Gorgoneion

Bevor Statuen entstehen, fließt Blut. Das Ausmaß des Massakers, das er bei der Hochzeit anrichtet, überrascht selbst mich. Allerdings weiß ich nicht so recht, warum, denn er hat bei keiner der früheren Gelegenheiten auch nur einen Anflug von Reue gezeigt. Doch die Zahlen der Opfer sind schwindelerregend. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es mich überrascht, dass ich so viele Menschen auf einmal töten kann – erst Dutzende, dann Hunderte. Oder ob es mich verblüfft, dass Perseus nicht einmal in der Lage ist, an einem fröhlichen Anlass teilzunehmen, ohne gleich einen Massenmord zu begehen.

Natürlich ist es nicht die Schuld von Andromedas Eltern. Geplagt von den vielen Katastrophen, die sie in letzter Zeit heimgesucht haben, schweigen sie, als Perseus abreist, und sie schweigen auch, als er zurückkehrt. Obwohl sie sich um ihrer Tochter willen gewünscht haben, dass er nicht zurückkäme. Sie stimmen dem glücklichen Paar höflich zu, dass diese Hochzeit eine Gelegenheit sei, die Menschen in ihrem gebeutelten Land nach den jüngsten Mühen wieder zu vereinen.

Andromeda und ihre Mutter suchen das Kleid aus, Perseus und ihr Vater die Gäste. Seine Mutter könne nicht dabei sein, die Reise sei zu weit. Aber er und seine neue Frau würden auf das griechische Festland zurückkehren und dabei über Seriphos reisen. Kepheus und Kassiopeia sind einverstanden, und am Tag der Hochzeit verläuft alles reibungslos, bis die Gäste eintreffen. Ungewöhnlicherweise ist es diesmal jedoch nicht Perseus, der den Streit vom Zaun bricht.

*

Andromeda war einem anderen Mann versprochen worden, ihrem Onkel Phineus. Doch dieser verschwand, als das Land überflutet wurde, und tauchte auch nicht auf, als Andromeda von den Priestern mitgenommen wurde. Phineus wurde daher, zumindest vom Königshaus, für tot gehalten. Doch Phineus war durchaus lebendig, zumindest bis zum Tag der Hochzeit. Nachdem er vor der Flut auf höher gelegenes Gelände geflohen war, hatte er sich in den Bergen versteckt. Dann kursierten Gerüchte von Blasphemie, göttlicher Vergeltung und einem Seeungeheuer, und er sah keinen Grund, von dort zurückzukommen. Wenn es eine Überraschung für ihn war, dass seine Verlobte doch nicht gefressen worden war, war es vermutlich eine angenehme. Weniger erfreulich fand er jedoch das damit einhergehende Gerücht, dass sie nun ihren Retter heiraten wolle.

Phineus wollte sicher sein, dass keine weiteren Ungeheuer kamen, bevor er wieder auftauchte und seinen früheren Anspruch geltend machte. Als er sich schließlich in Sicherheit wähnt, ist Perseus jedoch zurückgekehrt und der Hochzeitstag gekommen. Phineus – wütend darüber, wie schnell er vergessen wurde – schart eine bunt zusammengewürfelte Truppe von Anhängern um sich und marschiert zur Hochzeit, wie zu einer Schlacht gerüstet. Als er mit seinem Gefolge vor dem Palast auftaucht, weiß niemand so recht, ob es sich um ungebetene Gäste oder um eine verärgerte Armee handelt.

Im Inneren der Hallen brennen hell die Fackeln. Hochzeitshymnen werden gesungen, und Wein wird ausgeschenkt. Vor den Hallen herrscht schwärende Wut. Phineus und seine Männer verlangen, dass ihnen Andromeda übergeben werde, wie es einst versprochen worden sei. Die Wachen versuchen, sie aufzuhalten, aber sie sind in der Unterzahl, und Phineus’ Männer stürmen durch den Palast und schreien ihre Forderung heraus.

Kepheus und Kassiopeia erheben sich von ihren Liegen und beruhigen Andromeda. Sie würden sich um alles kümmern. Dann eilen sie durch die Hallen und treffen schließlich auf Phineus. Er hat keine Kontrolle mehr über die mitgebrachten Männer, was kaum verwunderlich ist. Schließlich weiß jeder, dass er ein Feigling ist. Während Kepheus also versucht, ihn zur Vernunft zu bringen, rennen die Störenfriede in alle Richtungen davon, fest entschlossen, das Hochzeitsfest und folglich Wein und Speisen zu finden.

