Kapitel zwölf - Alec
Gottverdammt noch mal. Es brauchte all meinen Willen, sie nicht noch einmal anzurufen oder ihr zu schreiben. Ich ging das Szenario im Kopf immer wieder durch. Ich hatte den Anruf aus dem Büro entgegengenommen und einen Blick auf die Tabelle geworfen, die sie mir geschickt hatten, dann hörte ich die Tür klacken. Zuerst hatte ich gedacht, es wäre die Badezimmertür gewesen, aber als ich das Telefon auflegte, war Kylie bereits verschwunden. Ich rannte hinaus und suchte panisch nach ihr. Ich schrieb und bekam keine Antwort, und für eine Minute sah es so aus, als hätte sie sich einfach komplett in Luft aufgelöst.
Dann war ich in eine Spirale der Besessenheit geraten, was mich schließlich bis vor ihre Tür geführt hatte, wo ihre Wachhunde mir den Weg versperrten, was nicht weiter überraschend war. Es war so frustrierend. Es war bald elf Uhr nachts und ich hatte noch immer nichts von ihr gehört. Natürlich wusste ich, dass sie lebte, aber das Einzige, was Sinn ergab, war, dass ich ihr offensichtlich höllische Angst einjagte. Bei den meisten anderen Menschen wäre es mir nur recht gewesen, sie so zu verängstigen, dass sie vor mir flohen, nicht aber bei Kylie. Bei ihr gab es noch so vieles zu entdecken …
Am nächsten Morgen bekam ich schließlich doch noch eine Nachricht und hätte beinahe mein Telefon gegen die Wand geschmettert.
Danke für die Erinnerungen, Alec. Ich werde Eiscreme nie wieder mit denselben Augen sehen … und Truthahn auch nicht. Genieß dein Leben, such dir etwas, das du liebst – Kylie.
Fuck. Fuck! Verfickt nochmal. Verdammt, ich wollte sie ficken! Ich ging rastlos in meinem Penthouse auf und nieder und dachte mir Wege aus, wie ich das alles drehen konnte, aber es gab eigentlich nichts, das nicht viel zu verzweifelt gewirkt hätte. Stattdessen dachte ich mir, sie war ja schließlich Kylie Morgan, ich konnte sie aufspüren. Sie und ich verkehrten in ähnlichen Kreisen. Ich fand meinen inneren Frieden in dem Wissen, dass Kylie und ich uns erneut über den Weg laufen würden, und wenn ich sie das nächste Mal in meine Wohnung bekam, würde ich sie nicht wieder gehen lassen.
Für den Rest der Woche gab es nicht viele Neuigkeiten über Kylie. Man hatte sie erneut mit Dane gesichtet … bla bla bla. Es gab einen Artikel über sie in der Vogue, der einige meiner Fantasien befeuerte. Dieses Mal trug sie Couture von Yuan Shiliang, einem Avantgarde-Designer aus China, und wieder waren ihre verdammten Titten vor der ganzen Welt entblößt.
Ich dachte darüber nach, wie zart und weich ihre Nippel waren, und an dieses wunderbare Muttermal an ihrer linken Brust. Ich genoss die Erinnerung daran, wie sie bei der leichtesten Berührung steif wurden. Ihre Brüste waren fest, aber genauso zierlich wie der Rest ihres Körpers. Fast schon zu zierlich. Wenn ich sie zurückhatte, würde ich es mir zur Mission machen, sie zum Essen zu bewegen. Ein Model konnte doch gewiss auch ein wenig mehr Fleisch auf den Hüften haben. Das Gute war, dass Kylie sich keinen Stress wegen dem Essen zu machen schien, sie hatte nur, zumindest während unseres Aufeinandertreffens, nicht viel Gelegenheit dazu gehabt.
Wochen vergingen. Mein Verlangen nach ihr wurde zur quälenden Sehnsucht. Ich verfiel nicht gerade der Verzweiflung, aber sorgte regelmäßig dafür, in ihrem Leben präsent zu sein, das gerade einen Wandel zu durchlaufen schien. Es waren fast zwei Monate vergangen, seitdem ich mit Kylie geschlafen hatte, und sie hatte sich verändert. Die Kylie, die ich in der Bar kennengelernt hatte, war immer in den Medien, weil sie auf Partys ging und mit irgendwelchen Typen vögelte, weil sie angeblich so sexhungrig war. Es gab zahlreiche Bilder von ihr an exotischen Lokalitäten, in denen sie kaum etwas trug außer dem Cocktail in ihrer Hand. Obwohl es jede Menge dieser Fotos gab, zeigte keines von ihnen jene Kylie, die kichernd eine Grimasse zog und außer Atem geriet, wenn sie erregt war oder lachte. Sie trank ja auch nicht einmal wirklich, abgesehen von ein zwei Bier.
