38. KAPITEL

Am Donnerstagabend überlegte Kate lange, was sie anziehen sollte. Sie entschied sich für eine schwarze, leicht ausgestellte Samthose, eine weiße Bluse mit silbernen Knöpfen und ein schwarzes Strickjäckchen aus weichem Kaschmir.

Einen Moment dachte sie daran, Agnes’ Perlenkette dazu zu tragen, entschied sich dann jedoch für die Kette mit dem Medaillon. Sie hatte genau die richtige Länge, um ihrem Outfit einen lässigen Touch zu geben.

»Du siehst hübsch aus, Mummy«, sagte Daisy feierlich, »und du riechst so gut.« Zur Belohnung für die Schmeichelei durfte sie etwas Parfum auf Mummys und ihre eigenen Handgelenke sprühen und ein wenig Lipgloss ausprobieren.

Als Kate in die Galerie kam, schlug ihr eine Welle aus Hitze und Lärm entgegen. Sie hielt gerade Ausschau, ob sie jemanden kannte, als Dan auf sie zukam.

»Hi.« Er drückte seine warme Wange an ihre kalte und küsste sie sanft. »Geht es dir gut?«

Kate nickte, und sie lächelten sich an. Dan sah völlig verändert aus. Seine goldbraune Mähne war gestylt, und er trug einen perfekt sitzenden Anzug. Er nahm Kates Hand, führte sie ins Gewühl und stellte ihr einige Leute vor. Wenig später war sie in eine Unterhaltung mit Jacqui vertieft, einer lebhaften Irin mit roten Locken, die sich als die Freundin von Dans Geschäftspartner Grant entpuppte. Gemeinsam schauten sie sich die Ausstellungsstücke an.

Es handelte sich um großformatige, farbenfrohe Öllandschaften, die zwar technisch perfekt, aber für Kates Geschmack zu grell und unnatürlich waren. Es gab offenbar Leute, die das ganz anders sahen, denn an zwei der größeren Arbeiten befanden sich bereits rote Aufkleber, die zeigten, dass die Bilder verkauft waren. Als Kate sich nach Dan umschaute, sah sie ihn mit einem bärtigen Mann an einem Schreibtisch stehen und etwas in einen Taschenrechner eintippen. Offenbar führten die beiden Verkaufsverhandlungen. Nachdem sie sich geeinigt hatten, wandte sich Dan einem älteren Ehepaar zu. Nach einer Weile ging er mit ihnen auf eine große, hagere und sehr hektische Frau zu. Von Jacqui wusste Kate, dass es Alison Rosa, die ausstellende Künstlerin war.

Dan schien in seinem Element zu sein. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen, aber er unterhielt sich mit jedem, der auf ihn zukam, hielt die junge Bedienung im Blick, die Canapés herumreichte, machte Leute miteinander bekannt und beriet sich zwischendurch immer wieder mit Grant. Ab und zu merkte er, dass Kate ihn beobachtete, und lächelte ihr zu.

Irgendwann stellte er Kate die hektische Alison vor. Die beiden Frauen unterhielten sich eine Zeit lang über ihre Liebe zu den Landschaften Suffolks und darüber, wieso so viele Künstler in dieser Gegend arbeiteten. »Es ist das Licht, das mich so fasziniert«, sagte Alison. »Und der ständig wechselnde Himmel. Und mit dem Himmel verändert sich jedes Mal die Landschaft.«

Um neun Uhr, als sich nur noch wenige Besucher in der Galerie aufhielten, fiel Kate auf, dass Dans Bild Eines Morgens zum Anbeginn der Welt verkauft worden war. Als sie ihn fragte, wer es erworben habe, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Ein Händler aus London. Er möchte unbedingt noch mehr von mir haben.«

»Dan, das ist ja fantastisch. Herzlichen Glückwunsch!« Sie wäre ihm fast um den Hals gefallen, hielt sich jedoch in letzter Sekunde zurück.

»Sollen wir uns langsam mal in Richtung Restaurant bewegen, Leute?«, rief Grant. Rasch halfen sie der Bedienung, die letzten Gläser einzusammeln, dann schloss Dan die Galerie ab.

Es war nur eine kleine Gruppe, die noch zum Essen ging – Grant und Jacqui, Alison, Deirdre, die Herausgeberin einer kleinen, aber prestigeträchtigen Kunstzeitschrift, sowie Dan und Kate. Im Restaurant war es sehr voll, daher mussten sie sich an einen kleinen Ecktisch drängen.

Sie bestellten etwas zu essen und Wein und stießen mit Alison auf den Erfolg der Vernissage an.

Im Restaurant war es stickig, und als Kate ihre Strickjacke auszog, fiel Dans Blick auf das Medaillon.

»Das ist mir vorhin schon aufgefallen«, sagte er. Kate, die neben ihm saß, konnte der Versuchung nicht widerstehen, ein Stück näher an ihn heranzurutschen. Sie hob das Medaillon hoch, damit er es besser sehen konnte.

»Ich glaube, das ist Agnes«, sagte sie, und als sie merkte, dass die anderen am Tisch interessiert zu ihr herübersahen, erzählte sie ihnen kurz die Geschichte des Liebespaars.

»Wie traurig«, meinte Deirdre. »Aber auch schön. Was meinen Sie, was aus der anderen Hälfte geworden ist?«

Kate zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.«

»Kann ich es mir mal genauer ansehen?«, fragte Dan. Kate nahm die Kette ab und reichte sie ihm. Er betrachtete das Medaillon von allen Seiten, dann reichte er es an Deirdre weiter.

