Man sollte meinen, es sei Heiligabend, sagte meine Mutter, als sie die Geschenke in den Tüten sah. Sie waren hübsch verpackt, die meisten in Weihnachtspapier. Für Weihnachten war es etwas zu warm. Ich bemerkte Blätter an manchen Bäumen im Garten, und an der Kletterrose am Nebengebäude hatte eine Knospe dem Herbst getrotzt und war aufgesprungen. Auf dem Weg zum Haus sah ich, dass die Quitte am Gartenweg noch vereinzelte gelbe Früchte an den nackten Zweigen trug, aber die meisten waren abgefallen und leuchteten auf dem Boden unter dem Baum. Es war etwas windig. Winter war das nicht zu nennen, und für die Weihnachtsstimmung musste ich selber sorgen.
Als ich ankam, war meine Mutter im Garten. Sie hatte fast den ganzen Tag über frei gehabt, weil die Schüler der internationalen Schule, an der sie unterrichtete, einen Ausflug gemacht hatten. Sie war nur wenige Stunden in der Schule gewesen, und zu Hause ist sie gleich in den Garten gegangen. Jetzt kam sie mit einer Schale, in der sie die gelben Quitten hatte aufsammeln wollen. Es war etwas schwierig, sich zu umarmen und Küsschen zu geben mit all den Tüten zwischen uns und mit der Schale und den hektischen Bewegungen meiner Mutter, die ganz überrascht war. Die Geschenke sind für später, sagte ich, als wir hineingegangen waren und alles in der Küche abgestellt hatten.
Lisa muss vorbeikommen, sagte ich. Meine Schwester. Wir könnten sie anrufen. Meine Mutter sagte, sie habe erst gestern mit ihr gesprochen. Wir könnten sie zum Abendessen einladen. Heute, sagte sie, oder morgen, wenn ich so lange bleiben wollte. Sicher morgen, sagte ich. Ich meinte den achtzehnten, aber ich meinte auch Heiligabend. Meine Mutter meinte den neunzehnten November.
Als mein Vater eine Stunde später von der Arbeit kam, aßen wir zusammen zu Abend. Am Wohnzimmertisch. Meine Mutter hatte es nicht geschafft, ihre Quitten aufzusammeln, weil wir Kaffee getrunken hatten.
Beim Essen erzählte ich, dass ich in Brüssel ein paar Besorgungen zu machen hätte. Ich müsse Bücher abholen. Wir sprachen über gewöhnliche Dinge, den Arbeitstag meines Vaters, den freien Tag meiner Mutter, das Studium meiner Schwester und über T. & T. Selter. Wir sprachen nicht über die Zeit, die stehen geblieben war, aber über meine Mitreisenden. Ich bin in letzter Zeit ziemlich viel gereist, sagte ich und erzählte von traurigen Hunden, von Einbrüchen und Keksdosen und Mitgliederversammlungen in Segelklubs. Ich mimte die Gespräche der Fahrgäste, indem ich die Hand wie ein Telefon ans Ohr hielt, und streichelte einen unsichtbaren Hund unter dem Tisch. Ich sprach von der Verlassenen im Abteil und von Weihnachtsgeschenken und Wahlverwandtschaften: dass ich den Klang der Wörter mochte und den Rhythmus, vielleicht, und dass ich Goethe las und aussah, als machte ich mir Notizen zu meiner Lektüre, weil ich nicht sicher war, ob meine Mitreisenden ihre Geschichten mir erzählten. Ich hatte irgendwie das Gefühl, ich würde sie bestehlen. Ich hatte keine Lust, mit den Fingern in der Keksdose erwischt zu werden.
