Die Bullen klopfen an

Ich saß gerade über dem Geschichtsbuch, als es knallte. Witzigerweise hatte ich gerade den Zweiten Weltkrieg und die Schlacht von Stalingrad dran, als die Reste von Familie Pettersen einen auf den Hut kriegten.

Zuerst wurde an der Tür geklingelt. Ich hörte, dass Mutter aufmachen ging. Dann folgte ein höllisches Geschrei. Mutter flucht sonst eigentlich kaum, aber jetzt servierte sie da draußen in der Diele offenbar reichlich ungehobelte Ware. Zuerst dachte ich, Vater sei bescheuert genug, um mit seiner neuen Tussi nach Hause zu kommen, aber zwei Bassstimmen zwischen Mutters Gefistel verrieten mir doch bald, dass etwas anderes anlag.

Ich riss die Tür auf und kapierte sofort alles, als ich die beiden Typen in kurzen Lederjacken und Jeans sah. Wenn diese Jungs nicht von der Bullerei kamen, dann war ich nicht mehr Peter Pettersen, geboren in Oslo.

»Kommt nicht in Frage!«, schrie Mutter. Sie versuchte, den einen in Richtung Wohnungstür zu schieben, aber das gelang ihr nicht. Der Typ blieb stehen wie ein Fels in der Brandung. »Hier sitze ich friedlich und stricke und rede mit meiner Kleinen, und dann platzt ihr hier rein, als ob euch die Bude gehörte! Das lass ich mir nicht gefallen. Was sind denn das für Zustände? Wo ehrliche Leute sich nicht einmal in ihrem eigenen Heim sicher fühlen können? Kommt mir bloß nicht her und führt euch auf wie die verdammte CIA!«

»Immer mit der Ruhe, Frau Pettersen«, sagte der eine. Er zog ein Papier aus der Jackentasche. »Wir haben selbstverständlich alle Formalitäten erledigt. Hier, sehen Sie selber den Durchsuchungsbefehl.«

Mutter warf einen gleichgültigen Blick auf das Papier.

Der andere Typ sagte: »Wir haben es eilig. Und wir sind nicht gekommen, um mit Ihnen über gesellschaftliche Probleme zu diskutieren, das überlassen wir Ihnen und Ihren linksradikalen Freunden. Klar? Also kommen Sie jetzt wieder auf den Boden. Sie können doch nichts machen. Wenn Sie jetzt noch mehr Krach schlagen, dann rufen wir einen Streifenwagen zu Hilfe. Und die kommen dann in Uniform. Vielleicht möchten Sie bei Ihren Nachbarn soviel Aufmerksamkeit wie möglich erregen?«

Mutter wurde plötzlich ganz klein. »Nein«, sagte sie. Sie hatte wie eine Löwin gekämpft, aber diese Kerle waren erfahrene Jäger.

In mir kochte es. Niemand sollte meine Mutter so behandeln! Ich rannte durchs Wohnzimmer und in die Diele, und ehe irgendwer auch nur ‚piep‘ sagen konnte, hatte ich dem Typ mit der großen Klappe schon ordentlich vors Schienbein getreten.

»Lass meine Mutter in Ruhe, verdammt noch mal! Sie hat doch nichts verbrochen! Macht gefälligst, dass ihr auf die Straße kommt und stattdessen ein paar Drogenhändler erwischt!«

Ich hatte fast damit gerechnet, eine reingesemmelt zu bekommen oder in Eisen gelegt zu werden, aber das passierte nicht. Der Typ, den ich getreten hatte, schnitt zwar Grimassen, aber er begnügte sich damit, mir einen finsteren Blick zuzuwerfen. So einen Blick, der mir sagte, dass ich jetzt in seinem persönlichen Hassarchiv gespeichert wurde und dass ich mich in alle Zukunft dort befinden würde.

Der andere legte die Arme um mich und hielt mich fest wie ein Schraubstock. »Jetzt beruhigen wir uns mal ein bisschen, ja? Wir sind nicht hier, um eure Wohnung in Stücke zu zerlegen, wir wollen uns bloß mal umsehen. Uns macht das auch keinen besonderen Spaß. Wenn ihr jetzt aufhört zu schreien und zu treten, dann haben wir in einer halben Stunde alles hinter uns.«

»Also los«, sagte Mutter resigniert. »In den Einmachgläsern in der Küche habe ich Mehl, Puderzucker und Kartoffelmehl, kein Heroin. Würdet ihr mir freundlicherweise erzählen, worum das Ganze geht?«

»Es geht um Rolf Pettersen«, antwortete der andere Bulle und rieb sich das Schienbein. »Die Details erfahren Sie in einer Stunde in den Nachrichten. Na gut. Machen wir uns an die Arbeit.«

Und das machten sie. Während Mutter und My und ich im Wohnzimmer saßen und uns alle Mühe gaben, uns gegenseitig zu beruhigen, durchwühlten diese beiden Polizisten unsere Wohnung. Sie fingen mit der Küche an und nahmen sich dann das Wohnzimmer vor, dann kam mein Zimmer an die Reihe und schließlich das Schlafzimmer der Alten. Sie waren nicht gerade besonders vorsichtig, wenn sie Schubladen herauszogen und Schränke und Kabuffs ausräumten, aber sie hielten ihr Versprechen, sie zerlegten die Wohnung nicht in Stücke.

