes Gebet zu seinem Vater.

»Dann hättest du nicht für ihn stimmen sollen, oder?«

Beim Klang von Athenes Stimme fuhr Perseus zusammen. Er drehte sich um, verlor das Gleichgewicht und rutschte von dem Felsen, auf dem er gehockt hatte, dann stellte er erleichtert fest, dass sie gar nicht ihn angiftete. Und sie blickte auch nicht in seine Richtung, was bedeutete, er konnte sich ohne weitere Peinlichkeiten aufrichten.

»Das kann dich doch nicht ernsthaft stören!« Die Ungläubigkeit in Hermes’ Stimme stand in völligem Widerspruch zur Schärfe in der von Athene.

»Wie meinst du das, es ›kann mich nicht ernsthaft stören‹?«, rief sie. »Warum sollte es mich nicht stören? Es war meine Stadt, sie gehörte mir, und du hast versucht, sie ihm zu zuzusprechen.«

»Ich habe nichts dergleichen getan«, entgegnete er. »Meine Stimme hat nichts geändert, und das weißt du genau!«

»Sie genügte, um ein Unentschieden herbeizuführen«, fauchte sie. »Deshalb musste Vater einen unabhängigen Richter mit der Entscheidung beauftragen.«

»Ganz so unabhängig war er nicht«, murmelte Hermes. Sie starrte ihn an. »Und überhaupt, meine Stimme war nicht mehr oder weniger wichtig als die der anderen. Warum streitest du dich nicht mit denen herum?«

»Weil sie nicht hier sind!«, zischte sie. »Und du hast deine Stimme zuletzt abgegeben. Und hast es genossen.«

»Alle haben es genossen«, wies er sie zurecht. »Was macht es für einen Unterschied, dass ich der Letzte war?«

Perseus begriff, dass er sich besser ruhig verhalten sollte.

»Ich dachte, ich könnte gewinnen«, erklärte Athene. »Ich glaubte, du würdest mich wählen, da wir zusammen diese Reisen unternommen haben.«

»Ich bin der Botengott«, antwortete er. »Ich bin mit allen gereist.«

»Jedenfalls dachte ich, du würdest mich mögen.«

»Warum?«, fragte er.

Es folgte eine Pause.

»Das weiß ich auch nicht«, gestand sie dann.

»Warum ist es denn wichtig, ob ich dich mag oder nicht?«

»Und, magst du mich?«

Perseus blickte von dem mit Steinen übersäten Boden auf, den er aufmerksam studiert hatte. Hermes stand Athene gegenüber und grinste weniger ausgeprägt als sonst. Athene sieht genauso aus wie immer, dachte Perseus, nur noch göttlicher .

»Eigentlich nicht«, sagte Hermes dann. »Ich glaube, Zeus verwöhnt dich. Deshalb bist du launisch und schreist so viel herum.«

»Na gut, dann mag ich dich auch nicht!«, schoss Athene zurück.

»Dann kann es dir ja egal sein, wen ich gewählt habe und warum«, gab Hermes zurück.

Athene drehte sich um und richtete ihren Blick auf Perseus. »Magst du mich?«, verlangte sie zu wissen.

Perseus überlegte, ob er sich einfach von der Klippe stürzen sollte, bevor es noch schlimmer wurde. »J… ja?«, stammelte er.

»Siehst du?« Athene drehte sich wieder zu Hermes um. »Ich bin liebenswert. Er glaubt nicht, dass ich herumschreie. Oder doch?«

»Nein, nein!«, erwiderte Perseus. »Nur wenn du willst, dass ich es glaube.«

Hermes lachte. »Er hat Angst vor dir«, stellte er fest. »Er würde alles sagen, was du seiner Meinung nach hören willst.«

»Hast du Angst vor mir?«, fragte sie.

»Ja«, sagte Perseus.