Mein Vater meinte, »stehlen« könne man das nicht nennen. Er war eher der Meinung, private Telefongespräche, mit denen der öffentliche Raum beschallt werde, die seien Diebstahl. Ruhe und Frieden werde den Leuten damit gestohlen, ihr Privatleben, vielleicht sogar ihre Menschlichkeit. Als säße der Sprecher in seinem Privatraum und betrachtete die anderen Fahrgäste als Inventar: eine Tür, einen Sitz, eine Gepäckablage, sagte er. Als wären die Mitreisenden keine Menschen, sondern Gegenstände. Meine Mutter stimmte ihm zu und erzählte von den Kindern in der Schule, die häufig von den Eltern mit dem Handy am Ohr abgeliefert wurden. Als wären Kinder Pakete, die abgeschickt werden sollten, oder Einkaufstüten, die man gerade nach Hause verfrachtete. Ich musste an meine traurige Mitreisende und ihr gebrochenes Herz denken. Bin ich für sie eine Tüte in der Ecke gewesen? Eine Gepäckablage? Vielleicht eher eine Gardine, die sich vors Fenster der Abteiltür ziehen ließ? Keine Ahnung, aber meine Eltern hatten sowieso schon das Thema gewechselt.
Ich weiß nicht, ob sie recht haben, und ich weiß nicht, ob ich etwas dagegen hätte, eine Gardine zu sein, aber mit einem Mal war es spät geworden, und ich ging auf mein altes Zimmer, um mich schlafen zu legen. Es hat sich nicht viel verändert seit meinem Auszug. Bett und Schreibtisch stehen noch da, und abgesehen von einem Regal mit überschüssigen Büchern an der einen Wand ist fast alles so wie damals, als ich noch zu Hause wohnte.
Heute Morgen bin ich früh aufgewacht. Auf der Uhr in der Küche war es kurz nach sechs. Ich machte mir Kaffee und setzte mich an den Esstisch in der Ecke. Ich zögerte einen Augenblick, bevor ich den Platz einnahm, der eigentlich meiner Mutter gehörte. Der Tisch war nämlich an die Wand gerückt worden, wodurch mein Platz, auf dem ich als Kind und Jugendliche gesessen hatte, eingeklemmt worden war. Ich dachte daran, wie ungewohnt es war, auf dem Stuhl meiner Mutter zu sitzen, es fühlte sich beinahe falsch an, denn so weit ich mich zurückerinnern konnte, hatten wir unsere festen Plätze: Mein Vater und ich an der Wand, meine Mutter gegenüber meinem Vater und meine Schwester neben ihr. Hier haben wir jeden Morgen und jeden Abend gesessen, in einer Mischung – einem pêle-mêle, wie meine Mutter sagen würde – aus englischen und belgischen Mahlzeiten und englischen und französischen Wörtern. Sie hatten sich kennengelernt, als mein Vater in England im Urlaub war. Meine Mutter wohnte in Suffolk, zog aber mit meinem Vater nach Brüssel, sobald sie mit ihrer Ausbildung fertig geworden war, und wir hatten immer in diesem pêle-mêle gesessen, meine Schwester und ich, an dem Tisch in der Küche. Unsere Sitzplätze aber waren festgelegt, ein solides Familienquadrat, und ich erinnere mich nicht an andere Tische oder Sitzordnungen als diese, weil wir in das Haus zogen, als ich ganz klein war, und der Tisch immer noch derselbe ist wie damals.
Als meine Schwester und ich aus dem Haus waren, wurde der Tisch an die Wand geschoben. Dadurch war mehr Platz in der Küche, aber wenn wir zu Besuch waren, wurde er immer von der Wand abgerückt. Phasenweise waren wir mehrere Monate zu Hause, oft im Sommer, und dann saßen wir wieder zu viert am Tisch. Jetzt, glaube ich, steht der Tisch meistens an der Wand. Ich glaube, meine Eltern sitzen sich beim Essen über Eck gegenüber, aber ich bin mir nicht sicher, und wenn wir zu Besuch sind, essen wir normalerweise im Wohnzimmer.
Gegen sieben kam meine Mutter in die Küche. Sie war überrascht, aber nicht so, dass ich mich bemüßigt fühlte, ihr meine Anwesenheit zu erklären. Du weißt ja, wo der Schlüssel liegt, sagte sie. Und das Bettzeug. Und der Kaffee. Sie sagte es mit einem Anflug von Freude, was mir das Gefühl gab, willkommen zu sein, als betrachtete sie mein Eindringen als Zeichen einer intakten Familie und als wäre es absolut kein Problem, dass der Sitzplatz, den ich mir am Tisch angeeignet hatte, zu besonderen Gelegenheiten mir zufiel.