»In den Nachrichten?«, fragte Mutter zum vierzehnten Mal. »Was in aller Welt kann er denn nun wieder angestellt haben? Rolf, der keiner Fliege was zuleide tun kann!«

»Das mit der Fliege ist ein gutes Bild«, antwortete ich. »Leben und leben lassen. Wenn ich mich nicht sehr irre, hat dieser Mist irgendwas mit Tieren zu tun.«

Mutter und Klein-My sahen mich fragend an.

Aber ich konnte nicht mehr erklären, denn nun kamen die beiden Polizisten ins Wohnzimmer und warfen das Beweismaterial auf den Tisch. Zwei Broschüren. Die eine hatte den Titel »Tiere im Gefängnis«, die andere »Deine Schönheit, das Leiden der anderen«. Ein Bild von einer Katze mit einer Schraube im Kopf. Ich konnte mir schon denken, wer die beiden Broschüren herausgegeben hatte.

»Tja«, sagte der, der von beiden etwas menschlicher wirkte. »Was sollen wir denn dazu sagen, Frau Pettersen?«

Mutter hob eine Broschüre hoch. »Meint ihr in vollem Ernst, dass ihr über uns herfallt, um nach so was zu suchen?«

»Haben Sie die schon mal gesehen?«, fragte der andere ungeduldig.

»Nein.« Mutter schüttelte den Kopf. »Sicher hat Rolf die mitgebracht.«

»Ja, stellen Sie sich vor, das nehmen wir auch an.«

»Na und?«, fragte Mutter trotzig. »Er hat sie sicher unten im Zentrum bekommen. Auf Karl Johan verteilen doch haufenweise Organisationen Flugblätter und Broschüren.«

»Solche nicht«, antwortete der andere Bulle. »Die sind bisher weder in der Stadt hier noch sonst irgendwo in Norwegen in normalem Umlauf. Die Organisation, die dahintersteckt, ist nämlich illegal. Lesen Sie keine Zeitungen, Frau Pettersen? Noch nie von den Blauen Wölfen gehört?«

»Durchgeknallte Tierschützer«, sagte der andere.

»Terroristen«, fügte der erste anklagend hinzu. »Wann haben Sie Ihren Mann zuletzt gesehen?«

»Vor zwei Tagen«, antwortete Mutter resigniert.

»Terroristen!«, sagte ich. »Wenn hier jemand als Terrorist bezeichnet werden kann, dann doch die, die hinter diesen schrecklichen Tierversuchen stecken. Aber das ist euch natürlich egal. Stattdessen quält ihr meine Mutter und macht meiner kleinen Schwester eine Höllenangst. Was zum Teufel haben wir eigentlich verbrochen?«

»Wir interessieren uns für deinen Vater«, sagte der eine. »Weißt du, wo der steckt?«

»Nix. Und wenn ich es wüsste, würde ich es euch nicht verraten.«

Er nickte. »Da will ich dir auch gar keine Vorwürfe machen. Aber es geht darum, dass er nur noch sehr viel mehr Ärger kriegen wird, wenn wir uns nicht sehr bald mit ihm unterhalten können. Die ganze Sache ist ja vielleicht gar nicht so dramatisch, wie sie aussieht, aber davon muss er uns eben überzeugen. Wenn er abtaucht, dann schadet er nur sich selber.«

Wieder explodierte Mutter. »Dann erzählt uns schon von dieser verdammten Geschichte! Worum geht’s? Hat er ein Forschungslabor gesprengt oder was?«

Der Typ, den ich getreten hatte, schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge. »Sie spielen gut, Frau Pettersen.« Er schnappte sich die Broschüren und steckte sie in die Tasche. »Wir hauen jetzt ab, aber wir lassen sehr bald wieder von uns hören. Und wie gesagt, sehen Sie sich heute Abend die Nachrichten an.« Er machte auf dem Absatz kehrt, ohne sich zu verabschieden.

Ich fand uns verdammt gut. Wir fingen allesamt erst an zu heulen, als die beiden Mistkerle weg waren.

