Kapitel fünfzehn - Kylie
Ich hatte gewusst, dass Alec auf der Gästeliste stand, und jetzt sah ich ihn im Publikum. Er saß ganz allein an einem Tisch. Wie konnte der Bastard hier sein Gesicht zeigen? Er hatte mir soeben das Gebäude weggeschnappt, das ich den ganzen Monat über für uns zu sichern versucht hatte. Ja, die Hütte war eine Rattenfalle und ich wusste nicht recht, wie ich sie eigentlich auf Vordermann bringen sollte, aber ich hatte gehofft, wir würden mit dem Geld aus der Auktion schon einen Anfang finden. Die ehemalige Besitzerin war eine Freundin von Averys Mom. Sie wollte uns das Gebäude für praktisch nichts geben, gemessen an den Immobilienstandards für New York, auch wenn es für uns immer noch eine Wagenladung Geld gewesen wäre. Und Alec, der gierige Wichser, hatte einen Weg gefunden, es uns unter der Nase wegzukaufen. Ich hielt sein Gesicht kaum aus.
Was meinen Stress und meine Wut über Alec und diese Scheißaktion noch verschlimmerte, war die Tatsache, dass mein Kleid kaum passte. Ich konnte darin fast nicht atmen und hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen. Aber ich musste mich zusammenreißen, das schuldete ich Avery und meiner Stiftung. Meine Bemühungen, meinen Ruf zu wandeln und von der Gesellschaft als verantwortungsvoller Mensch gesehen zu werden, schienen zu fruchten. Einen skandalösen Kollaps auf meinem eigenen Event zu haben, wäre keine sonderlich gute Presse gewesen, also konzentrierte ich mich einfach aufs Atmen. Wir hatten das Kleid bereits einmal ausgelassen, aber es war mir um den Bauch noch immer zu eng.
„Und jetzt, Kylie Morgan.“ Der Saal drehte durch und ich tat, was ich konnte, um einfach meinen Hintern auf die Bühne zu bugsieren. „Okay, die Gebote für Kylie starten bei fünftausend Dollar.“
Es war nicht leicht, mich nicht wie ein Stück Fleisch zu fühlen, wie ich da in meinem Avant-Garde-Hochzeitskleid rumstand, aber wir waren uns einig, dass es der beste Weg war, die größtmögliche Summe zu bekommen.
Ich stand draußen im Schein der heißen Bühnenlichter, unfähig zu sehen, wer auf mich bot, aber ich hörte, wie der Preis schnell eskalierte.
„Einhunderttausend Dollar, was?“ Johan hatte eine Notiz von einem der Hosts bekommen.
Im Saal wurde es still, als er den Zettel vorlas. „Aha, okay. Also das ist neu für mich. Das hab ich noch nie in einer Auktion erlebt, aber in meiner Hand halte ich ein Gebot über eine Million und fünfhunderttausend Dollar für Kylie Morgan. Möchte irgendjemand höher bieten?“
Ich würde mich definitiv gleich übergeben. Ich brauchte nicht zu sehen, wer das Gebot abgegeben hatte, um zu wissen, dass es Alec war. Wieso zum Geier kaufte er das Gebäude, das wir für uns haben wollten, und gab dann eineinhalb Millionen Dollar aus, um mit mir zu Abend zu essen? Ich begann mir wirklich langsam Sorgen zu machen, dass mit diesem Mann etwas ernsthaft nicht stimmte.
„Okay, irgendwelche weiteren Gebote? Niemand? Kylie Morgan, verkauft für eins Komma fünf Millionen Dollar.”
Nicht ohnmächtig werden, nicht ohnmächtig werden. Nicht ohnmächtig werden, nicht kotzen.
„Gut, das war’s für heute, ihr könnt eure Dates hinten im Saal beim Treffpunkt abholen. Sie gehören euch für den Abend, bis das Event um zehn Uhr endet. Bevor ihr euer Date abholt, vergesst bitte nicht, eurem Host eure Kreditkarte oder sonstige Zahlungsmittel zu überreichen. Danke, dass ihr dabei wart, genießt das Essen, tanzt und trinkt. Für Gönner und Models steht die Kunstgalerie offen und präsentiert große Meisterwerke einer Wanderausstellung, darunter auch Picasso und Monet.“ Und so war mein Schicksal besiegelt.