Sie fragte vorsichtig nach Thomas, wie um sich zu versichern, dass alles in Ordnung war, und ich bestätigte, dass er in Clairon auf mich wartete. Sie wirkte erleichtert, und ich dachte an die junge Frau im Zug und ihre Mutter, die von ihren Träumen von Enkelkindern und Hochstühlen vorläufig Abstand nehmen musste, denn selbst wenn meine Mutter nichts sagt, glaube ich, dass sie sich gelegentlich fragt, ob der Babyhochstuhl auf dem Dachboden wohl eines Tages Verwendung finden wird.
Im nächsten Augenblick kam mein Vater in die Küche, genauso überrascht, aber gleich davon überzeugt, meine Ankunft sei von meiner Mutter eingefädelt worden, damit wir ihren freien Tag gemeinsam verbringen konnten. Er hoffe aber, sagte er, dass ich ein paar Tage bleiben werde, jedenfalls bis zum nächsten Tag, weil er leider gleich wegmüsse, er habe um zehn einen Termin, sei aber so schnell es ginge wieder zurück.
Und dann erzählte ich es doch. Beim Frühstück. Dass Weihnachten sei. Dass ich Geschenke dabeihätte. Dass die Zeit aus den Fugen geraten sei. Dass ich die Tage gezählt und, wenn ich mich nicht vertan hätte, jetzt Heiligabend sei. Dass ich bei Thomas gewesen sei, Tag für Tag. Dass ich in die Rue de l’Ermitage gezogen und in Paris gewesen und von zufälligen Reisenden quasi mitgezogen worden sei. Dass die Zeit unentwegt verging und trotzdem überhaupt nicht verging.
Ich beruhigte sie. Es gebe keine Toten und keine Verletzten. Nur einen Defekt der Zeit. Ich sagte, ich hätte mich an den Gedanken gewöhnt. Ich sei eine andere. Dass in meinem Kopf ein Pfad gefegt, Schnee geschaufelt, Gestrüpp gerodet worden sei. Dass ich versuchte, einen Weg zu finden, dass ich zurückkehren wolle in eine gewöhnliche Zeit, aber dass ich Weihnachten brauchte, damit die Zeit verging, um nicht in einem ewigen Novembertag zu stecken. Ich sagte, sie könnten mir mit dem Dezember behilflich sein.
Nach dem Frühstück ging mein Vater zu seinem Termin, versprach aber, so schnell wie möglich wieder zu Hause zu sein. Ich schrieb mit meiner Mutter eine Liste fürs Abendessen, und meine Mutter zog los, um einzukaufen. Sie hatte etwas Papierkram und ein paar Arbeiten in der Schule abzuliefern, wollte aber schnell wiederkommen. In der Zwischenzeit borgte ich mir ihr Telefon, rief meine Schwester an und erzählte ihr die ganze Geschichte. Eigentlich musste sie zur Uni, wo sie Chemie studierte, aber jetzt wollte sie sich einen freien Tag nehmen und mit der Familie Weihnachten feiern.
Als meine Mutter zurückkam, hatte sie Pute und Rosenkohl besorgt. Sie hatte Christmas Pudding und Bûche de Noël aufgetrieben, obwohl doch erst November war. Unser Weihnachten war immer eine Mischung: Geschenke und Pute an Heiligabend und die Reste der Pute am nächsten Mittag. Mit dem Pudding. Und ein kleines Geschenk am Morgen, damit es auch ein englisches Weihnachten war. Und Rosenkohl, den wir pflichtschuldig zur Pute an Heiligabend verzehrten. Zu unserm Pudding gab es immer Vanilleeis, nicht Custard – oder Crème anglaise, wie mein Vater es nannte –, meine Mutter hat sich aus Custard nie viel gemacht. Roast potatoes hingegen waren immer dabei, die liebten alle, und zwar eine Menge, denn am nächsten Tag sollten noch welche übrig sein. Unser Weihnachten bestand also aus zwei Traditionen: Christmas und Noël, zweimal Weihnachten und zwei schwere Desserts, ohne viel Harmonie oder Gleichgewicht, aber Traditionen brauchen keine Harmonie. Sie müssen einfach da sein. Wie eine Art Sicherheitsnetz, in dem man landen kann. Wenn die Welt zerbricht. Wenn die Zeit zerreißt.