In den neuen Bildern trug sie zunehmend mehr Kleidung. Die glorreichen kleinen Tittchen waren nicht mehr zu sehen, die sie kurz zuvor noch so gern der ganzen Welt präsentiert hatte. Außerdem hatte sie eine Organisation für verwaiste Jugendliche gestartet. Mein kaltes Herz ging einen Spaltbreit auf, als ich das las. Mehr und mehr Fotos tauchten auf von ihr mit ihren Freundinnen bei Wohltätigkeitsaktionen. Als ich sie bei der Premiere von Cold Hard Truth sah, einem groß aufgezogenen neuen Actionthriller, in dem sie einen Gastauftritt als Geheimagentin hatte, war sie bereits öfters in eleganten Hosenanzügen fotografiert worden als halbnackt.
Unser Treffen war viel zu kurz. Sie wurde gerade beim Betreten des Kinos fotografiert und ich kam wie zufällig an ihr vorbei.
„Ich wusste nicht, dass du auch schauspielern kannst.“
Sie hörte meine Stimme und wandte sich um.
Als Erstes erschrak sie, erholte sich dann aber schnell und lächelte.
„Guten Abend, Alec. Wir werden noch sehen, ob ich das kann“, lachte sie, obwohl ich hören konnte, dass ihr sehr unbehaglich zumute zu sein schien.
„Naja, ich kann das nicht beurteilen. Ich hab dich ja nie etwas vortäuschen sehen.“ Einen Augenblick lang sah sie panisch aus, lachte aber auch das weg.
„Genieß den Film, Alec.“ Sie machte einen auf geschäftig und die Kameras begannen wieder zu blitzen.
Ich ging hinein und sie blieb zurück … und wieder war sie verschwunden.
Ich verfolgte weiterhin ihre Medienauftritte und wo immer möglich begegnete ich ihr in der Öffentlichkeit. In den sieben Wochen nach unserem Aufeinandertreffen hatte ihre Rolle sich sosehr gewandelt, dass nur noch sehr wenig von der alten Kylie übrigblieb außer dem, was das Internet zum Denkmal erhoben hatte. Sie verstärkte ihren androgynen Look und transportierte mit ihrem Make-up ein Bild von Maskulinität, Macht und einer exotischen Sinnlichkeit. Sie ließ sich die Haare kurz schneiden, was mich zuerst einmal sauer machte, weil sie mich nicht gefragt hatte, aber wer war ich schon für sie? Eine Nacht, mehr nicht.
Mein Interesse an ihr wurde zur Obsession. Wenn sie mich zu fangen versuchte, indem sie jemand wurde, den ich heiraten konnte, nicht nur vögeln, dann stellte sie das außerordentlich gut an. Der Platz zu fünfhundert Dollar das Stück bei einer Wohltätigkeitsgala für Waisenkinder, im Rahmen derer sie als Gastrednerin geladen war, stellte einen annehmbaren Preis für ein Wiedersehen dar.
Ich saß bei meinen engsten Mitarbeitern, für die ich einen ganzen Tisch besorgt hatte. Die Investmentbanker und ihre Assistenten schienen nicht gerade begeistert, hier zu sein, aber das Essen war unglaublich und alle wurden langsam warm, als Killah die Bühne kaperte und die Hütte einheizte. Ich durchsuchte den Raum nach Kylie. Nicht eine einzige Person in diesem Saal kam auch nur annähernd an ihr Niveau an Schönheit heran. Ich dachte schon, dass sie vielleicht abgesagt hatte, und das brach mir das Herz. Aber als Killah gerade seine abgefahrene Performance beendet hatte, sah ich sie. Sie betrat die Bühne in einer umwerfenden smaragdgrünen Abendrobe. Endlich mal etwas, das nicht aus einem Designer-Herrenanzug und klobigen Schuhen bestand.
Der Ausschnitt reichte hinab bis zum Bauchnabel und mein Schwanz regte sich bei dem Gedanken, wie leicht es wäre, dieses dünne Stück Stoff von ihren Brüsten zu streifen und das Festmahl zu genießen, nach dem sich mein verhungernder Mund so sehr sehnte. Hitze durchfuhr mich, als Killah sie mit Aufrichtigkeit umarmte, und ihr Lächeln … Gott. Sie verwandelte sich vor unseren Augen von einem Party-Playgirl in eine elegante Frau.