»Gut. Aber du glaubst trotzdem nicht, dass ich herumschreie?«

»Nein«, antwortete er. »Und … ihr könntet mir wohl nicht noch einmal helfen, oder?«

Athene verdrehte die Augen. »Ich wusste doch, dass Zeus uns aus einem bestimmten Grund hergeschickt hat. Was ist es denn nun schon wieder?«

Perseus versuchte, nicht zusammenzuzucken, als sie ihn anschrie. »Ich weiß nicht, in welche Richtung ich gehen soll«, sagte er. »Oder wie weit es noch ist. Oder wo ich frisches Wasser finden kann. Oder ob ich diese Beeren bedenkenlos essen darf.«

Athene sah Hermes an. »Wer ist hier jetzt launisch?«, fragte sie.

»Ja, er.« Hermes wandte sich an Perseus und sprach langsam und deutlich. »Folge dem Verlauf der Küste«, erklärte er. »Wie Athene es dir gesagt hat. Du wirst wissen, dass du die Gorgonen erreicht hast, wenn du sie siehst.«

»Aber ich weiß nicht, wie weit es noch ist!«, beschwerte sich Perseus. »Was, wenn ich sie verpasse?«

»Sie verpassen?«, fragte Athene. »Glaubst du tatsächlich, du könntest einfach an den Gorgonen vorbeischlendern, ohne sie zu bemerken?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Perseus. »Ich meine, ich weiß nicht …« Angesichts der Verachtung in den Gesichtern der beiden Götter verstummte er. Vielleicht war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, sie zu fragen.

»Was weißt du nicht?«, hakte Hermes nach.

»Nichts«, sagte Perseus.

»Zeus hat uns aus einem bestimmten Grund hergeschickt«, wiederholte Athene. »Also muss es etwas geben, das du wissen musst.«

»Es … ist so, dass man mir nicht gesagt hat …«, antwortete Perseus. »Also … ich weiß nicht, wie die Gorgonen aussehen.«

Hermes und Athene starrten einander an und schienen ihren Zwist vergessen zu haben. »Das weißt du nicht?«, wiederholte der Götterbote.

»Nein.«

»Du bist also auf der Suche nach dem Kopf von etwas, das du nicht erkennen kannst?«, fragte Hermes.

»Ja.«

»Hast du daran gedacht, jemanden zu fragen, bevor du dich auf den Weg gemacht hast?«, wollte Athene wissen.

»Nein.«

»Und es ist dir nicht in den Sinn gekommen, dass du das tun solltest?« Hermes schüttelte den Kopf.

»Doch«, erwiderte Perseus. »Aber ich wusste nicht, wen ich fragen sollte.«

»Wie wäre es mit dem König, der dich auf die Suche geschickt hat?«, schlug Athene hilfsbereit vor. »Polydektes. Erinnerst du dich an ihn?«

»Das konnte ich ihn unmöglich fragen.« Die Vorstellung entsetzte ihn. »Dann hätte er mich für dumm gehalten.«

»Ja, ich kann verstehen, dass dich das abgeschreckt hat«, meinte Hermes süffisant. »Du hättest uns sagen sollen, dass du keine Ahnung hast, was du tust, als wir dich gefunden haben.«

»Er wirkte tatsächlich wie jemand, der sich auf die Suche nach dem Kopf einer Gorgone macht, ohne auch nur einen Schimmer davon zu haben, was eine Gorgone ist«, sagte Athene. »Jetzt, wo du es erwähnst.«

»Ihr hieltet mich bereits für einen Idioten«, sagte Perseus. »Ich wollte es nicht noch schlimmer machen.«

»Jetzt ist es aber noch viel schlimmer«, belehrte ihn Hermes. »Denn jetzt halte ich dich für viel dümmer, als ich es getan hätte, wenn du von Anfang an deine Dummheit eingestanden hättest.«

»Verstehe«, sagte Perseus.

»Ich wahrscheinlich nicht«, fügte Athene hinzu. »Aber das liegt vor allem daran, dass ich dich schon für unglaublich dumm hielt, als wir uns kennenlernten, und ich kaum noch weniger von dir halten könnte.«

»Sicher«, sagte Perseus. »Ich weiß das wirklich zu schätzen.«

»Du bist also an der Küste entlangspaziert und hast dich gefragt, ob das, was du siehst, eine Gorgone sein könnte?«, hakte Hermes nach.