Es fühlt sich an, als wäre etwas repariert worden, nun da ich hier in meinem alten Zimmer sitze und an Christmas und Noël denke. Wie die Dinge nicht ganz zusammenpassen und doch vereint werden können. Meine Mutter und mein Vater. Ich und meine Schwester. Der achtzehnte November und Heiligabend, das haben wir jetzt trotz allem geschafft. Also, fast.
Wir bereiteten das Weihnachtsessen zu, als wäre alles wie immer. Meine Roast potatoes sind richtig gut. Die kann ich, seit ich zehn bin, ich bin immer diejenige, die sich darum kümmert. Mein Vater war nach Hause gekommen und machte sich sofort an den Rosenkohl. Lisa war für die Pute zuständig, und schon am Nachmittag hatte sie sie in den Ofen geschoben, aber obwohl sie die Sache völlig im Griff hatte, kreisten wir alle um den Vogel herum und drehten ihn oder piksten ihn ab und zu mit dem Bratenthermometer.
Es war spät, als wir uns hinsetzten und Putenbraten mit Roast potatoes und Bûche de Noël verzehrten. Wir saßen an dem Tisch im Wohnzimmer, das ist Teil unseres weihnachtlichen Rituals. Ich bestand darauf, Geschenke zu verteilen, viele Geschenke, ich hatte ja etliche gut gefüllte Tüten dabei.
An Thomas will ich lieber gar nicht denken, aber das tue ich natürlich trotzdem. Ich denke an ihn als jemand, der fehlt. Er hätte meine Roast potatoes verschlungen und gesagt, ich sollte sie öfter machen, nicht nur zu Weihnachten. Er hätte Lisas Geflügelbraten mit großem Vergnügen verspeist, er hätte seinen Rosenkohl kommentarlos verdrückt, aber er hätte nach dem Quittengelee gefragt, das bei uns eine besondere Weihnachtstradition ist, eine Tradition, die in keinem Zweig der Familie weit zurückreichte, sondern ausschließlich existiert, weil beim Einzug in unser Haus ein Quittenbusch im Garten stand. Jeden Herbst sammelt meine Mutter die gelben Früchte ein, anfangs war es für sie eine Pflicht, später eine Gewohnheit und jetzt eine Erinnerung an die Jahre, die vergangen sind. Im Frühling trägt die Quitte rosarote Blüten, dann kommen rotgrüne Blätter, die kleinen grünen Früchte, später die gelbgrünen Quitten, groß und einsam oder in kleinen, an einem Zweig eingeklemmten Trauben. Im Herbst, wenn sie ein sattes Gelb angenommen haben, lassen sie sich auf den Boden fallen, und dann irgendwann, manchmal erst weit im November oder sogar Dezember, werden die dunkelgelben Früchte mit ihrer wachsartigen und etwas fettigen Oberfläche aufgesammelt. Zuerst liegen sie in einer Schale in der Küche und kriegen hier und da braune Stellen, während sie ihren besonderen Duft ausströmen, und schließlich, in einem gut mehrere Tage währenden Prozess, macht meine Mutter aus ihnen ein klares, dunkelrotes Gelee, dessen Farbe nach wie vor ein Mysterium für mich ist, denn wie können gelbe Früchte ein tiefrotes Gelee ergeben? Der Busch ist im Laufe der Jahre umgezogen, er hatte Wurzelschösslinge bekommen und wurde beschnitten, und vor ein paar Jahren, als wir das Haus in Clairon übernahmen, bat Thomas darum, einen Trieb der Quitte mitnehmen zu dürfen. Er erhielt vier Schösslinge, die er einpflanzte, und erklärte feierlich, dass einer von uns beiden früher oder später die Kunst des Quittengeleekochens erlernen und die Tradition weiterführen werde. Aber dieses Jahr gab es keinen Quittengelee zum Fest, denn die Quitten liegen noch draußen im Dunkeln, und ohnehin ist die Tradition bloß eine Tradition, weil zufällig ein Busch im Garten stand.
