Welt Eins
Krieg
Lara hörte ein Keuchen. Ein Winseln. Ein Stöhnen. Sie versuchte, zu atmen. Und bekam kaum Luft.
»Was war das?«, rief eine Stimme.
»Keine Ahnung.«
Jemand rüttelte an der Tür des Wagens. »Sie klemmt!«
Lara fasste sich an die Brust. Der Aufprall hatte sie erst nach vorn geworfen und dann mit aller Kraft auf die Rückenlehne gestoßen.
»Alles okay?«
Sie sah Timos besorgten Blick. Und versuchte erneut, zu Atem zu kommen. Diesmal fiel es ihr leichter, auch wenn es schmerzhaft war. »Es geht schon.« Susi schleckte ihr das Gesicht ab.
Timo öffnete die Tür. »Warte, ich hol dich raus.« Er schob einige Zweige zur Seite, die ihm den Weg versperrten.
»Timo! Mach die Tür auf!«, hörte sie Isabels panische Stimme.
Lara fasste nach vorn zu Marcs Schulter. »Marc? Bist du verletzt?«
Er drehte sich zu ihr um. Kreidebleich. »Das war sie. Maike. Ich habe sie zu spät gesehen. Sie kam einfach zwischen den Bäumen raus. Ich konnte nicht rechtzeitig bremsen.« Seine Hände zitterten.
»Es war nicht deine Schuld.«
Er schien sich etwas zu beruhigen und musterte sie nun besorgt. »Bist du verletzt?«
»Glaube nicht. «
Sie fragte sich, wo Timo blieb. Isabel hatte es mittlerweile geschafft, die Tür aufzustoßen. Susi sprang auf den Beifahrersitz und schleckte nun aufgeregt Marcs Gesicht.
Er streichelte den Hund. »Alles okay, Susi. Und du?« Marc betrachtete die Hündin prüfend. Dann sah er wieder zu Lara. »Ruhig atmen. Ich gehe raus und rufe einen Krankenwagen. Und sehe nach Maike.«
Während er ausstieg, konzentrierte sich Lara auf ihre Atmung. Es ging immer besser. Außerdem konnte sie schmerzfrei Arme und Beine bewegen. Wie durch ein Wunder schien niemand schwerwiegend verletzt. Abgesehen von dieser Maike. Vermutlich.
Von draußen waren aufgeregte Stimmen zu hören.
»Wo sind wir?«
Lara richtete sich auf. Was war da los? Sie wollte die Tür öffnen, als das ganze Auto zu beben begann. Ein lauter Knall war zu hören. Dann erschütterte etwas den Boden. Sie hielt sich am Türgriff fest. Von draußen war ein Schrei zu hören. Sie schob die Tür auf und stieg aus. Auch auf ihrer Seite waren Zweige und Äste im Weg. Sie schob sie weg und kroch aus dem Wagen.
Was sie sah, verschlug ihr die Sprache.
Vor ihr erstreckte sich endlos und grau: das Meer.
Die Wellen türmten sich hoch. Der Wind blies heftig. Sie selbst befand sich an einem Strand. Feiner Sand unter ihren Füßen, und einzelne Baumgruppen prägten das Bild. Vor Staunen stand ihr der Mund offen. Sie schaute hinüber zu Timo und Marc, die sich genauso verwirrt wie sie selbst umsahen. Susi sprang aufgeregt bellend um sie herum. Der Wind wehte heftig und blies Lara die Haare ins Gesicht .
»Wo zur Hölle sind wir?«, rief sie Timo zu.
»Keine Ahnung«, brüllte der gegen den Wind zurück.
Lara sah zu Marc, der sich weniger besorgt als interessiert umsah, als sie ein Zischen hörte. Das Geräusch schien aus dem Himmel zu kommen. Lara machte einen kleinen, schwarzen Punkt aus, der immer größer wurde. Das Zischen wurde lauter.
»Achtung!«, hörte sie jemanden rufen und wurde dann zu Boden gerissen.
Direkt an der Stelle, an der sie gerade noch gestanden hatte, schlug mit voller Wucht etwas ein und hinterließ einen Krater im Sand.
Keuchend richtete sie sich auf. Timo, der sie zur Seite gestoßen hatte, lag neben ihr. Er starrte in das Loch.
»Was war das?«
Auch Lara sah hinunter. Es war nichts zu sehen.
