Der Prof kam mitten in der Nacht herauf. Als er den Kopf in mein Zimmer steckte, wirkte er unsicher und verlegen. Als ob er nicht so recht wüsste, wie er sich verhalten, was er sagen sollte.
Deshalb fand ich, ich könnte ja ebenso gut den Anfang machen, und bat ihn, sich hinzusetzen.
»Ja, ja«, sagte er und starrte den Boden an. »Das war ja eine ziemliche Salve. Ich nehme an, du hast die Nachrichten gesehen.«
»Ich nehme an, das kannst du mir ansehen«, antwortete ich. »Ja, wir haben alle Einzelheiten mitgekriegt. Übrigens hatte die Bullerei uns den Tipp gegeben, dass Vater heute Abend als Fernsehstar debütieren würde.«
»Die Bullerei?«
»Razzia«, sagte ich. »Meine Fresse, das war vielleicht ein Abend.«
Ich erzählte ihm alle Einzelheiten.
Er schüttelte den Kopf. »Das ist doch das Letzte! Und außer diesen verdammten Broschüren haben sie nichts gefunden?«
»Sie wirkten verdammt zufrieden. Ich glaube, sie haben genau das gefunden, was sie sich gewünscht hatten. Etwas Dynamit und Zweikomponentenkleber wäre natürlich besonders toll gewesen, aber immerhin haben sie sich nicht beklagt.«
»Und von deinem Vater hast du immer noch keinen Mucks gehört?«
»Hab den Telefonstecker rausgezogen. Hat ja schon losgeplärrt, als die Nachrichten noch gar nicht zu Ende waren. Zeitungen, nehme ich an. Wollte Mutter diesen Mist ersparen. Und ich glaube nicht, dass der Alte heute Abend durchklingelt. Schließlich kann unser Telefon doch abgehört werden. Terrorist, haben sie ihn genannt. Terrorist! Mein Vater! Eins steht jedenfalls fest: Peter Pettersen wird sich für längere Zeit aus der Schule beurlauben lassen.«
»Wegen dieser Sache kannst du doch nicht einfach die Schule an den Nagel hängen. Jetzt musst du zum Teufel noch mal deine Birne benutzen! Es hilft dir null und nix, wenn du dir auch noch das Zeugnis versaust.«
»Vernünftig«, sagte ich. »Aber es sind auch noch ein paar Gefühle mit im Spiel, falls du verstehst.«
Er nickte. »Ich bin ja auch nicht total bescheuert.«
Dann sah er mich voll an. »Meinst du, er gehört mit zu diesem Verein? So ganz ernsthaft?«
»Sieht jedenfalls ernsthaft aus.«
»Ja«, sagte Prof. »Aber manchmal ist nicht alles so, wie es aussieht. Das haben wir doch ein paar Mal zu spüren bekommen. Ich finde, irgendwas an dieser Sache stimmt nicht ganz.«
»Und zwar?«
Er holte Luft. »Sei nicht sauer, Peter, aber dein Vater ist irgendwie nicht der Typ. Ganz ehrlich gesagt, er kommt mir viel zu faul vor, um sich an solchen Aktionen zu beteiligen. Hier im Sessel sitzen und predigen - ja. Aber etwas unternehmen - nein, das glaub ich einfach nicht.«
»Aber jetzt haben wir es doch gesehen!«, sagte ich verzweifelt. »Zusammen mit zwei Millionen anderen Norwegern haben wir doch gesehen, wie Vater in gestrecktem Galopp von einem Haufen ruinierter Pelze abgehauen ist. Eineinhalb Millionen, Himmel! Und jetzt, gerade jetzt, wo er ausnahmsweise mal Geld verdient!«
»Schon«, antwortete der Prof. »Wir haben ihn rennen sehen. Für mich war das übrigens das erste Mal. Aber niemand hat gesehen, wie er die Pelze eingesprüht hat. Wenn dieser Pelzhändler das gesehen hätte, dann hätte er es sicher erwähnt, wo er nun schon mal in der Glotze auftreten durfte.«