Heiligabend beim Essen sprachen wir wenig über den Zeitdefekt. Das meiste hatte ich tagsüber schon erzählt, und ich glaube, ich wollte meinen Eltern Zeit lassen, damit sie verstünden, was geschehen war. Lisa war mehr am Prinzipiellen interessiert gewesen, an der Mechanik, über die wir im Laufe des Tages mehrmals gesprochen hatten, und irgendwann, als wir die Reste unseres Festessens in den Kühlschrank stellten, schlug sie vor, mich auf meiner weiteren Reise zu begleiten. Ich sagte, ich wisse nicht, ob das möglich sei, aber wenn, müsse ich ihr jeden Morgen alles aufs Neue erklären. Ich sagte, ich hätte versucht, Thomas davon zu überzeugen, mit mir nach Paris zu kommen. Er habe gezaudert. Er hatte keine Lust, in meinen Novembertag hineingezogen zu werden. Aber Lisa zauderte nicht. Sie war der Meinung, es sei möglich. Sie sprach davon wie von einem Urlaub. Vom Süden sprach sie, von Wärme und Sonne. Sie hatte Urlaub nötig, sie war dabei, ihre Examensarbeit abzuschließen. Vielleicht könne sie daran weiterarbeiten, sagte sie. Sie hatte noch eine Menge zu schreiben. Ich könne ihr helfen. Ich sagte, es würde alles im Lauf einer Nacht verschwinden, aber sie meinte, das sei ein Problem, das zu lösen sei. Ich könne alles aufschreiben und die Seiten mit ins Bett nehmen, und am nächsten Tag wäre sie ein Stück weiter, ohne dass Zeit vergangen war. Und dabei befänden wir uns unter südlicher Sonne. Aber ich will nicht in den Süden. Ich wünsche mir Dezember und Januar. Ich wünsche mir, das Jahr möge anfangen zu vergehen.
Kurz nach zwölf, als Lisa nach Hause gegangen war und meine Eltern schliefen, ging ich in die Küche. Ich nahm eine Kühltasche, die an einem Haken im Besenschrank hing, und holte die Weihnachtsessensreste aus dem Kühlschrank, um sie in die Kühltasche zu legen, weil ich in das Vermögen des Kühlschranks, das Essen festzuhalten, kein Vertrauen hatte. In der Tiefkühltruhe fand ich zwei große Beutel mit Hühnersuppe. Den einen legte ich zuunterst, den anderen stellte ich hochkant in die Tasche. Die Reste der Pute hatte Lisa mit ein paar kalten Rosenkohlröschen in einen Plastikbehälter gelegt. Den stellte ich in die Kühltasche und daneben steckte ich vier große Kartoffeln, die ich in einen anderen Behälter stopfen konnte. Mehr Platz war nicht für sie, die restlichen ließ ich im Kühlschrank liegen. Zuoberst in der Tasche kam das übrig gebliebene Stück der Bûche de Noël, die sich noch in ihrem Karton befand.
Als ich vor dem Kühlschrank stand und den Reißverschluss der Kühltasche zuzog, merkte ich, wie Heiterkeit in mir aufkam. Ich hatte die Schachtel mit dem Christmas Pudding auf dem Küchentisch entdeckt, und ich wusste, wenn ich am Weihnachtstag Christmas Pudding haben wollte, musste ich ihn mit ins Bett nehmen. Ich presste mir die Hand vor den Mund, um nicht laut herauszuplatzen und jemanden durch das Gelächter zu wecken, das sich jetzt löste und von irgendwo ganz unten hochstieg. Ich spürte, wie es sich blubbernd den Weg im Zwerchfell bahnte und durch den Brustkorb emporkletterte. Mit der Hand vorm Mund gluckste ich mich durch einen mittleren Lachanfall, und es fühlte sich fast wie Weinen an, ein unterdrücktes und heiteres Weinen, komprimiert und sorglos, ein glucksendes Weihnachtsweinen, das all meine Anstrengungen, die Zeit zusammenzuhalten, verspottete, und ich lachte über meinen ganzen Ernst und mein Beharren auf weihnachtlichen Gewohnheiten und spürte wieder meine Laune, die ganze Palette: Heiterkeit, Verzweiflung, ein Wirrwarr aus Trauer und Freude und plötzlichem Lachen, das in meiner Weihnachtsnacht Einzug hielt.