»Timo. Was ist hier los?«
»Keine Ahnung.«
»Seht mal dort!«
Sie sah zu Marc, der aufs Meer deutete. Verschwommen konnte sie die Umrisse von etwas ausmachen. Sie wurden schnell größer und näherten sich. Große, rechteckige Teile, die wie Bunker aussahen. Eine bizarre Art von Schiffen. Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug.
»Wo ist Isabel?«, fragte Timo.
»Hat sich beim Auto versteckt.«
Marc ging auf Lara zu, während Timo zum Auto lief. »Also, was jetzt?«, fragte Marc, als hätte Lara irgendeine Form von Plan.
»Was jetzt? Ich habe keine Ahnung. Wo sind wir?«
Er lächelte sie belustigt an. Was war mit ihm los? Da bebte die Erde erneut. Einmal. Kurz und heftig. Und noch einmal. Sie hörte lautes Brüllen und sah zu den Dünen, die sich neben ihr erstreckten. Jetzt kamen sie von überall. Riesige Gestalten, gekleidet in silberne Rüstungen, aber viel zu groß, um Menschen zu sein. Lara schätzte sie auf gute drei Meter. Sie rannten auf sie zu.
Lara sah ihnen entgegen, unfähig, sich zu bewegen. Sie wollte schreien, aber kein Ton drang über ihre Lippen. Die Riesen stampften an ihr vorbei, nahmen sie überhaupt nicht wahr. Sie hielten etwas in den Händen. Kleine, silberne Kugeln, die sich um sich selbst drehten. Eines der Ungetüme warf die Kugel hoch, die sich in der Luft zu einer Art Harpune verformte und dann Richtung Meer sauste. Direkt auf die Schiffe zu, die mittlerweile in einem irren Tempo fast schon den Strand erreicht hatten. Auf ihnen konnte Lara Hunderte dieser Riesen ausmachen, die sich um sie herum am Strand befanden. Da hörte sie erneut das Zischen, das sich zu einem lauten Summen ausdehnte. Um sie herum schlug etwas Löcher in den Boden. Jetzt nicht mehr einzeln, sondern hundertfach. Lara schrie auf.
Einer der Riesen hielt in seiner Bewegung inne und sah zu ihr. Als würde er sie erst jetzt wahrnehmen. Er verharrte regungslos. Und wurde von einem dieser zischenden Teile getroffen. Er ging zu Boden. Der Helm seiner Rüstung lockerte sich, und sie sah sein Gesicht. Graue Haut, zwei geweitete Augen. Kein Mund. Keine Nase. Was war er?
Auf jeden Fall war er nun tot .
Tot.
Obwohl doch keiner mehr sterben konnte.
Sie spürte, wie jemand sie am Arm packte und wegzog.
»Sie bekämpfen sich gegenseitig. Komm!«
Es war Marc, der sie gezielt fortzerrte. Als wüsste er genau, wo sie hinlaufen mussten. Sie rannte mit. Susi neben sich. Um sie herum brach Chaos aus. Die zischenden Dinger von den Schiffen schossen durch die Luft und schlugen tiefe Krater in den Boden. Die Riesen neben ihr warfen ihre Kugeln in die Luft, die sich in Harpunen verwandelten und Richtung Schiffe flogen. Lara kam es wie eine Ewigkeit vor, in der sie einfach nur rannte und sich an Marcs Hand klammerte. Endlich lichtete sich um sie herum die Umgebung. Es waren immer weniger von diesen Riesen zu sehen.
Schließlich ließ sie Marcs Hand los und plumpste in den Sand. Ihr Atem ging schwer.
»Wo sind wir? Was ist hier los?«, schrie sie, während Susi neben ihr auf und ab sprang und aufgeregt bellte.
»Das können wir den direkt mal fragen«, erwiderte Marc locker und sah an ihr vorbei.
Sie drehte sich um. Einer der Riesen kam auf sie zu! Im Gegensatz zu den anderen hatte er keinen grauen, sondern einen grellroten Helm. Er blieb direkt vor ihnen stehen. Unverständliche Laute drangen aus ihm hervor.
»Was?«, fragte Marc.
»Versteht ihr mich?« Seine Stimme war tief und donnerte lauter als die Geschosse um sie herum.
»Ja!«, rief Lara aufgeregt .
»Warum seid ihr hier?«
Diese Frage verdutzte sie dermaßen, dass ihr keine Antwort einfiel.
Nur Marc schien die Ruhe zu bewahren. »Wir wollen auf jeden Fall weiter.«
Weiter? Wovon redete er?
»Dann haut ab. Ihr habt hier nichts verloren. Ihr bringt alles durcheinander.«
»Wo sind wir überhaupt?«, rief Lara verwirrt.