Auf wackligen Beinen verließ ich den Laufstieg und begab mich in die gegenüberliegende Ecke des Saals, wo Barhocker und Tische mit unseren Namen darauf aufgestellt waren, ein Bouquet Blumen vor jedem davon. Ich versuchte mir selbst einzureden, dass das Geld für wohltätige Zwecke war und Kindern half, die sonst keine Chance hatten, den Nächten auf der Straße zu entkommen. Man hatte uns Wasser hingestellt mit einem Scheibchen Zitrone, das an der Oberfläche trieb. Ich stürzte das ganze Glas hinab, als Alec zu mir trat in seinem dunkelgrauen Smoking, mit einer schwarzen Krawatte und einem hellblauen, säuberlich gebügelten Hemd dazu.
„Über eine Million Dollar.“ Seine Stimme war ganz samtig und er setzte sich auf den Barhocker mir gegenüber. „Du bist eine schwer zu findende Frau … und teuer.“
Ich tat einen tiefen Atemzug. Beleidig ihn nicht, beleidig ihn nicht.
„Das Gebot war erst bei einhunderttausend, du hättest dein Geld stecken lassen können.“ Ich tat, was ich konnte, um meinem Ton Leichtigkeit zu geben.
Ein Kellner kam an unseren Tisch und fragte: „Möchten Sie etwas trinken?“
„Wir möchten eine Flasche von Ihrem besten Wein, was immer Sie haben“, fertigte Alec den Kellner ab.
„Nichts für mich, danke“, fügte ich an. „Ich habe morgen ein Shooting. Rotwein lässt meine Augen geschwollen wirken.“ Ich gab mir Mühe, dabei nicht allzu eingebildet oder verrückt zu klingen.
„Möchtest du etwas anderes?“ Er schien überrascht, dass ich nicht trinken wollte.
„Nö. Wasser ist gut.“ Ich schenkte ihm ein Lächeln.
„Du bist echt keine große Trinkerin. In Ordnung. Dann nehm ich einfach einen Wodka Tonic.“ Er war kurz angebunden zu dem Kellner, aber ich vermutete mal, dass seine Irritation mehr mir galt als ihm.
„Möchtest du zu unserem Tisch gehen oder hast du’s gemütlich hier im Auktionsblock?“ Ah, sein wundervoller Sinn für Humor.
„Aber unbedingt, lass uns an den Tisch gehen.“ Ich sammelte mein Kleid ein und er erhob sich, um mich zu umrunden und mir dabei zu helfen.
„Das ist ein ziemlich beeindruckendes Kleid, das du da anhast. Schön, aber ich würde dich viel lieber ohne sehen.“ Seine Stimme triefte vor Verführung und dann blitzte uns eine Kamera mitten ins Gesicht.
Überall waren Fotografen, genauso wie Modeikonen, Models, Schauspieler und Musiker.
„Vielleicht kann ich hinterher ein Zelt draus machen“, sagte ich und lächelte zähneknirschend. „Nachdem du ja jetzt das Gebäude gekauft hast, das wir für unsere Stiftung verwenden wollten.“
Seine Hand umrundete meinen Rücken und er eskortierte mich zu einem abgeschiedeneren Bereich, weg von den Massen. Marcus Danton kam auf uns zu, als wir uns gerade durch die Menschenmenge manövrierten, um zu unserem Tisch zu gelangen.
„Eins Komma fünf Millionen Dollar … Mann, das ist eine schöne Stange Geld. Hart gespielt und fair gewonnen.“ Marcus trat vor Alec und schüttelte seine Hand. „Ich wäre bereit gewesen, auf eine halbe Mille zu gehen.“ Er schaute zu mir. „Kylie, du wärst noch so viel mehr wert, aber meine Mittel sind derzeit ziemlich gebunden. Dürfte ich?“ Er schielte zu Alec, als er meine Hand nahm und küsste. „Lass uns nächste Woche mal zum Lunch gehen.“
„Liebend gerne.“ Ich versetzte Marcus ein strahlendes Lächeln.