Das währte einige Minuten und ließ mich mit einem Gefühl der Leichtigkeit zurück, und dann, in dem Moment, da das Lachen abgeebbt war, setzte der Kühlschrank mit einem Geräusch ein, das zunächst wie ein übliches mechanisches Kühlschrankbrummen klang, mit einem Mal aber den Ton änderte und so klang, wie mein Gelächter geklungen hatte, halb glucksend, halb schluchzend. Vielleicht ein wenig mechanischer, vielleicht etwas lauter, und er machte keine Anstalten, sich zu mäßigen. Er stand einfach da, aufrecht, mit seinem hackenden und nahezu schluchzenden Gelächter. Als hätte ich ihn angesteckt. Als ob er mitlachte. Oder weinte. Macht nichts. Ein Kühlschrank, der sein Weihnachtsessen nicht festhalten kann, darf lachen wie ein Mensch – oder weinen, wenn er will.
Ich sitze in meinem alten Zimmer. Den Christmas Pudding habe ich unter die Decke am Fußende des Bettes geschoben, und die Kühltasche mit den Resten der Mahlzeit steht unter dem Bett. Mit etwas Glück kann Weihnachten morgen, am ersten Weihnachtsfeiertag, fortgesetzt werden, denn vom Essen ist noch was übrig, es gibt noch den Pudding, und ich habe getan, was in meiner Macht stand, damit Weihnachten weitergeht. Ich habe die Decke sorgsam um mich festgezogen und festgesteckt, ich habe ein Kissen im Rücken, und ich habe einen Stapel Papier, der auf dem ersten Band der Encyclopædia Britannica liegt, die meine Eltern in meinem alten Zimmer verwahren, und es fühlt sich an, als könnte mir nichts geschehen. Ein Gefühl der Sorglosigkeit und zugleich des vollen Ernstes. Die Heilige Nacht, ich sitze zwischen einem Kissen und einem Lexikon, mit Papier, das sich an alles erinnert, was Menschen vergessen, und einer Schachtel mit Christmas Pudding, die am Fußende meines Bettes ruht.
Die Geschenke habe ich im Wohnzimmer liegen lassen, obwohl die bestimmt verschwinden werden. Geschenke zu verteilen, die man schon einmal verteilt hat, macht keinen Spaß, und ich knüllte das Papier zusammen und warf es in den Mülleimer am Gartenschuppen. Was vom Weihnachtsessen übrig geblieben war, das war am wichtigsten, denn das Resteessen gehört mit zum Weihnachtsfest. Vielleicht ist es sogar das, was man feiert. Dass immer etwas übrig bleibt. Man bringt etwas mit in den nächsten Tag. Vielleicht hat der Kühlschrank deswegen mit seinem schluchzenden Gelächter eingestimmt.
Jetzt ist er verstummt. Ich schlich mich an ihm vorbei zum Schlafzimmer meiner Eltern und betrachtete sie im Bett: meine Eltern im tiefen Schlummer, jeder mit seinem eigenen Geräusch, zwei verschiedene Laute, auf die ich als Kind nie geachtet hatte, vielleicht weil ich es immer war, die schlief, und sie es waren, die lauschten, oder vielleicht sind es auch Geräusche, die sie erst im Alter angenommen hatten.
Ich holte mir ein Glas Wasser in der Küche und zog in meinem Zimmer die Gardinen zu. Es sind dieselben wie in meinen Teenagerjahren, und die Wandtapete hat sich auch nicht geändert: ein Diagonalmuster in einem leicht verstaubten Rosa, fast ein Beige. Ich habe das Rosa etwas leuchtender in Erinnerung, aber wahrscheinlich irre ich mich.