„Meine Damen und Herren, mein Mädchen, Kylie Morgan!“ Tosender Applaus brach im Saal aus. „Sie ist heute hier, um die Waisenkinder zu unterstützen. Morning House ist ein Ort, wo Teenager hingehen können, wenn sie kein Zuhause haben oder sonst in Schwierigkeiten sind. Und wir wissen es sehr zu schätzen, dass Kylie hier vor Ihnen reden wird und eine Organisation unterstützt, von der sie auch selbst einmal profitiert hat. Mein Mädchen hier war früher manchmal meine Komplizin.“ Er lachte, zog sie noch einmal an sich und ich hätte ihn erwürgen können. „Sie hat soeben ihre eigene Nonprofit-Organisation für Jugendliche gestartet, in der sie ihnen lebenslange Mentoren und Unterstützer vermittelt. Die Every Dream Foundation gibt Waisenkindern und bedrohten Jugendlichen eine Möglichkeit, ihre Zukunft in die Hand zu nehmen und die Wunden der Vergangenheit zu heilen. Die Every Dream Foundation geht eine Partnerschaft mit Morning House ein, um ein ausgewogenes Unterstützungsnetzwerk für die Schwächsten in unserer Gesellschaft zu schaffen. Und nun, ohne weitere Umschweife, präsentiere ich Ihnen die Frau mit dem größten Herzen auf der ganzen Welt.“
Wieder war der Applaus und das Gepolter groß, während sich mein Herz zusammenzog.
Kylie wurde geliebt und verehrt. Sie trat mit Anmut und Grazie vors Mikrofon. Ihre Stimme war zunächst dünn und sie war ganz die schüchterne Kylie, die mir den Kopf verdreht hatte, doch je mehr sie sprach, desto mehr kam das feurige Mädchen zum Vorschein.
„Danke euch allen, dass ihr heute hier seid und Morning House unterstützt. Wie Killah schon gesagt hat, waren wir oft Komplizen und ich kann mich an einigen Schabernack erinnern. Ich wette, Mrs. Harmon ebenfalls.“ Irgendwo im Saal war Kichern zu hören. „Ich erinnere mich an mehr als eine Gelegenheit, bei der ich in ihr Büro zitiert wurde, aber wissen Sie was … Sie hat mich nie gescholten oder bestraft, sondern gesagt: ‚Du bist besser als das.‘“ Kurz musste sie schlucken. „Du bist besser als das... Ich hab nie wirklich darüber nachgedacht. Ich war ein Waisenkind wie Killah, nur dass wir ihn damals einfach Kevin genannt haben. Wir wollten es nicht besser können. Ich glaube, wenn Familie um Familie an einem vorbeizieht, weil sie jemand Jüngeres wollen, jemanden mit weniger Schwierigkeiten, wieso sollte man da besser sein wollen … und wozu? Etwas in einem will Böses tun, damit all der Schmerz und das Leiden gerechtfertigt ist. Wer tut einem kleinen Kind weh? Wer wirft es weg? Wir denken nicht gerne darüber nach, aber es geschieht jeden Tag. Es gibt hunderte Gründe, weshalb man kein dürres Mädchen mit ‚Problemen‘ adoptieren will, aber was passiert dann mit ihr? Kevin und ich, wir hatten Glück, dass wir Mrs. Harmon hatten, die uns ermutigt hat … und die für uns die Familie war, die er und ich nie bekommen haben. Morning House und die Every Dream Foundation geben Kindern, deren einziger Fehler es war, in Familien geboren worden zu sein, die nicht für sie sorgen können, eine Chance, es besser zu machen und eine Gemeinschaft zu finden. So können Sie ihr Leben und ihre Zukunft in einem helleren Licht sehen … und letztlich selbst strahlen.“
Die Leute sprangen auf und es brach ein Getöse aus Applaus und Zurufen aus.
Jetzt weinte Kylie. Ich wollte auf die Bühne eilen und sie in meine Arme nehmen. Ich hatte keine Ahnung gehabt. Nichts war je über ihre Vergangenheit ans Tageslicht gekommen. Sie hatte es mir gegenüber kurz angedeutet, aber … Was sie alles durchgemacht haben musste. Alle meine Kollegen waren schwer beeindruckt von Kylie, keiner wusste allerdings von der Nacht, die wir miteinander gehabt hatten.
„Ich liebe Kylie Morgan“, schwärmte Ashley, die Assistentin meines Marketingmanagers.
Ich wandte mich an sie und fragte: „Warum?“, wobei ich sie wahrscheinlich erschreckte, denn ich mischte mich sonst nicht wirklich unter meine Leute.