»Ja«, sagte Perseus.

»Wie Möwen oder Schafe oder Kaktusfeigen?«, spezifizierte Athene.

»Na ja, das alles kenne ich«, erwiderte Perseus. »Aber sonst … ja.«

»Du hast also gerade Zeus um Hilfe gebeten, und die Hilfe besteht darin, dass dir jemand erklären soll, wie eine Gorgone aussieht«, fasste Hermes zusammen.

»Es tut mir leid.«

»Nein, schon gut, ich wollte nur sichergehen. Ich könnte dir also sagen, dass alles eine Gorgone ist, und du würdest mir glauben?«

Auf Perseus’ Gesicht zeichnete sich Panik ab. Wenn die Götter auf die Idee kämen, ihn auszutricksen, würde er das erst auf Seriphos feststellen. Er konnte die bösartige Verachtung in den Augen des Königs sehen, der sich über Perseus’ Versagen freute, und den Spott seiner Höflinge hören. Plötzlich rang er nach Luft, obwohl er auf dem Felsen saß, um sich von seinem mühsamen Aufstieg zu erholen. Vielleicht wird Zeus eingreifen und mich retten, dachte er. Oder vielleicht weiß Polydektes auch nicht, was eine Gorgone ist, und ich kann es einfach überspielen. Noch während Perseus darüber nachdachte, wurde ihm klar, wie unwahrscheinlich dies war.

»Gorgonen sind unsterbliche Geschöpfe«, erklärte Athene. »Wusstest du das wirklich nicht?«

»Nein«, sagte Perseus. »Das heißt, ja, ich hatte vermutet, dass sie so etwas sind, denn die Graien erwähnten, dass sie Schwestern sind.« Er versuchte, das Schaudern zu unterdrücken, das ihn jedes Mal überkam, wenn er an die hasserfüllten alten Frauen dachte. Wäre er mutig genug gewesen, hätte er Athene gesagt, dass er hoffte, sie wären genau wie die Graien. Denn dann würde er sich nicht so schwertun, eine zu köpfen.

»Sie sind in der Tat Schwestern der Graien«, bestätigte Hermes. Perseus nahm an, dass die Aufgeblasenheit des Botengottes einfach zu seiner Natur gehörte und folglich toleriert werden musste.

»Aber sie sind viel tödlicher«, erklärte Athene.

Das war nicht gerade das, was Perseus zu hören gehofft hatte. »Noch tödlicher?«, fragte er. »Wie viel tödlicher?«

»Nun …« Hermes stützte sich auf seinen Stab. »Noch sehr viel tödlicher. Die Graien sind alt und blind und haben nur einen einzigen Zahn, den sie sich teilen müssen. Hatten einen Zahn, sollte ich wohl sagen. Die Gorgonen dagegen sind Raubtiere.«

»Wie Raubkatzen?«, fragte Perseus hoffnungsvoll. »Oder Adler?«

»Nein«, sagte Athene. »Wie gefährliche Kreaturen, die dich im Ganzen verschlingen können, wenn du sie reizt.«

»Ich verstehe«, sagte Perseus. »Ein Glück, dass die Hesperiden mir dieses Schwert gegeben haben.« Die Harpe war das Einzige, worüber er sich nicht beschwert hatte, seit er sie erhalten hatte.

»Ich glaube, sie haben dir dieses Schwert nur geliehen«, korrigierte ihn Hermes. »Es gehört deinem Vater, und er wird es sicher zurückhaben wollen.«

Schnell wechselte Perseus das Thema: »Wie sehen sie aus?«

»Du musst wirklich auf ihre Stoßzähne aufpassen«, riet ihm Hermes. »Sie haben riesige, scharfe Zähne und könnten deine Knochen innerhalb eines Schlages deines mickrigen Herzens zermalmen.«

»Verstanden«, antwortete Perseus. »Ich meide ihre Zähne.«

»Sie haben auch Flügel«, sagte Athene.