Er war Rapper, er war ein Freund von mir und er strotzte vor Geld, fast so wie Alec, aber eben nicht ganz. Es war wirklich sehr lieb von ihm, dass er so hoch geboten hätte.
„Du kannst nicht einfach hier anmarschieren und Lunch mit meinem Date buchen.“ Alec versuchte vermutlich einen Witz zu reißen, aber er klang dabei sonderbar ernst.
„Mein Fehler, sie geht ja jetzt auf deine Rechnung.“ Marcus ließ Alecs Verschrobenheit einfach an sich abperlen, schenkte mir noch ein Lächeln und ging.
Als wir bei unserem Tisch angekommen waren, warteten dort bereits weitere Fotografen und Gratulanten. Es wurde alles ziemlich überwältigend und ich wusste es doch zu schätzen, dass Alec zu verstehen schien, dass ich an diesem Abend nicht noch mehr Aufregung vertragen konnte. Ich musste entweder irgendwo in eine ruhige Ecke gebracht werden oder überhaupt von diesem Ort verschwinden. Es war allerdings mein eigenes Event. Ich musste wenigstens zum Dinner bleiben.
„Bist du okay?“ Der Anflug ehrlicher Sorge in seiner Stimme war süß.
„Es war ein wirklich langer Tag und bei all dem Geschwirr und den Leuten wird mir ein bisschen schwindlig. Vielleicht muss ich was essen.“ Der Raum um mich war definitiv aus dem Gleichgewicht und mein Magen wogte übelerregend.
Alec hob die Hand, um die Aufmerksamkeit eines Hosts zu erlangen. „Du musst auf jeden Fall essen.“ Eine Hostess kam rasch herbei und er flüsterte ihr etwas ins Ohr. Nachdem er damit fertig war, wandte er sich mir zu. „Du siehst inzwischen schon ein bisschen runder aus“, warf er so in den Raum. „Es gefällt mir, ein bisschen Fleisch auf deinen Knochen zu sehen, auch wenn du immer noch zu dünn bist …“
„Ich bin Model“, wollte ich gerade zu protestieren ansetzen, als der Sicherheitschef auf unseren Tisch zukam.
„Kann ich Ihnen behilflich sein, Mr. Blair?“ Er klang freundlich und doch ein klein wenig beunruhigt.
„Wie Sie wissen, habe ich soeben sehr viel Geld für dieses Date hier ausgegeben und es würde mich äußerst froh machen, wenn Sie eine Wache an unserem Tisch postieren könnten. Ich hätte gerne eine private Unterhaltung mit Miss Morgan, ohne Störungen.“ Wow, er war in Sekunden zum Eisblock geworden.
„Natürlich, ich lasse auf der Stelle jemanden herschicken.“ Der Sicherheitsmann nickte knapp und alles rannte in irgendeine Richtung davon, vermutlich um jemanden aufzutreiben, der Alecs Anfrage befolgen würde.
„So ist es hoffentlich besser.“ Er wandte sich wieder mir zu und lächelte.
Ein Kellner kam mit noch etwas Wasser für mich und brachte auch Alecs Drink. Unsere Vorspeisensalate hatte er ebenso dabei. „Lassen Sie es mich wissen, falls Sie noch etwas benötigen. Ich bin Rogen und ich werde heute Abend Ihr privater Kellner sein.“
„Ich denke, wir haben alles“, antwortete Alec für mich, was ich gerne hinnahm, weil ich mich noch immer nicht astrein fühlte. Dann schaute er mich an. „Hast du das Menü für das Event ausgewählt?“ Ah, er machte Smalltalk.
„So ist es. Ich liebe Radicchio und Blaubeeren.“ Ich lächelte ihm freundlich zu, auch wenn ich ihn einfach nur ankläffen wollte und fragen, wieso er mein Gebäude gekauft hatte.
„Sehr erfrischend. Nun“, er tat einen Schluck aus seinem Glas, „möchtest du mir vielleicht erzählen, wieso du vor drei Monaten vor mir davongerannt bist? Ich weiß, du und ich haben uns seitdem ein paarmal kurz gesehen, aber es lässt mich nicht recht los.“ Seine Stimme klang beinahe gekränkt.