»Verschwindet!«, erwiderte der Riese.
Da sah sie, wie Timo und Isabel Hand in Hand aus der Masse der Riesen herausrannten. Isabel starrte verwirrt um sich und ließ sich von Timo mitziehen. Der blieb nun stehen und beobachtete den Typen, der vor Lara und Marc stand. Schützend stellte er sich vor Isabel. 
»Es gibt noch mehr von euch?«, fragte der Riese gereizt. Er hob die Hände.
Etwas blitzte auf, und Lara beobachtete fasziniert, wie er eine kleine Kugel formte, die aus dem Nichts auftauchte. Die Kugel drehte sich um sich selbst. Er warf sie in die Luft.
»Rennt!«, schrie Timo und zog Isabel bereits mit sich.
Lara überlegte nicht lang. Sie rannte hinter Marc und Susi am Strand entlang. Sie hörte das Zischen. Direkt neben ihr schlug das Ding ein. Sie schrie auf und rannte weiter. Ihr Arm brannte. Aber sie blieb nicht stehen. Drehte sich nicht um. Erst, als ihre Lunge zu platzen drohte, wurde sie langsamer.
»Komm. Hier entlang. «
Marc zog sie zu einem Hügel. Ein Loch war zu erkennen, in das Marc wie selbstverständlich hineinging. Lara zögerte keine Sekunde und folgte ihm.
Innen war es dunkel und kühl. Eine Höhle mitten am Strand. Durch den Eingang drang schwaches Licht und erhellte den Raum, in dem bereits Timo und Isabel saßen. Isabel zitterte am ganzen Körper. Timo hatte den Arm um sie gelegt. Susi lief hektisch von einem zum anderen.
»Leute, kann mir mal einer sagen, was hier abgeht?« Lara hörte ihre eigene Stimme wie durch Watte. In dem Raum hallte sie merkwürdig.
Timo erwiderte ihren Blick, als wäre er kurz davor, die Fassung zu verlieren. »Da war der Unfall. Und … die Flasche hat sich geöffnet.«
»Ein Tropfen ist raus. Das habe ich gesehen!«, erinnerte sich Lara.
»Und dann waren wir hier.«
Marc applaudierte. »Netter Versuch. Aber ihr könnt euch das sparen.«
»Was sparen? Wovon redest du?«, fragte Timo gereizt.
»Ihr macht weiter einen auf top secret. Aber ich weiß, wo wir sind.«
»Ach ja? Dann erzähl doch mal.«
Marc sah sie an. »Wir sind im Spiel deines Vaters. Die Flüssigkeit hat das ausgelöst. Irgendwie hat sie den Beamer betätigt.« Seine Augen leuchteten im Dunkeln.
Lara starrte ihn an .
»Es ist fantastisch!«, rief er. »Die ganze Zeit hab ich so was vermutet. Wenn der Feingeist seit Jahren ein Geheimnis aus seinem Programm macht, dann muss es wirklich etwas ganz Neues sein. Und als Cem mit seiner Idee eines Beamers kam, hatte ich es gehofft. Aber dass er es wirklich geschafft hat! Lara, dein Vater ist ein Genie!«
»Ich kapier absolut nicht, wovon du redest.«
»Er denkt, dass wir in einem Spiel sind. Er dreht völlig durch«, erwiderte Timo.
Sie ging auf Marc zu. »Ich weiß nicht, was das hier ist. Aber es ist kein Spiel.«
Er lachte auf. »Sag schon. Was kommt als Nächstes?«
»Als Nächstes?« Ihre Stimme überschlug sich. »Hast du nicht gesehen, was da draußen los ist? Irgendwelche riesigen Wesen bringen sich gegenseitig um. Sie haben keinen Mund und keine Nase. Und sie können sterben. Dinger, die ich noch nie gesehen habe, können sterben. Wo zur Hölle sind wir?«
»Sag du es mir.« Herausfordernd sah er sie an.
»Ich weiß es nicht!«, schrie sie.
Da hörte sie ein Wimmern. Wie das eines Kindes. Sie sah sich um. Das Geräusch kam von Isabel. Sie hatte die Beine angezogen und die Arme um die Knie geschlungen. Sie wiegte sich vor und zurück und gab dabei diese seltsamen Töne von sich.
»Was ist mit ihr?«
»Sie steht unter Schock.« Timo setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schulter. »Atmen, Isa. Es ist alles okay. «
Das war ziemlich optimistisch, wenn man ihre Lage bedachte. Es schien auch Isabel nicht zu beruhigen.