»Sie können sich also mit gefletschten Zähnen aus der Luft auf mich stürzen?«

»Oh ja«, bestätigte sie.

»Und sie sind unglaublich stark«, fügte Hermes hinzu. »So stark wie ein Gott.«

»Ich muss also nicht nur auf die Stoßzähne achten«, fragte Perseus, »sondern eher der ganzen Kreatur aus dem Weg gehen?«

»Das wäre ideal«, räumte Hermes ein.

»Nur dass ich eine enthaupten muss.« Perseus dachte eine Weile nach. »Vielleicht könnte ich mich von hinten an eine heranschleichen?«

»Ja«, sagte Hermes. »Und nein.«

»Warum nicht?«

»Wegen der Schlangen natürlich!«, fuhr Athene ihn an.

»Sie leben inmitten von Schlangen?«, fragte Perseus. Er hatte nicht einmal angefangen, über die Umgebung nachzudenken, in der die Gorgonen leben könnten. Er war zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich darauf zu konzentrieren, was sie überhaupt sein könnten.

»Nein«, sagte Hermes. »Sie sind von Schlangen umgeben.«

Perseus seufzte. Er glaubte nicht, dass er Angst vor Schlangen hatte. Aber das hing wahrscheinlich davon ab, wie viele Schlangen es waren, und das hier klang nicht gut.

»Sind die Gorgonen alle von Schlangen umgeben?«, fragte er. »Sitzen sie einfach nur zwischen ihnen oder …?«

»Die Schlangen sind ein Teil von ihnen«, erklärte Athene.

»Ich verstehe. Sie befinden sich vermutlich nicht auf dem Boden, oder? Wo man normalerweise Schlangen findet?«

»Nein«, sagte Athene. »Sie haben Schlangen als Haare.«

»Oh«, sagte Perseus. »Also direkt auf dem Kopf? Wirklich?«

»Ja«, sagte Hermes. Du kannst dich nicht von hinten an sie heranschleichen. Denn die Schlangen würden dich sehen.«

»Und die Schlangen können sprechen?« Perseus fragte sich, wie viel schlimmer es noch werden konnte.

Die beiden Götter sahen ihn an, als wäre er ein Schwachkopf. »Natürlich können sie nicht sprechen«, sagte Athene. »Es sind Schlangen.«

»Wie verständigen sie sich dann mit den Gorgonen?«

»Sie zischen«, erklärte Hermes. »Vermutlich klingt das so, als würden sie mit ihnen reden.«

Perseus kam sich dumm vor und war leicht gekränkt. »Würden die Schlangen mich auch sehen, wenn es die dunkelste Stunde der Nacht wäre?«, erkundigte er sich.

»Ja, ich glaube schon«, erwiderte Hermes. »Schlangen können im Dunkeln sehen, nicht wahr?«

Athene nickte.

»Ich weiß nicht, wie jemand eines dieser unsterblichen Monster enthaupten soll!«, rief Perseus und sackte nach vorn.

»Manchmal fällt es mir schwer zu glauben, dass du Zeus’ Sohn bist«, sagte Hermes. »Aber er glaubt, dass du es bist, also muss es stimmen.«

»Warum?«, fragte Perseus. »Alles, was ihr mir gesagt habt, bringt mich nur zu der Überzeugung, dass diese Aufgabe unmöglich ist. Sie können mich fressen. Sie können fliegen. Sie sind stärker als ich. Sie sind mit Schlangen bedeckt.«

»Du hast die Kappe des Hades«, erinnerte Athene ihn.

»Ich habe eine Kappe, ja und?«, stimmte Perseus zu.

»Sie gehört Hades«, sagte Hermes. »Und macht den Träger unsichtbar.«

Schweigen.

»Ich nehme an, sie hilft gegen die Schlangen«, gab Perseus dann zu. »Dann kann ich mich doch an die Gorgonen heranschleichen.«

»Sie haben ein ausgezeichnetes Gehör«, gab Athene zu bedenken.