„Die Nacht, die wir zusammen verbracht haben …“ Ich begann zu zittern, wenn ich nur daran dachte, und nahm noch einen Schluck von meinem Wasser, als der Wachmann kam und sich gleich ein paar Leuten in den Weg stellte, die zu uns an den Tisch kommen wollten. „… war sehr heftig. Ich … Wir hatten gesagt, dass es nur bei einer Nacht bleiben sollte. Ich wusste nicht, wohin ich mit meinen Gefühlen sollte, also hab ich sie eingestöpselt und weggesteckt.“ Das war ehrlich die beste Antwort, die ich parat hatte.
„Aber ich habe dir gesagt, dass ich offen bin für mehr.“ Er nahm einen weiteren Schluck von seinem Cocktail und stocherte in seinem Salat.
Plötzlich hatte ich keinen Hunger mehr. „Was bedeutet mehr für Alec Blair? Noch eine Nacht ficken?“ Ich senkte die Stimme zum Flüstern. „Ein Essen, ein Film, vielleicht ein Abend in der Oper … oder bei einer Benefizveranstaltung? Wir werden in den Medien gesehen, die Gerüchte sprießen, plötzlich bin ich mit dir zusammen. Nur bist du leider nicht von meiner Modelagentur genehmigt und ich darf nicht wirklich auf eigene Faust losziehen. Wir haben eine Liste mit annehmbaren Leuten, mit denen ich ‚umtriebig‘ sein darf, und du stehst da nicht drauf. Du bist eine zu große Nummer, erregst zu viel Aufsehen. Mit dir ins Bett zu steigen wäre gefährlich, zu viele Leute würden es mitkriegen. Aber ich bin schon mit dir ins Bett gestiegen und keiner hat’s mitbekommen. Ich hab’s überlebt.“ Ich atmete tief durch.
„Ich verstehe, ich würde dir also die Tour vermasseln? Nicht cool genug, zu berühmt, nicht schwul oder nicht ernsthaft genug, um ins Rennen zu steigen? Was? Unverheiratete Milliardäre sind heutzutage keine heiße Ware mehr?“ Er kam jedenfalls ganz schön gerupft rüber. „Wie komm ich auf die Liste deiner Agentur?“
„Ich hab nie mit einem der Männer geschlafen, mit denen ich ausgegangen bin. Es hat sich gut angefühlt, dass alles nur Show war. Mit dir hab ich geschlafen. Das hat die Dinge in meinem Kopf durcheinandergebracht.“ Ich leerte mein Glas und der Kellner kam unverzüglich mit einem Krug heran, um mein Wasser aufzufüllen.
„Also hast du mich sitzen lassen, weil ich real bin.“ Das schien ihn zu amüsieren.
„Teilweise.“ Mein Herz begann in der Brust zu hämmern.
Ich musste mich ihm stellen, aber ich konnte kaum darüber reden, ohne in Tränen auszubrechen.
„Und was ist der andere Teil?“ Er beugte sich vor, dominant und belustigt.
„Du bist ein Arschloch.“
„Wie kommst du darauf?“ Jetzt war er schon weniger amüsiert.
„Du hast heute das Gebäude gekauft, das wir als Krisenzentrum ausbauen wollten, und du musst gewusst haben, dass die Every Dream Foundation der einzige Bieter auf das Grundstück war.“
Oh mein Gott, ich würde mich definitiv noch übergeben.
Ich musste würgen und spülte noch mehr Wasser nach. Ich musste nach Hause und so weit weg von Alec Blair, wie ich nur konnte.
„Ich habe einen Grund dafür, dass ich das Gebäude gekauft habe, Kylie.“ Seine Stimme blieb ruhig, wenn auch leicht erhitzt.
„Sollte dein Gebot auf mich ein Ersatz dafür sein, dass du es uns genommen hast? Wenn ja, danke, das Problem ist nur, wir werden niemals ein anderes Gebäude in der Größe finden, das wir uns leisten können.“ Ich wollte ihn gerade zur Schnecke machen, doch er gebot mir Einhalt.
„Ich werde es euch vermieten.“