Erneut bebte die Erde. Einmal. Zweimal. Die ganze Höhle wackelte. Sand rieselte herab.
»Das ist dieser Typ. Der uns umbringen wollte.«
Isabel schrie.
»Sei leise!«, rief Lara besorgt.
Aber sie schrie aus Leibeskräften weiter, während Susi jaulte.
»Isa. Beruhige dich.«
Wieder ein Beben. Isabels Schreien wurde noch lauter, bis Marc zu ihr ging und ihr ins Gesicht schlug. Einen Moment lang sah sie ihn verdutzt an, um dann noch lauter zu schreien.
»Ganz toll, Marc«, sagte Timo und umarmte Isabel, so fest er konnte.
Sie erwiderte die Umarmung und klammerte sich an ihn. Erst jetzt schien sie sich zu beruhigen. Ihr Schreien ging in ein leises Schluchzen über, während er beruhigend auf sie einredete.
Ein inniges Bild, wie Lara es selten gesehen hatte.
Es donnerte.
»Okay. Was müssen wir tun?«
Marc dachte offensichtlich immer noch, dass dies ein Spiel war. Und Lara die Regeln kannte.
»Du hast gesagt, aus der Flasche ist ein Tropfen raus. Also brauchen wir die Flasche, um weiterzukommen. Wo ist sie?«
»Im Auto!«, rief sie. »Und dorthin können wir nicht zurü ck.«
»Die Typen tun uns doch nichts«, behauptete Marc und rannte bereits nach draußen.
»Halt! Ich gehe!« Timo schob Isabel zu Lara. »Pass auf sie auf.« Er rannte Marc hinterher.
»Die sind irre«, stammelte Lara und hielt Isabels Hand, die wie paralysiert den Jungs hinterhersah. Susi sprang aufgeregt auf und ab und wusste nicht, ob sie bleiben oder ihrem Herrchen folgen sollte.
Lara wollte hinterher. Sie musste helfen. Da hörte sie erneut das Wimmern. Isabel atmete heftig, kurz vorm Hyperventilieren.
Lara ging auf sie zu und nahm ihre Hand. »Bleib hier, Susi.«
Die Hündin schien froh um einen Befehl und hockte sich neben Isabel, der sie die Hand schleckte, während Lara die Arme um beide legte.
Eine Weile saßen sie so nebeneinander. Lara hörte nur ihren eigenen Atem. Und den von Isabel, die leise schluchzte. Ihr ganzer Körper war angespannt. Ab und zu erschütterte ein Donnern den Boden. Jedes Mal zuckte Isabel zusammen. Warum eine Frau mit einem derart weichen Nervenkostüm freiwillig nach Israel reiste, war Lara ein Rätsel.
»Alles in Ordnung«, behauptete Lara, auch um sich selbst zu beruhigen. »Die Jungs holen die Flasche, und dann kommen wir von hier weg.« Das alles klang genauso irre, wie sie sich im Moment fühlte.
»Was ist, wenn sie nicht zurückkommen?«, flüsterte Isabel. »Wenn sie da draußen von irgendwas getroffen werden?«
Lara schloss die Augen. »Es wird alles gut gehen.«
Ein Moment der Stille. Dann wieder ein Donnern. Sie konnte spüren, wie Isabel ein Schauer überlief.
»Tief atmen, Isabel. Es wird alles gut.« Ihre eigene Stimme klang gepresst. Wie von einer anderen Person.
»Sind wir da, wo ihr gewesen seid?«
»Ich weiß es nicht.«
»Also ist es wirklich wahr? Das mit eurer Erinnerung?«
»Ja.«
Lara versuchte, sich zu erinnern. War sie an diesem Ort schon einmal gewesen? War sie hier dem schwebenden Auge begegnet? Hatte Marc recht und das hier war das Programm ihres Vaters? Styx ?
»Tut mir leid, dass ich dir nicht geglaubt habe.«
Lara nickte. »Ich hätte mir auch nicht geglaubt.«
Jetzt, da sie etwas zur Ruhe kam, spürte sie die kleine Wunde am Oberarm. Das Geschoss hatte sie nur gestreift, aber der rote Kratzer blutete. Isabel, die offensichtlich froh war, etwas zu tun zu haben, holte ein Taschentuch hervor und begann, Laras Wunde damit abzutupfen. Ihren nervösen Bewegungen war jedoch anzusehen, dass sie sich Sorgen machte. Genau wie Lara.