Kepheus redet leise und entschuldigend auf Phineus ein, während Kassiopeia schweigt. Der letzte Monat hat sie sämtlichen Kampfgeistes beraubt. Kepheus erklärt Phineus, dass er zu Unrecht wütend auf sie sei. Sie zögen Perseus ihm nicht als Schwiegersohn vor, sondern die Götter hätten ihn auserwählt, und ihnen könnten sie nicht widersprechen. Sie hätten gelernt, wie teuer es einen zu stehen komme, wenn man die Götter in irgendeiner Weise beleidige.

Doch Phineus interessiert sich nicht für diese Ausflüchte. Er fühlt sich um seine Braut und um seinen Platz in der Erbfolge betrogen und dürstet nach Genugtuung. Kepheus versucht, ihn mit Gold und Vieh zu kaufen, aber Phineus ist betrunken, und außerdem hört er schon Kampfgeräusche. Für Bestechung sei es zu spät, meint er. Er will seine Verlobte. Kepheus, der keine Ahnung hat, wie er diese Katastrophe verhindern soll, droht ihm, dann müsse er es mit den Nereiden, mit Poseidon und mit dem Seeungeheuer aufnehmen. Und er solle außerdem bedenken, dass er bei diesem Wettkampf gegen den Sohn des Zeus persönlich antreten müsse.

Phineus schreitet in Richtung der großen Halle, wo der Kampf bereits in vollem Gange ist. Perseus hat sich aufgerappelt und schwingt eine große, gebogene Klinge gegen jeden, der ihm zu nahe kommt. Andromeda keift, außerdem hat jemand Wein auf ihr schönes safranfarbenes Kleid verschüttet. Dann sieht sie ihren verhassten Onkel durch die Tür stürmen. Sie packt Perseus, zeigt auf den älteren Mann und schreit ihrem zukünftigen Gemahl ins Ohr, dies sei der Mann, vor dem er sie gerettet habe. Perseus mustert die umgeworfenen Tische und Liegen und betrachtet die Männer, die miteinander ringen. Er hat nicht die geringste Ahnung, wer für Phineus und wer gegen ihn kämpft. Sie alle sind Perseus fremd, bis auf einen. Er drückt Andromeda an seine Seite und hofft, dass ihre Eltern sich von dem Kampf fernhalten. Dann greift er nach dem Kibisis, den er immer bei sich hat, und befiehlt seiner Braut, die Augen zu schließen. Sie verzieht das Gesicht und vergräbt ihren Kopf an seiner Schulter, während er mich dem Raum präsentiert.

Als er brüllt, drehen sich die Männer zu ihm um. Sie mustern ihn, was bedeutet, dass sie auch mich sehen, was bedeutet, dass es sie teuer zu stehen kommt. Ein Mann wird zu Stein, als er gerade ein Kurzschwert in seinen Landsmann rammt. Der Tote, dessen Augen glasig geworden waren, bevor er den Kopf wenden konnte, muss später von der Statue gehoben werden, die ihn durchbohrt hat. Es fließt auch Blut, das schon, aber es gibt nur Dutzende von Leichen inmitten Hunderter von Statuen.

*

Als Andromeda die Augen wieder öffnet, schreit sie nicht. Sie sieht sich um und versucht zu begreifen, was ihr widerfahren ist: Sie hat auf einen Schlag fast alle Menschen verloren, die sie kannte. Die Mädchen, mit denen sie so viele Hochzeiten geplant hat, sind tot. Deren Brüder und Eltern ebenfalls. Ihr Onkel und seine Männer sind versteinert, aber das sieht sie nicht, weil sie verzweifelt die Hallen nach ihren Eltern durchsucht. Perseus hat mich wieder eingesackt, hängt sich den Kibisis über die Schulter und staunt über die elegante Lösung, die er gefunden hat. Keine Männer mehr, die Ansprüche auf seine Frau stellen. Keine Kämpfe mehr. Er fragt sich, warum Andromeda nicht etwas dankbarer ist, so wie damals, als er das Seeungeheuer getötet hat.

Er denkt an Diktys’ Sorge und seinen Wunsch, die Statuen im Sand von Seriphos zu vergraben, statt sie zur Schau zu stellen, damit alle sehen, was passiert, wenn man den Sohn des Zeus verärgert. Vielleicht beunruhigt das Andromeda. Sie erscheint wieder in der Halle und umklammert ihre Eltern, als ob sie gleich weglaufen wollten. Perseus vermutet, dass sie durch die Überschwemmungen und die Kämpfe viele Sklaven verloren haben und sie und ihre Eltern sich wohl fragen, wie sie die unzählbaren Statuen wegschaffen sollen. Doch dabei wird er ihnen natürlich helfen. Sie brauchen also nicht so unglückliche Gesichter zu machen. Außerdem kann er ihre Eltern nicht leiden. Vielleicht reist er mit Andromeda auch einfach ab und überlässt es ihren Eltern, das Chaos zu beseitigen.