Tatsächlich wirkten alle angespannt, allein schon weil sie mit mir an diesem Tisch saßen. Ich war immer zu beschäftigt, um allzu viel Zeit mit meiner Belegschaft zu verbringen. Ich lud sie nie zu Wohltätigkeitsveranstaltungen ein und der einzige Anlass, zu dem sie mich wirklich zu Gesicht bekamen, war unsere jährliche Weihnachtsfeier, der ich dann eine Stunde beiwohnte, bevor ich verschwand. Ansonsten hatte ich mein Büro im sechzehnten Stock und der Rest war eine Etage tiefer. Ich hatte einen persönlichen Assistenten, Troy. Er war ein anständiger Kerl und arbeitete hart für seine Familie. Unser Verhältnis war freundlich, effizient und oberflächlich. Ich hatte keine Freunde bei der Arbeit.
Mein bester Kumpel war Christian, ein Maler und etwas schräger Künstler, aber wir waren seit der Kindheit befreundet. Er war der Sohn meiner Nanny, also waren wir tatsächlich fast wie Brüder aufgewachsen. Er war sehr erfolgreich, dazu aber großzügig und gütig … Alles das, was ich nicht war. Er wäre der perfekte Partner für Kylie gewesen, aber dazu würde es nie kommen, denn ich würde dafür sorgen, dass sie mir gehörte.
„Das passt gar nicht zu dir“, hatte er gesagt, als wir uns unlängst auf einen Drink getroffen hatten.
„Ich weiß. Was geschieht mit mir?“, lachte ich.
„Ja, normalerweise führst du dich wie ein absoluter Scheißhaufen auf, wenn es um Frauen geht.“ Er hatte nicht unrecht, aber es schmerzte trotzdem, das so zu hören.
„Naja, offensichtlich war ich zu ihr ja auch ein Scheißhaufen … Sie hat mir nach ihrem letzten Kommentar nichts mehr geschrieben.“ Es brachte mich halb um, ihm das zu erzählen.
„Sie muss dich wohl durchschaut haben. Wenn sie wirklich nicht das ist, als was sie sich ausgibt, dann ist mein Tipp, dass sie genau das Gegenteil sein muss. Du hast ihr wahrscheinlich höllisch Angst gemacht, und außerdem bin ich ziemlich sicher, dass es ihr trotzdem gefallen hat. Deshalb rennt sie davon. Sie hat Angst, dass du ihr wehtun wirst.“ Er trank sein Bier, nahm eine Handvoll Erdnüsse und steckte sie sich in den Mund.
„Das Schlimmste ist ja, dass ich sie zerstören würde, aber ich will sie trotzdem … Verdammt.“
„Du solltest besser weiterziehen. Sie ist bestimmt wahnsinnig kompliziert.“ Er spülte seine Erdnüsse mit einem Schluck Bier hinunter.
„Genau dein Typ“, knurrte ich.
„So ziemlich.“ Sein Grinsen wurde breiter.
„Was ist mit Astrid? Was ist da passiert? Glaubt sie immer noch, dass sie auf Mädchen steht?“ Der Gedanke daran war absurd.
Astrid war eine Frau, mit der Christian schon sein Leben lang mal getrennt und mal zusammen gelebt hatte und die sich gerade erst als Lesbe geoutet hatte. Was für ein brutaler Schlag. Aber ich konnte den Grund schon erkennen, Christian war Künstler, sensibel … einflussreich. Er konnte durchaus etwas für eine Lesbe sein.
„Es tut zu weh, darüber zu reden. Konzentrieren wir uns lieber nur auf dein kompliziertes Chaos … in Ordnung?“ Der arme Kerl. Die Trennung traf ihn wirklich sehr.
Meine Gedanken waren abgedriftet, während ich Ashley über Kylie schwärmen hörte. „Sie ist so toll. Sexuell selbstbewusst, eine befreite Frau und mega cool. Und jetzt legt sie noch einen drauf und zeigt sich als Waisenkind und Kämpferin. Sie ist der Wahnsinn!“ Ashley schien es egal zu sein, dass sie meine Mitarbeiter mit ihren Lobpreisungen etwas befremdete, aber ich konnte ihr nur recht geben.
„Interessant. Ich hab nie so viel über sie nachgedacht.“ Was für eine Lüge, wo ich in Wahrheit doch am liebsten aufgestanden und backstage gegangen wäre, um sie ausfindig zu machen. Doch das musste ich gar nicht, denn da war sie, drei Tische von mir entfernt.
„Würdest du sie gerne kennenlernen?“, fragte ich Ashley.
„Oh mein Gott … Nein, sie … sie ist bestimmt beschäftigt.“ Ashley begann doch tatsächlich zu zittern.
„Kylie ist eine alte Bekannte. Ich kann euch einander vorstellen. Ich werde eine durchaus nennenswerte Summe spenden. Du kannst gerne mitkommen.“ Der Rest der Tischgesellschaft starrte mich an, als wäre gerade mein Kopf explodiert.