19. KAPITEL

Was, zum Teufel, tut ihr hier?« Max starrte Kate und Dan wütend an. »Wer hat euch erlaubt, hier herumzuwühlen?« Sein Blick wanderte von Kate zu Dan. Man sah sofort, dass die beiden Männer sich nicht mochten.

»Zufällig arbeite ich hier, Mr Jordan. Ich habe einen Schlüssel«, antwortete Dan betont gelassen.

Max musterte ihn. »Ich wusste gar nicht, dass es zu Ihren Aufgaben gehört, den Privatbesitz meiner Tante zu durchsuchen, Mr Peace.« Peace – das war also sein Nachname. Max sah Dan feindselig an. »Wir müssen dringend etwas an den Sicherheitsanlagen tun«, murmelte Max vor sich hin.

»Max, deine Tante hat mich gebeten, etwas für sie zu suchen. Einige Papiere.« Kate versuchte forsch zu klingen, aber es hörte sich an wie eine Rechtfertigung. Max hatte allen Grund zur Skepsis. Ein Handwerker und eine unbekannte Frau, die sich als Verwandte ausgab und sich Miss Meltons Zuneigung erschlichen hatte, schnüffelten heimlich in ihrem Haus herum. An seiner Stelle wäre sie auch misstrauisch gewesen. Allerdings gab es keinen Grund, so arrogant zu sein.

»Es ist alles in Ordnung, wirklich«, beeilte sie sich, Max zu versichern. »Frag deine Tante.« Sie würde ihm den Schlüssel nicht zeigen. Sicher wollte Agnes nicht, dass er die Tagebücher sah, und wenn er den Schmuck sah, würde er noch misstrauischer werden. Verdammt! Wie sollten sie jetzt die Tagebücher aus dem Safe bekommen? Max würde sie nicht mehr aus den Augen lassen.

»Und ob ich sie fragen werde«, antwortete er knapp. »Und dann werde ich ihr den Rat geben, keine Fremden mehr ins Haus zu lassen. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich würde euch jetzt beide bitten zu gehen … und zwar unverzüglich.« Er begann die Fenster zu schließen und die Vorhänge zuzuziehen. Dan und Kate räumten noch schnell die letzten Bücher weg, ehe Max sie aus dem Zimmer schob. Unter seinen argwöhnischen Blicken stellte Dan die Alarmanlage scharf und sicherte die Hintertür. Schließlich standen sie zu dritt draußen. Keiner wusste etwas zu sagen. Dan sprach als Erster.

»Ich werde morgen früh wiederkommen, um das Fensterbrett zu reparieren. Natürlich nur, wenn Sie damit einverstanden sind, Mr Jordan.«

»Müssen Sie dafür ins Haus?«, fragte er. Dan sah ihn an, zuckte mit den Schultern und wandte sich ab.

»Ihr …«, Max brach abrupt ab. Er nahm seine Brille ab, sah Kate und Dan einen Moment schweigend an und setzte die Brille wieder auf. »Ihr solltet vielleicht wissen, dass ich heute ein längeres Gespräch mit meiner Tante geführt habe. Ich glaube, ich habe sie davon überzeugen können, dass es vernünftig wäre, dieses Haus aufzugeben. Es zu verkaufen oder zu vermieten. Sie scheint nicht ganz abgeneigt zu sein.«

»Aber Max!« Kate rang nach Luft. »Die Hoffnung, eines Tages in ihr Haus zurückzukehren, ist doch alles, was Agnes antreibt. Sie hat ihr ganzes Leben hier verbracht. Ihre Erinnerungen und Schätze befinden sich hier! Man würde sie entwurzeln, wenn man ihr Seddington House fortnehmen und sie stattdessen in … irgendeinen modernen Bungalow verfrachten würde.«