»Hast du eigentlich dein Handy dabei? Ich hatte meines noch im Gepäck.«
Eilig zog sie ihr Smartphone aus der Tasche. Natürlich! In der Aufregung hatte sie das völlig vergessen. Beide Mädchen starrten auf das Display. Nicht ein einziger Balken.
»Kein Empfang«, murmelte Lara. Während Isabel bereits in sich zusammensank, stand sie auf, lief umher und hielt es in die Höhe. Keine Position brachte einen besseren Empfang. Sie waren außer Reichweite.
Nach einer gefühlten Ewigkeit stolperten Timo und Marc zurück in die Höhle. Die Mädchen sprangen auf.
»Seid ihr okay?«, wollte Lara wissen.
Die Jungs waren außer Atem. Aber unverletzt.
»Die Riesen sind weitergezogen. Sie schlachten sich jetzt gegenseitig auf dem Festland ab. Überall liegen Leichen.« Marc schien deswegen keineswegs beunruhigt. Er wirkte aufgeregt. Wie ein Kind vor Weihnachten.
»Und der Typ? Dieser Riese? Der uns umbringen wollte?«
»Kein roter Helm in Sicht«, versicherte er zufrieden.
Timo beugte sich zu Isabel und strich ihr sanft über den Arm. »Alles in Ordnung?«
Sie nickte verstört.
Erst jetzt sah er zu Lara. »Und du?«
»Alles gut«, behauptete sie.
»Das Auto ist Matsch. Das wurde von irgendwas zerschossen. Aber die Flasche war heil.« Marc sah Timo auffordernd an.
Der zog die Flasche aus der Hosentasche.
»Los. Mach sie auf«, drängte Marc.
Timo schüttelte den Kopf. »Ich hab doch gesagt, wir dürfen das nicht!«
»Wir dürfen das nicht? Warum bist du dann mit, um die Flasche zu holen?«
Herausfordernd sah Timo ihn an.
Und Marc verstand. »Du wolltest sie vor mir verstecken? Warum? Müssen wir von diesem silbernen Schwabbelzeug möglichst viel ins nächste Level bringen?«
»Sag mal, raffst du es wirklich nicht? Wir sind nicht in einem Spiel! Da draußen sterben Menschen! Oder was auch immer die sind.«
»Müssen wir bei der Schlacht mitmischen? Bei zehn toten Riesen geht’s weiter?«
»Du gehst mir so auf die Nerven«, rief Timo sauer.
»Gib das Ding her!« Marc versuchte, die Flasche an sich zu nehmen, doch Timo wehrte sich. Die beiden gingen aufeinander los.
Lara hatte noch nie eine solche Entschlossenheit in Timos Gesicht gesehen. Er schien den Inhalt der Flasche unter allen Umständen retten zu wollen. Isabel wimmerte, während Susi aufgeregt an Marc hochsprang.
Entschlossen ging Lara dazwischen. »Schluss jetzt! Seid ihr bescheuert?«
Die Jungs hielten inne und sahen sie atemlos an. Susi jaulte nervös. Als wollte sie alle warnen.
Lara riss die Flasche an sich. »Marc, du musst uns endlich glauben, dass …«
In diesem Moment gab es einen lauten Knall. Licht drang in die Höhle. Isabel klammerte sich an Timo. Lara sah nach oben, wo eben noch die Decke gewesen war. Jetzt blickte sie in den grauen Himmel und in das Gesicht des Riesen mit dem roten Helm. Er hatte die Höhle einfach aufgerissen. Als wäre sie aus Papier.
»Ihr müsst weg!«, dröhnte seine Stimme.
Schon formte sich zwischen seinen Händen eine Kugel. Und da sah Lara es. In der linken Hand des Riesen blitzte etwas auf. Es war … ein Auge !
Genau wie in Milas Hand! Das Auge lugte zu ihr und blinzelte. Dann wurde es von der immer größer werdenden Kugel verdeckt, die sich unfassbar schnell um sich selbst in der Luft drehte.
Susi bellte den Riesen an, und Marc hielt sie am Halsband zurück. Mit der anderen Hand griff er schützend nach Lara. Isabel klammerte sich an Timos Arm.
Lara sah, wie die Kugel in der Luft schwebte und sich in eine Harpune verwandelte. »Nein!«
Während sie sich schützend vor Timo warf, öffnete sie die Flasche. Wieder war da dieses Kribbeln auf ihrem ganzen Körper. Für den Bruchteil einer Sekunde nur. Die Harpune flog direkt auf Timo zu.