Wir versuchten, Klein-My vor den Nachrichten ins Bett zu bringen, aber das klappte nicht. Sie hatte immerhin so viel kapiert, dass sie sich mit Märchen und Vorlesen nicht verlocken ließ. Ich war so nervös, dass ich ganz feuchte Hände hatte. Was würden wir sehen? Dass es eine neue Aktion gegeben hatte, konnte ich mir ja denken - aber welche Rolle spielte Vater? So, wie die Polizei sich aufgeführt hatte, wohl kaum eine Nebenrolle. Aber wie zum Henker konnten sie das wissen? Wenn sie ihn auf frischer Tat ertappt hätten, dann säße er jetzt ja im Knast, das konnte es also nicht sein. Meine Gedanken gerieten in immer tieferes Chaos, je näher der Uhrzeiger auf halb acht ging. Nach ihrer Explosion war Mutter zu dem Stadium gelangt, wo sie sich in sich selber zurückzog. Sie saß steif auf dem Sofa und streichelte behutsam Klein-Mys Haare. Zwei Minuten vor halb schnappte ich mir die Fernsteuerung und drückte mit einem eher zittrigen Zeigefinger aufs Erste Programm.

An diesem Abend lieferten die Blauen Wölfe nicht die erste Nachricht. Dazu war im Libanon und in Südafrika zu viel passiert. Aber sie stellten zweifellos den Leckerbissen der Sendung dar. Ja, ehrlich gesagt, so frage ich mich, ob die Journalisten der Nachrichten jemals so viel Glück mit einer Reportage gehabt hatten wie mit dieser.

Diesmal hatten die Wölfe hart zugelangt. Dieser dusselige Sprecher erzählte mit Grabesstimme, dass die berüchtigte Organisation Blaue Wölfe in einem Pelzladen in der Nähe des Rathauses Waren für ungefähr eineinhalb Millionen Kronen zerstört hatte.

Fast alle Pelze im Laden waren ruiniert. Die Täter waren ganz einfach durch die Reihen gegangen und hatten alles mit Klebstoff besprüht. Eine hastige Innenaufnahme aus dem Geschäft zeigte das Ergebnis: Die gesamte Pelzkollektion war ein einziger Matsch aus Klebstoff und Tierhaaren. Der Inhaber erklärte mit tränenerstickter Stimme, er könne doch niemanden daran hindern, seinen Laden zu betreten, schließlich lebte er von seiner Kundschaft.

Und dann die Sensation: Die Aktionisten, die also immer noch in West-Oslo arbeiteten, hatten einen dicken Patzer gebaut. Das Attentat auf das Pelzgeschäft hatte genau gegenüber dem Rathaus stattgefunden. Und da waren natürlich Leute gewesen, das war doch an fast jedem Tag im Jahr der Fall. Und nicht nur das: Ein Japaner mit unaussprechlichem Namen hatte gerade seine Familie verewigt und hatte sich umgedreht, als auf der anderen Seite des Platzes das Geschrei losbrach - sich und seine Videokamera hatte er gedreht. Er hatte die ganze Flucht der Blauen Wölfe aufgenommen, konnte der Nachrichtensprecher erzählen. Und nachdem ein Streifenwagen nach dem anderen herbeigeeilt war, hatte er natürlich kapiert, dass er möglicherweise über wichtiges Material in einem Kriminalfall verfügte, von dem er höchstens die Hälfte raffte. Die Nachrichten brachten ein kurzes Interview mit ihm, und er wirkte verwirrt und glücklich. Wie der Film beim Fernsehen gelandet war, erzählten sie nicht, aber das war auch egal. Wichtig war, dass sie ihn hatten - und jetzt wurde er in aller Pracht vorgeführt. Das Fernsehen konnte die Täter auf der Flucht zeigen, und wir alle wurden gebeten, uns zu konzentrieren, für den Fall, dass irgendwer eine oder mehrere Personen identifizieren konnte.

Ich packte Mutters Hand, als der Amateurfilm anfing, über den Bildschirm zu flimmern. Erst war nichts Besonderes zu sehen, aber dann ließ der Japaner seine Wunderkamera zoomen, und alles wurde unangenehm klar: Vor einem Laden kam es zu einem gewaltigen Handgemenge zwischen mehreren Personen. Und dass eine davon mein Vater war, konnte nicht bezweifelt werden. Seine langen Haare und sein Bart waren einfach unverkennbar. Er zog an einer Person in blauem Anorak, an der von der anderen Seite ein kleiner glatzköpfiger Mann zog, in dem ich den Pelzhändler erkannte. Um sie herum, ebenfalls reichlich aufgeregt, tanzten zwei weitere ebenfalls Anorak tragende Menschen. Alle drei hatten sich die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Dass Vater versuchte, einen der Aktivisten zu befreien, war ganz klar. Und das gelang ihm auch. Mit einem Ruck entriss er diese Person den Klauen des Pelzhändlers, und fast wären alle drei auf die Nase gefallen. Im nächsten Moment stürzten Vater und die blauen Anoraks wie die Besessenen in Richtung Majorstua davon.

»Da ist Papa!«, rief Klein-My entzückt. »Auf Safari!« In diesem Moment klingelte das Telefon in der Diele los. Ich ging hin und zog den Stecker heraus.