»Richtig«, sagte Perseus. »Aber vielleicht kann ich mich ihnen nähern, während sie schlafen.«

Wieder wechselten die Götter einen Blick. »Gorgonen schlafen nicht«, bemerkte Hermes. »Sie sind Gorgonen. Obwohl, eine von ihnen könnte vielleicht schlafen, aber die anderen? Nein.«

»Oh«, sagte Perseus. »Ich dachte, sie müssten sich gelegentlich hinlegen. Um ihre Schlangen auszuruhen und so.«

»Nein«, sagte Athene. »Das müssen sie nicht.«

»Sie sind also immer wach, immer aufmerksam?«, fragte Perseus. Seine Stimme zitterte ein wenig.

»Sie sind vernunftbegabte Kreaturen, die nicht sterben wollen«, erklärte Hermes. »Du hast ein Schwert, das dir dein Vater geliehen hat. Und eine Kappe, die du dir selbst von Hades ausgeliehen hast. Du kannst nicht erwarten, dass alles andere auch so einfach ist. Sonst wäre es ja keine Heldenaufgabe, oder? Dann hättest du auch gleich auf Seriphos bleiben und einer von uns hätte dir das Gorgonenhaupt holen können.«

Perseus hatte schon seit einiger Zeit gedacht, dass dies die ideale Lösung für sein Problem wäre, aber etwas an Hermes’ Tonfall hielt ihn davon ab, das auszusprechen.

»Sagtest du nicht, sie seien unsterblich?« Er runzelte die Stirn. Jedes Mal, wenn er einen Schritt weiterkam – ein Stückchen Wissen gewann, ein bisschen göttlichen Beistand –, schien er etwas anderes zu verlieren.

»Zwei von ihnen sind unsterblich«, stellte Athene klar. »Eine von ihnen ist eine Sterbliche.«

»Also muss ich die Sterbliche enthaupten?«

»Ja, das versteht sich wohl von selbst«, antwortete Hermes.

»Die beiden anderen werden sie bestmöglich verteidigen«, warf Athene schnell ein. »Sie lieben sie sehr.«

»Warum sollte jemand ein Monster lieben?«, fragte Perseus.

»Wer bist du, dass du entscheiden kannst, wer der Liebe würdig ist?«, wollte Hermes wissen.

»Ich meine, ich wollte nicht …«

»Und wer bist du, zu entscheiden, wer ein Monster ist?«, unterbrach ihn der Götterbote.

»Sie hat sie als Monster bezeichnet.« Perseus deutete auf Athene.

»Nein, habe ich nicht«, widersprach sie. »Ich habe sie als gefährliche Kreaturen bezeichnet, was sie auch sind. Du bist derjenige, der denkt, dass alles, was nicht so aussieht wie du, ein Monster sein muss.«

»Sie haben Schlangen als Haare!«, rief Perseus.

»Schlangen sind keine Monster«, stellte Hermes klar.

»Und Stoßzähne.«

»Wildschweine sind auch keine Monster.«

»Und Flügel.«

»Ich bin sicher, nicht einmal du glaubst, dass Vögel Monster sind.«

»Ich muss gegen eine von ihnen kämpfen und ihr den Kopf abschlagen«, klagte Perseus. »Für mich klingen sie monströs genug.«

»Du kannst sie nicht bekämpfen«, wies Hermes ihn zurecht. »Ich dachte, das hätten wir schon geklärt. Du musst dich der Sterblichen nähern, während ihre unsterblichen Schwestern gerade woanders sind.«

»Woher soll ich überhaupt wissen, welche die Sterbliche ist?«, wollte Perseus wissen.

»Sie hat keine Stoßzähne«, half ihm Athene. »Ihre Flügel sind kleiner, und ihre Schlangen sind jünger.«

»Na, das ist doch schon mal was«, sagte Perseus. »Ich werde zumindest versuchen, die am wenigsten gefährliche zu köpfen.«

Hermes nickte. Athene runzelte einen Herzschlag lang ihre perfekte Stirn.

»Es gibt da allerdings noch etwas«, sagte sie dann.