Ich habe meinen Rhythmus gefunden. Die Morgen beginnen im Café Möller. Ich gehe wenige Meter den Wiesenweg hinunter, biege rechts ab, und dann liegt das Café gleich an der Ecke. Meine Morgen gleichen einander. Ich nehme zwei, drei Stufen die Treppe hoch und mache die Tür auf. Ich höre den etwas rasselnden Klang einer Glocke. Ich gehe hinein und setze mich an einen Tisch, stets denselben, ein Fensterplatz mit Blick auf die Straße. Ich versuche immer, zwischen 8.39 und 9.12 Uhr zu kommen, denn wenn ich etwas früher oder später komme, ist der Tisch besetzt. Dann ziehe ich weiter in den Raum hinein, aber ich pflege pünktlich zu sein. Ich bestelle Tee, der in großen Metalldosen hinter der Theke steht. Ich sehe acht große Behältnisse, ich wechsle die Sorte und hoffe, dass ich nicht ihren Vorrat aufbrauche. Manchmal bestelle ich Brot und Käse oder Joghurt mit Früchten. Oft esse ich gar nichts, sondern sitze bloß an meinem Fenster und trinke Tee.
Meine Nachmittage ähneln sich so wie meine Morgen sich ähneln. Um drei Uhr stelle ich einen Stuhl in den Hof. Ich mache mir eine Tasse Kaffee, hole ein Buch und setze mich in die Sonne. Es ist warm genug, um ein, zwei Stunden draußen sitzen zu können.
Nur meine Vormittage machen mir Sorgen. Ich werde unruhig, es ist alles ein einziger Leerlauf. Ich denke an die Geräusche im Haus in Clairon. Ich gehe durch den Park nicht weit von hier, ich kaufe ein oder besuche eine Bibliothek in der Nähe, finde aber keine Ruhe, ehe die Nachmittagssonne durchbricht und ich meinen Stuhl in den Hof stelle.
Meine Abende sind kurz. Ich mache mir etwas zu essen oder gehe quer über die Straße in ein griechisches Restaurant, wo ich mich in eine Ecke setze und wo Menschen sind, die nichts anderes tun, als jeden Abend dieselben zu sein. Ich habe mich an sie gewöhnt: ein älterer Mann, der nach kurzer Wartezeit Gesellschaft von einer Frau bekommt, sicher seiner Ehefrau, eine Gruppe Erwachsener mit einem Kind im weißen Hemd, das wie ein Erwachsener zu sprechen versucht, und zwei Männer etwa in meinem Alter, die sich verliebt anhimmeln.
Manchmal gehe ich in Gebrauchtwarenhandlungen, wo ich kleine Bedarfsgegenstände finde, die ich in meiner Tasche mit mir herumtrage. In der Nacht stelle ich die Tasche ans Fußende meines Bettes, und in der Regel vergehen einige Nächte, bevor die Dinge wirklich meine sind und ich sie in die Küche legen kann: Messer und Gabeln, ein Schälmesser, eine Kaffeemühle, die ich dreimal kaufen musste, ehe sie an ihrem Platz blieb. Ich habe mir einen Sessel beschafft, den ich in das leere Wohnzimmer stellte und in dem ich ein paar Nächte hintereinander geschlafen habe, aber viel brauche ich nicht, und bald habe ich alles, was nötig ist.
Oft bin ich kurz vor Ladenschluss in der Stadt. Ich finde Geschäfte und Delikatessenabteilungen mit Waren, die am Ende des Tages aussortiert werden, Bäckereien mit Brot, das morgen nicht mehr verkauft wird. Wenn die Zeit ein Behälter ist, kann er geleert werden, und wenn ich nicht vorsichtig bin, sehe ich bald meine Spuren in der Stadt, Dinge, die aufgebraucht sind, abgeräumte Regale, ein Monster auf Beutezug, ein Ungeheuer in Aktion, die Blutspur eines Raubtiers.
Ich will kein Monster sein. Ich balanciere, behutsam betrete ich die Welt, ich mache meine Spuren so klein es geht. Ich versuche, die Tage ohne allzu schwere Schritte zu durchqueren. Mit leichtem Gang. Ein Monster, das den Schmetterling spielt.
Dabei weiß ich, dass ich hier im Café Möller Spuren hinterlassen werde und dass meine Besuche im Restaurant am Wiesenweg früher oder später aufhören müssen. Dennoch komme ich wieder, weil ich mich zu Hause fühle. Ich suche mir andere Getränke aus, bestelle neue Gerichte auf der Speisekarte, ich variiere und hoffe, dass die Küche wohlversorgt ist. Durchs Fenster betrachte ich die Menschen auf der Straße, ich betrachte die abendlichen Gäste im Lokal und frage mich, was ich tun würde, wenn der Junge im weißen Hemd mein Sohn wäre, wenn ich der Verliebte wäre, wenn ich mit meinem grauhaarigen Mann verabredet wäre, und ich denke, ich bin unter Freunden. Einer Art von Freunden, obwohl das Gemeinschaftsgefühl, das ich inmitten von Fußballfans und Bierlachen empfunden hatte, verschwunden ist.