»Ich habe ihr ein Seniorenheim vorgeschlagen. Ich habe mir bereits eins angesehen. The Lawns. Es liegt in der Nähe des Krankenhauses und hat noch freie Plätze.« Max’ Stimme klang nüchtern. »Es ist das Beste für sie. Ich habe mit dem Arzt gesprochen. Sie ist sehr klapprig geworden und kann kaum noch alleine gehen. Möglicherweise hatte sie einen leichten Schlaganfall. Sie kann die Treppen nicht mehr allein bewältigen. Was ist denn, wenn sie noch einmal stürzt?«

»Von dem Schlaganfall wusste ich nichts«, antwortete Kate kleinlaut. Natürlich hatte der Arzt zunächst mit Max gesprochen, schließlich war er der nächste Verwandte. »Ich gebe zu, sie kam mir heute sehr zerbrechlich vor. Hat der Arzt gesagt, ob sie bald entlassen werden kann?«

»Er will sich im Moment nicht festlegen und erst noch ein paar Untersuchungsergebnisse abwarten.«

»Max. Ich … ich weiß, dass du Agnes’ nächster Verwandter bist. Sicher willst du nur das Beste für sie. Aber ich glaube nicht, dass du sie wirklich verstehen kannst. Ich meine …« Sie sah, dass Max tief Luft holte.

»Mir ist klar, dass du dich sehr eng mit ihr angefreundet hast, und ich weiß auch, dass sie sehr an diesem Haus hängt. Aber irgendwer muss nun klare Entscheidungen treffen. Im Heim gibt es einen Platz für sie, und wenn der Arzt sein Okay gibt … Ich bin sicher, dass ich Agnes überzeugen kann. Dann werde ich dafür sorgen, dass das Haus geräumt wird.«

»Ich glaube, du machst einen Fehler«, sagte Kate leise. »Für Agnes ist es schon schlimm genug, im Krankenhaus zu sein. Bestimmt wäre es ihr lieber, wenn Mrs Summers eine Hilfe bekommen würde.«

»Es tut mir leid, aber ich halte das für zu riskant.« Max lächelte und klopfte Kate auf die Schulter. »Nun komm schon«, meinte er. »So ist das eben, wenn Menschen alt werden. Sie gehören an einen Ort, wo man sich anständig um sie kümmert. So, jetzt muss ich aber los, und ich finde, Sie sollten auch fahren.« Er nickte Dan zu, dann gingen sie wortlos zu ihren Fahrzeugen.

»Meine Güte, Dan.« Kate sank auf den Beifahrersitz. »Vielleicht hat er ja Recht. Aber ich fürchte, es wird mit Agnes bergab gehen, wenn sie erfährt, dass sie nicht mehr nach Hause zurückkann.« Sie wurde nachdenklich. »Glauben Sie, dass Max das aus reiner Gier tut? Weil er denkt, es sei bereits alles seins?«

»Nein, ich schätze, er ist ehrlich um sie bemüht. Er versteht sie nur nicht. Aber natürlich kann er nicht ignorieren, dass er wahrscheinlich die ganze Kohle erbt.«

»Was ist mit diesem Kind – ihrem Sohn?« Kate erinnerte sich plötzlich wieder. »Ich wünschte, wir hätten die Tagebücher nicht zurücklassen müssen.«

Als sie vor Paradise Cottage hielten, stellte Dan den Motor aus. Er sah Kate an und lächelte. Dann berührte er sanft ihre Hand.

»Wenn Sie mir den Schlüssel geben, besorge ich Ihnen die Tagebücher. Vorausgesetzt, Mr Misstrauen hängt nicht ständig im Haus herum.«

»Danke, Dan. Aber lassen Sie sich nicht erwischen, ja? Nicht, dass Sie noch wegen Diamantendiebstahls im Gefängnis landen.« Kate drückte ihm den Schlüssel in die Hand.