»Ich würde sagen, es ist von der Arts-and-Crafts-Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts beeinflusst«, meinte sie nach einer Weile. »Die Künstler wollten zurück zu ganz einfachen Werten. Das Medaillon ist sehr hübsch, auch wenn es nicht besonders gut gearbeitet ist.«

Die Kette wurde herumgereicht und begutachtet, dann bat Dan darum, sie nochmals sehen zu können. Er schien sie nur ungern aus der Hand zu geben, doch irgendwann legte er sie wieder um Kates Hals und befestigte den Verschluss.

Das Gespräch kehrte nun zu Alisons Bildern und zum Erfolg der Vernissage zurück. Nachdem alle große Mengen Pasta gegessen hatten, machte sich Grant auf die Suche nach Zigaretten, und Jacqui und Alison führten ein privates Gespräch, das sich, so vermutete Kate, um Alisons Krankenhausaufenthalt drehte. Deirdre nutzte die Gelegenheit, von Kate noch ein wenig über Agnes und Seddington House zu erfahren.

»Ich war mal dort, als ich etwas für einen Bericht recherchieren musste«, sagte sie. »Das Haus ist ja eine wahre Schatztruhe. Was werden Sie mit den ganzen Sachen anfangen?«

»Ich schätze, das meiste werde ich verkaufen«, antwortete Kate. Sie warf einen Blick in Dans Richtung, dann fügte sie hinzu: »Und dann möchte ich mit meinen Kindern sobald wie möglich dort einziehen. Aber ich fürchte, bis alles fertig ist, werden wir noch etwas mieten müssen.«

Kate hatte sich am vergangenen Wochenende ein Herz gefasst und mit ihrer Schwiegermutter gesprochen. Joyce bestand weiterhin darauf, dass sie und die Kinder in Paradise Cottage wohnten, bis Seddington House bezugsfertig war, aber Kate war fest entschlossen, sich nach Weihnachten etwas Neues zu suchen. Es war wichtig, dass sie nun endlich ihren eigenen Weg ging und auch Joyce die Möglichkeit gab, ihr Leben und damit die Beziehung zu ihrem Sohn neu zu ordnen.

»Im Moment weiß ich noch nicht, was genau passieren wird«, sagte sie nun zu Deirdre. »Es ist eine Menge Zeug, und mit vielen Dingen kann ich einfach nichts anfangen. Was soll ich zum Beispiel mit einem silbernen Wollknäuel-Halter aus dem 19. Jahrhundert oder einem ausgestopften Mops? Ich käme mir vor, als lebte ich in einem Museum!«

Deirdre lachte laut.

»Klingt das sehr herzlos, Dan?« Kate sah ihn an. »Ich möchte nicht respektlos über Agnes reden.«

»Ich glaube, Agnes hätte Verständnis dafür«, antwortete Dan. »Es war ihr wichtig, das Haus an dich zu vererben, das Familienheim. Sie wollte, dass du es zu deinem Zuhause machst und mit den Dingen deiner eigenen Familie füllst.«

»Ich glaube auch.« Kate seufzte. »Aber es kommt mir trotzdem hart vor, alles einfach wegzugeben.«

»Ich habe eine Idee«, meinte Jacqui, die sich nun ebenfalls an dem Gespräch beteiligte. »Wie wäre es mit einer Volksauktion?«

»Was ist das denn?«, fragte Dan und leerte sein Glas.

»Das ist im Grunde wie ein Landhaus-Verkauf«, erklärte Deirdre. »Ein großes Ereignis. Klingt gut, Jacqui.«

»Die Familie Melton war so bekannt«, fuhr Jacqui fort, »dass so eine Auktion sicher auf großes Interesse stoßen würde.«

»Man könnte natürlich auch das Auktionshaus Farrell’s bitten, sich der Sache anzunehmen«, schlug Deirdre vor. »Sie könnten vielleicht noch ein paar Händler einladen.«

Kate nickte nachdenklich. »Die Idee ist wirklich nicht schlecht«, sagte sie. »Eine Volksauktion. Das hätte Agnes sicher gefallen.«

Am Ende des Abends half Dan Kate in den Mantel und brachte sie zu ihrem Auto. Er sagte nicht viel, aber irgendetwas schien ihn zu beschäftigen. Auf dem spärlich beleuchteten Parkplatz kramte Kate nach ihrem Autoschlüssel.

»Auf Wiedersehen, Dan«, flüsterte sie und küsste ihn sanft auf die Wange. Er ließ es geschehen.

»Pass auf dich auf«, sagte er, als sie ins Auto stieg. Als sie den Motor anließ, winkte er noch einmal, dann verschwand er in der Dunkelheit.

Kate fühlte sich plötzlich schrecklich einsam. Sie schaltete den Motor wieder aus und blieb gedankenverloren auf dem Parkplatz stehen.

Sie wusste nun, dass sie sich in Dan verliebt hatte. Sie litt noch immer unter der Trennung von Simon, und wahrscheinlich war auch Dan längst nicht über Linda hinweg, aber bei Dan fühlte sie sich wohl. Auf ihn konnte sie sich verlassen, das wusste sie. Ihr Körper sehnte sich nach ihm. Ob er für sie dasselbe empfand? Den ganzen Abend hatte sie das Gefühl gehabt, es sei so, aber jetzt hatte er sich so schnell von ihr verabschiedet, dass sie kaum noch Hoffnung hatte.

Es war wirklich albern. Sie benahm sich wie ein Teenager. Wütend auf sich selbst ließ sie die Zündung anspringen, und der Motor heulte auf.