»Vielen Dank«, sagte ich, »dass du an Vater glaubst. Ich selber weiß nicht, ob ich das noch kann. Wirkt wirklich ziemlich wahrscheinlich, dass er über dieser Marita total den Kopf verloren hat.«
»Kann schon sein«, erwiderte der Prof. »Aber ich kann nicht kapieren, wie sie ihn so verblödet haben soll, dass er als einziger bei dieser Aktion mit unbedecktem Gesicht antanzt. Herrgott, er ist doch ganz offen rumgerannt - und das mit seinem Aussehen! Haare bis zum Hintern! Er muss doch gewusst haben, dass irgendwer ihn aller Wahrscheinlichkeit nach erkennen würde. Auch ohne Japaner, der mit seiner Videokamera herumwedelt. Nein, irgendwas stimmt hier nicht. Es kann schlicht nicht so einfach sein, wie die Bullerei offenbar glaubt.«
»Möglich«, meinte ich genervt. »Aber das muss er dem Rest der Welt ja auch noch klarmachen, oder? Die Bullerei hat recht! Je länger er wartet, bis er sich meldet, umso fester steckt er in der Soße. Und ich bin mir wirklich nicht so sicher, ob er das kapiert! Der Mann hat es sich doch richtig zur Gewohnheit gemacht, sich vor Problemen und Unannehmlichkeiten zu drücken. Aber diesmal geht das einfach nicht!«
»Nein«, sagte der Prof. »Diesmal geht das nicht. Und wenn er das selber nicht rafft, dann müssen wir es ihm eben klarmachen.«
»Hört sich leicht an. Schließlich kann er doch schon auf dem Weg nach Madagaskar sein. Zusammen mit seiner verdammten Blondine!«
»Wir schnappen ihn uns aber als ersten«, sagte der Prof. »Das steht immerhin fest. Wir müssen ihn vor der Bullerei erwischen. Ob er nun schuldig ist oder nicht, es hat jedenfalls eine Menge zu bedeuten, wenn er sich freiwillig stellt.«
»Ich kann fast nicht denken«, sagte ich. »Was haben wir, das die Bullen nicht haben?«
»Zwei Dinge. Erstens wissen wir, dass diese Marita aller Wahrscheinlichkeit nach zu den Blauen Wölfen gehört und dass noch ein weiterer Aktivist die Vernissage deines Vaters besucht hat. Wir wissen außerdem noch etwas, wovon die Bullerei kaum Ahnung haben kann, nämlich zwei Adressen und zwei Telefonnummern, die möglicherweise mit dem Fall zu tun haben. Eine Adresse hier in Oslo und eine in Kopenhagen.«
»Da hast du ja recht«, meinte ich. »Die Frage ist nur: Was können wir mit unserem Wissen anfangen?«
Der Prof sah mich seltsam an. »Hast du wirklich vor, morgen nicht in die Schule zu gehen?«
»Von morgen war keine Rede. Übermorgen will ich auch noch nicht hin.«
»Ich meine ja wirklich, was ich vorhin gesagt habe«, sagte er leise. »Dass es keinen Sinn hat, wegen dieser ganzen Sache auch noch auf unsere Noten zu pfeifen. Andererseits glaube ich aber, dass es wichtig sein kann, Incognitogata im Auge zu behalten.«
Er kratzte sich am Kopf. »Aber wie? Du kannst doch nicht einfach auf der Straße herumhängen. Vielleicht musst du stundenlang dastehen.«
»Morgen ist doch Mittwoch, oder?« Ich spürte, wie meine Aufregung wuchs.
»Stimmt. Den ganzen Tag. Was hat das mit unserem Fall zu tun?«
»Leffy. Er hat mittwochs und donnerstags frei. Das heißt, dass ich vielleicht sein Auto leihen kann.«
»Sein Auto leihen!«
»Genau«, sagte ich.