Er lachte. »Max fährt sicher heute Abend zurück nach Norwich. Schließlich wartet dort seine Kanzlei auf ihn. Er hat keine Zeit, sich nur mit seinem Erbe zu beschäftigen.«

»Sie mögen ihn nicht, habe ich Recht?«

»Ich mag Leute nicht, die sich vorschnell eine Meinung über eine andere Person bilden, ohne sie zu kennen. Und ich glaube, genau das tut er.«

»Ja, das stimmt leider. Aber vielleicht haben wir uns auch vorschnell eine Meinung über ihn gebildet.«

Als Kate ins Haus kam, wurde sie von Daisy, Sam und Bobby begrüßt, als sei sie tagelang weg gewesen. »Komm mit ins Wohnzimmer, Mummy, und spiel mit mir Eisenbahn«, bettelte Sam. Aber Daisy wollte ihrer Mutter unbedingt ihr Lesebuch zeigen. Wahrscheinlich spüren sie, dass es mir schlecht geht, dachte Kate und bekam Gewissensbisse.

»Lasst Mummy sich setzen, dann kann sie mit euch beiden schmusen«, schlug Joyce vor. Sie rollte ihr Stickzeug zusammen. »Übrigens, die Werkstatt hat angerufen, Kate. Dein Auto ist fertig. Daisy, denkst du daran, Mummy den Brief zu geben?«

Es war der Brief, den Mrs Smithson angekündigt hatte. Der Inhalt traf Kate unerwartet. Das Schreiben stammte von einem Mr Overden, Dezernent des Schulamts. Er schilderte kurz die Situation der Schule und fuhr dann fort:

Nach einem Gespräch mit der zuständigen Verwaltungsbehörde des County Council am heutigen Vormittag hat sich ein verantwortlicher Beamter bereit erklärt, die Lage zu erörtern. Nach Rücksprache mit Mrs Smithson und einigen Elternvertretern wurde beschlossen, eine Initiative zur Erhaltung der Schule zu gründen. Eltern, die Interesse haben, darin mitzuarbeiten, bitte ich, schnellstmöglich Kontakt mit mir aufzunehmen.

So weit, so gut. Doch der Umschlag enthielt noch eine handschriftliche Nachricht.

Liebe Kate,

Sie waren gestern Morgen auf dem Schulhof derart engagiert und inspirierend, dass wir Sie nach eingehenden Beratungen gern bitten würden, sich der Initiative zur Erhaltung unserer Schule anzuschließen. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass Sie mit Ihrer Persönlichkeit und Ihrer Erfahrung im Umgang mit den Medien genau die richtige Person sind, um unser Anliegen voranzubringen. Sie haben Recht: Wir müssen für unsere Schule kämpfen.

Ich hoffe sehr, dass Sie unsere Bitte wohlwollend prüfen werden.

Mit freundlichen Grüßen

Gwyneth Smithson

»Meinst du, ich soll das machen?« Kate reichte Joyce den Brief. Sie überflog ihn kurz.

»Natürlich.« Ihre Schwiegermutter gab ihr das Schreiben zurück. »Erstens hast du Kinder in der Schule und willst, dass sie erhalten bleibt, zweitens weißt du am besten, wie man einer Sache Publicity verschafft.«

»Ja, was Bücher betrifft. Von unserem Schulsystem habe ich keine Ahnung. Und viele Leute kenne ich hier auch nicht.«

»Dann ist das eine gute Gelegenheit, sie kennen zu lernen. Wir brauchen hier dringend jemanden, der die Leute ein bisschen aufmischt.«

»Aber ich bin keine, die Leute aufmischen kann.«

»Das sind die wenigsten Menschen, bis so etwas passiert. Kate, du kannst endlich etwas Sinnvolles tun. Und es ist für Sam und Daisy.«

»Was ist für uns, Mummy? Haben wir ein Geschenk bekommen?«, fragte Daisy.

»Nein, mein Schatz, deine Mummy hilft bei etwas Wichtigem in eurer Schule. Nicht wahr, Kate?«

»Ich fühle mich ein bisschen überrumpelt, aber ich werde darüber nachdenken«, versprach sie. »Auf jeden Fall werde ich mich mal mit diesem Typen vom Schulamt treffen. Wer weiß, vielleicht geht es nur darum, ein paar Sponsoren zu finden. Das dürfte nicht allzu schwierig werden.«

Trotz ihres anfänglichen Widerstands war Kate bereits Feuer und Flamme.

Doch dann musste sie plötzlich an Simon denken und fühlte sich hundeelend. Warum hatte er sie nicht ein einziges Mal angerufen, seit er wieder in London war?

Der erhoffte Anruf kam an diesem Abend um zehn Uhr. Kate hatte sich auf einen Drink mit Debbie getroffen und kam gerade zurück, als das Telefon klingelte. Joyce schien schon im Bett zu sein. Rasch hob sie ab.

»Kate? Ich bin es.«

»Simon? Wo bist du?«

»Ich bin gerade aus dem Büro nach Hause gekommen. Ich war mit Gillingham ein Curry essen.«

»Ah.«

Keiner von ihnen wusste, was er als Nächstens sagen sollte.

»Ich … ich kann erst Freitagabend nach Hause kommen.«

»Nein! Sag, dass das nicht stimmt. Am Freitag ist Sportfest in der Schule. Sam wird enttäuscht sein, wenn du nicht am Wettrennen für die Väter teilnimmst.«

»Ich finde das auch ganz schrecklich, aber es geht nicht. Ich habe hier einfach zu viel um die Ohren. Hör zu, was hältst du davon, wenn wir am Samstag wegfahren, du und ich? Natürlich nur, wenn du Lust hast.«

»Ich … weiß nicht.«

»Es ist wichtig, dass wir in Ruhe reden.«

»Ja.«

»Dann bis Freitagabend.«

»Und du kannst ganz bestimmt nicht eher kommen?«

»Ich stehe hier zu sehr unter Druck. Ich arbeite jeden Abend lange. Kate, ich möchte dich sehen. Versteh mich nicht falsch. Ich möchte das mit uns klären. Wirklich.«

»Ja.«

»Ich weiß, dass ich großen Mist gebaut habe. Kate, kannst du nicht was für uns buchen und Mum bitten, auf die Kinder aufzupassen? Wir machen uns ein ruhiges Wochenende irgendwo auf dem Land, ja? Was meinst du?«

»Ach, Simon.« Kate seufzte, aber dann sagte sie ihm zu. Sie war immer noch sauer auf ihn, aber vor allem war sie erleichtert. Er kam nach Hause. Vielleicht würde alles wieder gut werden.

Nach einer unruhigen Nacht, in der sie abwechselnd von Simon und Agnes geträumt hatte, fühlte sich Kate am nächsten Morgen wie gerädert. Sie brachte die Kinder zur Schule, küsste sie zum Abschied und sah ihnen noch kurz nach, als sie über den Schulhof davonliefen. Sie hatte vor, rasch wieder zu verschwinden, um mit niemandem reden zu müssen. Da drehte sich Sam plötzlich noch einmal um und kam zu ihr zurückgerannt. Er umklammerte Kate und drückte sein kleines Gesicht in ihren Bauch.

»Ich liebe dich, Mummy. Sei nicht traurig«, sagte er, dann drehte er sich um und rannte erneut in Richtung seiner Klasse. Kate merkte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen, aber in diesem Moment entdeckte Mrs Smithson sie und kam ihr entgegengelaufen.

»Haben Sie meinen Brief bekommen, Kate? Werden Sie uns helfen?«, stieß sie aufgeregt aus.

Kate sah Mrs Smithson an. Auch sie sah aus, als hätte sie eine schlaflose Nacht hinter sich. Auf einmal ertönte die Stimme ihres Vaters in ihrem Kopf: Wir werden uns doch nicht unterkriegen lassen, oder?

Und bevor sie auch nur einen Augenblick nachdenken konnte, nickte Kate. »Wenn Sie meinen, dass ich das kann, dann werde ich es tun«, sagte sie entschlossen.